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Zusammenstoß wartepflichtiger Rechtsabbieger/Vorfahrtsberechtigter – wer haftet wie?

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Fährt ein Wartepflichtiger aus einer untergeordneten Straße nach rechts in eine bevorrechtigte Straße ein und stößt er in dem durch die Vorfahrt geschützten Bereich mit einem vorfahrtsberechtigten Fahrzeug zusammen, spricht gegen den Wartepflichtigen jedenfalls dann der Anscheinsbeweis, wenn er – etwa wegen der Straßenbreite – nicht darauf vertrauen durfte, dass er ohne Behinderung oder Gefährdung des bevorrechtigten Verkehrs in die Straße einfahren durfte. Das ist das Fazit aus dem LG Saarbrücken, Urt. v. 29.04.2016 – 13 S 3/16, das dann im Rahmen der Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG zu einer Alleinhaftung des Klägers, des wartepflichten Rechtsabbiegers, kommt:

„a) Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Verstoß des Vorfahrtsberechtigten gegen das Rechtsfahrgebot nach § 2 Abs. 2 StVO in Fällen wie hier zu einer Mithaftung des Vorfahrtsberechtigten wegen erhöhter Betriebsgefahr seines Fahrzeugs führen kann (vgl. KG, NZV 2007, 406; OLG Köln, VersR 1998, 1044; OLG Oldenburg, Schaden-Praxis 2002, 227; Thüring. OLG, DAR 2000, 570; Kammer, Urteil vom 18.09.2015 – 13 S 58/15). Von einem unfallursächlichen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 StVO kann hier allerdings nicht ausgegangen werden.

aa) Gemäß § 2 Abs. 2 StVO ist möglichst weit rechts zu fahren. Bei der Beurteilung, ob ein Vorfahrtsberechtigter gegen dieses Gebot verstoßen hat, ist aber stets zu berücksichtigen, dass jeder Verkehrsteilnehmer auf der vorfahrtsberechtigten Straße grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass einbiegende Fahrzeuge sein Recht beachten und ihn vorbeilassen werden, bevor sie einbiegen. Dies gilt auch dann, soweit er nicht ganz rechts fährt (vgl. OLG Köln, VersR 1998, 1044). Das Rechtsfahrgebot bedeutet deshalb nicht, äußerst rechts oder soweit technisch möglich rechts zu fahren (OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.05.2011 – I-1 U 232/07, juris; OLG Zweibrücken, VRS 74, 420). Es gilt auch nicht starr, sondern gewährt je nach den Umständen im Rahmen des Vernünftigen einen Spielraum (vgl. BGHZ 74, 25; OLG Stuttgart, OLG-Report 2007, 254; OLG Naumburg, OLG-Report 2004, 352). Welche Anforderungen das Rechtsfahrgebot im konkreten Fall stellt, ist daher unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Örtlichkeit, der Fahrbahnbreite und -beschaffenheit, der Fahrzeugart, eines vorhandenen Gegenverkehrs, der erlaubten und der gefahrenen Geschwindigkeit sowie der jeweiligen Sichtverhältnisse zu bestimmen (vgl. BGHZ 74, 25; OLG Stuttgart, VRS 128, 145; OLG Hamm, DAR 2004, 90).

bb) Hiervon ausgehend ist ein unfallursächlicher Verstoß der Erstbeklagten gegen das Rechtsfahrgebot nicht nachgewiesen. Denn die Verkehrssituation war – wie bereits gezeigt – aufgrund der Verengung der Fahrbahn, insbesondere durch beiderseits parkende Fahrzeuge, dadurch geprägt, dass für den Wartepflichtigen mit Gegenverkehr auf der eigenen Fahrbahnhälfte zu rechnen war und somit alleine durch möglichst weites Rechtsfahren der konkreten Gefahr einer Frontalkollision nicht sicher begegnet werden konnte (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.05.2011 – I-1 U 232/07, juris).

