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(Mit)Haftung nach (Auffahr)Unfall am Stauende, oder: Muss man die Warnblinkanlage einschalten?

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Author Achim Engel

Und dann im zweiten Posting das LG Hagen, Urt. v. 31.05.2023 – 1 O 44/22 – zu der interessanten und bisher kaum (?) entschiedenen Frage, ob man als Fahrzeugführer verpflichtet ist, an einem Stauende die Warnblinkanlage einzuschalten.

Folgender Sachverhalt: Am 02.10.2019 gegen 11:26 Uhr befuhr der Beklagte zu 3) mit einem LKW Mercedes-Benz  den rechten Fahrsteifen der BAB 1 in Fahrtrichtung Köln ca. 600 Meter vor der Autobahnabfahrt Hagen-Nord, Gemarkung Hagen bei km 343,620. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 100 km/h. Hinter ihm fuhr der Versicherungsnehmer der Klägerin, mit seinem Pkw Lada. Wegen einer Staubildung auf dem rechten Fahrstreifen reduzierte der Beklagte zu 3) seine Geschwindigkeit innerhalb von 29 Sekunden von ca. 62 km/h auf ca. 11 km/h. Die Warnblinkanlage betätigte er nicht. Der hinter ihm fahrende Versicherungsnehmer der Klägerin – kranken- und pflegeversichert bei der Klägerin — reagierte auf die Staubildung jedenfalls nicht rechtzeitig und fuhr mit 50 km/h auf den vor ihm fahrenden LKW der Beklagten zu 2) auf.

Die BAB 1 ist dort dreispurig ausgebaut, ein Seitenstreifen ist rechtsseitig vorhanden. Zum Unfallzeitpunkt war die Fahrbahn trocken. Es war hell und bewölkt.

Der Versicherungsnehmer der Klägerin wurde aufgrund des Unfalls erheblich verletzt, lag im Koma und konnte auch nach mehreren Operationen und Behandlungen nicht vollständig genesen. Der Versicherungsnehmer ist nunmehr pflegebedürftig.

Der Krankenversicherung ergaben sich Kosten in Höhe von 155.180,16 EUR; der Pflegeversicherung in Höhe von 13.925,00 EUR.

Um deren „Verteilung“ wird gestritten. Das LG hat die Klage abgewiesen:

„Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz aus abgetretenem Recht gegen die Beklagten aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 249 BGB, 116 SGB.

1. Der Unfall war zwar für keinen der Beteiligten unabwendbar. Die einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs tritt jedoch hinter dem groben Verschulden des Versicherungsnehmers der Klägerin zurück.

Ein Ereignis ist unabwendbar, welches bei Anwendung möglich äußerster Sorgfalt nicht hätte abgewendet werden können. Hierbei ist der Maßstab eines gedachten Idealfahrers anzulegen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen haben die Beklagten darzulegen und zu beweisen.

Diesen Nachweis konnten die Beklagten nicht führen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Versicherungsnehmer bei Betätigen der Warnblinklichtanlage — welches unstreitig unterblieb — rechtzeitig auf das langsame Fahren des Beklagtenfahrzeugs reagiert hätte. Allein aus dem Umstand, dass nach dem Unfall dem Handy des klägerischen Versicherungsnehmers ein laufendes Video entnommen werden konnte, kann nicht sicher der Rückschluss gezogen werden, dass der Versicherungsnehmer dieses unmittelbar zum Zeitpunkt des Unfallereignisses angesehen habe und aus diesem Grunde abgelenkt gewesen sei. Weiteren Beweis haben die Beklagten für eine Unabwendbarkeit des Unfallereignisses nicht angetreten.

2. Die danach in die nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmende Haftungsabwägung einzubeziehende einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs tritt jedoch hinter dem groben Verschulden des Versicherungsnehmers der Klägerin zurück.

a) Umstände, welche zu einer erhöhten Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs geführt hätten, hat die Klägerin nicht dargelegt und nicht bewiesen.

Es liegt kein Verstoß des Beklagten zu 3) gegen § 1 Abs. 2 StVO vor.

Es bestand für den Beklagten, auch wenn er möglicherweise das letzte Glied eines sich bildenden Staus gewesen sein sollte — weshalb es hierauf im Ergebnis nicht ankommt —, keine Verpflichtung die Warnblinklichtanlage zu betätigen.

Eine solche Verpflichtung ergibt sich aus § 1 Abs. 2 StVO nämlich nicht bei jedem sich bildenden Stau, sondern nur dann, wenn sich aufgrund des Staus eine Gefährdungslage für den nachfolgenden Verkehr ergibt.

