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StGB I: Heimtückemord, oder: Arg- und Wehrlosigkeit erkennen und ausnutzen…

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Am heutigen Mittwoch, dem Buß- und Bettag – früher war es ein bundesweiter Feiertag, der 1995 als Beitrag zur Pflegeversicherung gestrichen worden ist, und huet nur noch in Sachsen Feiertag ist – dann wieder mal ein wenig materielles Recht.

Und da weise ich zunächst hin auf den BGH, Beschl. v. 16.05.2018 – 1 StR 123/18, in dem der BGH zum „Heimtückemord“ Stellung genommen hat. Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie Bedrohung verurteilt. Die Revision des Angeklagten hatte hinsichtlich des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes keinen Bestand.

„b) Das Landgericht hat sowohl einen bedingten Tötungsvorsatz bei der Messerattacke als auch die Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten K. in diesem Zeitpunkt angenommen. Es hat jedenfalls das für das Mordmerkmal der Heimtücke erforderliche Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten nicht ausreichend belegt.

In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand des Heimtückemordes nicht nur voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers erkennt; erforderlich ist außerdem, dass er die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (BGH, Urteil vom 24. September 2014 – 2 StR 160/14, NStZ 2015, 214, 215). Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Juni 2017 – 2 StR 10/17 Rn. 10, NStZ-RR 2017, 278, 279 mwN).

Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter – wie bei Schüssen in den Rücken des Opfers – auf der Hand liegt (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 – 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710; Urteil vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17 Rn. 15, NStZ-RR 2018, 45, 47). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Denn bei erhaltener Unrechtseinsicht ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 – 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511; vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31 mwN und vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17 Rn. 15, NStZ-RR 2018, 45, 47). Danach hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen. Allerdings kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (BGH, Urteil vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17 Rn. 15, NStZ-RR 2018, 45, 47).

Vorliegend hat das Landgericht aus dem objektiven Geschehensablauf darauf geschlossen, dass der Angeklagte sich die Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten K. zunutze machen wollte. Maßgebliche Bedeutung hat es dabei dem Überraschtsein des Geschädigten K. sowohl von den zwei Faustschlägen als auch von der unmittelbar folgenden Messerattacke und den aufgrund der Dunkelheit eingeschränkten Sichtverhältnissen beigemessen. Angesichts der Feststellungen, dass dem mit Tötungsvorsatz ausgeführten Messerstich zwei mit Körperverletzungsvorsatz ausgeführte Faustschläge unmittelbar vorausgingen, ist vorliegend das objektive Bild des Geschehens – anders als etwa bei Schüssen in den Rücken eines Opfers – nicht derart eindeutig, dass allein daraus auf ein Ausnutzungsbewusstsein beim Angeklagten im maßgeblichen Zeitpunkt der Messerattacke geschlossen werden könnte. Hinzu kommt, dass der Angeklagte wegen des kurz zuvor erfolgten Messereinsatzes gegen den Taxifahrer Ü. davon ausgehen konnte, dass sein Messer und seine Bereitschaft dieses einzusetzen dem Geschädigten K. gegenwärtig waren. Dies gilt besonders auch vor dem Hintergrund, dass das Landgericht zugleich eine affektive Erregung sowie eine Alkoholisierung des Angeklagten, der eine nicht vollkommen unerhebliche Menge hochprozentigen Alkohols konsumiert hatte, und die Spontaneität der Tatbegehung festgestellt hat (UA S. 6, 36), und damit allesamt Umstände, die nach dem zuvor Ausgeführten gegen ein Ausnutzungsbewusstsein sprechen können. Zudem ist angesichts des raschen Tatgeschehens und der zuvor genannten Gesichtspunkte nicht nachvollziehbar belegt, dass das Vorgehen des Angeklagten einem Tatplan entsprochen habe (UA S. 16, 36 f.) und der Tatort von diesem gewählt worden sei (UA S. 37).“

Strafzumessung I: U.a. versuchter Mord, oder: Einiges zu meckern hat der BGH

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Über den BGH, Beschl. v. 18.07.2018 – 4 StR 170/18 – hatte ich ja vor ein paar Tagen schon berichtet (s. Das Inbrandsetzen einer Hütte, oder: Urteilsanforderungen). Ich komme heute auf den Beschluss wegen der Ausführungen des BGH zur Strafzumessung noch einmal zurück.