b) Entgegen der Auffassung der Berufung lässt die vorliegende Fallgestaltung auch keinen Raum für eine Mithaftung der Beklagten aus der einfachen Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs. Vielmehr gilt auch hier, dass die einfache Betriebsgefahr des bevorrechtigten Fahrzeugs grundsätzlich gegenüber dem Verkehrsverstoß gegen § 8 StVO zurücktritt und die Alleinhaftung des Wartepflichtigen begründet (vgl. OLG München, Urteil vom 29.07.2011 – 10 U 1131/11, juris; Kammer, st. Rspr.; vgl. Urteile vom 01.02.2013 – 13 S 176/12, Zfs 2013, 378). Diese Beurteilung folgt aus der besonderen Bedeutung der Vorfahrtsregelung, die dem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer die Pflicht zu erhöhter Sorgfalt auferlegt und deren Verletzung daher besonders schwer wiegt (so bereits BGH, Urteil vom 18.09.1964 – VI ZR 132/63, VersR 1964, 1195; vgl. auch BGH, Urteil vom 23.06.1987 – VI ZR 296/86, VersR 1988, 79).“

Starkes Bremsen bei grüner LZA, oder: Nicht immer haftet der Auffahrende allein…..

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Nach dem „Quasiauffahrunfall“ im OLG Düseldorf, Urt. v. 27.10.2015 – I-1 U 46/15 (dazu Abbiegen auf die Gegenfahrbahn – Wenden oder Linksabbiegen?, oder: Quasiauffahrunfall) hier dann jetzt ein „richtiger“ Auffahrunfall, und zwar eine „klassische Situation“: Auffahren nach Bremsen bei grüner Lichtzeichenanlage. Das LG Saarbrücken, Urt. v. 20.11.2015 – 13 S 67/15 – geht von folgendem Sachverhalt aus:

„Die Klägerin und die Erstbeklagte standen mit ihren Fahrzeugen hintereinander in einer Reihe von insgesamt vier Fahrzeugen vor einer roten Ampel in der ppp. Straße im Kreuzungsbereich zur ppp. Straße. Die Erstbeklagte hielt an dritter Stelle, die Klägerin an vierter Stelle. Nachdem die Ampel auf Grün umgeschaltet hatte, fuhren die Fahrzeuge los. Nachdem die ersten beiden Fahrzeuge bereits in die ampelgeregelte Kreuzung eingefahren waren, bremste die Erstbeklagte ihr Fahrzeug noch vor dem Kreuzungsbereich ab, weil sie von rechts kommend die Zeugin ppp. mit ihrem Fahrrad auf dem dortigen Fuß- und Radweg sah und die Befürchtung hatte, die Zeugin ppp. würde die Straße queren. Die Klägerin fuhr auf das Beklagtenfahrzeug auf.“

Und dazu dann das LG in seiner dem Grunde nach nicht überraschenden Entscheidung:

2. Im Rahmen der danach gebotenen Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG ist der Erstrichter davon ausgegangen, dass die Erstbeklagte gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO verstoßen habe. Auch dies ist zutreffend.

a) Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO darf der Vorausfahrende nicht ohne zwingenden Grund stark abbremsen. Voraussetzung ist danach zum einen, dass der Vorausfahrende deutlich über das Maß eines normalen Bremsvorgangs hinaus gebremst hat (vgl. KG, VersR 2002, 1571; OLG München, Urteil vom 22.02.2008 – 10 U 4455/07, juris; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 4 StVO Rn. 11). Zum anderen muss nachgewiesen sein, dass kein zwingender Grund für ein entsprechendes Bremsmanöver vorlag. Ein zwingender Grund setzt dabei eine plötzlich drohende ernste Gefahr für Rechtsgüter und Interessen voraus, die dem Schutzobjekt der Vorschrift (Sachen und Personen) mindestens gleichwertig sind (vgl. OLG Karlsruhe, VersR 1988, 138; Saarl. OLG, Zfs 2003, 118; OLG München, Urteil vom 22.02.2008 – 10 U 4455/07, jeweils m.w.N.).

b) Dass die Erstbeklagte im Streitfall deutlich über das Maß eines normalen Bremsvorgangs hinaus gebremst hat, hat das Erstgericht zutreffend feststellt. Dies wird auch von den Beklagten nicht in Abrede gestellt. Entgegen der Auffassung der Beklagten lag auch kein zwingender Grund für ein starkes Abbremsen vor. Denn von der Zeugin ppp. ging – wie der Erstrichter ebenfalls zutreffend festgestellt hat – keine plötzliche Gefahr aus, die ein starkes Abbremsen rechtfertigte.

