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Wenn der Richtervorbehalt nicht beachtet wird, oder: Beweisverwertungsverbot

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Die 4. KW. eröffne ich heute mit einem „schönen“ Beschluss des LG Köln. Dem Angeklagaten wird bewaffneter unerlaubter Anbau von und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgrworfen. Insoweit ist Anklage gegen ihn erhoben worden. Das LG Köln hat im LG Köln, Beschl. v. 09.05.2019 – 108 KLs 42/18 – die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Begründung: Die bei einer Durchsuchung gewonnenen Beweismittel sind aufgrund eines Verstoßes gegen den Richtervorbehalt unverwertbar:

„1. Vorliegend wurde die Durchsuchung durch die Bereitschaftsstaatsanwältin ohne richterliche Durchsuchungsanordnung angeordnet.

Gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 StPO dürfen Durchsuchungen nur durch den Richter angeordnet werden; bei Gefahr im Verzug steht diese Kompetenz auch der Staatsanwaltschaft bzw. ihren Ermittlungspersonen zu. Gefahr im Verzug ist dabei nur anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wird. Kann hingegen der Richter mit dem Durchsuchungsbegehren befasst werden und über dieses entscheiden, ohne dass damit ein Risiko des Verlusts von Beweismitteln verbunden ist, ist für einen Rückgriff auf die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden kein Raum (OLG Köln, Beschluss vom 25. Oktober 2016 – III-1 RVs 227/16 –, Rn. 13, juris). Da die Regelzuständigkeit des Richters in der Praxis effektiv bleiben muss und auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz abzielt, haben die Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich den Versuch zu unternehmen, zuvor eine richterliche Anordnung zu erwirken (BVerfG 12.2.2007 – 2 BvR 273/06, BGH 11.8.2005 – 5 StR 200/05; BGH, Urteil vom 06. Oktober 2016 – 2 StR 46/15 – jeweils m.w.N). Der Versuch einer telefonischen Kontaktaufnahme genügt (MüKoStPO/Hauschild, 1. Aufl. 2014, StPO § 105 Rn. Randnummer 9 m.w.N). Lediglich in Ausnahmesituationen, wenn die zeitliche Verzögerung zu einem Verlust des Beweismittels führt, dürfen die Strafverfolgungsbehörden die Anordnung wegen Gefahr im Verzug selbst treffen, ohne sich zuvor um eine richterliche Entscheidung bemüht zu haben (BVerfG, Beschluss vom 4.2.2005 – 2 BvR 308/04)

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Nach dem Bericht der POK’in K (Bl. 3 – 3. Abs. – HA) wurde „die diensthabende Richterin“ mit der Sache nicht befasst. Die anordnende Staatsanwältin selbst hat keine Erinnerung mehr an den Vorgang. Somit ist angesichts des Akteninhalts davon auszugehen, dass überhaupt nicht versucht worden ist, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Weitere Ermittlungsansätze zu der Frage, ob der Versuch unternommen wurde, einen Ermittlungsrichter zu erreichen, sind nicht ersichtlich.

Zudem sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, die den Schluss zulassen, dass eine richterliche Anordnung im vorliegenden Fall nicht hätte eingeholt werden können. So besteht ausweislich der Auskunft der Ermittlungsrichterin Dr. D grundsätzlich die Möglichkeit, bis 21:00 Uhr einen Ermittlungsrichter zu erreichen. Angesichts des Umstands, dass die polizeiliche Strafanzeige um 19:49 Uhr (HA: Bl. 1 – oben)  gefertigt wurde, ergibt sich, dass die gesamte Durchsuchungsmaßnahme in einem Zeitraum durchgeführt wurde, zu welchem durchgehend die Erreichbarkeit jedenfalls des Eildienstrichters gegeben war.

Auch sonstige Umstände, die eine derartige Eilbedürftigkeit begründen, dass der Zweck der Maßnahme durch vorherige Einschaltung des Ermittlungsrichters gefährdet wäre, sind nicht ersichtlich. Der Zeuge Q hatte Angaben gemacht, die den Betrieb einer Cannabisplantage in den Räumlichkeiten seines Mieters nahelegen. Dies begründete den Anfangsverdacht in Verbindung mit den vor Ort getroffenen Feststellungen der Polizeibeamten dahingehend, dass sich der Beschuldigte wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz strafbar gemacht haben könnte. Danach bestanden konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine Durchsuchung bei dem Beschuldigten zum Auffinden von Beweismitteln würde führen könnte. Angesichts des Einsatzes der Polizeibeamten in einem Mehrfamilienhaus unter Berücksichtigung der mit dem Einsatz der Beamten verbunden Außenwirkung bestand auch die naheliegende Gefahr, dass der Beschuldigte von Dritten darüber informiert werden würde, dass die Polizei einen Einsatz in seiner Wohnung vorgenommen hatte. Naheliegende Reaktion des Beschuldigten wäre es dann gewesen, die von ihm betriebene Plantage zu beseitigen. Allerdings befand sich der Beschuldigte nach der polizeilichen Strafanzeige nicht in seiner Wohnung. Somit konnte der mit der Einschaltung des Ermittlungsrichters einhergehenden Verzögerung  der Durchsuchung durch polizeiliche Maßnahmen, etwa durch ein weiteres Zuwarten der Beamten vor dem vom Beschuldigten genutzten Zimmer, bis zu einer Entscheidung des Ermittlungsrichters begegnet werden. Auf jeden Fall bestand vor einem etwaigen Beweismittelverlust die Möglichkeit, Kontakt zu dem zuständigen Richter aufzunehmen.

