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Für richterliche Vernehmung bestellter Pflichtverteidiger, oder: Keine Einzeltätigkeit

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Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner der LG Mannheim, Beschl. v. 21.01.2019 – 5 Qs 61/18 -, der zur anwaltlichen Vergütung für die Tätigkeit des Rechtsanwalts als „Vernhmungsbeistand“, wenn mehrere Vernehmungstermine angesetzt waren, Stellung genommen hat. Heute kommt er dann endlich. Ich bitte die Kollegin C. Hierstetter, die ihn mir geschickt hat, um Nachsicht.

Zugrunde liegt folgender Sachverhalt: Die Beschuldigten werden in dem von der Staatsanwaltschaft Mannheim geführten Ermittlungsverfahren verdächtigt, ihre volljährige Tochter am 22.10.2017 gegen 16:30 Uhr gemeinschaftlich handelnd am Körper verletzt und an der Gesundheit geschädigt sowie diese bedroht zu haben. Mit Verfügung vom 13.02.2018 beantragte die Staatsanwaltschaft Mannheim beim AG Mannheim die richterliche Vernehmung der Geschädigten. Mit Beschlüssen des AG Mannheim vom 26.03.2018 wurden die Beschuldigten von der Anwesenheit bei der Vernehmung der Zeugin ausgeschlossen. Für die Dauer der Vernehmung wurde Rechtsanwältin B. und Rechtsanwältin H. beigeordnet. Ein Termin zur richterlichen Vernehmung wurde auf den 26.04.2018 bestimmt. Zu diesem Termin erschienen die Rechtsanwältinnen H; und B., die Geschädigte war trotz ordnungsgemäßer Ladung als Zeugin nicht erschienen. Ein am 27.04.2018 auf den 05.06.2018, 10:00 Uhr, bestimmter Vernehmungstermin wurde am 05.06.2018 um 9:30 Uhr aufgehoben. Die richterliche Vernehmung der Geschädigten wurde dann in einem weiteren bestimmten Termin am 24.07.2018 durchgeführt, an dem die Rechtsanwältinnen B. und H. teilnahmen.

Diese Kolleginnen haben mit ihren Kostenfestsetzungsanträgen vom 26.04.2018 als Vorschuss gemäß § 47 RVG Gebühren und Auslagen in Höhe von 536,76 € beantragt. Sie gingen hierbei von Gebühren gemäß Nr. 4100 (160,00 €), Nr. 4104 (132,00 €) und Nr. 4102 Ziff. 1 (136,00 €) VV RVG, Pauschalen nach Nr. 7002 (20,00 €) und Nr. 7000 Ziff. 1 (25,75 €) VV RVG sowie Mehrwertsteuer gemäß Nr. 7008 (90,01 €) VV RVG aus. Diese Vergütungen wurden durch das Amtsgericht Mannheim am 23.05.2018 angewiesen. Mit Antrag vom 27.07.2018 beantragte Rechtsanwältin H. einen weiteren Vorschuss in Höhe von 161,84 €, für eine Gebühr nach Nr. 4102 Ziff. 3 (136,00 €) nebst Mehrwertsteuer nach Nr. 7008 (25,84 €) VV RVG.

Dagegen das Rechtsmittel der Bezirksrevisorin. Das AG hat die Gebühren dann auf die Erinnerung zunächst reduziert, dann wie beantragt festgesetzt. Die Beschwerde der Staatskasse hatte keinen Erfolg.