Aus der erweiterten Zulässigkeit der Verwendung des Warnblinklichts kann sich mittelbar eine Verpflichtung zu seiner Verwendung ergeben. Wie hinsichtlich der Warnzeichen nach § 16 Abs. 1 StVO ist Grundlage dafür § 1 Abs. 2 StVO. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Gefährlichkeit der Situation und deren Erkennbarkeit für den nachfolgenden Verkehr an. Für die Annäherung an einen Stau auf der Autobahn ist eine solche Verpflichtung vor der Änderung von § 16 Abs. 2 Satz 2 StVO abgelehnt worden; nach der geltenden Rechtslage, nach der für diesen Fall die Verwendung der Warnblinkanlage ausdrücklich erlaubt ist, kommt dies im Einzelfall durchaus in Betracht (Feskorn in: FreymannfWellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 16 StVO (Stand: 18.11.2022), Rn. 12). Die Einschaltung des Warnblinklichts bleibt aber grundsätzlich unzulässig, wenn keine Gefährdung, sondern nur eine Behinderung des Verkehrs vorliegt (Feskorn in: FreymannANellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 16 StVO (Stand: 18.04.2023), Rn. 11).

Wegen des Sichtfahrgebots muss ein Verkehrsteilnehmer grundsätzlich auch auf Bundesautobahnen mit der Gefahr rechnen, seine Geschwindigkeit unter Umständen plötzlich bis hin zum Stillstand abbremsen zu müssen. Kommt es — wie auf vielbefahrenen Strecken häufig — regelmäßig aus dem stockenden bis zähfließenden Verkehr heraus zu Stau oder wie vorliegend zu einem Rückstau an einer Autobahnausfahrt, bedarf es in der Regel keiner besonderen Warnung. Eine Warnung kann allerdings dort angebracht sein, wo das Stauende nicht gut zu erkennen ist (z.B. hinter einer Kurve oder Kuppe) und wo mit hohen Geschwindigkeitsdifferenzen zu rechnen ist.

Dass eine solche konkrete Gefährdungslage vorgelegen habe, hat die für eine erhöhte Betriebsgefahr darlegungs- und beweisbelastete Klägerin schon nicht dargelegt und auch nicht bewiesen.

Vorliegend ereignete sich der Verkehrsunfall auf der rechten Spur einer dreispurigen Autobahn, wobei nur der rechte Fahrstreifen von dem sich bildenden oder bereits gebildeten Stau betroffen war. Gerade wegen des vermehrt aufkommenden LKW-Verkehrs auf der rechten Fahrspur und häufig auftretenden Rückstaus wegen Autobahnabfahrten muss auf der rechten Fahrspur schon dem Grunde nach vermehrt mit Staubildungen gerechnet werden. Hinzu treten vorliegend gute Sichtverhältnisse, da es hell und. die Straßenführung ausweislich des in Augenschein genommenen Google-Maps-Ausdrucks über eine längere Strecke geradlinig war.

Daneben kann bei einer Reduzierung der Geschwindigkeit von ohnehin schon nur 62 km/h bei erlaubten 100 km/h innerhalb von 29 Sekunden auf 11 km/h nicht die Rede von einer abrupten und nicht vorhersehbaren Staubildung sein, welche bei so guten Sichtverhälthisses möglicherweise noch eine Gefährdungslage begründen könnte. Vielmehr zeigt der Fahrtenschreiber des Beklagtenfahrzeugs eine kontinuierliche und gemächliche Reduzierung der Geschwindigkeit des LKW’s auf.

Zudem hat die Klägerin keinerlei Beweis dafür angeboten, dass sich ein etwaiger Verstoß des Beklagten zu 3) gegen § 1 Abs. 2 StVO ursächlich auf den Unfall ausgewirkt habe. Dass der Versicherungsnehmer der Klägerin vorliegend ein betätigtes Warnblinklicht des bremsenden LKW wahrgenommen hätte, hat die für eine erhöhte Betriebsgefahr darlegungs- und beweisbelastete Klägerin nicht unter Beweis gestellt.

b) Dagegen ist von einem groben Verschulden des Versicherungsnehmers der Klägerin auszugehen. Fest steht nach unstreitigem Sachverhalt, dass der Versicherungsnehmer der Klägerin, welcher mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h auf das Beklagtenfahrzeug aufgefahren war, jedenfalls gegen § 4 StVO verstoßen hat. Da das Beklagtenfahrzeug schon 29 Sekunden vor dem Unfallereignis schon nur eine Geschwindigkeit von ca. 60 km/h aufgewiesen hatte, kann aus dem Auffahren des Versicherungsnehmers der Klägerin auf eine erhebliche Unachtsamkeit geschlossen werden. Insoweit streitet zugunsten der Beklagten die Vermutung eines Verstoßes gegen die Pflichten aus § 4 Abs. 1 StVO durch den Versicherungsnehmer der Klägerin. Andere Ursachen für das Auffahren ihres Versicherungsnehmers auf das vor ihm schon seit längerem deutlich langsamer fahrende Fahrzeug hat die Klägerin nicht dargelegt.

Hinter diesem groben Verschulden tritt die einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zurück.

Ob der Versicherungsnehmer zuvor einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat, kann dahingestellt bleiben. Auch in diesem Falle läge ein besonders grober Verkehrsverstoß vor, hinter welchem die einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zurückträte.“

Beisitzerin scheidet auf Antrag aus der Justiz aus, oder: Was ist mit den Gebühren für die „nutzlosen“ HV-Tage?