2. Dies hat zur Folge, dass sämtliche in der Wohnung vorgefundenen Beweismittel einem Beweisverwertungsverbot unterliegen.

Nicht jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften zieht ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich. Die Frage des Beweisverwertungsverbots ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden.

Bei der Annahme von Gefahr im Verzug führen nur geringfügige Versäumnisse oder Ungeschicklichkeiten von Ermittlungsbeamten nicht ohne Weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot. Anders liegt der Fall bei einem schwerwiegenden Verstoß gegen den Richtervorbehalt, in denen der Richtervorbehalt gezielt oder leichtfertig umgangen wird (BGH, Beschluss vom 30. 8. 2011 – 3 StR 210/11).

Ein solcher schwerwiegender Verstoß liegt aufgrund der oben geschilderten Umstände vor. Die zuständige Staatsanwältin hat die Bedeutung des Richtervorbehalts grundlegend verkannt, als sie keine Anstrengungen unternommen hat, einen Ermittlungsrichter zu erreichen, obwohl eine Erreichbarkeit grundsätzlich für den Zeitraum der Durchsuchung bestand, ohne dass Gründe hierfür ersichtlich sind. Der Richtervorbehalt wurde damit leichtfertig umgangen.

Dem – für andere Fallgestaltungen zur Einschränkung der Annahme von Beweisverwertungsverboten entwickelten – Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs kommt hierbei keine Bedeutung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 30. 8. 2011 – 3 StR 210/11; BGH, Urteil vom 06. Oktober 2016 – 2 StR 46/15 – jeweils m.w.N).

3. Vor diesem Hintergrund besteht ein hinreichender Tatverdacht hinsichtlich des Vorwurfs des bewaffneten unerlaubten Anbaus von und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht. Der Umstand, dass der Angeschuldigte bislang der Verwertung der Durchsuchungsergebnisse nicht widersprochen hat, steht dem nicht entgegen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 06. Oktober 2016 – 2 StR 46/15 –, BGHSt 61, 266-277) ist die Art und Weise der Erlangung jener Sachbeweise durch die Ermittlungsbehörden, auf die der Beschuldigte keinen Einfluss hat – wie etwa auf Grundlage einer Durchsuchung -, von dem Gericht von Amts wegen aufzuklären und zu berücksichtigen, soweit Verfahrensfehler bei diesem Vorgang in Betracht kommen. Auf einen Widerspruch gegen die Beweisverwertung kommt es dafür nach der zitierten Rechtsprechung (BGH aaO) nicht an. Dies gilt insbesondere für den hiesigen Fall, da sich vorliegend auch ohne besonderen Hinweis der Verteidigung konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Ermittlungsmaßnahme nicht den gesetzlichen Eingriffsvoraussetzungen entspricht.

Zudem ist das Gericht nicht gehalten, von ihm als in rechtstaatswidriger, ein Verwertungsverbot begründender Weise erhoben erkannte Beweismittel zu verwerten. Vielmehr entbindet auch der Nichtgebrauch des Rechtsbehelfs des § 98 II S. 2 StPO das Gericht nicht von der Pflicht, die Verwertbarkeit von im Rahmen einer Durchsuchung gewonnenen Beweismitteln zu prüfen (vergl. BGH, Beschluss vom 16. 6. 2009 – 3 StR 6/09).“

(Akten)Einsicht III: Ablehnung durch das AG, oder: „Parität des Wissens“

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Und als dritte und letzte Entscheidung dann noch der LG Köln, Beschl. v. 11.10.2019 – 323 Qs 106/19 – zur Zulässigkeit der Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Ablehnung, dem Betroffenen bestimmte Mussunterlagen zur Verfügung zu stellen.

Das LG sieht die Beschwerde als zulässig und auch begründet an.

