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Vergütungsvereinbarung mit dem WEG-Verwalter, oder: Person des Rechtsanwalts bestimmen die Eigentümer

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Und heute dann etwas zur Vergütungsvereinbarung (§ 3a RVG).

Zunächst hier das LG Karlsruhe, Urt. v. 04.09.23 – 11 S 68/22 – zur Frage des wirksamen Zustandekommens eine Vergütungsvereinabrung.

Das LG sagt:

Bei einer die Wohnungseigentümergemeinschaft verpflichtenden Vergütungsvereinbarung muss zumindest die Person des Rechtsanwalts durch die Eigentümerversammlung bestimmt werden. Eine weitergehende Delegation an den Verwalter ist – abgesehen von tatsächlich geringfügigen Vergütungsbeträgen – durch Beschluss nicht möglich.

Mit der Begründung hat das das LG den Beschluss einer Eigentümerversammlung betreffend die Entscheidungskompetenz der Verwalterin zum Abschluss einer Honorarvereinbarung mit einem Anwalt für Beschlussklagen auf Passivseite für ungültig erklärt. Der Beschluss widerspricht nach Auffassung des LG einer ordnungsgemäßer Verwaltung. Denn bei einer Vergütungsvereinbarung müsste zumindest die Person des Anwalts durch die Eigentümerversammlung bestimmt werden (zur wohl überwiegend vertretenen Auffassung Bärmann, WEG, 15. Aufl., 2023, § 27 Rn. 180 f.). Ein praktischer Bedarf für Vergütungsvereinbarungen besteht in der Regel in WEG-Sachen nicht. Hinzukommt, dass nur bei einer Abrechnung nach RVG gewährleistet ist, dass im Obsiegensfall alle Kosten vom Gegner im Rahmen des Kostenfestsetzung erlangt werden können. Im Regelfall ist eine Vergütungsvereinbarung auch nicht von § 27 Abs. 1 WEG n.F. gedeckt. Etwas anderes kann nach Auffassung des LG Karlsruhe gelten, wenn es sich um tatsächlich geringfügige Beträge etwa in einer sehr großen Gemeinschaft handelt. Die Frage hat es aber dahinstehen lassen (können), weil im entschiedenen Fall alle Beschlussklagen auf Passivseite von der Delegation umfasst waren, also auch solche mit sehr hohen Streitwerten und entsprechend hoher Anwaltsvergütung.

Als Rechtsanwalt wird man sich also vor Abschluss einer Vergütungsvereinbarung mit einer WEG, die dabei vom Verwalter vertreten wird, darüber informieren, ob die Beschlusslage den Vorgaben der Entscheidung des LG Karlsruhe entspricht.

StPO III: Schutz höchstpersönlicher Rechtsgüter, oder: Wirksame Stellung des Strafantrags durch Vertreter?

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Und als letzte Entscheidung des Tages dann noch einmal der LG Karlsruhe, Beschl. v. 04.01.2023 – 16 Qs 98/22. Ja – „noch einmal“, denn der Beschluss ist schon zweimal Gegenstand der Berichterstattung gewesen (StGB III: Sind die Audioaufnahmen „unbefugt“ erstellt?, oder: Restriktive Auslegung bei Beweisnot und  StPO I: Voraussetzung für den Erlass eines Strafbefehls, oder: Hinreichender Tatverdacht gegeben?). Heute dann zum dritten Mal, und zwar wegen der Frage der rechtzeitigen Stellung des Antrags. Dazu das LG:

„2. Dem Erlass des Strafbefehls steht allerdings bereits ein nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis entgegen. Es fehlt an einem form- und fristgerecht gestellten Strafantrag der Geschädigten gegen den Angeschuldigten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes.

Die Strafverfolgung des Angeschuldigten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gem. § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB würde gem. §§ 205 Abs. 1 Satz 1, 77 Abs. 1, 77b Abs. 1 Satz 1 StGB, 168 Abs. 2 StPO voraussetzen, dass die Geschädigte zuvor form- und fristgerecht einen entsprechenden Strafantrag gestellt hat. Eine Verfolgung von Amts wegen ohne Strafantrag ist ansonsten auch bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses nicht möglich (im Umkehrschluss zu § 205 Abs. 1 Satz 2 StPO; vgl. BeckOK StGB/Dallmeyer, 55. Ed. 1.11.2022, StGB § 77 Rn. 4.1).