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Wer kennt als Verteidiger nicht das Problem: Eine Hauptverhandlung muss nach einigen Hauptverhandlungstagen ausgesetzt und neu begonnen werden. Dann stellt sich, wenn der Mandant später verurteilt wird, die Frage, ob der Mandant auch für die aufgrund der Aussetzung „nutzlosen“ Hauptverhandlungstermine die Terminsgebühren zahlen muss oder ob er ggf. von der Staatskasse Erstattung verlangen kann.

Mit der Problematik hatte es das LG Hagen zu tun. Dort begann am 10.08.2020 in einer Schwurgerichtssache die Hauptverhandlung. Anschließend wurden 12 Fortsetzungstermine durchgeführt. Weitere Termine waren bis einschließlich November 2020 angesetzt worden, und zwar insgesamt 32 Verhandlungstermine. Es wurden zwar zwei Ergänzungsschöffen eingesetzt, die an der Hauptverhandlung teilgenommen haben, Ergänzungsrichter wurden aber nicht hinzugezogen.

Der letzte Hauptverhandlungstermin fand dann am 21.09.2020 statt. Dann musste die Hauptverhandlung aufgrund des Umstandes, dass eine der teilnehmenden Berufsrichterinnen kurzfristig aus dem Justizdienst ausgeschieden ist, unterbrochen werden. Diese hatte ihren Entschluss, die Justiz verlassen zu wollen, Mitte September 2020 mitgeteilt. Eine im Verfahren in Aussicht genommene Verständigung nach§ 257c StPO war nicht zustande gekommen, so dass das Verfahren nicht rechtzeitig vor dem Ausscheiden der Richterin zum Abschluss gebracht werden konnte. Die Hauptverhandlung wurde sodann unterbrochen und am 14.01.2021 mit neuer Kammerbesetzung erneut begonnen.

Die Verteidiger der Angeklagten haben beantragt, die Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen insoweit nicht ihren Mandanten aufzuerlegen, als sie sich auf die 13 Hauptverhandlungstermine vom 10.08.20 bis 21.09.2020 beziehen sowie insoweit eine Kostengrundentscheidung zu treffen. Die hat das LG dann nicht im Urteil, aber mit LG Hagen, Beschl. v. 09.12.2021 – 31 Ks 2/20 –  im Kostenansatzverfahren getroffen. Es hat gem. § 21 Abs. 1 Satz 2 GKG von der Erhebung von Auslagen des Gerichts für die 13 Hauptverhandlungstermine vorn 10.08.2020 bis 21.09.2020 abgesehen. Im Übrigen hat es den Antrag, von einer Auferlegung der Kosten des Verfahrens sowie der notwendigen Auslagen der Angeklagten, soweit sie sich auf die 13 Hauptverhandlungstermine vom 10.08. bis 21.09.2020 beziehen, zurückgewiesen:

„2. Gem. § 465 Abs. 1 StPO hat der Angeklagte die Kosten des Verfahrens insoweit zu tragen, als sie durch das Verfahren wegen einer Tat entstanden sind, wegen derer er verurteilt wird. Eine diesbezügliche Kostenentscheidung hat die Kammer bereits mit dem Urteil getroffen.

Von diesem Grundsatz ist gem. § 21 Abs. 1 S. 1 GKG dann eine Ausnahme zu machen für solche Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären.

Eine unrichtige Behandlung der Sache ist vorliegend indes nicht ersichtlich. Eine Solche liegt vor, wenn ein Gericht oder ein sonstiger Bediensteter — etwa ein Gerichtswachtmeister — objektiv fehlerhaft gehandelt hat (BeckOK KostR/Dörndorfer, 35. Ed. 01.10.2021, GKG § 21 Rn. 3). Dabei ist aber nicht jeder Fehler ausreichend, sondern es muss sich um einen offensichtlichen und schweren Verfahrensfehler handeln (BGH, Beschl. v. 04.05.2005, Az.: XII ZR 217/04) oder in offensichtlich eindeutiger Weise materielles Recht verkannt werden (BFH, Beschluss vom 31.01.2014 — X E 8/13, Rn. 37).

Ein schwerwiegender Verfahrensfehler oder eine offensichtliche Verkennung materiellen Rechts ist vorliegend nicht ersichtlich. Die Unterbrechung des Verfahrens resultierte aus einer persönlichen und für die Gerichtsverwaltung nicht vorhersehbaren Entscheidung der ausgeschiedenen Richterin. Diese war gem. § 21 Abs. 2 Nr. 4 DRiG auf ihren schriftlichen Antrag hin aus dem Dienst zu entlassen, wobei der Zeitpunkt der Entlassung aus dem Dienst durch den Richter selbst bestimmt werden kann (Staats, DRiG, 1. Aufl. 2012, § 21 Rn. 8). Dabei wurde durch das Gericht sowohl versucht, die Richterin zu einer Verlängerung des Dienstverhältnisses bis zum Abschluss des hiesigen Verfahrens zu bewegen und auch einen schnelleren Abschluss des Verfahrens durch eine Verständigung herbeizuführen, was aber jeweils scheiterte.