1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 12.09.2019, mit welchem der Antrag des Betroffenen vom 15.08.2019 auf Einsicht in die digitalen Falldateien inklusive Rohmessdaten der kompletten Messreihe vom Tattag zurückgewiesen worden ist, ist zulässig und begründet.

a) Der Zulässigkeit der gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 304 Abs. 1 StPO grundsätzlich statthaften Beschwerde steht § 305 Satz 1 StPO nicht entgegen. Hiernach unterliegen Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen, nicht der Beschwerde. Die Regelung soll Verfahrensverzögerungen verhindern, die eintreten würden, wenn Entscheidungen des erkennenden Gerichts sowohl auf eine Beschwerde als auch auf das Rechtsmittel gegen das Urteil überprüft werden müssten. Diesem Zweck entsprechend greift die Ausnahmevorschrift des § 305 Satz 1 StPO jedenfalls dann nicht ein, wenn ein Rechtsmittel gegen das (künftige) Urteil nicht eröffnet ist oder die betroffene Entscheidung im Rahmen eines zulässigen Rechtsmittels nicht überprüft werden kann (OLG Koblenz, Beschl. v. 17.03.201 1 – 1 Ws 154/1 1 , juris, dort Tz. 6; OLG Hamm, Beschl. v. 30.01.1986 – 6 23/86, NStZ 1986, 328f.; LG Neubrandenburg, Beschl. v. 30.09.2015 82 Qs 1 1 2/1 5, dort Tz. 14; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, § 305 Rn. 1).

Dies ist vorliegend der Fall. Gegen den Betroffenen ist im Bußgeldbescheid vom 19.03.2019 eine Geldbuße von lediglich 120,00 € festgesetzt worden, ohne dass eine Nebenfolge angeordnet worden ist. Gegen ein entsprechendes Urteil ist daher eine Rechtsbeschwerde nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 OWiG nicht erfüllt sind (vgl. LG Neubrandenburg, Beschl. v. 30.09.2015 — 82 Qs 112/15, juris, dort Tz. 15) und es sich um keine der in § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3-5 OWiG genannten Fallkonstellationen handelt. Ob im Hinblick auf die Zurückweisung des Antrags des Betroffenen vom 15.08.2019 die Rechtsbeschwerde gemäß den §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs oder — in analoger Anwendung des 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG (vgl. BohneH/Krenberger/Krumm, in: Krenberger/Krumm, OWiG, 5. Auflage 2018, § 80 Rn. 22 m.w.N.) — wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit und einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren zuzulassen wäre (so OLG Celle, Beschl. v. 16.06.2016 – I Ss (OWi) 96/16, juris, dort Tz. 4; a.A. OLG Hamm, Beschl. v, 03.01.2019 – 4 RBs 377/18, juris, dort Tz. 5f.), obliegt der eigenständigen Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Da ein Rechtsmittel gegen das (künftige) Urteil somit nicht von vorherein eröffnet ist, kann ein Ausschluss der Beschwerde gemäß § 305 Satz 1 StPO auch mit Blick auf den Ausnahmecharakter der Vorschrift — nicht auf die bloße Möglichkeit der Zulassung der Rechtsbeschwerde gestützt werden (so auch LG Neubrandenburg, Beschl. v. 30.09.2015 – 82 Qs 1 12/15, juris, dort Tz. 15).

b) Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der Betroffene hat ein Recht auf Einsicht in die — nicht bei den Akten befindlichen — digitalen Falldateien inklusive Rohmessdaten der kompletten Messreihe vom Tattag.

Ein solcher Anspruch ergibt sich – auch beim standardisierten Messverfahren – aus dem Gebot des fairen Verfahrens, welches sich wiederum aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG ableitet und zudem in Art. 6 EMRK statuiert ist. Gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. a) EMRK hat jede angeklagte Person mindestens das Recht, in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden. Dabei wendet sich das Gebot einer rechtsstaatlichen, insbesondere auch fairen Verfahrensgestaltung nicht nur an die Gerichte, sondern ist auch von allen anderen staatlichen Organen zu beachten, die auf den Gang eines Straf- oder Bußgeldverfahrens Einfluss nehmen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens und das hieraus folgende Gebot der Waffengleichheit erfordern, dass sowohl die Verfolgungsbehörde als auch die Verteidigung in gleicher Weise Teilnahme-, Informations- und Äußerungsrechte wahrnehmen können, um so Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können. Insofern kann sich hieraus ein Recht auf Einsicht in Akten oder Daten ergeben, welches über das Recht auf Einsicht in die dem Gericht vorliegenden Akten (§ 147 Abs. 1 StPO) hinausgeht (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.07.2019 1 Rb 10 Ss 291/19, juris, dort Tz. 24f.; LG Kaiserslautern, Beschl. v. 22.05.2019 5 Qs 51/19, ZfSch 2019, 471, 472; jeweils m.w.N.).