Nach der Darstellung der Zeugin ppp., der das Erstgericht gefolgt ist und deren Glaubhaftigkeit von der Berufung ebenso wenig in Zweifel gezogen wird wie die Glaubwürdigkeit der Zeugin, hatte sich die Zeugin mit ihrem Rad dem Fußgänger-/Radübergang nur langsam genähert und war gerade dabei, auf dem Bürgersteig anzuhalten, als die Erstbeklagte stark abbremste. …..

3. Auch die Klägerin trifft ein Mitverschulden an dem Unfall.

a) Zwar ist der gegen die Klägerin als Auffahrende sprechende Anscheinsbeweis im Hinblick auf den nachgewiesenen Verstoß der Erstbeklagten gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO erschüttert (Kammer, st. Rspr.; vgl. zuletzt Hinweisbeschluss vom 21. Mai 2013 – 13 S 72/13; ebenso KG, VerkMitt 1983, Nr. 15, S. 13; OLG Köln, MDR 1995, 577; OLG-?Report 1995, 286; OLG Frankfurt, VersR 2006, 668).

b) Die Klägerin hat aber nachweislich gegen die Pflichten aus § 3 Abs. 1, Satz 4, § 4 Abs. 1 Satz 1, § 1 StVO verstoßen. Zwar ist beim Anfahren bei Grün die Pflicht zur Einhaltung des Mindestabstands nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO außer Kraft gesetzt. Dies geht allerdings einher mit der Pflicht zu besonderer Aufmerksamkeit und erhöhter Bremsbereitschaft (vgl. KG, NZV 2013, 80; Hentschel aaO § 4 StVO Rn. 9 m.w.N.). Dass die Klägerin hiergegen verstoßen hat, hat der Erstrichter in tatsächlicher Hinsicht festgestellt. Dies wird von der Berufung nicht mit konkreten Tatsachen angegriffen.

4. Die Berufung der Klägerin wendet sich aber zu Recht gegen die durch das Amtsgericht getroffene Haftungsverteilung. Zwar trifft den Auffahrenden in der Regel die überwiegende Haftung. Dies gilt allerdings nicht, wenn dem Vorausfahrenden – wie hier – ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO zur Last fällt. In diesem Fall kommt eine Mithaftung des Vorausfahrenden in Betracht, die umso größer ist, je unwahrscheinlicher nach der Verkehrssituation ein starkes Abbremsen ist (vgl. KG, MDR 2006, 1404; OLG Hamm, Schaden-?Praxis 2014, 186). Nach diesen Grundsätzen hält die Kammer vorliegend eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zulasten der Beklagten für angezeigt. Denn die Erstbeklagte hat mit ihrem überraschenden und verkehrswidrigen Abbremsen die maßgebliche Ursache für den Unfall gesetzt. Dies gilt insbesondere, weil die Klägerin davon ausgehen durfte, dass auch die Erstbeklagte während der Grünphase der Ampel zügig weiterfahren würde, nachdem bereits die ersten beiden Fahrzeuge über die Ampel gefahren waren und auch die Erstbeklagte beim Umschalten der Ampel auf Grün „normal“ angefahren war. Gegenüber diesem schwerwiegenden Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO fällt das Mitverschulden der Klägerin vergleichsweise gering aus (vgl. OLG Düsseldorf, DAR 1975, 303; KG, NZV 2004, 526; OLG Frankfurt, VersR 2006, 668; LG München, DAR 2005, 690).

Nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung: Man muss schon ein wenig vorarbeiten, Herr Rechtsanwalt

© pedrolieb -Fotolia.com

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Es ist Montagnachmittag und damit an sich Zeit für die Lösung eines RVG-Rätsels. Da es aber (auch) am vergangenen Freitag – es war der 01.01.2016 – kein Gebührenrätsel gegeben hat, kann es heute auch keine Lösung geben. Aber dafür eine Entscheidung mit zumindest gebührenrechtlichem Einschlag. Dabei handelt es sich um den LG Saarbrücken, Beschl. v. 14.10.2015 – 4 Qs 14/15, der noch einmal die Problematik der nachträglichen Beiordnung des Pflichtverteidigers behandelt. Es geht aber mal nicht um die Beiordnung im Erkenntnisverfahren, sondern um die im Strafvollstreckungsverfahren.

Das LG wendet die Rechtsprechung der Obergerichte zur nachträglichen Beiordnung entsprechend an und sagt: Grundsätzlich keine nachträgliche Beiordnung. Ausnahmsweise aber ggf. Beiordnung durch schlüssiges Verhalten. Dafür ist aber erforderlich, dass das Verhalten des Vorsitzenden unter Beachtung der sonstigen maßgeblichen Umstände zweifelsfrei den Schluss auf eine Beiordnung rechtfertigt. Anerkannt ist eine solche konkludente Beiordnung in Fällen, in denen der Wahlverteidiger sein Mandat niedergelegt und beantragt hatte, ihn als Pflichtverteidiger zu bestellen, eine ausdrückliche Bestellung jedoch unterblieb. Das LG hat die Voraussetzungen dann verneint:

„Der Beschwerdeführer hat keine Beiordnung beantragt. Auch liegt kein Fall notwendiger Verteidigung analog § 140 Abs. 2 StPO vor, so dass die Mitwirkung eines Verteidigers rechtlich nicht geboten war. Der vorliegende Fall war im betreffenden Verfahrensstadium eindeutig weder rechtlich, noch tatsächlich schwierig, noch lag eine Schwere des Vollstreckungsfalls vor; dass der Verurteilte sich hinsichtlich des beabsichtigten Gesamtstrafenbeschlusses nicht selbst verteidigen konnte, ist nicht ersichtlich. Allein die möglicherweise damals problematische Zustellungssituation begründet noch keine der genannten Voraussetzungen. Die durch den Beschwerdeführer geltend gemachte Heroinabhängigkeit oder der Aufenthalt in Therapieeinrichtungen sind in vergleichbaren Strafverfahren wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz regelmäßig gegeben und belegen auch dort regelmäßig nicht, dass der Verurteilte nicht in der Lage ist, sich im Nachtragsverfahren selbst zu verteidigen. Dass der Verurteilte aufgrund weiterer besonderer Umstände, insbesondere im Zusammenhang mit seiner Abhängigkeit nicht in der Lage war, sich zu verteidigen, hat der Beschwerdeführer nicht dargelegt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass an eine Verteidigung im kontradiktorisch ausgestalteten Erkenntnisverfahren weitaus höhere Anforderungen zu stellen sind, als an eine Verteidigung wie hier im Nachtragsverfahren, so dass auch der durch den Beschwerdeführer angestellte Vergleich mit der Beiordnung in anderen Strafverfahren gegen den Verurteilten nicht verfängt – zumal die Beiordnung in anderen Verfahren aufgrund (zusätzlicher) anderer Umstände erfolgt sein kann, als die durch den Beschwerdeführer angebrachten.

Auch im Übrigen gibt das Verhalten der Vorsitzenden keine Veranlassung eindeutig von einer Pflichtverteidigerbeiordnung auszugehen. Dem Beschwerdeführer ist zwar zuzugeben, dass zumindest die Bezeichnung als Pflichtverteidiger in der Beschlussausfertigung vom 23.03.2011 für eine Beiordnung spricht, jedoch war der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt bereits tätig geworden und das Nachtragsverfahren im Hinblick auf den zu bildenden Gesamtstrafenbeschluss vor dem Amtsgericht abgeschlossen. Zuvor wurde er ausweislich des Vollstreckungshefts gerade nicht als Pflichtverteidiger bezeichnet – insbesondere auch nicht in der Verfügung der Vorsitzenden vom 01.02.2011 (BI. 23 des Vollstreckungshefts). Außerdem kann die Bezeichnung in der Beschlussausfertigung im Hinblick auf die bereits dargestellten Gründe und die damalige Verfahrenssituation für einen erfahrenen Strafverteidiger nicht den Eindruck entstehen, das Gericht habe ihn für die Frage der Bildung eines Gesamtstrafenbeschlusses beiordnen wollen. Ein solcher Wille lag im konkreten Fall auch nicht nahe, da dieser zum fraglichen Zeitpunkt keinerlei Besonderheiten aufwies.“