Ich erinnere: Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung und mit gefährlicher Körperverletzung, wegen Brandstiftung in zwei Fällen, wegen Sachbeschädigung und wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Der BGh hat teilweise im Schuldspruch aufgehoben.

Im Rechtsfolgenausspruch hat der bGh insgesamt aufgehoben:

2. Soweit die Schuldsprüche Bestand haben, unterliegen die Strafaussprüche insgesamt der Aufhebung.

„a) Hinsichtlich der gegen den Angeklagten wegen der Tat im Zusammenhang mit der Inbrandsetzung des Hauses F. Straße verhängten Einzelfreiheitsstrafe von sechs Jahren ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer einen zu großen Schuldumfang zugrunde gelegt hat. Das Landgericht hat das Vorliegen zweier Mordmerkmale – Heimtücke und Einsatz eines gemeingefährlichen Mittels – straferschwerend berücksichtigt. Zwar begegnet die Annahme von Heimtücke keinen rechtlichen Bedenken, so dass der Schuldspruch wegen versuchten Mordes nicht in Frage steht. Die Annahme einer Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel wird von den Urteilsgründen mit Blick auf die hierfür erforderliche Gefährdung einer unbestimmten Mehrzahl von Menschen jedoch nicht getragen.

aa) Das Mordmerkmal der Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel ist erfüllt, wenn der Täter ein Tötungsmittel einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat (vgl. BGH, Urteile vom 16. August 2005 – 4 StR 168/05, NStZ 2006, 167, 168; vom 1. September 1992 – 1 StR 487/92, BGHSt 38, 353, 354; vom 4. Februar 1986 – 5 StR 776/85, BGHSt 34, 13, 14). Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters (vgl. BGH, Urteile vom 16. August 2005; vom 1. September 1992; jeweils aaO). Von dem Mordmerkmal tatbestandlich nicht erfasst wird eine „schlichte“ Mehrfachtötung; eine solche liegt jedenfalls dann vor, wenn sich der Täter mit Tötungsabsicht gegen eine bestimmte Anzahl von ihm individualisierter Opfer richtet (vgl. BGH, Urteile vom 16. August 2005 – 4 StR 168/05, NStZ 2006, 167, 168; vom 16. März 2006 – 4 StR 594/05, NStZ 2006, 503, 504; vom 14. Januar 2010 – 4 StR 450/09, NStZ-RR 2010, 373, 374; Eser/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, aaO, § 211 Rn. 29; SK-StGB/Sinn, 9. Aufl., § 211 Rn. 61; Rengier, Strafrecht – Besonderer Teil II, 19. Aufl., § 4 Rn. 47c; Zieschang, FS Puppe, 2011, S. 1301, 1318 ff.).

bb) Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte den Tod der Nebenklägerin sowie der Zeugen B. S. und Ba. , während er den Tod der Zeuginnen S. S. und K. jedenfalls billigend in Kauf nahm. In diesem Sinne verhält sich auch die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite des Angeklagten.

In der rechtlichen Würdigung zum Tötungsvorsatz führt die Strafkammer – hiervon abweichend – aber aus, dass der Angeklagte den Tod „jedenfalls der Bewohner der im ersten Obergeschoss liegenden Wohnungen“ gewollt habe; aus dem Umstand, dass er die in das erste Obergeschoss führende Treppe entzündet habe, um den dortigen vier Bewohnern die Fluchtmöglichkeit zu nehmen, sei direkter Tötungsvorsatz zu folgern gewesen.

