StGB II: Limburger-Lastwagenattacke, oder: Der BGH verneint zunächst mal das Mordmerkmal „Heimtücke“

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, behandelt dann die Last­wa­gen-At­ta­cke in der In­nen­stadt von Lim­burg vor gut zwei mit 18 Ver­letz­ten. Der Angeklagte hatte gegen seine Verurteilung wegen versuchten Mordes Revision eingelegt. Die hatte im BGH, Beschl. v. 21.07.2021 – 4 StR 53/21 – wegen der Strafzumessung Erfolg:

„2. Die Sachrüge hat bei der Überprüfung der Schuldsprüche sowie der Strafaussprüche hinsichtlich der Taten 1 und 3 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

3. Hingegen hält die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke im Fall 2 der Urteilsgründe sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beweiserwägungen zu dem in subjektiver Hinsicht erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein sind lückenhaft.

a) Das Mordmerkmal der Heimtücke gemäß § 211 Abs. 2 StGB setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 4. Februar 2021 – 4 StR 403/20, Rn. 26; vom 13. November 2019 – 5 StR 466/19, Rn. 14; vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31). Das Ausnutzungsbewusstsein kann im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Tatgeschehens abgeleitet werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt (vgl. BGH, Urteile vom 13. November 2019 – 5 StR 466/19, Rn. 14; vom 4. Juli 2018 – 5 StR 580/17, NStZ 2019, 26, 27; Beschluss vom 30. Juli 2013 – 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (BGH, Urteile vom 31. Juli 2014 ? 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31; vom 9. Oktober 2019 – 5 StR 299/19, NStZ 2020, 348, 349). An einem Ausnutzungsbewusstsein kann es bei affektiven Durchbrüchen oder heftigen Gemütsbewegungen allerdings fehlen (BGH, Urteile vom 4. Februar 2021 – 4 StR 403/20, Rn. 26; vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31; vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31). Wenn auch nicht jeder dieser Zustände einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass er ohne das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein gehandelt hat.

b) Die Prüfung und Entscheidung der Frage, ob der Täter mit dem in subjektiver Hinsicht erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein gehandelt hat, ist Tatfrage und unterliegt einer nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle. In den Urteilsgründen sind die für und gegen die Annahme des Ausnutzungsbewusstseins sprechenden Beweisanzeichen regelmäßig in einer Weise darzulegen, dass die Überprüfung der tatgerichtlichen Entscheidung auf Rechtsfehler möglich ist.

c) Gemessen hieran ist das heimtückespezifische Ausnutzungsbewusstsein nicht tragfähig belegt. Es fehlt an einer umfassenden Erörterung aller für und gegen das Ausnutzungsbewusstsein sprechenden Beweisanzeichen.

Das Landgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass der Angeklagte, der in der Innenstadt von L. mit dem von ihm gesteuerten LKW mit dem Ziel, einen aufsehenerregenden Unfall herbeizuführen, absichtlich auf eine verkehrsbedingt wartende Fahrzeugkolonne auffuhr, die Arg- und Wehrlosigkeit der Tatopfer in ihrer Bedeutung für seine Tatausführung mit einem Blick erfasste. Es hat jedoch Beweisanzeichen, die gegen das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein sprechen könnten, nicht erkennbar in den Blick genommen. Insoweit hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Anlass zu Zweifeln an einem bewussten Ausnutzen der Situation ergaben sich zum einen aus den Angaben des Zeugen M. , der von einem „sehr auffälligen Blick“ des Angeklagten und dessen fehlender Reaktion auf verbale Ansprache berichtete […]. Zum anderen hat die Kammer – anders als bei den Ausführungen zum Tötungsvorsatz […] – nicht berücksichtigt, dass sich die Tat spontan entwickelt hat, der Angeklagte unter dem enthemmenden Einfluss von Cannabis stand und aufgrund dessen in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen ist […]. Eine Berücksichtigung dieser Umstände im Rahmen des Ausnutzungsbewusstseins lässt sich auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen.“

Dem kann sich der Senat nicht verschließen.“

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