Dass zwingend ein Ergänzungsrichter hätte eingesetzt werden müssen, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Gem. § 192 Abs. 2 GVG kann bei Verhandlungen von längerer Dauer der Vorsitzende die Zuziehung von Ergänzungsrichtern anordnen. Die Entscheidung, ob ein Ergänzungsrichter eingesetzt wird, trifft der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen (KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2019, § 192 GVG Rn. 4). Bei der Entscheidung ist die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Ergänzungsfalls zu berücksichtigen, wozu neben verfahrens- auch personenbedingte Umstände heranzuziehen sind (KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2019, GVG § 192 Rn. 4a). Zwar handelte es sich vorliegend um ein umfangreiches Verfahren, bei dem zunächst 32 Verhandlungstermine angesetzt worden waren. Diese wurden aber sämtlich in der Zeit von August bis November 2020 angesetzt, so dass es sich um einen überschaubaren Zeitraum von weniger als vier Monaten handelte. Zudem konnte auch davon ausgegangen werden, dass nicht sämtliche Termine benötigt werden würden, wie anhand der Tatsache erkennbar ist, dass der zweite Verfahrensdurchgang — wenn auch unter Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten G. — in nur 21 Verhandlungstagen beendet werden konnte. Es waren auch keinerlei Anzeichen dafür ersichtlich, dass seitens der sodann ausgeschiedenen Richterin damit zu rechnen gewesen wäre, dass diese derart plötzlich aus dem Dienst ausscheiden könnte.

3. Etwas anderes gilt aber für die Auslagen des Gerichts, die für die 13 Hauptverhandlungstermine vom 10.08.2020 bis 21.09.2020 angefallen sind.

Gem. § 21 Abs. 1 S. 2 GKG sind auch Auslagen, die durch eine von Amts wegen veranlasste Verlegung eines Termins oder Vertagung einer Verhandlung entstanden sind, nicht zu erheben. Hierbei ist beispielsweise auch der Fall erfasst, dass ein Termin aufgrund der Erkrankung eines Richters nicht stattfinden kann (BeckOK KostR/Dörndorfer, 35. Ed. 01.10.2021, GKG § 21 Rn. 3).

Zwar wurden vorliegend keine Termine von Amts wegen aufgehoben oder vertagt. Nach Auffassung der Kammer ist die vorliegende Situation des nachträglichen Ausscheidens einer zur Entscheidungsfindung berufenen Richterin aber vergleichbar mit der gesetzlich geregelten Konstellation: In beiden Fällen ist ein Termin, für den das Gericht Auslagen aufgewandt hat, ergebnislos verlaufen, ohne dass eine Verfahrensförderung erfolgen konnte, wobei dies durch Ursachen hervorgerufen wurde, die in die Sphäre des Gerichts fallen. Ob ein Termin hierbei schon im Laufe seiner Durchführung abgebrochen und vertagt werden muss oder ob dieser zunächst vollständig durchgeführt wurde und sich erst im Nachhinein herausstellt, dass das Ergebnis des Termins aufgrund einer in der Risikosphäre des Gerichts liegenden Ursache — hier das Ausscheiden der zur Entscheidung berufenen Richterin — unverwertbar ist, kann nach Auffassung der Kammer im Ergebnis nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung hinsichtlich der Erhebung von Auslagen führen. Da § 21 Abs. 1 S. 2 GKG auch kein „Verschulden“ im Sinne- einer unrichtigen Sachbehandlung voraussetzt, sondern es allein darauf ankommt, aus wessen Sphäre der Grund für nutzlos aufgewandten Aufwendungen herrührt, war daher von einer Erhebung der gerichtlichen Auslagen abzusehen, sofern diese für die 13 Hauptverhandlungstermine vom 10.08:2020 bis 21.09.2020 angefallen sind.

4. Sofern auch beantragt wurde, den Angeklagten die eigenen notwendigen Auslagen nicht aufzuerlegen, findet sich hierfür in § 21 GKG keine Grundlage. Die Norm erfasst nämlich, wie bereits an der systematischen Stellung im Gerichtskostengesetz erkennbar — ausschließlich Gerichtskosten. Einen Anspruch gegen die Staatskasse auf Erstattung von notwendigen Auslagen ergibt sich hieraus nicht (BGH NStZ-RR 2008, 31; BeckOK KostR/Dörndorfer, 35. Ed. 01.10.2021, GKG § 21 Rn. 1). Derartige Kosten sind als Schaden ggf. im Zivilrechtswege geltend zu machen.