Dieser Widerspruch wird in den Urteilsgründen nicht aufgelöst. Die Reichweite der Tötungsabsicht des Angeklagten ist somit unklar, so dass nicht auszuschließen ist, dass jedenfalls bezüglich aller im ersten Obergeschoss aufhältigen Personen eine dem Mordmerkmal nicht unterfallende versuchte („schlichte“) Mehrfachtötung vorlag. Die Urteilsgründe bieten auch keinen Anhalt dafür, dass der Angeklagte damit rechnete und billigte, dass sich neben den üblichen Bewohnern zur Tatzeit weitere Menschen in dem Haus aufhielten oder dass das Feuer auf Nachbargebäude überzugreifen drohte, was die Annahme des Mordmerkmals hätte rechtfertigen können. Die Gefährdung nur einer weiteren, nicht als Tatopfer anvisierten Person, der Zeugin K. , reicht zur Begründung der Gemeingefährlichkeit indes nicht aus, da sich hieraus gerade nicht eine – über die versuchte Mehrfachtötung hinausgehende – Gefährdung einer unbestimmten Mehrzahl von Personen ergibt.

b) Soweit der Angeklagte gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 StGB wegen der Brandstiftung an dem Pkw der Nebenklägerin zu einer Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden ist, hat der Strafausspruch ebenfalls keinen Bestand, da es insoweit im angefochtenen Urteil an jeglichen tatbezogenen Strafzumessungserwägungen fehlt. Sowohl bei der Ablehnung eines minder schweren Falles gemäß § 306 Abs. 2 StGB als auch bei der konkreten Strafzumessung hat die Strafkammer lediglich pauschal auf die Strafzumessungserwägungen, die sie zu dem versuchten Mord angestellt hat, verwiesen. Die dortigen Ausführungen sind aber überwiegend auf das versuchte Tötungsdelikt zugeschnitten und ohne Bezug zu dem Brandstiftungsdelikt. Dagegen bleiben bezüglich der Brandstiftung am Pkw der Nebenklägerin relevante Strafzumessungsgesichtspunkte unerörtert, wie etwa die Schadenshöhe (vgl. BeckOK-StGB/von Heintschel-Heinegg, Stand: 1. Mai 2018, § 306 Rn. 46; LK-StGB/Wolff, aaO, § 306 Rn. 50; zum Schutzzweck der Norm zuletzt BGH, Beschluss vom 22. Mai 2018 – 4 StR 598/17 mwN).

c) Zudem hat die wegen der Sachbeschädigung an der Kutsche der Nebenklägerin (§ 303 Abs. 1 StGB) verhängte Einzelstrafe von 90 Tagessätzen keinen Bestand, da auch hier jegliche tatbezogenen Strafzumessungserwägungen fehlen und nur pauschal festgehalten wird, dass die Strafe „nach Abwägung aller Umstände“ für tat- und schuldangemessen gehalten worden ist.“

Sind die Berliner „Kudamm-Raser“ Mörder?, oder: Vorerst nein

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Zum Wochenauftakt dann ein wenig Verkehrsrecht. Und darunter dann endlich der Kudamm-Raser-Fall des BGH, also das BGH, Urt. v. 01.03.2018, 4 StR 399/17 – über das ja auch schon an einigen anderen Stellen berichtet worden ist und zu dem wir in den Fachzeitschriften der kommenden Monate sicherlich eine Menge lesen werden.

Ich denke, der Sachverhalt ist bekannt. Das LG Berlin hatte die beiden Angeklagten u.a. wegen mittäterschaftlich begangenen Mordes (§ 211 StGB) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Festgestellt worden ist vom LG ein spontanes Autorennen auf dem Kudammn. Die Angeklagten fuhren bei dem Rennen unter Missachtung von Rotlicht einer Lichtzeichenanlage mit Geschwindigkeiten von mindestens 139 bzw. mindestens 160 km/h in eine Kreuzung ein. Spätestens zu dem Zeitpunkt – so hatte es das LG festgestellt – sei den Angeklagten bewusst gewesen, dass ein berechtigt in den Kreuzungsbereich einfahrender Verkehrsteilnehmer im Falle einer Kollision mit großer Wahrscheinlichkeit zu Tode kommen würde. Die körperliche Schädigung anderer, einschließlich der Beifahrerin eines der Angeklagten, sei ihnen gleichgültig gewesen. Es kam dann zu einer Kollision mit dem Pkw des Geschädigten, der noch an der Unfallstelle verstarb. Die Beifahrerin des zweiten Angeklagten wurde schwer verletzt.

