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Corona I: “Gelber Judenstern” mit “Ungeimpft”, oder: Nochmals – strafbar wegen Volksverhetzung?

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Ich beginne die Woche erneut mit „Corona-Entscheidungen“. An sich hatte ich etwas anderes geplant, aber das verschiebe ich dann auf morgen. Ich habe nämlich in der letzten Woche zwei interessante Entscheidungen zu Corona übersandt bekommen.

Zunächst stelle ich hier den LG Köln, Beschl. v. 04.04.2022 – 113 Qs 6/22 – vor. Es geht noch einmal um die Frage der Volksverhetzung (§ 130 StGB) in Zusammenhang mit dem „Verwenden“ des sog. „gelben Judensterns“ mit dem Aufdruch „Ungeimpft“. Dazu hatte ich in der vergangenen Woche den LG Aachen, Beschl. v. 18.08.2022 – 60 Qs 16/22 – zur Frage der Strafbarkeit der Verwendung des Sterns in einem Facebook-Profil (vgl. Corona I: “Gelber Judenstern” mit “Ungeimpft”, oder: Strafbar wegen Volksverhetzung?). Das Posting hat die Mitglieder der 13. Strafkammer des LG Köln veranlasst, mit „ihren“ Beschluss zu übersenden, den ich heute dann vorstelle.

Es geht wieder um einen vom AG abgelehnten Strafbefehl. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeschuldigten vor, „am 31.07.2021 einen weißen PKW der Marke Opel mit dem amtlichen Kennzeichen xxx auf einem für jedermann einsehbaren Parkplatz in der R-Straße 22 in K abgestellt zu haben, auf dem ein gelber sogenannter „Judenstern“ mit der Aufschrift „UNGEIMPFT“ angebracht gewesen sei. Darin sieht sie den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB erfüllt. “ Das AG lehnt den Erlass des Strafbefehls ab. Dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

„Das allgemein sichtbare Abstellen eines PKW mit einem sogenannten „Judenstern“ mit der Aufschrift „UNGEIMPFT“ erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB, da es unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlungen der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich verharmlost.

Das Zeigen eines sogenannten „Judensterns“ mit der Aufschrift „UNGEIMPFT“ verharmlost unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlungen der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art.

Das Handlungsmerkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der Äußernde die Anknüpfungstatsache herunterspielt, beschönigt, in ihrem wahren Gewicht verschleiert oder in ihrem Unwertgehalt bagatellisiert bzw. relativiert. Der Täter muss in qualitativer oder quantitativer Hinsicht Art, Ausmaß, Folgen oder Unrechtsgehalt einzelner oder die Gesamtheit nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen bagatellisieren (vgl. Krauß, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 130 Rn. 107). Als Gegenstand der Verharmlosung erfasst werden sämtliche nationalsozialistische Gewalt- und Willkürmaßnahmen wie Massenvernichtungen, Menschenversuche im Konzentrationslager, Zufügung schwerer körperlicher und seelischer Schäden, Zwangssterilisationen, Schaffung unmenschlicher Lebensbedingungen durch Einweisung in Konzentrationslager, Verfolgung und Ächtung nebst völligem Eigentumsentzug oder Ghettoisierung (vgl. Krauß, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 130 Rn. 108).

Der sogenannte „Judenstern“ mit der Aufschrift „UNGEIMPFT“ soll die Situation derjenigen, die in der heutigen Zeit in Deutschland nicht gegen die Infektionskrankheit Covid-19 geimpft sind, mit der Situation der jüdischen Menschen während der Zeit des Nationalsozialismus gleichstellen, denn diese Menschen mussten den sogenannten „Judenstern“ tragen.