5. Dabei erscheint es auch nicht unbillig, die Gerichtskosten sowie die notwendigen Auslagen der Angeklagten für die Verhandlungstage vom 10.08.2020 bis 21.09.2020 den Angeklagten aufzuerlegen. Gem. § 465 StPO sollen die Kosten des Strafverfahrens grundsätzlich von demjenigen getragen werden, der durch sein strafbares Verhalten Anlass zur Durchführung des Verfahrens gegeben hat. Dabei trägt dieser — im Falle eine Verurteilung — auch die Gefahr, dass durch das Verfahren mehr Kosten entstehen, als zur Feststellung seiner Schuld erforderlich gewesen wäre. Ein Anspruch auf „kosteneffiziente Strafverfolgung“ besteht insofern. nicht. Der Verurteilte trägt daher —vorbehaltlich des Eingreifens von Spezialregelungen mit abweichender Regelung —auch das Risiko, dass sich das Verfahren in die Länge zieht oder sich im Nachhinein als überflüssig herausstellende Maßnahmen, etwa Beweiserhebungen, ergriffen werden.“

M.E. so zutreffend.

Tabaksteuerhinterziehung bei 19.400 kg Virginia Tobacco Strips, oder: wann liegt „Rauchtabak“ vor?

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Author Fredderik

Kurz vor meinem Urlaub hatte mit der Kollege M. Wandt aus Iserlohn noch den LG Hagen, Beschl. v. 31.08.2018 – 71 Qs 16/18 – übersandt, den ich allerdings erst jetzt bringen kann.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren betreffend die Haftbeschwerde des Beschuldigten gegen einen Haftbefehl, der auf Tabaksteuerhinterziehung gestützt war. Der Beschuldigte hatte bei einer in Polen ansässigen Firma mindestens 19.400 kg Virginia Tobacco Strips bestellt, deren Lieferung gegenüber dem Finanzamt aber nicht zur Besteuerung angemeldet. Das AG war von „Rauchtabak“ gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 TabStG handele. Der Kollege Wandt hatte im Beschwerdeverfahren das Gutachten eines anderen Kollegen vorgelegt, der das anders gesehen hatte. Das LG hat sich dem angeschlossen:

„Gemäß § 112 Abs. 1 S. 1 StPO ist Voraussetzung für die Anordnung der Untersuchungshaft gegen einen Beschuldigten, dass er einer Tat dringend verdächtig ist, also die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte Täter einer Straftat ist (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 112, Rn. 5). An dieser Voraussetzung fehlt es hier, denn nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen besteht keine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich der Beschuldigte gemäß §§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, 1 Abs. 2 Nr. 3, 2 Abs. 1 Nr. 4, 17 Abs. 1, 23 Abs. 1 TabStG wegen Steuerhinterziehung strafbar gemacht hat.

Voraussetzung für eine entsprechende Strafbarkeit wäre, dass es sich bei den auf Veranlassung des Beschuldigten in die von diesem angemieteten Lagerräume eingelieferten Tobacco Strips um Rauchtabak im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 3 TabStG handelt, sie sich also ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignen. Hieran bestehen nach derzeitigem Ermittlungsstand jedoch zu erhebliche Zweifel, um eine große Wahrscheinlichkeit annehmen zu können.

Der Begriff der „industriellen Bearbeitung“ ist auszulegen als die üblicherweise in großem Maßstab anhand eines standardisierten Verfahrens stattfindende Umwandlung von Rohstoffen in materielle Güter (EuGH, Urteil vom 06.04.2017, Az.: C-638/15). Soweit in § 1 Abs. 2 Nr. 3 TabStG von einer „weiteren“ industriellen Bearbeitung die Rede ist, spricht dieser Wortlaut dafür, dass es maßgeblich darauf ankommt, ob bei der üblichen Herstellung in großem Maßstab noch mindestens eine industrielle Bearbeitung notwendig ist, damit sich der jeweilige Tabak zum Rauchen eignet.

Für die Frage, ob sich ein Tabakprodukt im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 3 TabStG „zum Rauchen eignet“, kommt es darüber hinaus nicht lediglich darauf an, ob im Falle der Verbrennung gasförmige Stoffe entstehen, die tatsächlich inhaliert werden können. Zum Rauchen „eignet“ sich Tabak vielmehr erst dann, wenn er als Genussmittel verwendet werden kann, der Rauch also einen für den Konsumenten üblichen Geschmack aufweist und mit der Inhalation keine zusätzlichen Gesundheitsgefahren verbunden sind, die über die Gesundheitsgefahren, die das Rauchen natürlicherweise mit sich bringt, hinausgehen.

Nach den Ausführungen in dem Rechtsgutachten des Rechtsanwaltes pp. ist hinsichtlich der hier verfahrensgegenständlichen Tobacco Strips noch mindestens ein industrieller Bearbeitungsschritt zu vollziehen, damit sie sich zum Rauchen eignen: Der Tabak muss noch fermentiert werden, also einen Gärungsprozess durchlaufen, im Zuge dessen der Nikotingehalt vermindert und blatteigene Eiweißverbindungen, die beim Rauchen das charakteristische Aroma der einzelnen Sorten überdecken würden, abgebaut werden. Im Zuge dieses Prozesses müssten Tabakchargen von mindestens 1000 kg über einen Zeitraum von vier bis sechs Monaten einer idealen Prozesstemperatur von 50°C bis 60°C ausgesetzt werden.