Der BGH hat die Verurteilung aufgehoben. Er beanstandet im Wesentlichen drei Punkte:

  • Das LG hat den bedingten Tötungsvorsatz erst für den Zeitpunkt festgestellt, als die Angeklagten in die Kreuzung, in der es dann zum Unfall kam, schon eingefahren gewesen waren und sie keine Möglichkeit zur Vermeidung der Kollision mehr hatten. Daraus folge, dass sich das LG nicht die Überzeugung verschafft habe, dass die Angeklagten den Tod eines anderen Verkehrsteilnehmers schon vor dem Einfahren in den Kreuzungsbereich als möglich erkannten und billigend in Kauf nahmen. Hätten die Angeklagten aber den Tötungsvorsatz erst beim Einfahren in die Kreuzung gefasst, könnte ihre Verurteilung wegen einer Vorsatztat nur Bestand haben, wenn sie nach diesem Zeitpunkt noch eine Handlung vornahmen, die für den tödlichen Unfall ursächlich war. Dem Urteil sei aber ein unfallursächliches Verhalten der Angeklagten, das zeitlich mit der Fassung eines Tötungsvorsatzes zusammenfiel oder diesem nachfolgte, nicht zu entnehmen.
  • Darüber hinaus fehlt dem BGH eine Auseinandersetzung mit einem wesentlichen vorsatzkritischen Gesichtspunkt, nämlich der möglichen Eigengefährdung der Angeklagten im Fall einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug. Zwar gibt es nach Auffassung des BGH keine Regel, wonach es einem Tötungsvorsatz entgegenstehe, dass mit der fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergehe. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, könne aber eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat.
  • Und: Den vom LG unterstellten Erfahrungssatz, nach dem sich ein bestimmter Typ Autofahrer in einer bestimmten Art von Kraftfahrzeug grundsätzlich sicher fühle und jegliches Risiko für die eigene Unversehrtheit ausblende, gibt es nach Auffassung des BGH nicht. Zudem sei von der Strafkammer ein entsprechendes Vorstellungsbild konkret auf die Angeklagten bezogen nicht belegt. Gerade angesichts der objektiv drohenden Unfallszenarien – Kollisionen an einer innerstädtischen Kreuzung bei mindestens 139 bzw. 160 km/h – verstehe sich dies auch nicht von selbst.

Der BGH hat also aufgehoben und zurückverwiesen. Damit ist die Sache aber noch nicht zu Ende. Vor allem ist nicht vom BGH enschieden, dass in den „Raser-Fällen“ nicht doch Mord vorliegen könnte. Daher war die Überschrift bei LTO „Berliner Ku’Damm-Raser sind keine Mörder“ ein wenig weit gefasst. In meinen Augen handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, die auf der Grundlage der vom LG getroffenen Feststellungen kaum anders ergehen konnte. Man sollte in dem Zusammenhang nicht den Hinweis des BGH für das weitere Verfahren überlesen, wonach – wenn man bei der neuen Verhandlung wieder zum Vorsatz kommt – auch das Mordmerkmal der Heimtücke zu erörtern sein dürfte.

Die Diskussion ist also lange noch nicht beendet.

Mordverurteilung im „Berliner Kudammraserfall“, oder: Wenn der Pkw zum „gemeingefährlichen Mittel“ wird

entnommen wikimedia.org Urheber Manfred Brückels

Und heute dann auch noch mal ein wenig aus dem „Restepool“. Zunächst das Urteil des LG Berlin im „Kudammraserfall“ – LG Berlin, Urt. v. 27.02.2017 – (535 Ks) 251 Js 52/16 (8/16) – über das ja einige Blogs schon kurz nach Erlass berichtet haben und der Kollege Gratz in der vorigen Woche auf der Grundlage des Volltextes, den er mir dann aufbereitet – und damit einstellbar auf meiner Homepage – zur Verfügung gestellt hat. Herzlichen Dank.