Bezogen auf das Bußgeldverfahren ergibt sich auf dieser Grundlage, dass ein Betroffener wegen der zu garantierenden „Parität des Wissens“ bzw. der „Waffengleichheit“ verlangen kann, Einsicht in sämtliche existenten, zur Überprüfung der Messung erforderlichen Messunterlagen zu nehmen, und zwar auch, soweit sich diese nicht in den Gerichtsakten, sondern in den Händen der Verwaltungsbehörde befinden. Solche weitreichenden Befugnisse stehen dem Verteidiger im Vorfeld der Hauptverhandlung gerade bei standardisierten Messverfahren jedenfalls dann zu, wenn ein entsprechendes Herausgabeverlangen gegenüber der Verwaltungsbehörde ebenso erfolglos geblieben ist wie ein anschließender Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.07.2019  1 Rb 10 Ss 291/19, juris, dort Tz. 28; KG Berlin, Beschl. v. 06.08.2018  3 Ws (B) 168/18, juris, dort Tz. 8; OLG Celle, Beschl. v. 16.06.2016 1 Ss (OWi) 96/16, juris, dort Tz. 5; LG Kaiserslautern, Beschl. v. 22.05.2019 – 5 Qs 51/19, ZfSch 2019, 471, 472; LG Hanau, Beschl. v. 07.01.2019 – 4b Qs 1 14/18, juris, dort Tz. 12ff.; LG Baden-Baden, Beschl. v. 14.09.2018 – 2 Qs 104/18, juris, dort Tz. l; LG Trier, Beschl. v. 14.06.2017 1 Qs 46/17, juris, dort Tz. 30ff.•, LG Neubrandenburg, Beschl. v. 30.09.2015 – 82 Qs 1 12/15, juris, dort Tz. 17ff.; a.A. OLG Oldenburg, Beschl. v. 23.07.2018 – 2 Ss OWi 197/18, juris, dort Tz. 20ff.; OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18, juris, dort Tz. 3ff.; offen lassend: OLG Köln, Beschl. v. 27.09.2019 – 11 1-1 RBs 339/19, n.V., abrufbar unter https://www.burhoff.de/asp_weitere beschluesse/inhalte/5260.htm; jeweils m.w.N.). Denn zum einen gibt es keinen Erfahrungssatz, dass ein standardisiertes Messverfahren unter allen Umständen zuverlässige Ergebnisse liefert (so schon BGH, Beschl. v. 19.08.1993 – 4 StR 627/92, juris, dort Tz. 28), und zum anderen hat der Betroffene einen Anspruch darauf, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten verurteilt zu werden (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.07.2019  1 Rb 10 291/19, juris, dort Tz. 28; KG Berlin, Beschl. v. 06.08.2018 3 Ws (B) 168/18, juris, dort Tz. 9). Bei einem standardisierten Messverfahren ist es dem Betroffen indes nur möglich, die Richtigkeit der Messung anzugreifen, wenn er im jeweiligen Verfahren konkrete Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der Messung aufzeigen kann. Eine pauschale Behauptung, mit der die Richtigkeit der Messung angezweifelt wird, genügt nicht. Ein solcher dezidierter Vortrag ist dem Betroffenen jedoch nur dann möglich, wenn er — bzw. sein Verteidiger — auch Zugang zu den entsprechenden gesamten Messunterlagen des jeweiligen Messsystems hat und diese ggf. mit Hilfe eines Sachverständigen überprüfen kann (OLG Celle, Beschl. v. 16.06.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16, juris, dort Tz. 5; LG Kaiserslautern, Beschl. v. 22.05.2019 – 5 Qs 51/19, ZfSch 2019, 471, 472; LG Trier, Beschl. v. 14.06.2017 1 Qs 46/17, juris, dort Tz. 40; ferner VGH Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 — LV 1/18, juris, dort Tz. 31ff; jeweils m.w.N.).

Dabei ist es unerheblich, ob bereits konkrete Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen oder vom Betroffenen vorgetragen worden sind. Denn ohne umfassende Kenntnis der zur Überprüfung der Messung erforderlichen Messunterlagen, die den Verfolgungsbehörden zur Verfügung stehen, kann der Betroffene bzw. seine Verteidigung schon nicht verlässlich beurteilen, inwiefern zweckmäßigerweise Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen. Das Informationsund Einsichtsrecht des Verteidigers kann daher deutlich weiter gehen als die Amtsaufklärung des Gerichts (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.07.2019 1 Rb 10 291/19, juris, dort Tz. 27f.; KG Berlin, Beschl. v. 06.08.2018 3 Ws (B) 168/18, juris, dort Tz. 9; LG Hanau, Beschl. v. 07.01.2019 – 4b Qs 114/18, juris, dort Tz. 18; a.A. OLG Oldenburg, Beschl. v. 23.07.2018-2 ss OWi 197/18, juris, dort Tz. 24ff.). Anders als im Hinblick auf die Reichweite der gebotenen Amtsaufklärung ist es daher für das Einsichtsrecht des Verteidigers ohne Bedeutung, inwiefern das Gericht selbst es für ausgeschlossen hält, dass sich aus der Auswertung der Messdaten der gesamten Messreihe Entlastungsmomente für den Betroffenen ergeben. Eine konkrete Darlegung seitens des Betroffenen, welche Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der Messung sich bei Einsichtnahme in die Messdaten möglicherweise ergeben könnten und welche Schlüsse hieraus zu ziehen wären, ist in diesem Zusammenhang nicht erforderlich.

Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben hat der Betroffene einen Anspruch auf Einsicht in die digitalen Falldateien inkl. Rohmessdaten der kompletten Messreihe vom Tattag (08.01.2019). Bei dem durchgeführten Geschwindigkeitsmessverfahren mittels des Messgeräts ESO 3.0 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren. Eine Einsicht in die digitalen Falldateien ist bereits im Verwaltungsverfahren mit anwaltlichem Schreiben vom 25.04.2019 erfolglos beantragt worden. Der anschließende Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG vom 12.06.2019 ist mit Beschluss des Amtsgerichts Brühl vom 26.06.2019 (Az. 53 OWi 740/19 [b]) zurückgewiesen worden. Dass die digitalen Falldateien, deren Einsicht der Betroffene begehrt, nicht existent wären, ist schließlich nicht ersichtlich.