1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Es kann vorliegend dahinstehen, ob im Fall der Beiordnung eines Pflichtverteidigers für die Dauer einer richterlichen Zeugenvernehmung nach § 168c StPO bei Ausschluss des Beschuldigten von dieser Vernehmung – wie im angegriffenen Beschluss angenommen – eine (Voll-)Verteidigung vorliegt, die zur Geltendmachung von Gebühren nach Nr. 4100, 4104 und 4102 Ziff. 1 VV RVG berechtigt, oder es sich – wie von der Bezirksrevisorin angenommen und die Kommentarliteratur es nahe legt (Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 23. Auflage 2017, RVG VV 4301, Rn 14, 15; Knaudt in: BeckOK RVG, v. Seltmann, 42. Edition Stand: 01.12.2018, RVG VV 4301, Rn 14; Kremer: in Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Auflage 2015, RVG VV 4301 Rn 13) – um eine Beistandsleistung für den Beschuldigten bei einer richterlichen Vernehmung als Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG handelt. Würden sich die Gebühren nach Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG bestimmen, wären diese gemäß § 15 Abs. 6 RVG der Höhe nach auf die Gebühren „gedeckelt“, die ein mit der gesamten Angelegenheit beauftragter Rechtsanwalt für die gleiche Tätigkeit erhalten würde.

Wäre für die Gebührenfestsetzung Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG maßgeblich, wären auf Grund der Umstände des Falles vorliegend drei Gebühren nach dieser Vorschrift zu je 200 €, mithin 600 € nebst Auslagen und Mehrwertsteuer anzusetzen. Insoweit ist zu beachten, dass es einer Nr. 4102 S. 1 Ziff. 3 i.V.m. S. 3 VV RVG entsprechenden Vorschrift, nach der bei der Vollverteidigung eine Terminsgebühr für die Teilnahme an Terminen außerhalb der Hauptverhandlung für die Teilnahme an bis zu drei Terminen nur einmal entsteht, bei 4301 Ziff. 4 VV RVG fehlt. Die Gebühr für die Beistandsleistung für den Beschuldigten bei einer richterlichen Vernehmung entsteht nach der Vorbemerkung zu 4.3 VV RVG Abs. 3 S. 1 für jede der genannten Tätigkeiten gesondert. Es ist dabei im Einzelfall zu prüfen, ob bei der Wahrnehmung mehrerer Termine dieselbe oder eine verschiedene Angelegenheit vorliegt (vgl. Volpert in: Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Auflage 2011, Nr. 4301 VV Rn 14). Hier liegt der Teilnahme an allen Terminen die Beiordnung für die Vernehmung der Zeugin zu Grunde, was gegen die Annahme getrennter Angelegenheiten spricht. Die Besonderheit liegt hier jedoch darin, dass die Termine Ende April, Anfang Juni und Ende Juli so weit auseinanderliegen, dass diese jeweils gesondert vorzubereiten waren und die Annahme einer einheitlichen Angelegenheit daher unangemessen wäre.

Nach § 15 Abs. 6 RVG bildet jedoch die durch den angegriffenen Beschluss festgesetzte Gebühr die Obergrenze. Danach erhält der Rechtsanwalt, der nur mit einzelnen Handlungen beauftragt ist, nicht mehr an Gebühren als der mit der gesamten Angelegenheit beauftragte Rechtsanwalt für die gleiche Tätigkeit erhalten würde. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass durch Erteilung von Einzelaufträgen in einer Angelegenheit nicht höhere Kosten anfallen sollen, als dies bei Beauftragung des Rechtsanwalts mit der Bearbeitung der gesamten Angelegenheit der Fall wäre (Mayer in: Gerold/Schmidt, a.a.O., § 15 RVG, Rn 145). Dies entspricht der im angegriffenen Beschluss festgesetzten Gebühr.“

Die Entscheidung ist im Ergebnis zutreffend. Die Begründung m.E. nicht. Es handelt sich nämlich nicht um eine Einzeltätigkeit. Und das steht auch nicht bei mir im Gerold/Schmidt bzw. das kann man aus den dort gemachten Ausführungen nicht herauslesen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie Kommentare gelesen werden und wofür man alles herhalten muss.

Pflichti II: Wenn der Angeklagte im Strafbefehlsverfahren zur Pflichtverteidigerbestellung nicht angehört wird, oder: Umbeiordnung?