Der Sachverhalt der Entscheidung dürfte bekannt sein: Es geht um ein illegales Autorennen in Berlin. Die beiden Angeklagten sind mit ca. 160 km/h durch die Innenstadt von Berlin ge­fah­ren. Sie überfuhren mehrere Ampeln und Kreuzungen, bevor eins der Kraftfahrzeuge fast nahezu ungebremst auf dem Kudamm beim Überfahren einer Rotlicht zeigenden Ampel einen querenden Jeep rammte, dessen Fahrer  ums Leben kam. Das LG hat bei­de Angeklagte u. a. we­gen Mordes verurteilt, als Mordmerkmal ist die Verwendung ei­nes ge­mein­ge­fähr­li­chen Mittels angenommen worden:

„Das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln ist erfüllt, wenn der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Die Qualifikation hat ihren Grund in der besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters, der sein Ziel durch die Schaffung unberechenbarer Gefahren für andere durchzusetzen sucht. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters. Die Mordqualifikation kann deshalb auch dann erfüllt sein, wenn ein Tötungsmittel eingesetzt wird, das seiner Natur nach, wie hier, nicht gemeingefährlich ist. Maßgeblich ist dann jedoch die Eignung des Mittels zur Gefährdung Dritter in der konkreten Situation (BGH, Urteile vom 16.08.2015 – 4 StR 168/05 -, NStZ 2006, 167, 168; vom 16.03.2006 – 4 StR 594/05 -, NStZ 2006, 503, 504; vom 25.03. 2010 – 4 StR 594/09 -, NStZ 2010, 515; vom 21.12.2016 – 1 StR 375/16 -, juris). Lässt der Unfallverlauf es als möglich erscheinen, dass eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer von vornherein ausgeschlossen war, weil sich das Unfallereignis nur außerhalb des Gefahrenbereichs Dritter zutragen konnte, so ist das Mordmerkmal nicht erfüllt (BGH, Beschluss vom 16.01.2007 – 4 StR 598/06 -, NStZ-RR 2007, 174).

Im Vordergrund der Betrachtung steht die besondere Sozialgefährlichkeit des Täters. Tötungen mit gemeingefährlichen Mitteln werden als gesteigert bedrohlich empfunden, weil jedermann ohne Anlass zufällig in den Einzugsbereich eines solchen Tötungsverbrechens geraten kann und dadurch keine Chance hat, sich auf die ihm drohende Gefahr einzustellen und darauf zu reagieren. Die Auslegung des Mordmerkmals hat sich an der Nichtkontrollierbarkeit der Auswirkungen des eingesetzten Tatmittels zu orientieren (Schneider in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Auflage 2012, Rdz. 121 zu § 211). Entscheidend ist, ob der Täter das Tatmittel in der konkreten Situation so beherrscht, dass eine Gefährdung weiterer Personen ausgeschlossen ist (NK-StGB-Neumann, 4. Auflage 2013, Rdz. 87 zu § 211). Keine Bedingung ist, dass es tatsächlich zu einer Vielzahl von Todesopfern kommt. Erforderlich und ausreichend ist, dass für einen vom Täter nicht eingrenzbaren größeren Personenkreis eine konkrete Lebensgefahr bestand bzw. dass das Tatwerkzeug nach seinen typischen Wirkweisen dazu geeignet war, tatsituativ solche Gefahren hervorzurufen (Mitsch in Anwaltkommentar StGB, 2. Auflage 2015, Rdz. 67 zu § 211, Schneider, a.a.O., Rdz. 126). So ist es zum Beispiel unerheblich, dass in dem Zimmer, in welches ein Molotow-Cocktail geschleudert wird, zufällig niemand außer seinem Bewohner ist; es genügt, dass sich dort auch andere Personen befinden konnten (vgl. Jähnke in Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Auflage 2005, Rdz. 57). Die Gefahrverursachung für mindestens drei Personen neben dem unmittelbaren Tatopfer erscheint als ausreichend (Schneider, a.a.O., Rdz. 127, Rengier, StV 1986, 405, 409).