Hinsichtlich der Art und Weise der begehrten Einsichtnahme, nämlich durch Kopie auf einen von der Verteidigung zur Verfügung gestellten Datenträger, bestehen keine Bedenken. Auch datenschutzrechtliche Bedenken stehen der Einsichtnahme in die Falldatensätze nicht entgegen. Soweit mit der. Zurverfügungstellung der gesamten Messserie ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte anderer Verkehrsteilnehmer einhergeht, weil von diesen jeweils Foto und Kennzeichen übermittelt werden, überwiegt vorliegend das Interesse des Betroffenen an der Durchsetzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass lediglich Foto und Kennzeichen, nicht aber die Fahrer- oder Halteranschrift der anderen Verkehrsteilnehmer übermittelt werden. Zudem ist von einem Verteidiger als Organ der Rechtspflege auch zu erwarten, dass die ihm übermittelten Daten nicht an Dritte weitergegeben werden (vgl. LG Kaiserslautern, Beschl. v. 22.05.2019 — 5 Qs 51/19, ZfSch 2019, 471, 472; LG Hanau, Beschl. v. 07.01.2019 – 4b Qs 1 14/18, juris, dort Tz. 20).“

Nichteheliche Lebensgemeinschaft, oder: Schutzpflicht für auf Bahnschienen abgestelltes Kfz des Partners?

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Im „Kessel Buntes“ dann heute zwei landgerichtliche Entscheidungen. Zunächst ist das das LG Köln, Urt. v. 09.05.2019 – 8 O 307/18. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde.

Die Parteien, die seit 2014 in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebten, machten im April 2017 mit dem Fahrzeug des Klägers einen Ausflug. Der Kläger litt an einer Allergie, die ihn in unregelmäßigen und nicht vorhersehbaren Abständen zum Aufsuchen der Toilette veranlasste. Kurz vor Erreichen eines Ausflugslokals ereilte ihn ein solcher Anfall. Er hielt daher sein Fahrzeug auf der Fläche einer Bahngleisanlage an, um eine Toilette in einer in der Nähe befindlichen Gaststätte aufzusuchen. Dabei bemerkte er nicht, dass er sein Fahrzeug geringfügig linksseitig mit dem hinteren Teil der Karosserie auf den Bahnschienen abgestellt hatte.

Der Kläger bat daher die Beklagte beim Verlassen des Wagens darum, dass Fahrzeug sogleich wegzusetzen. Ein dann vorbei kommender Zeuge wies die Beklagte zudem darauf hin, die Gleise schnellstmöglich zu verlassen, da dort Züge verkehrten. Nachdem die Beklagte den Zeugen zunächst nur fragend ansah, wiederholte dieser die Warnung. Als die Beklagte dann das Fahrzeug auf der Beifahrerseite verlassen hatte, näherte sich ein Güterzug und erfasste das Fahrzeug. Der Kläger verlangt nun von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von rund 7.000 EUR. Er ist der Ansicht (gewesen), die Beklagte sei für den Schaden zumindest mitverantwortlich, sodass sie diesen zur Hälfte auszugleichen habe.

Das LG hat die Klage abgewiesen:

„Dem Kläger steht kein Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz des ihm am 09.04.2017 entstandenen Schadens zu.

Zwischen den Parteien bestand kein Schuldverhältnis, aus dem sich die Pflicht der Beklagten, das Fahrzeug des Klägers aus dem Gleiskörper fortzusetzen, ergab. Durch den Zuruf des Klägers, die Beklagte solle seinen Pkw fortsetzen, wurde kein Auftragsvertrag im Sinne von § 662 BGB geschlossen. Die Beklagte hat kein auf den Abschluss eines Auftragsvertrages im Sinne von § 662 BGB gerichtetes Angebot des Klägers angenommen. Es ist bereits zweifelhaft, ob die an seine Lebensgefährtin gerichtete Bitte des Klägers überhaupt auf den Abschluss eines Vertrages gerichtet war und nicht nur ein Gefälligkeitsverhältnis ohne rechtliche Bindungen begründen sollte. Jedenfalls kann nicht angenommen werden, dass die Beklagte ein auf den Vertragsschluss gerichtetes Angebot des Klägers im Sinne von § 145 BGB angenommen hat, § 147 BGB. Nach dem Vorbringen beider Parteien hat die Beklagte dem Kläger weder ausdrücklich noch konkludent zu erkennen gegeben, dass sie rechtsverbindlich die Verpflichtung eingehen will, das Fahrzeug aus dem Schienenbereich zu entfernen. Auf der Grundlage des klägerischen Vortrages hat die Beklagte auf sein Ansinnen hin überhaupt nicht reagiert. Auch nach dem Beklagtenvortrag ist eine Willenserklärung gegenüber dem Kläger nicht ersichtlich. Danach ist sie erst nach dem Hinweis des Zeugen I ausgestiegen, um den Wagen zu versetzen.