Die Frist zur Stellung eines Strafantrags gem. § 77b Abs. 1 StGB beträgt drei Monate nach Kenntniserlangung von der Tat und der Person des Täters. Diese Frist ist bereits abgelaufen, ohne dass die Geschädigte selbst einen Strafantrag in dieser Sache gegen den Angeschuldigten gestellt hätte.

Der Angeschuldigte fertigte die verfahrensgegenständlichen Audioaufnahmen am 31.08.2021. Am 16.09.2021 übergab der Angeschuldigte Kopien der Audioaufnahmen auf einem USB-Stick den Beamten des Polizeipostens Illingen. Es lässt sich anhand der Aktenlage auch nach Rücksprache mit dem Polizeiposten Illingen nicht sicher rekonstruieren, ob die Geschädigte bereits damals über die Audioaufnahmen informiert wurde.

Jedenfalls hatte die Geschädigte spätestens nach Akteneinsicht ihrer Bevollmächtigten am 26.01.2022 sicher Kenntnis von Existenz und Übergabe der von ihr durch den Angeschuldigten gefertigten Audioaufnahmen. Spätestens nach dem 26.04.2022 war damit die gem. § 77b Abs. 1 Satz 1 StGB maßgebliche Frist für einen wirksamen Strafantrag der Geschädigten abgelaufen. Bis dahin hat die Geschädigte selbst keinen entsprechenden Strafantrag gestellt.

Die Prozessbevollmächtigten der angeblich Verletzten haben zwar am 03.02.2022 mittels qualifizierter elektronischer Signatur über das besondere elektronische Anwaltspostfach gemäß der damaligen Fassung von § 32a Abs. 3 Alt. 1 StPO formgerecht ein Strafverfolgungsbegehren wegen der Audioaufnahmen im eigenen Namen zum Ausdruck gebracht. Strafanträge sind auch grundsätzlich von der Vollmacht der Geschädigten gedeckt gewesen. Der in dem Schriftsatz hervorgehobene Begriff „Strafanzeige“ steht der Behandlung als Strafantrag ebenfalls nicht entgegen (vgl. BGH NJW 1992, 2167).

Allerdings haben die Prozessbevollmächtigten die Strafverfolgung im eigenen Namen beantragt und nicht lediglich den Strafantrag ihrer Mandantin übermittelt. Der gesamte Schriftsatz der Bevollmächtigten differenziert zwischen der Geschädigten (“unsere Mandantin“) und den Bevollmächtigten (“wir“). Den Strafantrag stellen dabei die Bevollmächtigten im eigenen Namen (“wir“) und nicht im Namen ihrer Mandantin.

Es handelt sich somit erkennbar nicht lediglich um eine Vertretung in der Erklärung, sondern um die Fallgruppe einer „Vertretung im Willen“ über den Strafantrag selbst. Selbst mit entsprechender Vollmacht ist eine solche Vertretung im Willen nach vorherrschender Auffassung unwirksam, wenn das jeweilige Antragsdelikt immaterielle, höchstpersönliche Rechtsgüter betrifft (vgl. OLG Bremen, NJW 1961, 1489; RGSt 21, 231 (233); MüKoStGB/Mitsch, 4. Aufl. 2020, StGB § 77 Rn. 29; BeckOK StGB/Dallmeyer, 55. Ed. 01.11.2022, § 77 Rn. 20; krit. Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 77 Rn. 22 m.w.N.). So liegt der Fall bei der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes.“

StPO I: Voraussetzung für den Erlass eines Strafbefehls, oder: Hinreichender Tatverdacht gegeben?

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Und heute dann mal wieder drei StPO-Entscheidungen. Alle drei stammen von Landgerichten.