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Die zweite Entscheidung am heutigen „Pflichtverteidigertag“ kommt vom LG Mannheim. Es ist der LG Mannheim, Beschl. v. 15.11.2018 – 5 Qs 58/18, den mir der Kollege G. Urbanczyk aus Mannheim geschickt hat. Er behandelt die Pflichtverteidigerbestellung im Strafbefehlsverfahren in den Fällen des § 408b StPO.

Die Staatsanwaltschaft hatte Angeklage erhoben. Im Hauptverhandlungstermin ist der Angeklagte dann nicht erschienen. Das AG beschloss auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten gemäß § 408a StPO einen Strafbefehl, in dem eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, festgesetzt wurde, zu erlassen. Gleichzeitig wurde dem Angeklagten gemäß § 408b StPO ein anderer Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bestellt. Dem wurde der Strafbefehl zugestellt. Dieser legte Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Später beantragte der Kollege Urbanczyk für den Angeklagten, die Beiordnung des anderen Rechtsanwalts aufzuheben und stattdessen ihn als Pflichtverteidiger beizuordnen. Die Bestellung sei unter Verletzung der Vorschrift des § 142 Abs. 1 StPO erfolgt, der auch für die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafbefehlsverfahren gelte.

Die Staatsanwaltschaft und später auch das AG haben das anders gesehen und die Entpflichtung des anderen Rechtsanwalts und die Beiordnung des Kollegen Urbanczyk als Pflichtverteidiger beizuordnen abgelehnt.Das LG hat da anders gesehen:

„Vorliegend wurde Rechtsanwalt pp. für das gesamte gegenständliche Verfahren — ohne vorherige Anhörung – zum Pflichtverteidiger bestellt. Zwar wurde er ausweislich des schriftlich niedergelegten Beschlusses vom 26.03.2018 ausdrücklich nur „für das Strafbefehlsverfahren“ (BI. 54) – anders allerdings als nach dem Protokoll der Sitzung vom 26.03.2018 (BI. 52) – gemäß § 408b StPO bestellt. Jedoch wurde Rechtsanwalt pp. auch nach dem Einspruch durch das Gericht weiter als Verteidiger geführt und mit Verfügung vom 17.07.2018 zur Stellungnahme über die Aufrechterhaltung des Einspruchs unter Ankündigung einer erneuten Terminierung zur Hauptverhandlung aufgefordert. Auch aus der Begründung des angegriffenen Beschlusses ist nichts dafür ersichtlich, dass eine zeitliche Beschränkung der Verteidigung beabsichtigt war. Dies zeigt, dass das Gericht zumindest konkludent davon ausging, dass Rechtsanwalt der Verteidiger des Angeklagten für das gesamte Verfahren sein sollte.

Von daher kann die umstrittene Frage, ob die Bestellung nach § 408b StPO für das auf den Einspruch folgende weitere Verfahren, namentlich die Hauptverhandlung, gilt (so OLG Köln, Beschluss v. 11.09.2009 – 2 Ws 386/09, NStZ-RR 2010, 30; OLG Celle, Beschluss v. 22.02.2011 – 2 Ws 415/10, StraFo 2011, 291; OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.06.2017 – 1 Ss 96/17, LSK 2017, 119219) oder diese nur für das Strafbefehlsverfahren bis zur Einlegung des Einspruchs wirksam ist (so KG, Beschluss vom 29.05.2012 – 1 Ws 30/12, JurBüro 2013, 381; OLG Saarbrücken Beschluss vom 17.09.2014 – 1 Ws 126/14, BeckRS 2014, 18593; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 408b StPO, Rn 6), offen bleiben (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.7.2014, 1 Ws 106/13).

Für das weitere Verfahren ist entsprechend dem Wunsch des Angeklagten jedoch Rechtsanwalt Urbanczyk als Pflichtverteidiger — unter Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt pp. beizuordnen, zumal ein Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vorliegt, da sich der Angeklagte in anderer Sache in Untersuchungshaft befindet.