Mit der „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 01.09.1941, RGBl. I S. 547, in Kraft getreten am 19.09.1941, wurde in § 1 Abs. 2 angeordnet, dass es „Juden (§ 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935), die das sechste Lebensjahr vollendet haben, […] verboten [ist], sich in der Öffentlichkeit ohne einen Judenstern zu zeigen“, sowie in § 1 Abs. 2: „Der Judenstern besteht aus einem handtellergroßen, schwarz ausgezogenen Sechsstern aus gelbem Stoff mit der schwarzen Aufschrift ‚Jude‘. Er ist sichtbar auf der linken Brustseite des Kleidungsstücks fest aufgenäht zu tragen.“ In § 4 der Verordnung wurde „Geldstrafe bis zu 150 Reichsmark oder […] Haft bis zu sechs Wochen“ für den Fall der Zuwiderhandlung angedroht.

Ungeimpften wurden während der Covid-19-Pandemie im Vergleich zu Geimpften weitergehende Einschränkungen auferlegt. Das betrifft etwa die Regelungen zu Isolation und Quarantäne oder den Besuch von bestimmten Geschäften und Gaststätten. Diese Regelungen, die auf dem Infektionsschutz fußten und die zu allenfalls unangenehmen Einschränkungen im Alltag führten, waren Gegenstand auch bundesverfassungsgerichtlicher Überprüfung (vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 19.11.2021, 1 BvR 781/21 u. a.).

An denjenigen, die den sogenannten „Judenstern“ zur Zeit des Nationalsozialismus tragen mussten, wurde hingegen mit der Shoah von 1941 bis 1945 ein Völkermord verübt, der das Ziel hatte, sämtliche Juden und Jüdinnen im deutschen Machtbereich zu töten, dem etwa sechs Millionen von ihnen zum Opfer fielen und der von einer vollständigen Entrechtung vorbereitet und begleitet wurde.

Wer diese beiden Sachverhalte mittels Tragen des vorbeschriebenen Sterns gleichstellt, bagatellisiert das Ausmaß des Unrechts der Shoah und verharmlost damit den unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermord im Sinne des § 6 Abs. 1 VStGB (so zu einem Plakat mit der Aufschrift „Hetze in Deutschland“ und darunter nebeneinander gestellten Abbildungen eines sogenannten „Judensterns“ mit den Jahreszahlen „1933-1945“ sowie des Logos der Partei „Alternative für Deutschland“ mit der Jahreszahl „2013-?“ auch BayObLG, Beschluss vom 25.06.2020, 205 StRR 240/20, Rn. 8 – juris [die gegen das Urteil gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.09.2021, 1 BvR 1787/20]; ohne Begründung ablehnend hingegen Fischer, StGB, 69. Auflage 2022, § 130 Rn. 27; vgl. zum Meinungsstand auch „Ist das Tragen von ‚Ungeimpft‘-Sternen strafbar?“, Artikel vom 02.03.2022, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ungeimpft-judenstern-strafbar volksverhetzung-verharmlosung-holocaust-olg-entscheidungen/ – abgerufen am 04.04.2022, demzufolge zustimmend Heger und Kubiciel, ablehnend Hoven und Jahn).

Der angestellte Vergleich lässt sich auch nicht auf eine Gleichstellung von vermeintlicher öffentlicher Hetze gegen Ungeimpfte und deren angeblicher Stigmatisierung mit Hetze und Stigmatisierung betreffend jüdische Menschen im Nationalsozialismus – und damit unter Umständen nicht § 6 Abs. 1 VStGB unterfallenden Handlungen – reduzieren (so zu dem vorbeschriebenen Plakat auch BayObLG, Beschluss vom 25.06.2020, 205 StRR 240/20, Rn. 8 – juris). Die Verpflichtung zum Tragen des sogenannten „Judensterns“ mit oben dargestellter Verordnung vom 01.09.1941 war Teil der bereits kurz nach Machtübernahme der Nationalsozialisten mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 07.04.1933, RGBl. I S. 175, beginnenden und später etwa mit den sogenannten „Nürnberger Gesetzen“ vom 15.09.1935 (insbesondere dem „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ sowie dem „Reichsbürgergesetz“, beide RGBl. I S. 1146) fortgesetzten vollständigen Entrechtung jüdischer Menschen und steht überdies im unmittelbaren zeitlichen und geistigen Zusammenhang mit der 1941 grundsätzlich und auf der Wannseekonferenz am 20.01.1942 in ihrer organisatorischen Ausgestaltung beschlossenen restlosen Ermordung der europäischen Juden und Jüdinnen.