Aus denselben Gründen kann auch der Abschluss eines Verwahrungsvertrages gemä? § 688 BGB nicht angenommen werden.

Allein der Umstand, dass die Parteien einen gemeinsamen Ausflug unternommen haben, begründet kein Schuldverhältnis im Sinne von § 311 BGB. Zwar ist denkbar, dass sich aus einer Fahrgemeinschaft wechselseitige Rechte und Pflichten für die Beteiligten ergeben können. Hierfür müssen jedoch Anzeichen für einen Rechtsbindungswillen vorliegen. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn die Mitglieder einer Fahrgemeinschaft abwechselnd zur Arbeitsstelle und zurück fahren und darauf vertrauen, dass die Absprache verlässlich eingehalten wird (OLG Köln VersR 2004, 189). Hier liegt der Fall jedoch anders. Die Parteien haben sich im Rahmen ihrer damaligen Beziehung zu einem Freizeitausflug zusammengefunden. Wechselseitige Rechte und Pflichten sollten hierdurch bei lebensnaher Betrachtung nicht begründet werden.

Die Beklagte haftet auch nicht aus § 823 BGB. Die Beklagte hat das Eigentum des Klägers nicht beschädigt. Ein aktives Handeln der Beklagten, das zur Beschädigung des Pkw geführt hat, liegt nicht vor. Die Beklagte hat den Tatbestand des § 823 BGB auch nicht durch pflichtwidriges Unterlassen verwirklicht. Da keine allgemeine Rechtspflicht besteht, Dritte vor Gefahren zu schützen, bleibt eine Tatsbestandsverwirklichung durch Unterlassen die Ausnahme und ist nur dann anzunehmen, wenn den Schädiger eine spezifische Pflicht zum Handeln getroffen hat. Eine solche Pflicht kann sich aus einer Verkehrssicherungspflicht oder einer Garantenstellung ergeben (Förster in: BeckOK BGB § 823 Rn. 100 ff.). Entgegen der Auffassung des Klägers haftet die Beklagte nicht wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht für sein Eigentum. Verkehrssicherungspflichten knüpfen an den Gedanken an, dass jeder, der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu schaffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern (Förster in: BeckOK BGB § 823 Rn. 102). Abgesehen davon, dass die Beklagte das Fahrzeug nicht im Schienenbereich abgestellt hat und damit keine Gefahrenlage geschaffen hat, umfasst der Schutzbereich dieses Haftungsgrundsatzes nicht die Gefahrenquelle selbst, sondern andere Rechtsgüter. Die Beklagte war auch nicht aufgrund einer Garantenstellung verpflichtet, Schaden von dem Pkw abzuwenden. Eine Pflicht zum Handeln besteht nur dann, wenn jemand für den Geschädigten in besonderer Weise (= rechtsgutbezogen) verantwortlich ist. Eine sittliche Pflicht oder die bloße Möglichkeit, den Erfolg abzuwenden, genügt hingegen nicht (Förster in: BeckOK BGB § 823 Rn. 103). Zwar kann aus einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft eine besondere Fürsorge- und Obhutspflicht folgen. Diese Pflichten beziehen sich regelmäßig auf persönliche Rechtsgüter wie Leben, Körper und Gesundheit (Förster in BeckOK BGB § 823 Rn. 103.1, 103.2). Eine allgemeine rechtliche Verpflichtung, von den Vermögenswerten des Partners Schaden abzuwenden, lässt sich hieraus nicht ableiten.“

Die richtige Formulierung der Vorausabtretung, oder: Rahmengebühr beim Berufskraftfahrer

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Die zweite Gebührenentscheidung stammt vom Kollegen Grüne aus Schweinfurt. Bei der Gelegenheit: Allen Einsendern herzlichen Dank für die vielen (schönen) RVG-Entscheidungen. Im Moment ist mein Ordner ziemlich leer, so dass ich mich über weitere/neue Entscheidungen sehr freuen würde.

Hier hatte der Kollege beim AG Köln einen Mandanten in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Missachtung eines qualifizierten Durchfahrtsverbots für LKW vertreten. Nach Einstellung des Verfahrens macht der Kollege Kostenerstattung gegenüber der Staatskasse geltend und beantragt dabei Überweisung an ihn, weist allerdings wohl nicht auf die zu seinen Gunsten erfolgte (Voraus)Abtretung der Kostenerstattungsansprüche hin. Dies veranlasst die Bezirksrevisorin zu dem Einwand, dass dem Verteidiger ein eigenes Antragsrecht nicht zustehe. Der Kollege legt dann die Vollmacht mit der darin enthaltenen Vorausabtretung vor. Diese war der Bezirksrevisorin und dem AG Köln aber dann nicht ausreichend, einerseits wegen angeblicher Unwirksamkeit der Abtretung und wegen Unbestimmtheit der „wegen“-Angabe – es würde ja schließlich das gerichtliche Aktenzeichen fehlen.