Es braucht insoweit nicht entschieden zu werden, ob in Fällen des § 408b StPO der Angeklagte vor einer Pflichtverteidigerbestellung anzuhören ist, denn dem Angeklagten ist jedenfalls dann der von ihm gewünschte Verteidiger — ggfs. unter Aufhebung der Beiordnung des bisherigen Verteidigers — als Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn die Beiordnung des Pflichtverteidigers wie vorliegend – zumindest konkludent – nicht nur für das Strafbefehlsverfahren erfolgt ist und der Angeklagte zur Verteidigerbestellung nicht angehört worden war.

Ein Beschuldigter hat grundsätzlich das Recht, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt als gewähltem Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Die freie Verteidigerwahl stärkt die Stellung des Beschuldigten als Prozesssubjekt. Durch die Beiordnung eines Verteidigers soll der Beschuldigte nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich gleichen Rechtsschutz erhalten wie ein Beschuldigter, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat; dies gebietet bereits das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) und folgt auch aus Art. 6 Abs. 3 lit.c EMRK. Dem entspricht es, dass dem Beschuldigten der Anwalt seines Vertrauens als Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen (vgl. BVerfG, NJW 2001, 3695).

Von daher ist einem Beschuldigten, der — etwa aus Gründen der Eilbedürftigkeit zur Verteidigerbestellung zunächst nicht angehört wurde, im weiteren Verlauf der Verteidiger seiner Wahl zu bestellen, um dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch, sich grundsätzlich auch bei einer Pflichtverteidigung vom Verteidiger seiner Wahl zu verteidigen zu lassen, gerecht zu werden.

Die Kammer hat vorliegend keinen Anlass, an der Richtigkeit der anwaltlichen Versicherung von Rechtsanwalt Urbanczyk zu zweifeln, dass der Angeklagte dessen Beiordnung ausdrücklich wünscht. Seiner Bestellung steht auch kein wichtiger Grund im Sinne des § 142 Abs. 1 S. 2 StPO entgegen.“

Schade, dass das LG die Frage, ob in den Fällen des § 408b StPO der Angeklagte vor einer Pflichtverteidigerbestellung anzuhören ist,“elegant“ umschifft hat. Denn zu der Problematik gibt es wenig.

Viel gibt es hingegen zu Pflichtverteidigerfragen in <<Werbemodus an>> „Burhoff, Handbuch für das strafechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019“. Die Neuauflage ist gerade am 08.11.2018 erschienen und kann hier bestellt werden. Die Neuauflage der Hauptverhandlung erscheint übrigens Mitte Dezember 2018.

Und: Ich weise dann auch noch einmal auf die Preiskracher hin (vgl. hier bei Sale/Preiskracher/Sonderverkauf, oder: Weihnachten steht vor der Tür). <<Werbemodus aus>>

Pflichtverteidiger in der Strafvollstreckung, oder: Achtung! Neuregelung nicht übersehen

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Beginnen wir den Tag mit einem kleinen = kurzen, aber feinen Beschluss des LG Mannheim, den mir der Kollege Patrick Welke aus Heidelberg übersandt hat. Es geht um die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren – eine Stelle, an der es ja häufig zum Streit kommt. Im LG Mannheim, Beschl. v. 07.11.2017 – 19 StVK 306 R – heißt es nun kurz:

In der Strafvollstreckungssache wegen Diebstahls

hier: § 57 StGB, § 454b StPO – Bestellung eines Pflichtverteidigers

Dem Verurteilten pp. wird Rechtsanwalt Patrick Welke, Heidelberg, als notwendiger Verteidiger bestellt.