Also: Auf jeden Fall einen Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger stellen und an dessen Erledigung dann auch erinnern. Ein bisschen Mitarbeit/Vorarbeit/Zuarbeit ist schon ganz hilfreich …….

Zwischenbericht: Aktenversendungspauschale bei Lieferung durch externen Postdienstleister?

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Derzeit spielt die Frage des Anfalls der Aktenversendungspauschale Nr. 9003 KV GKG, wenn der Aktentransport durch ein privates Unternehmen erledigt wird, das hierfür (bar) bezahlt wird, in der Rechtsprechung eine große Rolle. Mehrere Entscheidungen haben sich  mit der Frage (vgl. u.a. OLG Bamberg, Beschl. v. 05.03.2015 – 1 Ws 87/15; LG Kleve, Beschl. v. 28.04.2015 – 171 Ns-102 Js 229/13-6/14; AG Saarbrücken, Beschl. v. 17.04.2015 – 7 Gs 901/15 – stehen alle auch auf meiner HP). In allen entschiedenen Fällen war dem Rechtsanwalt Akteneinsicht jeweils dadurch gewährt worden, dass die Akten jeweils an den Rechtsanwalt durch einen externen Postdienstleister/privaten Kurierdienst versandt und in sein Gerichtsfach eingelegt worden sind. Vom Rechtsanwalt wurde dannr die Zahlung der Versendungspauschale i.H.v. 12 € (Nr. 9003 KV GKG) gefordert worden. Die dagegen erhobenen Einwände hatten keinen Erfolg.

Alle drei Gerichte weisen in ihren Beschlüssen darauf hin, dass nach der Neufassung der Nr. 9003 KV GKG durch das am 01.08.2013 in Kraft getretene 2. KostRMoG vom 23.7.2013 (BGBl. I, S. 2586) der Auslagentatbestand der Nr. 9003 KV GKG als eine „Pauschale für die bei der Versendung von Akten auf Antrag anfallenden Auslagen an Transport- und Verpackungskosten je Sendung“ erhoben werde. Alle Gerichte stellen zudem darauf ab, dass die Akten in den von ihnen entschiedenen Fällen nicht durch Justizmitarbeiter im Dienstwagen befördert wurden, sondern ein externer Postdienstleister bzw. privater Kurierdienst mit der Versendung beauftragt worden ist. Hierfür habe der Postdienstleister/Kurierdienst Kosten erhoben. Entweder sei vom externen Postdienstleister der Justizbehörde jedes Paket gesondert in Rechnung gestellt oder über eine Pauschale abgerechnet worden. Für diese Kosten und baren Auslagen sei die Gerichtskasse in Vorleistung getreten. Das rechtfertigte nach Auffassung des Gerichts den Ansatz der Aktenversendungspauschale.

Die Entscheidungen sind abzugrenzen von zwei anderen obergerichtlichen Entscheidungen, und zwar von OLG Köln (StraFo 2015, 40 = RVGreport 2015, 197) und von OLG Koblenz (JurBüro 2014, 379 = AnwBl 2014, 657). Die diesen Entscheidungen zugrunde liegende Sachverhalte sind jedoch mit den hier entschiedenen Fallgestaltungen nicht vergleichbar: Im Fall des OLG Koblenz (a.a.O.) wurden die Akten zur Einsicht an den Verteidiger durch Justizbedienstete vom Bürogebäude der StA mit dem Dienstwagen zum LG-Gebäude verbracht und dort in das Gerichtsfach des Verteidigers eingelegt. Wie genau die Akten im Fall des vom OLG Köln entschiedenen Verfahrens zur Akteneinsicht an den Verteidiger transportiert wurden, erschließt sich aus der Entscheidung nicht eindeutig. Es wird jedoch dort ausgeführt, dass die Akten nicht mittels Einzeltransport, sondern im Rahmen von Sammeltransporten zwischen verschiedenen Justizgebäuden befördert wurden und insoweit (nur) justizinterne Transportkosten angefallen sind.