Hieraus ergibt sich, dass die Tobacco Strips in ihrem gegenwärtigen Zustand ohne industrielle Bearbeitung, nämlich den notwendigen Fermentationsvorgang, noch keinen Geschmack aufweisen, der von dem durchschnittlichen Konsumenten als üblich oder akzeptabel wahrgenommen würde. Außerdem weisen die noch nicht fermentierten Tobacco Strips noch einen zu hohen Nikotingehalt auf, wegen dessen möglicherweise toxischer Wirkung sie nicht zum Rauchen geeignet sind. So ist es allgemeinkundig, dass Überdosierungen von Nikotin zu Übelkeit und Erbrechen führen können (https://de.wikipedia.org/wiki/Nicotin#Toxische_VVirkung).

Die Stellungnahmen des Hauptzollamtes Bielefeld vom 7. Mai und 21. August 2018 führen zu keiner anderen Beurteilung. Diese setzen sich mit den detaillierten Ausführungen in dem Gutachten von Rechtsanwalt pp. nicht auseinander und beschränken sich auf die nicht näher begründete Behauptung, die Tobacco Strips könnten durch händisches Zerkleinern rauchfertig gemacht werden. Hieraus lässt sich jedoch gerade nicht entnehmen, dass sich der bei Verbrennung der zerkleinerten Tobacco Strips entstehende Rauch aufgrund seines Geschmacks und eines handelsüblichen Nikotingehalts im Sinne eines Genussmittels auch ohne weitere industrielle Bearbeitung unmittelbar zum Rauchen eignet. Auf den nach dem Gutachten von Rechtsanwalt pp.        noch notwendigen Prozess der Fermentation wird in den Stellungnahmen mit keinem Wort eingegangen.

Die hier vertretene Auffassung widerspricht auch nicht den Ausführungen im Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 06.04.2017, Az.: C-638/15. Denn in dem dortigen Verfahren stand fest, dass sich der streitgegenständliche Tabak nach einfacher Verarbeitung durch Zerkleinerung oder händisches Schneiden zum Rauchen eignete, während dies vorliegend nicht der Fall ist.

Darüber hinaus sprechen auch subjektive Gesichtspunkte gegen einen dringenden Tatverdacht, da nach der bisher unwidersprochenen Einlassung des Beschuldigten die Finanzbehörden zum Zeitpunkt der Einlieferung der Tobacco Strips am 19. September 2017 — zumindest nach außen hin — selbst noch die Auffassung vertraten, dass es sich bei Virginia Tobacco Strips um Rohtabak handele, so dass er davon ausgehen durfte, nicht dazu verpflichtet zu sein, sie zur Besteuerung anzumelden.“

Nicht alltäglich, aber kann man vielleicht mal gebrauchen.

Nur sehr knapp bemessene Verfahrensgebühren, oder: Wirklich gar nichts getan?

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Am Gebührenfreitag starte ich mit dem LG Hagen, Beschl. v. 05.04.2018 – 43 Qs 14/18 -, der sich mal wieder zur Bemessung der Rahmengebühren (§ 14 RVG) verhält. Das Verfahren gegen den Beschuldigten ist eingestellt worden. Die Verteidigerin macht die Gebühren aus abgetretenem Recht geltend. Sie setzt jeweils die Mittelgebühren an. Aber die sieht das LG nur für die Grundgebühr als angemessen an. Bei allen anderen Gebühren macht man erhebliche Abschläge. Die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren wird sogar nur in Höhe der Mindestgebühr gewährt:

Vor diesem Hintergrund durfte das Amtsgericht Schwelm hier im angefochtenen Beschluss hinsichtlich der oben zu 2. und 3. genannten Rahmengebühren die Kosten jeweils abweichend festsetzen. Die von der Beschwerdeführerin insoweit getroffene Gebührenbestimmung war nicht verbindlich, weil sie i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG als unbillig anzusehen war.

„1. Für die Verfahrensgebühr im vorbereitenden Verfahren liegt die angemessene Gebührenhöhe vorliegend bei 40,00 €. Damit stellt die von der Beschwerdeführerin angesetzte Gebühr in Höhe von 200,00 € eine deutliche Überschreitung um mehr als 20 % der als angemessen anzusehenden Gebühr dar.

Die Verfahrensgebühr im vorbereitenden Verfahren (Nr. 4104 VV RVG) sieht einen Gebührenrahmen von 40,00 € bis 290,00 € vor. Die Gebühr deckt die gesamte anwaltliche Tätigkeit im Ermittlungsverfahren ab, soweit sie nicht durch die Grundgebühr (Nr. 41 OO VV RVG) und etwaige Terminsgebühren (Nr. 4102, 4103 VV RVG) abgegolten wird (N. Schneider in Schneider/Wolf, RVG, 6. Aufl. 2012, vor VV 4104 f., Rn. 6). Somit werden von dieser Gebühr v.a. Besprechungen mit dem Mandanten und die Informationsaufnahme, Beratungen des Mandanten, Einsichtnahme in die Ermittlungsakten, Anfertigen von Schriftsätzen, Tätigkeit im Verfahren nach § 111a StPO sowie Verhandlungen mit Staatsanwaltschaft oder Gericht erfasst (vgl. N.Schneider a.a.O., VV 4101-4105, Rn. 18).

