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Verkehrsrecht II: Nochmals Kraftfahrzeugrennen, oder: Rennen auch bei Hintereinanderfahrt

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Die zweite Entscheidung, der BGH, Beschl. v. 08.12.2021 – 4 StR 224/20 – hat dann noch einmal den verkehrsrechtlichen Dauerbrenner der letzten Zeit zum Gegenstand, nämlich das Krfatfahrzeugrennen nach § 315d StGB.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Teilnahme an einem uner­laubten Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge und schwerer Gesundheitsbeschä­digung verurteilt. Dazu waren folgende Feststellungen getroffene:

Der Angeklagte war Eigentümer eines Motorrades mit einer Leistung von 100 kW; der Mitangeklagte verfügte über einen Pkw mit einer Leistung von 400 PS und einem speziellen Sportfahrwerk. Beide trafen sich, um mit ihren Fahrzeugen gemeinsam einen Straßenabschnitt zu befahren, der durch ein abwechslungsreiches Gefälle und einen großen Kur­venreichtum gekennzeichnet ist. Auf der gesamten Strecke existiert für jede Fahrtrichtung nur eine Fahrspur. Die Höchstgeschwindigkeit war auf 100 km/h, teilweise aber auch auf 60 km/h beschränkt.

Beide Angeklagte kamen überein, ge­meinsam zwei „Durchgänge“ zu fahren, bei denen dieser Straßenabschnitt je­weils in beide Richtungen (Berg- und Talfahrt) befahren werden sollte. Bei dem ersten „Durchgang“ sollte der Angeklagte mit seinem Motorrad als Führungsfahr­zeug vorausfahren und der Mitangeklagte mit seinem Fahrzeug nachfolgen. Der zweite „Durchgang“ sollte in umgekehrter Reihenfolge stattfinden. Ein gegensei­tiges Überholen sollte ausgeschlossen sein. Überholungen anderer Verkehrsteil­nehmer waren eigenverantwortlich vorzunehmen. Den Angeklagten kam es darauf an, ihre Fahr­zeuge auf der anspruchsvollen Strecke zu testen und miteinan­der zu vergleichen. Zu diesem Zweck sollte das nachfolgende Fahrzeug dicht an dem jeweiligen Führungsfahrzeug bleiben, das die Geschwindigkeit vorgeben sollte. Dabei ging es den Angeklagten darum, gemeinsam möglichst hohe Ge­schwindigkeiten zu erzielen. Bei dem zweiten „Durchgang“ übernahm der Mitan­geklagte mit seinem Pkw die Führungsrolle.

Bei der Talfahrt fuhr der Mitangeklagte mit überhöhter Geschwindigkeit (125,5 km/h) in die Rechtskurve ein, in der er schon im ersten „Durchgang“ die rechte Fahrspur nicht zu halten vermochte. Es kam zu einer Streifkollision mit einem entgegenkommenden Fahrzeug und einer Frontalkollision mit einem weiteren Fahrzeug. Der Fahrer des zweiten Fahrzeugs wurde dadurch getötet; sein mitfahrender Sohn schwer verletzt. Er ist seitdem zu 100 % behindert. Zwei der drei Insassen des ersten Fahrzeugs erlitten ebenfalls Verletzungen. Der Angeklagte erreichte erst wenige Sekunden nach der Kollision die Unfallstelle.

Die zuungunsten des Angeklagten mit dem Ziel einer Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikt eingelegten Rechtsmittel der Nebenkläger sind in­soweit erfolglos geblieben. Sie haben jedoch zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) zu einer Ände­rung des Schuldspruchs geführt:

„1. Die Verurteilung wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge und schwerer Gesundheitsbeschädigung gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 2 , Abs. 2 , Abs. 5 Alt. 1 und 2 StGB hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

„a) Allerdings ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte zusammen mit dem Mitangeklagten an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB teilnahm.

(1) Ein Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein Wettbewerb zwischen wenigstens zwei Kraftfahrzeugführern, bei dem es zumindest auch darum geht, mit dem Kraftfahrzeug über eine nicht unerhebliche Wegstrecke eine höhere Geschwindigkeit als der andere oder die anderen teilnehmenden Kraftfahrzeugführer zu erreichen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Teilnehmer zueinander in Bezug auf die Höchstgeschwindigkeit, die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit oder die schnellste Beschleunigung in Konkurrenz treten ( BGH, Urteil vom 11. November 2021 ? 4 StR 511/20 Rn. 17 mwN). Die besondere Gefährlichkeit von Kraftfahrzeugrennen in all diesen Konstellationen liegt darin, dass es zwischen den konkurrierenden Kraftfahrzeugführern zu einem Kräftemessen im Sinne eines Übertreffenwollens gerade in Bezug auf die gefahrene Geschwindigkeit kommt. Gerade diese Verknüpfung trägt die Gefahr in sich, dass dabei die Fahr- und Verkehrssicherheit außer Acht gelassen, der Verlust von Kontrolle in Kauf genommen und die Aufmerksamkeit auf das Verhalten des Konkurrenten gerichtet wird ( BGH, Urteil vom 11. November 2021 ? 4 StR 511/20 Rn. 19 mwN).