Die Tathandlung erfolgte auch öffentlich. Davon ist auszugehen, wenn sie unabhängig von der Öffentlichkeit des fraglichen Ortes von einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis unmittelbar wahrgenommen werden kann, wobei maßgeblich ist, dass der Täter aufgrund der Unüberschaubarkeit des Adressatenkreises die Wirkungen seiner Äußerung nicht abzusehen vermag (vgl. Krauß, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 130 Rn. 110).

Wird ein PKW wie hier mit einem farblich auffälligen Aufkleber von außen frei einsehbar auf einem Parkplatz abgestellt, sind diese Voraussetzungen unabhängig davon erfüllt, ob es sich um einen öffentlichen Parkplatz handelt.

Die Tathandlung ist auch in einer Art und Weise erfolgt, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Anders als in den Fällen der Leugnung und der Billigung, in denen die Störung des öffentlichen Friedens indiziert ist, ist für den Fall der Verharmlosung die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens eigens festzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018, 1 BvR 2083/15, Rn. 23 – juris). Im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG genügt insoweit nicht eine „Vergiftung des geistigen Klimas“ oder eine Kränkung des Rechtsbewusstseins der Bevölkerung durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte – eine Verharmlosung des Nationalsozialismus als Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser Zeit allein begründen eine Strafbarkeit deshalb nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018, 1 BvR 2083/15, Rn. 24 ff. – juris). Eine Verurteilung kann jedoch dann an Meinungsäußerungen anknüpfen, wenn sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018, 1 BvR 2083/15, Rn. 27 – juris).

Unter Berücksichtigung des Gehalts der fraglichen Äußerung sowie sämtlicher Äußerungsmodalitäten einschließlich des zur Tatzeit – also am 31.07.2021 – herrschenden geistigen Klimas (vgl. zu diesen Gesichtspunkten Krauß, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 130 Rn. 112) ist von einer solchen Eignung zum unmittelbaren Auslösen von rechtsgutgefährdenden Folgen und damit von der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens gemäß den bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben auszugehen.

Spätestens im Laufe des Jahres 2021, in dessen Mitte die hiesige Tat begangen wurde, kam es zu zunehmenden Gewalttaten durch Personen, die sich durch die Schutzmaßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie in ihren Rechten beschnitten sahen und sich gegen eine vermeintliche unrechtmäßige Unterdrückung mit Angriffen etwa auf Personen, die die Schutzmaßnahmen durchzusetzen suchten, meinten wehren zu müssen:

Insgesamt gab es im Jahr 2021 mehr als 300 gewalttätige Angriffe im Zusammenhang mit den Schutzmaßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie (vgl. „Die Pandemie der Gewalt“, Artikel vom 10.02.2022, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-02/corona-angriffe-deutschland-coronaleugner-gewalt – abgerufen am 04.04.2022). Ein Täter eines solchen Angriffs, der derzeit vor dem LG Bad Kreuznach wegen Mordes an Alexander W. angeklagte Mario N. hat in der dortigen Hauptverhandlung angegeben, dass er den als Tankstellenkassierer tätigen Studenten am 18.09.2021 – sieben Wochen nach der hiesigen Tat – erschossen habe, nachdem dieser ihn auf die Maskenpflicht hingewiesen habe, weil ihn die Corona-Schutzmaßnahmen, insbesondere die Maskenpflicht, zermürbt hätten (vgl. „Ich war wie in einem Film, aus dem ich keinen Ausweg fand“, Artikel vom 25.03.2022, https://www.sueddeutsche.de/panorama/bad-kreuznach-idar-oberstein-prozess-tankstelle-gestaendnis-1.5554878 – abgerufen am 04.04.2022). Einzelnen Teilnehmern und Teilnehmerinnen von Demonstrationen gegen die Covid-19-Schutzmaßnahmen attestierte Ende des Jahres 2021 der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul: „Die sind brandgefährlich, weil sie mittlerweile nicht nur reden, schwätzen, sich gegenseitig hochstacheln, sondern auch zu Taten schreiten“ und bei diesen Demonstrationen kam es Ende 2021 – mithin in der Zeit unmittelbar nach der hiesigen Tat – zu zunehmenden Verletzungen auch von Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen (vgl. „Die sind brandgefährlich“, Artikel vom 13.12.2021, https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-demo-deutschland-proteste-gewalt-1.5486489 – abgerufen am 04.04.2022).

Jedenfalls vor diesem Hintergrund erscheint die hiesige Tat geeignet, reale Gefährdungen von Rechtsgütern herbeizuführen. Denn wenn die Situation von Ungeimpften heute in Deutschland mit denen der europäischen Juden und Jüdinnen im Nationalsozialismus gleichgesetzt wird, wird den Ungeimpften eine Position der absoluten Entrechtung attestiert, in der es auch mit Gewalt berechtigt wäre, sich gegen den Unterdrücker zu wehren. Die Gleichstellung bleibt nicht rein geistig, sondern trifft auf die vorbeschriebene Situation, in der bereits tatsächlich Menschen, die sich zu Unrecht von den Covid-19-Schutzmaßnahmen eingeschränkt sehen, eine Vielzahl von Gewalttaten gegen diejenigen, von denen sie sich unterdrückt fühlen, begehen. Jede weitere Gleichstellung von Covid-19-Schutzmaßnahmen mit der Shoah ist deshalb geeignet, Bestätigung für die selbstempfundene Situation der Entrechtung und damit Rechtfertigung für den gewaltsamen Widerstand zu liefern und so den öffentlichen Frieden zu gefährden (ebenso für das oben beschriebene Plakat BayObLG, Beschluss vom 25.06.2020, 205 StRR 240/20, Rn. 5 – juris; ablehnend für auf einem öffentlich einsehbaren Facebook-Profil gepostete Bilder von sogenannten „Judensternen“ mit den Aufschriften „nicht geimpft“, „AFD Wähler“, „SUV Fahrer“ und „Islamophob“ Saarländisches OLG, Urteil vom 08.03.2021, Ss 72/2020 (2/21), Rn. 22 ff. – juris).“

Ich denke, dass die Rechtsfrage auch irgendwann der BGH entscheiden wird/muss.

Der im Vorprozess mit der Sache befasste Richter, oder: Befangen im Vergütungsprozess?

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Und als zweite dann der schon etwas ältere LG Köln, Beschl. v. 10.02.2022 – 3 S 9/21. Das LG hat zu der Frage Stellung genommen, ob der im Vorprozess bereits mit der Sache befasste Richter bei dem Erlass der Entscheidung im späteren Anwaltsvergütungsprozess ausgeschlossen ist bzw. die Besorgnis der Befangenheit angenommen werden kann. Das LG hat die Frage verneint:

„2. Die Mitwirkung der im Vorprozess mit der Sache befassten Richter bei dem Erlass der Entscheidung im späteren Anwaltsvergütungsprozess stellt ferner weder einen gesetzlichen Ausschlussgrund noch einen Ablehnungsgrund wegen Besorgnis der Befangenheit dar. Nach § 41 Nr. 6 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes in Sachen ausgeschlossen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Seine Mitwirkung an einer anderen Entscheidung als der angefochtenen reicht hingegen nicht aus (BGH, NJW 1960, 1762). Im Streitfall hat die abgelehnte Vorsitzende Richterin, die im Anwaltsvergütungsprozess in erster Instanz tätig werden soll, nur in einem Vorprozess mitgewirkt, der Anlass für die streitgegenständliche Vergütungsklage gegeben hat. Dieser Fall wird von dem klaren Wortlaut der Vorschrift nicht erfasst. (vgl. zur Frage des späteren Anwaltshaftungsprozesses BGH, Beschluss vom 18.12.2014 – IX ZB 65/13) Eine entsprechende Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO auf den hier gegebenen Fall der Vorbefassung scheidet ebenfalls aus. Entgegen der Auffassung des Klägers fehlt es schon an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Es geht im Anwaltsvergütungsprozess nicht um eine auch nur mittelbare Überprüfung der im Vorprozess ergangenen Entscheidung. Die Frage, ob dem Rechtsanwalt gegen den Mandanten eine Vergütung zusteht, ist nach gänzlich anderen Gesichtspunkten zu entscheiden als der Vorprozess. Welche rechtliche Beurteilung das mit dem Vorprozess befasste Gericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hatte, ist hingegen ohne Belang (BGHZ 174, 205 [209] = NJW 2008, 1309 Rn. 9).

3. Die bloße Mitwirkung an der im Vorprozess ergangenen Entscheidung stellt im nachfolgenden Vergütungsprozess auch keinen Ablehnungsgrund nach § 42 II ZPO dar. Begründete bereits die Mitwirkung im Vorprozess die Besorgnis der Befangenheit, führte dies auf dem Umweg über § 42 ZPO im Endergebnis zu einer unzulässigen Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 41 ZPO, die aus verfassungsrechtlichen Gründen ausgeschlossen ist. (BGH, Beschluss vom 18.12.2014 – IX ZB 65/13). Die Ablehnung von Richtern ist grundsätzlich nur dann begründet, wenn Gründe vorliegen, die geeignet sind, ein Misstrauen der Antrag stellenden Partei gegen die Unparteilichkeit der Richter zu rechtfertigen (§ 42 II ZPO). Entscheidend ist dabei die Frage, ob aus Sicht der Ablehnenden objektive Gründe vorliegen, die auch nach Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit der zuständigen Richter zu zweifeln (st. Rspr.; BGH, B v 26.04.2016 – VIII ZB 47/15 -, Rn. 21, juris, mwN). Daran fehlt es hier. Allein der Umstand, dass es einem Richter bei einer Zweitbefassung mit einem Sachverhalt zugemutet wird, den Fall neu und unabhängig zu durchdenken, reicht hierfür nicht aus. Aus objektiver Sicht ist es dem in typischer oder atypischer Weise vorbefassten Richter grundsätzlich zuzutrauen, dass er auch den neuen Fall ausschließlich nach sachlichen Kriterien löst (vgl. MüKoZPO/Gehrlein, § 42 Rn. 15 f.).