Vorliegend ist der in diesem Verfahrensabschnitt von der Beschwerdeführerin entfaltete Aufwand als weit unterdurchschnittlich anzusehen, sodass sich der Ansatz der geringsten Gebühr von 40,00 € rechtfertigt. Bereits im Rahmen der Grundgebühr wurde die Mandatsübernahme einschließlich der Entgegennahme der Erstinformationen durch den Mandanten sowie die Einsichtnahme in die äußerst übersichtliche und einen einfach gelagerten Sachverhalt betreffende Ermittlungsakte berücksichtigt und kann hier kein weiteres Mal zum Tragen kommen. Weitere Tätigkeiten, die über den Abgeltungsbereich der Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG) hinausgehen, sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Der Aufwand stellt sich damit insbesondere vor dem Hintergrund des äußerst einfach gelagerten Sachverhalts und der übersichtlichen Ermittlungsakte als weit unterdurchschnittlich dar.

2. Für die Verfahrensgebühr im ersten Rechtszug vor dem Amtsgericht liegt die angemessene Gebührenhöhe bei 100,00 €. Die von der Beschwerdeführerin mit 165,00 € angesetzte Gebühr übersteigt die als angemessen anzusehende Gebühr mithin ebenfalls um mehr als 20 %.

Die Verfahrensgebühr im ersten Rechtszug vor dem Amtsgericht (Nr. 4106 VV RVG) sieht einen Gebührenrahmen von 40,00 € bis 290,00 € vor. Sie deckt die gesamte Tätigkeit des Verteidigers nach dem Abschluss des vorbereitenden Verfahrens ab. Maßgeblich für die Bemessung der Höhe dieser Gebühr sind alle vom Verteidiger in diesem Verfahrensabschnitt erbrachten Tätigkeiten (Burhoff a.a.O., VV 4108-41 1 1, Rn. 14).

Hier beschränkte sich die Tätigkeit der Beschwerdeführerin auf die Fertigung eines gut eine Seite umfassenden Schriftsatzes, der zum größten Teil in einer reinen Rekapitulation des Inhalts der Ermittlungsakte bestand. Insbesondere auch vor dem Hintergrund des äußerst übersichtlich und einfach gelagerten Prozessstoffs ist auch hier das Ausmaß der dadurch veranlassten anwaltlichen Mühewaltung als unterdurchschnittlich zu bewerten und daher mit 100,00 € angemessen abgegolten.“

Unschön der Beschluss. Kein Wort zum Ausgangspunkt der Bemessung, nämlich der Mittelgebühr, und warum das Verfahren nicht zumindest durchschnittlich war. So klingt es für mich jedenfalls. Und für das vorbereitende Verfahren nur die Mindestgebühr? D.h.: Noch weniger geht gar nicht bzw. die Verteidigerin hat gar nichts getan. Allerdings: Dazu hätte man dann vielleicht vortragen sollen. Dann hätte das LG nicht schreiben können: „… sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich„.

 

Anfangsverdacht bei Unterhaltspflichtverletzung, oder: „Augen-zu-und-durch-Entscheidung“

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Urheber Norbert Nagel

Ich hatte mit dem (schönen) LG Neubrandenburg, Beschl. v. 12.120.2016 –     82 Qs 58/16 jug – die Woche eröffnet (vgl. Vier Pflichtverteidigungsfragen, oder: Landgerichte können auch anders). Dem folgt dann gleich noch ein LG-Beschluss, und zwar der LG Hagen, Beschl. v. 12.01.2017 – 44 Qs 8/17, den mir der Kollege P. Ziental aus Bochum vor einiger Zeit übersandt hat. Es geht um die nachträgliche Überprüfung einer Durchsuchungsmaßnahme in einem Verfahren wegen des Vorwurfs der Unterhaltsverletzung (§ 170 StGB). Das Verfahren geht zurück auf die Strafanzeige der ehemaligen Partnerin des Beschuldigten. Vorgeworfen wird dem Beschuldigten, dass er nicht die aufgrund eines Unterhaltstitels geschuldeten Unterhaltsbeträge zahle, sondern immer nur 180,00 €.  Im Rahmen einer Zeugenvernehmung bei der Polizei hatte die ehemalige Partnerin als Zeugin ferner angegeben, dass das ihr bekannte Konto des Beschuldigten nicht genügend Deckung aufweise und sie erfahren habe, dass der Beschuldigte über ein weiteres Konto verfügen solle, über das dieser seine Geschäfte abwickele. Als sie noch zusammengelebt hätten (bis ca. Anfang 2010) habe der Beschuldigte monatlich ca. 10.000 bis 15.000 Euro verdient. Er habe sich auch mehrere Immobilien in Kroatien gekauft, welche er teilweise vermiete. Über ihre Tochter habe sie zudem erfahren, dass der Beschuldigte sich eine Eigentumswohnung in pp. gekauft haben soll. Auf der Grundlage wird dann eine Durchsuchung angeordnet und durchgeführt. Der Beschuldigte legt Beschwerde ein. Und darauf stellt das LG nachträglich die Rechtswidrigkeit der Maßnahme fest und findet folgende „Haare in der Suppe“:

„Die Annahme eines ausreichenden Tatverdachts ist nicht haltbar. Der Verdacht der Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 Abs. 1 StGB) beinhaltet als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die Leistungsmöglichkeit des Täters, denn dieser muss tatsächlich zu einer mindestens teilweisen Leistung imstande sein (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 170 Rn, 8). In der angegriffenen Entscheidung finden sich keine Ausführungen dazu, dass und in welcher Höhe die Einkünfte des Beschuldigten über dem notwendigen Selbstbehalt liegen und er somit leistungsfähig ist.

Der Tatverdacht, dass der Beschuldigte über nicht deklariertes Einkommen in erheblicher Höhe verfügt, das er im Rahmen seiner Unterhaltspflichten nicht einsetzt, wird allein auf die Behauptungen der Kindsmutter in der Strafanzeige bzw. der polizeilichen Zeugenvernehmung gestützt. Dort hatte sie angegeben, dass der Beschuldigte über ein bislang unbekanntes Konto verfüge, über das er seine Geschäfte als selbständiger Trockenbauer abwickle. Zurzeit bezahle der Beschuldigte keinen Unterhalt, obwohl er in der Vergangenheit, als sie noch eine Beziehung geführt hätten, monatlich zwischen 10.000 und 15.000 Euro verdient habe. Sie gehe davon aus, dass er auch jetzt noch einen guten Verdienst habe. Auch habe der Beschuldigte noch Einkünfte aus der Vermietung mehrerer Immobilien in Kroatien.

Hierbei handelt es sich indes nicht um zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer über dem notwendigen Selbstbehalt liegende Einkünfte erzielt und er seine Unterhaltsverpflichtung erfüllen kann. Insoweit hat er durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 07.06.2016 der Staatsanwaltschaft Hagen gegenüber erklärt, dass es richtig sei, dass der Beschuldigte lediglich Unterhalt in Höhe von 180,00 Euro gezahlt habe. Hintergrund sei allerdings, dass der Beschuldigte in größerem Umfang nicht leistungsfähig sei, weil seine bereinigten Nettoeinkünfte die 1. Stufe der Düsseldorfer Tabelle nicht überschreiten würden. Aus diesem Grund werde durch ihn, den Verteidiger, derzeit auch ein Abänderungsverfahren gem. § 238 FamFG vorbereitet.

Tatsachenfundierte Anhaltspunkte dafür, dass das Amtsgericht an diesen Angaben des Beschwerdeführers zweifeln durfte, zeigt das Amtsgericht derweil nicht auf. Die Einlassung des Beschuldigten findet in dem Beschluss nicht einmal Erwähnung.

……

b) Überdies ist vorliegend jedenfalls auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen worden.

Eine Durchsuchung scheidet aus, wenn andere, weniger einschneidende — den Ermittlungszweck nicht gefährdende — Maßnahmen verfügbar sind (Meyer-Goßner/Schmitt, aa0, § 103 Rn. 15 m.w.N.). Zudem muss die Durchsuchung auch in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der (konkreten) Straftat und zur Stärke des Tatverdachts stehen. Hierbei sind auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren sowie der Grad des auf verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu berücksichtigen (Meyer-Goßner/Schmitt, aa0, § 103 Rn. 15a m.w.N,)

Bereits mit Schriftsatz vom 07.06.2016 hat der Verteidiger des Beschwerdeführers als Reaktion auf die Vorladung des Beschuldigten vom 11.04.2016 zur Beschuldigtenvernehmung und der erteilten Akteneinsicht mitgeteilt, dass der Beschuldigte in größerem Umfang als der von ihm gezahlten 180,00 Euro nicht leistungsfähig sei und aus diesem Grund werde durch ihn derzeit auch ein Abänderungsverfahren gem. § 238 FamFG vorbereitet. Folglich wusste der Beschwerdeführer bereits seit Mitte April 2016, dass gegen ihn wegen Verletzung der Unterhaltspflicht ermittelt und was ihm von der Kindsmutter konkret vorgeworfen wird. Bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses im Oktober 2016, mithin 6 Monate nach Kenntniserlangung von dem Ermittlungsverfahren, konnte deshalb nicht mehr mit großer Wahrscheinlichkeit mit einem Auffinden von entsprechenden Beweismitteln gerechnet werden….

Wenn ich die Beanstandungen des LG lese, meine ich, dass es sich bei der AG-Entscheidung um eine „Augen-zu-und-durch-Entscheidung“ gehandelt haben dürfte. Dazu passt dann ja auch der Satz des LG: „Die Einlassung des Beschuldigten findet in dem Beschluss nicht einmal Erwähnung.“.