Ist die betroffene Personenanzahl für den Täter nicht berechenbar, beherrscht er den Umfang der Gefährdung nicht, handelt er in besonderer Rücksichtslosigkeit und hat er es nicht in der Hand, wie viele Menschen als Repräsentanten der Allgemeinheit (Rengier, a.a.O., 407) in den von ihm geschaffenen Gefahrenbereich geraten und durch sein Verhalten ihr Leben verlieren können, so ist der Täter wegen eines Mordes „mit gemeingefährlichen Mitteln“ zu bestrafen, sofern er dies in seinen Vorsatz aufgenommen hat und ihm die Gefährdung einer Mehrzahl von Menschen mit tödlichen Verletzungen bewusst war.

So liegt der Fall hier.

Durch ihr Verhalten verursachten die Angeklagten im Kreuzungsbereich der Tauentzienstraße / Nürnberger Straße sowie in dessen Umfeld in einer Ausdehnung von 60 bis 70 Metern ein „Schlachtfeld“. Das Fahrzeug des Geschädigten Wxxxx wurde um die eigene Längs-, Hoch- und Querachse gedreht und in Richtung Wittenbergplatz geschleudert. Der Audi des Angeklagten Hxxxx prallte zweimal gegen die Hochbeeteinfassung des Mittelstreifens der Tauentzienstraße und kam erst nach 60 Metern im Bereich des Kaufhauses Pxxxx zum Stehen. Der Mercedes-Benz des Angeklagten Nxxxx fällte eine auf dem Mittelstreifen befindliche Ampel, riss Teile der dortigen Granitabgrenzung heraus, schob hinter der Hochbeeteinfassung liegende Erde zu einer Art Rampe auf, wurde mehrere Meter weit durch die Luft katapultiert und fand mit dem Heck auf der Hochbeeteinfassung seine Endposition. Weiträumig flogen Teile der Betoneinfassung, größere (Auspuffanlage) und kleinere Fahrzeugteile sowie Splitter durch die Luft und blieben in einem Umfeld von 60 bis 70 Metern verstreut auf der Tauentzienstraße und zu einem kleineren Teil in der Nürnberger Straße liegen. Unmittelbar betroffen wurde der Geschädigte Wxxxx als Fahrer seines Jeeps Wrangler, lebensgefährliche Verletzungen hätten die Zeugen Dxxxx, Wxxxx und Gxxxx erleiden können, die sich weniger als 50 Meter vom Kollisionspunkt entfernt aufhielten. In geringerem Maße galt das auch für die im weiteren Umkreis von 50 bis 100 Metern sich aufhaltenden Zeugen Saxxxx, Sxxxx, Rxxxx und Mxxxx.

Es ist allein glücklichen Umständen zu verdanken, dass zum Unfallzeitpunkt nur das mit dem Geschädigten Wxxxx besetzte Fahrzeug die Unfallkreuzung befuhr. Ebenso gut hätte das Fahrzeug mit vier oder fünf Insassen besetzt sein können. Ihm hätten weitere Fahrzeuge nachfolgen können, auch aus der Gegenrichtung hätten durch grünes Ampellicht bevorrechtigte Fahrzeuge die Tauentzienstraße queren können. Dass dies noch kurz vor dem Unfallgeschehen der Fall war, belegen die Videoaufnahmen der Überwachungskamera der Firma Mxxxx.