Das Vorbringen des Klägers ist darüber hinaus nicht geeignet, um bei vernünftiger Betrachtung Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der abgelehnten Vorsitzenden Richterin zu rechtfertigen. Besondere Umstände des Einzelfalls, aus denen sich ergeben könnte, dass die hier abgelehnte Vorsitzende Richterin aus der Sicht einer verständigen Partei gehindert sein könnten, den Anwaltsvergütungsfall objektiv und angemessen zu beurteilen, sind nicht ersichtlich. Soweit der Kläger angeführt hat, es bestehe die Besorgnis, dass die Vorsitzende Richterin im Vergütungsstreit nicht unvoreingenommen sei, und einen ihr unbequemen Prozessanwalt „abstrafen“ wollen, kann dies die objektive Annahme der Voreingenommenheit gegenüber dem Kläger nicht rechtfertigen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn über die Vorbefasstheit hinaus die Unparteilichkeit eines abgelehnten, mit der Sache vorbefassten Richters auf Grund von – das Gebot der Sachlichkeit verletzenden – Äußerungen, Maßnahmen oder Verhalten in Zweifel zu ziehen ist. (BGH, Beschluss vom 27. 4. 1972 – 4 StR 149/72). Dabei ist die subjektive Sicht des Klägers nicht ausschlaggebend. Auf einen objektiven Maßstab kann nicht verzichtet werden, wie schon aus dem Begriff (das Misstrauen) „rechtfertigen” ergibt. (BGH, NJW-RR 1986, 738) Unter Anlegung dieses objektiven Maßstabes ist eine Verletzung des Gebots der Sachlichkeit nicht gegeben. Die Beurteilung der Entscheidungsreife eines Rechtsstreits obliegt dem entscheidenden Spruchkörper, auch die Verpflichtung zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Inhalt eines gerichtlich beauftragten Sachverständigengutachtens sowie die gewissenhaften Befragung des Sachverständigen liegt in der Pflicht der Vorsitzenden und rechtfertigen es nicht, aus objektiver Sicht an der Unvoreingenommenheit der Vorsitzenden Richterin zu zweifeln. Gleiches gilt für die Protokollierung von von Seiten der Prozessvertreter getätigten Aussagen. Dass die Vorsitzende Richterin Aussagen protokolliert hat, die nicht getätigt wurden, hat der Kläger nicht vorgetragen.“

Wiedereinsetzung II: Unterrichtung des Verteidigers, oder: Verloren gegangener Briefumschlag

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Und zur Mittagszeit dann zwei weitere Entscheidungen zur Wiedereinsetzung. Beide sind im Strafbefehleverfahren ergangen, behandeln aber allgemeine „Wiedereinsetzungsfragen“. Die sind auch nicht neu, aber: Die Beschlüsse sind „Reminder“. Hier dann die Leitsätze:

Ist der Briefumschlag, mit dem ein Beschwerdeführer die rechtzeitige Absendung eines Rechtsmittels belegen könnte, nicht mehr vorhanden, kann auf eine Glaubhaftmachung verzichtet werden und. die „schlichte“ Erklärung als geeignet angesehen werden, die richterliche Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit des behaupteten Versäumungsgrundes zu begründen.

Ein Angeklagter darf sich bei fehlenden gegenteiligen Anhaltspunkten grundsätzlich darauf verlassen, dass ein Verteidiger von Entscheidungen gegen ihn unterrichtet wird und dieser die notwendigen Schritte dagegen einleiten wird.

Verkehr III: Trunkenheitsfahrt nach „Mischkonsum“, oder: mischkonsumtypische Fahrfehler?

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Und zum Schluss des Tages dann noch der LG Köln, Beschl. v. 25.02.2022 – 117 Qs 25/22. Das AG hatte nach einer „Trunkenheitsfahrt“ – es wurde beim Beschuldigten Alkoholkonsum und Btm-Konsum festgestellt – die (vorläufige) Entziehung der Faherlaubnis abgelehnt. Dagegen die Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die das LG zurückgewiesen hat:

„Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen besteht kein dringender Tatverdacht dafür, dass der Beschuldigte am 28.11.2021 gegen 00:50 Uhr in Bergisch-Gladbach unter anderem im Bereich der Straße Rosenhecke im Straßenverkehr ein Kfz führte, obgleich er infolge des Genusses alkoholischer Getränke und Benzodiazepam (für ihn erkennbar) nicht dazu in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen.