Gründe:

Angesichts der im vorliegenden Vollstreckungsverfahren relevanten Fragestellungen, in denen es um die Durchführung des Verfahrens nach § 454b Abs. 3 StPO n.F, geht, ist dem Verurteilten ein Verteidiger in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO beizuordnen, da die besondere rechtliche Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines Verteidigers gebietet (vgl. BT-Drucksache 18/11272, S. 35).“

BT-Drucksache 18/11272? Ja, das sind die Gesetzesmaterialien zum „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.08.2017 (BGBl I, S. 3202). Und in § 454b Abs. 3 StPO heißt es jetzt:

„(3) Auf Antrag des Verurteilten kann die Vollstreckungsbehörde von der Unterbrechung der Vollstreckung von Freiheitsstrafen in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 absehen, wenn zu erwarten ist, dass nach deren vollständiger Verbüßung die Voraussetzungen einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 des Betäubungsmittelgesetzes für eine weitere zu vollstreckende Freiheitsstrafe erfüllt sein werden.“

Das ist eine Absage an die BGH-Rechtsprechung. Nach § 454b Abs. 3 StPO ist  nun wieder eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge nach § 43 Abs. 4 StVollstrO zur Ermöglichung einer Zurückstellung nach § 35 BtMG möglich. Das war ja, wenn es mindestens eine nicht zurückstellungsfähige Strafe gab, nach der BGH-Rechtsprechung nicht möglich. Nun kann diese nicht zurückstellungsfähige Strafe wieder komplett vorab vollstreckt werden, um im Anschluss eine einheitliche Zurückstellung für die anderen Strafen zu ermöglichen.

Und in dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung hierzu (BT-Drucksache 18/11272, S. 34 f.) heißt es u.a.:

„Für die Durchführung des Verfahrens nach § 454b Absatz 3 StPO-E wird es regelmäßig geboten sein, dem Verurteilten wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage nach § 140 Absatz 2 StPO einen Verteidiger zu bestellen. Vielfach wird der Verurteilte ohne anwaltlichen Beistand nicht sicher beurteilen können, ob ein Antrag nach § 454b Absatz 3 StPO-E zweckmäßig ist. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Vorabvollstreckung für den Verurteilten auch nachteilig sein kann, wenn die Strafzurückstellung nach § 35 BtMG letztlich doch nicht gewährt werden kann, etwa weil die Finanzierung der Therapie nicht gesichert ist.“

Der Kollege Welke hatte das gleich mal ausprobiert und hat die Beiordnung für das Vollstreckungsverfahren beantragt und dies damit begründet, dass aufgrund der Durchführung des Verfahrens nach § 454b Abs. 3 StPO bzw. § 43 Abs. 4 StVollstrO eine schwierige Sach- und Rechtslage vorliegt. Und er hat die eben o.a. Passage aus der BT-Drucksache zitiert und als Anlage beigefügt. Als Antwort kam der Beschluss des LG Mannheim.

Er meinte bei der Übersendung: „Könnte vielleicht für den ein oder anderen ganz interessant sein. Gerne dürfen Sie mich dabei als „Einsender“ benennen.“ Habe ich getan 🙂 . Denn Ehre, wem Ehre gebührt. Und ich räume ein: Ich hatte es übersehen.

RVG: Abgesprochener Strafbefehl, oder: Zusätzliche Verfahrensgebühr

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Im Bereich der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG – auch „Befriedungsgebühr“ genannt – gibt es ein paar Streitfragen, die die Rechtsprechung und Literatur immer wieder beschäftigen. Dazu gehört u.a. die Frage, ob eine zusätzliche Verfahrensgebühr entsteht, wenn die Entscheidung im Strafbefehlsverfahren „abgesprochen“ wird. Denn dann wird ja eine Hauptverhandlung vermieden. Da der Fall nicht ausdrücklich in Nr. 4141 VV RVG geregelt ist, kommt nur eine entsprechende Anwendung der Vorschrift in Betracht. Die hat dann aber jetzt das LG Mannheim im LG Mannheim, Beschl. v. 07.04.2017 – 6 Qs 9/16 – abgelehnt:

„Die Voraussetzungen der Festsetzung der Gebühr nach Ziffer 4141 VV-RVG liegen nicht vor und für eine entsprechende Anwendung auf die vorliegende Konstellation ist kein Raum.