Das LG hat dem Hin und Her dann im LG Köln, Beschl. v. 13.08.2019 – 323 Qs 87/19 – ein Ende bereitet:

1. Entgegen der Ansicht von Amtsgericht und Bezirksrevisorin bestehen im konkreten Fall keine Bedenken gegen die Aktivlegitimation des Beschwerdeführers. Insofern hat der Betroffene als Gläubiger der Kostenerstattungsansprüche gegenüber der Staatskasse diese wirksam gem. § 398 S. 1 BGB an den Beschwerdeführer abgetreten.

Der Beschwerdeführer hat im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens die von dem Betroffenen unter dem 02.08.2018 unterzeichnete „Vollmacht“ wegen „VOWi vom 24.04.2018″ vorgelegt, in welcher sich unter Ziff. 1 am Ende in Fettdruck der Passus befindet „Zukünftige Kostenerstattungsansprüche werden unwiderruflich an die oben genannten Rechtsanwälte zur Sicherung deren jeweiliger Honoraransprüche abgetreten.“

Aus objektiver Sicht des Erklärungsempfängers – hier des Beschwerdeführers – handelt es sich gem. den § 133, 157 BGB dabei um ein Abtretungsangebot künftiger Kostenerstattungsansprüche, welche dieser auch nach seinem Vorbringen angenommen hat. Einer Unterschrift des Beschwerdeführers unter die Vollmachtsurkunde bedarf es gem. § 151 S. 1 BGB zur Annahme dabei nicht. Es bestehen weiterhin auch keine Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit der Abtretungserklärung. Insofern ist die Vorausabtretung künftiger Ansprüche allgemein anerkannt, soweit diese so beschrieben ist, dass sie spätestens bei ihrer Entstehung nach Gegenstand, Umfang und Person des Schuldners bestimmbar ist. Insofern war es dem Betroffenen und dem Beschwerdeführer aufgrund der Bezeichnung als „VOWi vom 24.04.2018″ klar, aus welchem künftigen Bußgeld- und Gerichtsverfahren ein solcher Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse folgen würde. Dass es insofern Unklarheiten zwischen den Vertragsparteien gegeben hätte, ist nicht erkennbar. Schließlich verstößt die verwendete Formularklausel auch nicht gegen § 305c BGB, als sie überraschend wäre. Insofern geht § 43 RVG ausdrücklich davon aus, dass der Betroffene seinen Anspruch auf Erstattung von Anwaltskosten als notwendige Auslagen an letzteren abtreten kann. Eine solche Abtretung ist damit jedoch nicht so ungewöhnlich, dass der Betroffene mit einer solchen Abtretungsklausel nicht rechnen müsste. Dies gilt im konkreten Fall auch für die Aufnahme der Abtretungsklausel in die Vollmachtsurkunde. Den teilweise erhobenen Bedenken dahingehend, dass innerhalb einer einseitigen Vollmachtserteilung ein Angebot auf Abschluss eines Abtretungsvertrags versteckt würde, wurde hier dadurch begegnet, dass diese Passage im Fettdruck hervorgehoben wurde. Aufgrund dieser konkreten Gestaltung ist daher davon auszugehen, dass der Inhalt der Klausel für den Betroffenen erkennbar und daher nicht überraschend war (so auch etwa OLG Rostock, Beschluss vom 30.04.2018, 20 Ws 78/18 — juris -; OLG Nürnberg, Beschluss vom 25.03.2015, 2 Ws 426/14 — juris; Meyer/Kroiß-Kroiß, RVG, 7.A., 2018, § 43 Rn. 7; Gerold/Schmidt-Burhoff, RVG-Kommentar, 23.A., 2017, § 43 Rn. 12; Riedel/Sußbauer-Kremer, RVG, 10.A., 2015, § 43 Rn. 10; Hartung/Schons/Enders-Hartung, RVG, 3.A., 2017, § 43 Rn. 18).

Das ist zutreffend

In der Sache ist das LG der Gebührenbestimmung des Kollegen dann weitgehend gefolgt. Es hat nur bei der gerichtlichen Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG Abstriche gemacht:

„…..Die Betragsrahmengebühr der Verfahrensgebühr Ziff. 5109 VV RVG umfasst einen Rahmen von 30,00 EUR bis 290,00 EUR für Bußgelder von 60,00 bis 5.000,00 EUR. Die Gebühr umfasst dabei die erbrachten Tätigkeiten nach Erteilung des Auftrags zur Verteidigung im gerichtlichen Verfahren bis zum Abschluss der ersten Instanz, also insbesondere die Vorbereitung der Rechtsverteidigung, die Fertigung von Schriftsätzen, die Zustellung und Empfangnahme von Entscheidungen etc. (vgl. Meyer/Kroiß-Krumm, a.a.O., RVG Nr. 5107-5112 VV, Rn. 6).