1. Dafür, dass jemand infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage ist, ein Fahrzeug sicher zu führen, besteht die unwiderlegliche Annahme, wenn er zur Tatzeit einen Blutalkoholkonzentrationswert von 1,1 Promille oder höher aufwies. Im Falle eines BAK-Wertes von bis zu 1,1 Promille bedarf es grundsätzlich zusätzlicher äußerlich erkennbarer alkoholtypischer Ausfallerscheinungen, die auf eine Fahruntüchtigkeit schließen lassen. Dabei ist zu beachten, dass desto geringere Anforderungen an den Nachweis der Fahruntüchtigkeit durch weitere Umstände zu stellen sind, je höher die Blutalkoholkonzentration ist (Fischer, StGB, 68. Auflage, 2021, § 316 Rn. 35). Die Annahme relativer Fahruntüchtigkeit setzt stets die Feststellung irgendwelcher körperlicher Ausfallerscheinungen oder Fahrfehler voraus. Dabei ist zu beachten, dass nicht jeder Fahrfehler ohne weiteres auf relative Fahruntüchtigkeit schließen lässt.

Im Falle von Betäubungsmittelkonsum ist die Frage der Fahruntüchtigkeit ggf. anhand einer umfassenden Würdigung der Beweisanzeichen vorzunehmen, dabei ist die konsumierte Substanz sowie deren Eignung zur Verursachung fahrsicherheitsmindernder Wirkungen festzustellen, bei unklaren oder Misch-Intoxikationen können auch Rückschlüsse aus dem Erscheinungsbild ausreichen, wenn nur die sichere Feststellung möglich ist, dass zur Zeit der Tat eine aktuelle Rauschmittelwirkung vorlag (vgl. Fischer, aaO, Rn. 39a).

2. Nach diesem Maßstab lässt sich nach Aktenlage eine Fahruntüchtigkeit des Beschuldigten nicht mit dringender Wahrscheinlichkeit annehmen.

a) Die bei dem Beschuldigten am 28.11.2021 uni 01:38 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Alkoholkonzentration von 0,83 Promille auf (BI. 30 der Akte), wobei — basierend auf der Angabe des Beschuldigten, er habe am Vorabend gegen 18:00 Uhr / 18:30 Uhr letztmalig Alkohol konsumiert (BI. 5 der Akte) — nach Rückrechnung im Zeit-punkt der mutmaßlichen Tat von etwa rund 0,93 Promille Blutalkohol auszugehen ist. Eine alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit kann demnach nicht angenommen werden.

b) Auch für eine (relative) Fahruntüchtigkeit infolge von Alkohol- und Drogen- bzw. Medikamentenkonsum bestehen keine hinreichenden Anzeichen.

Zwar ist im Blut des Beschuldigten— zusätzlich zum Alkoholeinfluss — Benzodiazepam nachgewiesen worden (vgl. Ergebnismitteilung BI. 29 der Akte).

Nach Aktenlage gibt es jedoch weder alkohol- bzw. benzodiazepam- bzw. mischkons-umstypische Fahrfehler noch hinreichende körperliche Ausfallerscheinungen, die eine Fahruntüchtigkeit dringend nahelegen.

Insoweit hat der Beschuldigte zwar offensichtlich mit seinem Fahrzeug eine Bordstein-kante touchiert, wie sich aus den polizelichen Feststellungen sowie der anwaltlichen Einlassung ergibt (BI. 1ff, 36ff der Akte). Hinzu kommt ein Geschwindigkeitsverstoß. Auch bei Annahme eines dringenden Tatverdachts für einen — bestrittenen — Rotlicht-verstoß kann jedoch nicht auf eine Fahruntüchtigkeit geschlossen werden. Denn aus diesem Geschehen als solchem kann — wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat — nicht geschlossen werden, dass dies auf dem Substanzeinfluss beruht, weil es viele Ursachen haben kann, die nicht substanzbezogen sind. Ein für Substanzkonsum typi-scher Fahrfehler wie Schlangenliniennfahren, Abkommen von der Straße in spitzem Winkel o. A. (vgl. Kasuistik bei Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 316 Rn. 36f, 40f) ist nicht erkennbar.