Der Wortlaut der Ziffer 4141 VV-RVG erfasst den Fall, dass durch die Mitwirkung des Verteidigers eine Hauptverhandlung entbehrlich wird, weil erst durch seine Mitwirkung ein Strafbefehlsantrag, der vom Beschuldigten akzeptiert wird, erwirkt wird, nicht. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sind die Gebührentatbestände nach dem VV-RVG auch als abschließend zu verstehen; hierfür spricht nicht nur der Wortlaut – bei der Ziffer 4141 VV-RVG handelt es sich ersichtlich nicht um eine beispielhafte Aufzählung -, sondern auch Systematik und Sinn und Zweck des Vergütungsverzeichnisses zum RVG. Die Entstehung der Gebühren soll im VV-RVG gerade klar und eindeutig geregelt werden, was sich in den sehr detaillierten Gebührentatbeständen auch zeigt.

Bei Ziffer 4141 VV-RVG handelt es sich zudem um eine grundsätzlich eng auszulegende Ausnahme (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.4.2013, 2 Ws 327/12) vom Grundsatz, dass die anwaltliche Tätigkeit zur Beratung seines Mandanten, wie er sich – auch prozessual – im Strafverfahren verhalten soll, durch die Grund- und Verfahrensgebühr nach Ziffer 4100 sowie 4106 (für das amtsgerichtliche Verfahren) abgegolten sein soll und nur für die Wahrnehmung von Terminen weitere Gebühren anfallen.

Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf die vorliegende Konstellation kommt auch nicht in Betracht. Eine planwidrige Regelungslücke besteht nicht. Dem Gesetzgeber war beim Erlass des 2. KostRMoG am 23.7.2013, bei dem Ziffer 4141 Abs. 1 Nr. 4 VV-RVG eingefügt und auch in anderen Bereichen geändert wurde, die vorliegende sowie ähnliche Konstellationen, in denen möglicherweise eine vergleichbare Interessenlage wie bei den in Ziffer 4141 Abs. 1 VV-RVG geregelten Fällen gegeben ist, bekannt, ohne dass er eine Regelung getroffen hätte. So hatte das OLG Nürnberg bereits zuvor entschieden, dass eine zusätzliche Gebühr nach Ziffer 4141 VV-RVG nicht anfällt, wenn der Verteidiger den Verurteilten dahingehend berät, ein den Rechtszug beendendes Urteil oder den erlassenen Strafbefehl hinzunehmen und kein Rechtsmittel einzulegen (OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.5.2009, 2 Ws 132/09).

Dies mag im Einzelfall unbillig erscheinen; der Gesetzgeber hat aufgrund der Vielzahl möglicher Konstellationen, die zur Beantragung eines konkreten Strafbefehls führen, aber bewusst den einfachen Fall der Entscheidung durch Strafbefehl nicht in Nr. 4141 VV-RVG aufgenommen (vgl. auch Schneider, Die Neuerungen bei der zusätzlichen Gebühr in Strafsachen (Nr. 4141 VV-RVG), NZV 2014, 149).

Dass der Gesetzgeber auch nicht beabsichtigte, entsprechende faktische Verständigungen mit der Staatsanwaltschaft über die Beantragung eines Strafbefehls mit einer zusätzlichen Gebühr zu honorieren, zeigt sich auch darin, dass das Vergütungsverzeichnis zum RVG auch ansonsten keinerlei zusätzliche Gebühren für den Verteidiger vorsieht, der an einer Verständigung mitwirkt, obwohl dies gleichfalls für ihn sehr zeitaufwändig sein kann und im Einzelfall – gerade im Hinblick auf die dadurch bedingte Verfahrensverkürzung – gar unbillig erscheinen mag. Auch hier wirkt der Verteidiger bereits im Vorfeld mit, dass eine gerichtliche Entscheidung (wahrscheinlich) akzeptiert und nicht mit einem Rechtsmittel angegriffen wird, ohne dass er dafür eine zusätzliche Gebühr erhält.