Der Ansatz der Aktenversendungspauschalen dürfte in den o.a. Fällen gerechtfertigt gewesen sein. Dies insbesondere auch deshalb, weil im Gesetzgebungsverfahren (vgl. BT-Drucks. 17/13537, S. 276 f.) ausgeführt worden ist, dass mit der Pauschale der Ersatz „barer Auslagen“ gemeint ist, womit einerseits der justizinterne Verwaltungsaufwand ausdrücklich ausscheidet. Andererseits werden aber die baren Kosten, die im Rahmen der Aktenversendung auch an das Gerichtsfach des Rechtsanwalts bei einem auswärtigen Gericht durch Beauftragung eines externen Postdienstleisters anfallen, erfasst.

Warum bringe ich das? Nun, es gibt inzwischen eine weitere Entscheidung, nämlich den  LG Saarbrücken, Beschl. v. 02.07.2015 – 2 Qs 27/15 -, der in die gleiche Richtung geht. Und damit werden wir dann nach dem OLG Bamberg und dem OLG Düsseldorf bald die dritte OLG Entscheidung zu der Frage haben. Denn die weitere Beschwerde ist zugelassen worden. Also eine Art „Zwischenbericht“.

Lernfähig, oder: Die Gegenvorstellung hat 212 € gebracht.

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In meinem Blogordner hing schon seit längerem der LG Saarbrücken, Beschl. v. 03.02.105 – 2 Qs 8/15. In dem hat das LG zum Verhältnis Grundgebühr/Verfahrensgebühr falsch entschieden, weil es die insoweit eingetretenen Änderungen durch das 2. KostRMoG übersehen hatte. Ich war bisher noch nicht zu einem Blogbeitrag gekommen, obwohl der Beschluss ein „schönes“ Beispiel dafaür ist, wie dann doch gebührenrechtliche Änderungen häufig an den Gerichten vorbeigehen bzw. es lange dauert, bis sie dort ankommen. Aber das kommt ja in den besten Familien – sprich selbst bei OLG vor, wie der OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.11.2014 – 2 Ws 553/14, dazu Gibt es in Bayern nach 18 Monaten noch keine neuen RVG-Texte? – beweist.

Nun, über den LG Saarbrücken, Beschl. v. 03.02.105 – 2 Qs 8/15  muss ich mich nicht mehr ärgern. Den habe ich gelöscht. Denn – man mag es kaum kaum glauben – das LG war lernfähig und hat in seinem LG Saarbrücken, Beschl. v. 23.04.2015 – 2 Qs 8/15 – seine falsche Rechtsansicht aufgegeben und sich der richtigen anderen Auffassung, die (u.a.) auch vom OLG Saarbrücken im OLG Saarbrücken, Beschl. v. 10.11.2014 – 1 Ws 148/14  – vertreten wird, angeschlossen.Vielleicht hat ja mein Beitrag in RVGreport 2015, 182 = StRR 2015, 119 geholfen, es wäre zu schön. Aber egal. Jedenfalls ist das LG Saarbrücken – zumindest die 2. Große Strafkammer als Kammer für Bußgeldsachen – „in der Spur“ und sieht das Verhältnis Grundgebühr/jeweilige Verfahrensgebühr richtig. Die Gebühren entstehen eben immer nebeneinander. Wer mag, kann es hier unter Gibt es in Bayern nach 18 Monaten noch keine neuen RVG-Texte? noch einmal nachlesen.

Und das Besondere/Bemerkenswerte: Das Ganze/die Änderung aufgrund einer Gegenvorstellung. Da sag noch mal einer, dass Gegenvorstellungen keinen Sinn machen. Diese hier hat sich für den Verteidiger gelohnt, denn die hat ihm 212 € brutto gebracht. Zwra nicht ganz so viel wie auf dem Bild, aber: Ist doch was, oder?