Auch abseits von Fahrfehlern zeigte der Beschuldigte ausweislich der ärztlichen (BI. 12 der Akte) und polizeilichen Feststellungen (vgl. insbesondere sog. Torkelbogen, BI. 14 der Akte) keine körperlichen Beeinträchtigungen von einem Ausmaß, die für sich oder kumuliert die Annahme einer relativen Fahruntüchtigkeit trügen. Im sog. Torkelbogen ist von der Polizei zwar niedergelegt, dass der Beschuldigte unruhig gewesen sei und eine wechselnde Stimmung an den Tag gelegt habe, sowie dass seine Binde-häute wässrig/gerötet und seine Augen glänzend sowie glasig/wässrig gewesen seien. All dies kann auf Müdigkeit, Nervosität angesichts der Situation etc. zurückzuführen sein, konkrete Rückschlüsse auf die Fahrtauglichkeit lassen sich daraus nicht ziehen. Gleiches gilt für die polizeiliche Feststellung, der Beschuldigte habe gefroren und nach einer Jacke gefragt, obwohl die Raumtemperatur 22 Grad betragen habe und die Oberbekleidung angemessen gewesen sei (BI. 5 der Akte). Anlässlich der ärztlichen Untersuchung sind ebenfalls nur wenige Auffälligkeiten vermerkt, der berichtende Arzt hat zudem angegeben, es sei nur ein „leichter“ Einfluss von Alkohol und Medikamenten bemerkbar gewesen.“

Einspruch gegen Versäumnisurteil per Fax eingelegt, oder: Geht nicht mehr, nur noch durch beA

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Heute „Kessel-Buntes_Tag“ – wie immer am Samstag. Und ich stelle dann noch einmal zwei Entscheidungen zur aktiven Nutzungspflicht und/oder dem elektronischen Dokument vor. Die eine stammt aus einem Zivilverfahren, die andere ist im Strafverfahren ergangen.

Zunächst hier die Entscheidung aus dem Zivilverfahren. Das LG Köln nimmt im LG Köln, Urt. v. 22.02.2022 – 14 O 395/21 – kurz und zackig zur Zulässigkeit eines Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil Stellung. Das LG hat den Einspruch des Beklagten als unzulässig verworfem.

„Der Einspruch war zu verwerfen, weil er nicht in der gesetzlichen Form eingelegt worden ist (§ 341 ZPO).

Der Einspruch wird gemäß § 340 Abs. 1 ZPO durch Einreichung der Einspruchsschrift bei dem Prozessgericht eingelegt. Seit Beginn des Jahres 2022 gilt § 130d ZPO, wonach „vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt […] eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln“ sind. Insoweit ergeben sich die Einzelheiten aus § 130a ZPO. Auch die Einspruchsschrift nach einem Versäumnisurteil fällt als bestimmender Schriftsatz unter die Pflicht nach §§ 130a, 130d ZPO.

Vorliegend ist der Einspruch vom 13.01.2022 durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers lediglich per Fax am 14.01.2022 beim Landgericht Köln eingegangen. Dies genügt nicht den Anforderungen der §§ 130a, 130d ZPO. Die Einspruchsschrift ist auch nach dem Faxeingang nicht als elektronisches Dokument übermittelt worden.

Auch nach Hinweis des Gerichts vom 28.01.2022 auf diesen Umstand ist die Einspruchsschrift nicht als elektronisches Dokument übermittelt worden. Eine Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument nach § 130d S. 2 ZPO ist nicht dargelegt worden.

Die Erhebung des Einspruchs per Fax als Prozesshandlung ist folglich unwirksam und nicht zu beachten. Angesichts des Zeitablaufs seit Zustellung des Versäumnisurteils war der formnichtige Einspruch zu verwerfen.“

Ich verstehe nicht, warum man als Prozessbevommächtigte nicht auf den Hinweis des Gerichts reagiert und versucht zu retten, was noch zu retten ist.