Das Gericht sieht auch die Problematik, dass nur aus gebührenrechtlichen Gesichtspunkten Einsprüche gegen einen Strafbefehl eingelegt werden, um diesen dann wieder zurückzunehmen und somit die zusätzliche Gebühr nach Ziffer 4141 Nr. 3 VV-RVG auszulösen. Dieser Gesichtspunkt betrifft aber alle Fälle, in denen ein Strafbefehl beantragt wurde, also auch die Konstellation, in denen ein Angeklagter lediglich dahingehend beraten wird, keinen Einspruch einzulegen (auch dies kann sehr zeitaufwändig sein) und die auch nach Auffassung des Beschwerdeführers von Ziffer 4141 VV-RVG – entsprechend der Rechtsprechung des OLG Nürnberg vom 20.5.2009, 2 Ws 132/09 – nicht erfasst sein soll.“

In der Literatur wird das z.Z. anders gesehen, so auch von mir bei Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 54. Das ist m.E. schon deshalb zutreffend, weil der Fall von der Interessenlage vergleichbar ist mit der Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 3 VV RVG im Bußgeldverfahren. Ein Grund für eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden vergleichbaren Fälle ist nicht ersichtlich.

Es wäre sicherlich sinnvoll, wenn de lege ferenda der Gesetzgeber – vielleicht in einem demnächst anstehenden 3. KostRMoG – insoweit regelnd eingreifen würde. Allerdings werden wir zunächst eine Entscheidung des OLG Karlsruhe erwarten dürfen, da das LG die weitere Beschwerde gegen seine ablehnende Entscheidung zugelassen hat.

Sachverständigenkosten, oder: Wie werden sie erstattet?

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Ein weiterer Streitpunkt der Unfallschadenregulierung sind häufig die Sachverständigenkosten (zu den Mietwagenkosten s. vorhin den OLG Hamm, Urt. v. 18.03.2016 – 9 U 142/15 und dazu Fracke, oder: Wie schätze ich Mietwagenkosten?). Dazu verweise ich auf das LG Mannheim, Urt. v. 05.02.2016 – 1 S 119/15 -, das dazu mit folgenden Leitsätzen Stellung nimmt:

1. Auch wenn der – von der Geschädigten nicht beglichenen – Rechnung eine Indizwirkung für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht zukommt, steht dem Geschädigten ein Anspruch auf Ersatz der Kosten für das Schadensgutachten zu, wenn und soweit diese nicht deutlich überhöht sind und dies für den Geschädigten erkennbar ist. Gibt es selbst für den Fachmann keine verlässlichen Größenordnungen, ist für einen Geschädigten regelmäßig nicht zu erkennen, wann die Honorarsätze „die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigen“. Deshalb wird die vom Geschädigten vorgelegte Rechnung des Sachverständigen in der Regel zu erstatten sein.

2. Etwas anderes ist hingegen dann anzunehmen, wenn es zwischen dem Sachverständigen und dem Geschädigten weder eine konkrete Honorarvereinbarung gegeben hat, noch der Geschädigte die Sachverständigenkosten beglichen hat. Wird keine Vereinbarung über die Höhe der Vergütung getroffen, gilt § 632 Abs. 2 BGB mit der Folge, dass die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen ist, die in jedem Fall zu erstatten ist.

3. Eine Erstattung der Sachverständigenkosten kommt nur insoweit in Betracht, als die Geschädigte auch zur Zahlung des Sachverständigenhonorars verpflichtet ist. Ein Anspruch des Sachverständigen auf Begleichung unnötiger Kosten besteht daher nicht. Bei der Frage, wie viele Lichtbilder für die Begutachtung des Schadens erforderlich sind, steht dem Sachverständigen grundsätzlich ein Ermessen zu.“