Die erste Entscheidung, den LG Karlsruhe, Beschl. v. 04.01.2023 – 16 Qs 98/22 – hatte ich bereits wegen einer der vom LG behandelten materiellen Fragen vorgestellt (vgl. hier StGB III: Sind die Audioaufnahmen „unbefugt“ erstellt?, oder: Restriktive Auslegung bei Beweisnot ). Ich komme heute dann auf den Beschluss zurück, und zwar wegen der Problematik in Zusammenhang mit der Problematik der Ablehnung des Strafbefehlserlasses durch das AG.

Dazu führt das LG aus:

„Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Amtsgerichts Maulbronn ist gem. §§ 311 Abs. 1, 408 Abs. 2 Satz 2, 210 Abs. 2 StPO statthaft und gem. §§ 311 Abs. 2, 35 Abs. 2 Satz 1 StPO form- und fristgerecht erhoben.

II.

Die sofortige Beschwerde ist indes unbegründet. Das Amtsgericht Maulbronn hat den Erlass des Strafbefehls nach § 408 Abs. 2 Satz 1 StPO zu Recht abgelehnt. Es fehlt vorliegend an dem für den Erlass eines Strafbefehls erforderlichen hinreichenden Tatverdacht gegen den Angeschuldigten wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gem. § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

Ein hinreichender Tatverdacht ist nur zu bejahen, wenn nach praktischer Erfahrung bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist (vgl. BGH, Beschl. v. 22.04.2003 – StB 3/03, juris, dort Rn. 9; BGH, Urt. v. 18.06.1970 – III ZR 95/68, juris, dort Rn. 15). Ein hinreichender Tatverdacht besteht dagegen nicht, wenn (i) nach Aktenlage offensichtlich ist, dass tatsächliche Zweifel am Schuldnachweis nicht zu überwinden sind oder (ii) ein nicht behebbares Verfahrenshindernis besteht oder (iii) der aufgrund der Ermittlungen wahrscheinliche Tatvorgang aus Rechtsgründen nicht strafbar ist (vgl. Maur in KK-StPO, 9. Aufl. 2023, § 408 Rn. 17; Szesny in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, 2017, Wirtschaftsstrafrecht, § 408 StPO Rn. 4).

1. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe – Zweigstelle Pforzheim – weist zunächst zu Recht darauf hin, dass unüberwindbare tatsächliche Zweifel am Schuldnachweis nicht offensichtlich sind. Verbleibende tatsächliche Zweifel am Tatnachweis berechtigen den Tatrichter lediglich dazu, analog § 202 Satz 1 StPO Nachermittlungen anzuordnen oder die Hauptverhandlung gem. § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO anzuberaumen (vgl. BeckOK StPO/Temming, 45. Ed. 01.10.2022, StPO § 408 Rn. 5; Szesny in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, 2017, § 408 StPO Rn. 4; a.A. AG Meiningen Beschl. v. 02.04.2009 – 340 Js 3972/08 – 8Cs, BeckRS 2010, 22265; KK-StPO/Maur, StPO, 9. Aufl. 2023, § 408 Rn. 9). Der Tatrichter darf den Strafbefehl in diesen Fällen aber nicht gem. § 408 Abs. 2 Satz 1 StPO ablehnen (vgl. MüKoStPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 408 Rn. 8). Weder kommt dem Tatrichter insoweit ein Ermessen zu noch greift der Grundsatz „in dubio pro reo“ bei der anzustellenden Wahrscheinlichkeitsprognose über den hinreichenden Tatverdacht (vgl. BGH, Urt. v. 18.06.1970 – III ZR 95/68, juris, dort Rn. 15 f.; Schmitt/Meyer-Goßner, StPO, 65. Aufl. 2022, § 408 Rn. 7 unter Verweis auf § 203 Rn. 2).“

Aber: Der Strafbefehl war aber auch aus anderen Gründen nicht zu erlassen.

StGB III: Sind die Audioaufnahmen „unbefugt“ erstellt?, oder: Restriktive Auslegung bei Beweisnot

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Und als dritte Entscheidung stelle ich dann heute den LG Karlsruhe, Beschl. v. 04.01.2023 – 16 Qs 98/22 – vor. Das LG hat über die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Ablehnung des von ihr beantragten Erlasses eines Strafbefehls entschieden. Das LG nimmt zu einigen verfahrenrechtlichen Fragen Stellung, insoweit komme ich auf die Entscheidung noch zurück. Hier will ich jetzt die materielle Frage vorstellen, zu der das LG Stellung genommen hat.