Bei dieser Sachlage, insbesondere der bei Einfahrt in den Kreuzungsbereich innegehabten Geschwindigkeit im Bereich des Dreifachzulässigen, und der Unfähigkeit der Angeklagten das Geschehen noch irgendwie zu beherrschen, bestand für einen von ihnen nicht eingrenzbaren größeren Personenkreis eine konkrete Lebens- und Todesgefahr, die sich für den Geschädigten Wxxxx – und für die Zeugin Kxxxx als Beifaherrin des Angeklagten Nxxxx – in tragischer Weise realisiert hat. In dieser Situation schufen die Angeklagten mit besonderer Rücksichtslosigkeit und in nicht mehr zu kontrollierender Art und Weise eine konkrete Gefahrenlage, in der sie es nicht mehr in der Hand hatten, wie viele Menschen als Repräsentanten der Allgemeinheit es treffen würde. Dass ihnen dies bewusst war, ist offensichtlich. Ihre Wegstrecke und insbesondere der nähere Tatortbereich waren  eben nicht auto- und menschenleer. Wie bereits weiter oben ausgeführt worden ist, herrschte ein mäßiger, der Nachtzeit entsprechender Verkehr vor, an dem zumindest die benannten Zeugen als Fußgänger teilnahmen. Auf den inner- bzw. hauptstädtischen Charakter des fraglichen Kreuzungsbereichs zwischen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche / Europacenter und Wittenbergplatz / KaDeWe ist bereits hingewiesen worden. Dass dort auch zur Nachtzeit Menschen in welcher Form auch immer am Verkehrsgeschehen teilnehmen würden, lag auf der Hand und war den Angeklagten für ihre Lieblingsstrecke und den „Lifestyle-Kudamm“ auch bekannt.

Im Übrigen ist die Fallkonstellation hinsichtlich des hier in Frage stehenden Mordmerkmals mit dem vom Bundesgerichtshof (4 StR 594/05, a.a.O.) entschiedenen Fall einer Geisterfahrt vergleichbar. Dort hatte der Täter sein unbeleuchtetes Fahrzeug nachts in Suizidabsicht in Gegenrichtung auf eine Autobahn gelenkt und den Tod der Insassen eines in 500 Meter Entfernung entgegenkommenden Autos billigend in Kauf genommen. Das Fahrzeug war tatsächlich mit sechs Insassen besetzt, wovon drei bei der anschließenden Kollision verstarben, während die drei anderen schwer verletzt wurden. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass es für den Angeklagten nicht beherrschbar gewesen sei, welche und wie viele Personen durch das von ihm mit mindestens 117 km/h (!) in den Gegenverkehr gelenkte Fahrzeug gefährdet, verletzt und getötet werden konnten. Auch im hiesigen Fall war unmittelbar nur ein Fahrzeug betroffen, das jedoch zwanglos mit mehreren Insassen hätte besetzt sein können. Anders als im außerstädtischen Autobahnbereich hätten hier durch die Schleuderbewegungen der beteiligten Fahrzeuge und die katapultartigen Ablösungen von Fahrzeugteilen auch nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer betroffen und tödlich bzw. schwer verletzt werden können. Dies gilt nicht zuletzt für die Zeugen Amxxxx und Sxxxx, mit denen der Angeklagte Hxxxx im Bereich des Kaufhauses Pxxxx, wo sein Fahrzeug zum Stillstand gekommen ist, verabredet war.“

Das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe hat das LG hingegen abgelehnt, insoweit bitte selbst lesen.

Interessant sind auch die Ausführungen des LG zum (bedingten) Vorsatz, den es – eingehend – von der bewussten Fahrlässigkeit abgegrenzt begründet und u.a. dazu meint:

„Auch liegt entgegen der Auffassung der Verteidigung gegenwärtig nicht eine Situation vor, wonach für Fälle der vorliegenden Art die §§ 211, 212 StGB in subjektiver und objektiver Hinsicht nicht zur Anwendung gelangen dürfen, da die aktuellen gesetzgeberischen Tätigkeiten zur Heraufstufung der Durchführung eines illegalen Autorennes von einer Ordnungswidrigkeit auf eine Straftat eine momentane Regelungslücke belegen würden. Sind die subjektiven und objektiven Tatbestandsvoraussetzungen eines Tötungsdelikts – wie im vorliegenden Fall geschehen – zu bejahen, so ist aus den §§ 211, 212 StGB als geltendem Recht zu strafen.“

Ich bin gespannt, was der BGH mit dem Urteil macht, gegen das Revision eingelegt ist. Die Entscheidung des 4. Strafsenats wird im Zweifel noch vor den Gesetzesänderungen zu den illegalen Autorennen vorliegen.