Bei der Bemessung dieser Gebühr ist konkret zu berücksichtigen, dass innerhalb des Gebührenrahmens für Bußgelder von 60 bis 5.000 EUR das dem Betroffenen drohende Bußgeld von 500,00 EUR zwar nicht unerheblich ist, jedoch weiterhin am unteren Rand der abgedeckten Bußgeldspannweite liegt. Die Eintragung von Punkten im Fahreignungs-register stand nicht zu befürchten. Für eine bereits leicht überdurchschnittliche Bedeutung der Sache spricht dann jedoch das vorgesehene Fahrverbot für den Betroffenen von zwei Monaten. Zwar hätte dieser hier die Möglichkeit gehabt, den Zeitpunkt dieses Fahrverbots innerhalb von vier Monaten selbst zu wählen und es wäre ihm auch ohne Weiteres zumutbar, hierfür seinen Jahresurlaub zu verwenden. Gleichzeitig ist jedoch nicht davon auszugehen, dass dem Betroffenen — ggf. unter Abbau von Überstunden – mehr als 40 Urlaubstage zur Verfügung standen. Insofern erscheint es auch als naheliegend, dass dies vor dem Hintergrund, dass der Betroffene Berufsfahrer ist, zu nicht unerheblichen Problemen mit seiner Arbeitsstelle geführt hätte, ohne dass jedoch zwingend von einem Verlust des Arbeitsplatzes auszugehen ist. Insgesamt spricht diese individuelle Bedeutung für den Betroffenen bei der Verfahrensgebühr für eine leicht (20%) über der Mittelgebühr liegenden Gebührenhöhe, nicht jedoch für eine um 50% über der Mittelgebühr liegende Gebührenhöhe, die bis nahe an den oberen Rand des Gebührenrahmens reicht. Die Schwierigkeit des Falls mit der Besonderheit der Zustellungsproblematik des Bußgeldbescheids bewegt sich im mittleren Bereich und rechtfertigt ebenfalls keine noch höhere Festsetzung dieser Gebühr. Die angemessene Verfahrensgebühr wird im Antrag des Verteidigers auch um mehr als 20% überschritten, sodass sie von der Kammer festzusetzen war.“

Darüber, ob das so zutreffend ist, kann man streiten.

Pflichti I: Abwarten mit der Beiordnung, oder: Diese dauernde „Kungelei“ ist kein Versehen….

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Der Kollege M. Hayn aus Köln hat mir den LG Köln, Beschl. v. 09.04.2018 – 101 Qs 21/18 – übersandt. Es ging mal wieder um die nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung. Der Kollege stellt seinen Antrag in einem Zeitpunkt, zu dem sich der Mandant in U-Haft befindet, also ein Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO. Und dann das häufog zu beobachtende „Spiel“: Es passiert nichts, das Verfahren wird dann aber nahc § 154 StPO eingestellt und dann heißt es: Nachträglich Pflichtverteidigerbestellung gibt es nicht. Das LG Köln sagt: So nicht:

„Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO lagen zum Zeitpunkt der Antragstellung vor, da der Angeschuldigte sich in anderer Sache in Untersuchungshaft befand. Soweit das hiesige Verfahren mittlerweile gemäß § 154 StPO im Hinblick auf das Verfahren in dem Untersuchungshaft vollstreckt wird, eingestellt worden ist, macht die Beschwerdebegründung zu Recht geltend, dass eine Pflichtverteidigerbeiordnung ausnahmsweise auch nachträglich nach einer Verfahrenseinstellung zu erfolgen hat.

Die Kammer schließt sich insoweit der Auffassung des LG Mühlhausen (Beschluss v. 01.12.2017—3 Qs 205/17 — juris) an, dass die Unzulässigkeit einer rückwirkenden Pflichtverteidigerbestellung nicht ausnahmslos gelten darf. Entscheidend für eine Ausnahme ist demnach, dass der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig gestellt wurde und die Frage einer Beiordnung entscheidungsreif war. Dies ist vorliegend der Fall. Der Angeschuldigte befindet sich seit dem 24.08.2017 in Untersuchungshaft, der Antrag auf Beiordnung wurde durch die Verteidigung am 06.12.2017 gestellt und war mithin entscheidungsreif. Die Einstellung des Verfahrens erfolgte jedoch erst am 29.12.2017 (BI. 22 dA). Ob die Gründe, warum der Antrag nicht zeitnah beschieden worden ist, nachvollziehbar ist oder nicht, ist aus Sicht der Kammer ohne Bedeutung. Hierbei handelt es sich um Umstände, die dem Einfluss der Verteidigung vollständig entzogen sind und aus denen daher auch kein Nachteil erwachsen kann.“

Diese Vorgehensweise ist so häufig festzustellen/zu beobachten, dass man m.E. nicht mehr von einem „Versehen“ sprechen kann.

Den vom LG Köln erwähnten LG Mühlhausen, Beschl. v. 01.12.2017 – 3 Qs 205/17 – hatte ich hier übrigens auch (s. dazu  Pflichti III: Abwarten mit der Beiordnung geht nicht, oder: Diese “Kungelei”…..).