Beantragt worden war der Strafbefehl wegen der eines Verstoßes gegen § 201 StGB – Strafbarkeit wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes. Das LG führt aus, dass die vom Angeschuldigten gefertigten Audioaufnahmen nicht „unbefugt“ gefertigt worden sind:

„3. Der aufgrund der Ermittlungen wahrscheinliche Tatvorgang ist im Übrigen auch aus Rechtsgründen nicht strafbar. Dem Amtsgericht Maulbronn ist zuzustimmen, dass der Angeschuldigte die Audioaufnahmen nicht „unbefugt“ im Sinne von § 201 Abs. 1 StGB gefertigt

Maßstab hierfür ist nach zutreffender Auffassung indes nicht einmal, ob im engen Sinne ein Rechtfertigungsgrund nach §§ 32, 34 StGB vorliegt. Der Gesetzgeber hat der Rechtsprechung zu § 201 StGB vielmehr ausdrücklich aufgegeben „nach den besonderen Umständen des Falles zu entscheiden, ob das Handeln als nicht tatbestandsmäßig (…) anzusehen ist“ (Reg.Begr. BTDrs. 7/550, 236). In diesem Zusammenhang ist häufiger als sonst Raum für richterliche Abwägung und Wertung (BGH NJW 1979, 1513 (1514)).

Nach diesem Maßstab ist die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Handlung nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles nicht als tatbestandsmäßig anzusehen.

Der Angeschuldigte sah sich hier regelmäßig strafrechtlichen Vorwürfen und grenzüberschreitendem Verhalten in typischen Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen durch seine Ehefrau ausgesetzt. Ihm kam hierfür jedenfalls keine Alleinverantwortung zu. Der fortdauernde Konflikt mit seiner Ehefrau fand zusätzlich vor dem Hintergrund eines anhängigen Scheidungs- und Sorgerechtsstreits statt. Ausschließlich in diesem Gesamtkontext fertigte der Angeschuldigte die verfahrensgegenständlichen Audioaufnahmen.

Zusätzlich ist das Tatbestandsmerkmal „unbefugt“ i.S.v. § 201 Abs. 1 StGB im Rahmen von fortdauernden Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Personen immer dann besonders restriktiv auszulegen, wenn eine erkennbar in Beweisnot befindliche Person von ihr gefertigte Audioaufnahmen ausschließlich mit den für die Auseinandersetzung jeweils zuständigen Behörden teilt. So liegt der Fall hier.“

Pflichti III: Nochmals rückwirkende Bestellung, oder: Pro und Contra – pro hat Recht

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Und dann noch etwas zum Dauerbrenner im Bereich der §§ 140 ff. StPO, nämlich die Frage der Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung. Da gibt es zwei Lager, die sich gegenüber stehen. M.E. hat das Lager, das eine rückwirkende Bestellung des Pflichtverteidigers, insbesondere in den Fällen der Einstellung des Verfahrens (meist nach § 154 StPO) bejaht, ein leichtes Übergewicht.

Die Argumente in dieser Streitfrage sind ausgetauscht, so dass ich hier nur – der Vollständigkeit halber – die neueren Entscheidung pro/contra vorstelle. Und zwar.

Für die Zulässigkeit einer rückwirkenden Bestellung haben sich ausgesprochen:

– LG Karlsruhe, Beschl. v. 14.11.2022 – 16 Qs 62/22

– LG Münster, Beschl. v. 4.11.2022 – 22 Qs 41/22 – für einen Nebenklagefall

– LG Neuruppin, Beschl. v. 01.12.2022 – 12 Qs 17/22 jug.

Gegen die Zulässigkeit argumentieren:

– LG Braunschweig, Beschl. v. 23.11.2022 – 9 Qs 346/22

LG Oldenburg, Beschl. v. 06.12.2022 – 3 Qs 409/22

Ich meine, die Auffassung, die für die Zulässigkeit plädiert, ist zutreffend. Letztlich wird die Frage aber ggf. irgendwann mal der BGH entscheiden. Hoffentlich.