Grausam, oder: Ohne Worte

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Wenn man den BGH, Beschl. v. 08.11.2016 – 5 StR 390/16 – liest, dann ist man – zumindest ich war es – erschüttert darüber, wie grausam Menschen sein können. Und damit lag m.E. die Antwort auf die Frage, der der BGH in der Revision entscheiden musste, auf der Hand, nämlich: Ist das in Brand setzen eines Menschen, der noch lebt, grausam i.S. des § 211 StGB oder nicht. Das Schwurgericht beim LG Berlin war davon ausgegangen. Der BGh hat es bestätigt:

1. Die Annahme des Mordmerkmals der Grausamkeit hat die Jugendkammer rechtsfehlerfrei begründet.

a) Nach den Feststellungen lockten die Angeklagten die vom Angeklagten T. im achten Monat schwangere 19-jährige P. nachts in ei-nem einsamen Waldstück in einen Hinterhalt, um sie zu töten. Motiv des Angeklagten T. war es dabei, sich seinen Verpflichtungen als Vater nach der Geburt des Kindes zu entziehen. Der Angeklagte M. wirkte an der Tat mit, weil er wissen wollte, wie es sei, einen Menschen zu töten. Er versetzte der wehrlosen Frau drei bis vier Messerstiche in den Oberkörper. Danach hielt er sie fest, während der Angeklagte T. aus einem Benzinkanister etwa einen Liter Benzin über ihren Kopf und Oberkörper schüttete. Der Angeklagte T . entzündete das Benzin, worauf die junge Frau sofort in Brand geriet. Trotz überaus heftiger Schmerzen konnte sie noch einige Meter laufen und versuchte vergeblich, die brennende Jacke auszuziehen. Sie verstarb frühestens eine Minute nach Brandbeginn.

b) Die Jugendkammer hat sich auf der Grundlage des Gutachtens einer rechtsmedizinischen Sachverständigen davon überzeugt, dass eine – womöglich – vor dem Versterben des Opfers eingetretene Bewusstlosigkeit „Folge des nun eintretenden unerträglichen Schmerzes“ gewesen sei, der „vom körpereigenen Schutzmechanismus – dem ausgeschütteten Adrenalin – nicht mehr länger unterdrückt werden konnte“ (UA S. 70). Sie hat ferner ihre in einschlägigen Verfahren gewonnene eigene Sachkunde herangezogen, nach der gemäß der Auffassung aller ihr bekannter Rechtsmediziner bei Bewusstsein gebliebene Brandopfer „vor der sie erlösenden Ohnmacht bzw. Bewusstlosigkeit eine Phase allerhöchsten Schmerzes“ erleiden (UA S. 69). Die hiergegen gerichtete sachlich-rechtliche Beanstandung des Angeklagten T. , die Jugendkammer habe eine völlige Schmerzlosigkeit aufgrund eines vom Tatopfer erlittenen „Schocks“ nicht tragfähig ausgeschlossen, ist unter diesen Vorzeichen auf eine bloße Vermutung gestützt.

c) Wie lange der Zeitraum schwerster Qualen ab dem Entzünden des Benzins exakt gedauert hat, ist hier ohne Belang. Selbst wenn man – was nach den Feststellungen überaus fernliegt – von der kürzestmöglichen Zeitspanne ausgeht („10, 20 oder 30 Sekunden“, UA S. 70, oder gar etwas weniger), wäre an der Erfüllung des Mordmerkmals der Grausamkeit nicht zu zweifeln. Der Senat vertritt die Auffassung, dass bei der regelmäßig mit der Auslösung von „Vernichtungsschmerzen“ verbundenen Tötung durch Verbrennen (vgl. auch MüKo-StGB/Schneider, 2. Aufl., § 211 Rn. 131 mwN) ein Zeitraum von wenigen Sekunden genügen kann. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die junge Frau durch die vorangegangenen Messerstiche sowie das Festhalten während des Überschüttens mit Benzin in höchste Todesangst versetzt wurde und zu-gleich die Gewissheit hatte, dass auch das bereits lebensfähige ungeborene Kind versterben würde (zur Erheblichkeit seelischer Qualen LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 211 Rn. 54 mwN).“

Für mich: Ohne Worte.