(2) Diese Voraussetzungen sind nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen erfüllt. Sie ergeben in ausreichendem Umfang, dass der Angeklagte und der Mitangeklagte ihre Fahrzeuge auf der dafür ausersehenen Strecke in ihrem Fahr- und Beschleunigungsverhalten, insbesondere in Kurven und aus Kurven heraus, miteinander vergleichen und damit in Bezug hierauf zueinander in Konkurrenz treten wollten. Auch die Durchführung von zwei „Durchgängen“ mit wechselnder Rollenverteilung, wobei das jeweils nachfolgende Fahrzeug dicht an dem die Geschwindigkeit vorgebenden Führungsfahrzeug bleiben sollte, lässt erkennen, dass ein Kräftemessen im Sinne eines Übertreffenwollens auch in Bezug auf die gefahrene Geschwindigkeit ins Auge gefasst war. Das dieser Abrede entsprechende Fahrverhalten, insbesondere des Mitangeklagten bei seinen Versuchen an dem vorausfahrenden Angeklagten „dranzubleiben“, lässt erkennen, dass der Verlust von Kontrolle in Kauf genommen und die Aufmerksamkeit auf das Verhalten des Konkurrenten gerichtet war. Schließlich wollten beide dabei möglichst hohe Geschwindigkeiten erzielen.

b) Die Feststellungen ergeben jedoch nicht, dass der Angeklagte den objektiven Tatbestand des § 315d Abs. 2 StGB verwirklicht hat, sodass es für die Annahme der hieran anknüpfenden Erfolgsqualifikation des § 315d Abs. 5 StGB (vgl. dazu Ernemann in SSW-StGB, 5. Aufl., § 315d Rn. 20 mwN) bereits an der Grundlage fehlt.

(1) Nach der Rechtsprechung des Senats erfüllt ein Teilnehmer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB den als eigenhändiges Delikt ausgestalteten Qualifikationstatbestand des § 315d Abs. 2 StGB in objektiver Hinsicht, wenn er durch sein eigenes Fahrverhalten während der Rennteilnahme eine konkrete Gefahr für eines der genannten Individualrechtsgüter verursacht und zwischen seinem Verursachungsbeitrag und dem Gefährdungserfolg ein innerer Zusammenhang besteht. Eine mittäterschaftliche Zurechnung des Rennverhaltens der anderen Rennteilnehmer und sich allein daraus ergebender konkreter Gefahren scheidet aus. Allerdings kann eine Nebentäterschaft vorliegen, wenn ein und derselbe Gefährdungserfolg von mehreren Rennteilnehmern herbeigeführt wird. Dies setzt aber voraus, dass sich die Rennteilnehmer in derselben Rennsituation befinden und zwischen den jeweiligen Mitverursachungsbeiträgen und dem konkreten Gefährdungserfolg ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht ( BGH, Urteil vom 11. November 2021 ? 4 StR 511/20 Rn. 26 mwN).

(2) Diese (objektiven) Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

(a) Die Strafkammer, der die neuere Rechtsprechung des Senats noch nicht bekannt sein konnte, hat angenommen, dass der Angeklagte als „mittelbarer Verursacher“ für die eingetretenen objektiven Gefährdungserfolge einstehen müsse, weil er durch die mit dem Mitangeklagten vorab getroffene Rennabrede und deren Umsetzung bei den nachfolgenden Fahrten eine Ursache hierfür gesetzt habe. Da sich der Mitangeklagte als Lenker des Führungsfahrzeugs im zweiten „Durchgang“ an den Tempovorgaben des Angeklagten im ersten „Durchgang“ orientiert habe, habe die von ihm im ersten „Durchgang“ an den Tag gelegte Fahrweise bis zum Eintritt der beiden Kollisionen im zweiten „Durchgang“ fortgewirkt.

(b) Mit diesen Erwägungen lässt sich eine Erfüllung des objektiven Tatbestands des § 315d Abs. 2 StGB nicht begründen. Die Beteiligung an der Rennabrede reicht dafür schon deshalb nicht aus, weil darin noch kein Fahrverhalten im Sinne dieser Vorschrift liegt. Das dem Angeklagten darüber hinaus angelastete Verhalten als Fahrzeugführer während des ersten „Durchgangs“ fand in einer anderen Rennsituation statt und kommt deshalb als Tathandlung des Qualifikationstatbestands ebenfalls nicht in Betracht. Dass der Angeklagte ? worauf es allein ankommt ? auch in der konkreten riskanten Rennsituation durch sein eigenes Fahrverhalten einen Verursachungsbeitrag zu der von dem Mitangeklagten herbeigeführten Kollision mit den Fahrzeugen der Geschädigten leistete, kann den Urteilsgründen dagegen nicht entnommen werden. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er den Mitangeklagten vor dessen Einfahrt in die Kurve durch ein bedrängendes Auffahren angetrieben hat. Vielmehr erreichte er die Unfallstelle nach den Feststellungen erst „wenige Sekunden nach der Kollision“.

c) Bei dieser Sachlage braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die Erfolgsqualifikation des § 315d Abs. 5 StGB in allen ihren Varianten überhaupt in Betracht kommen kann, wenn der Täter bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 315d Abs. 2 StGB ? wie hier von der Strafkammer angenommen ? nur in Bezug auf die Gefährdung von fremden Sachen von bedeutendem Wert, nicht aber hinsichtlich der Gefährdung von Leib und Leben anderer Menschen mit einem entsprechenden Gefährdungsvorsatz gehandelt hat. Der Senat neigt zu der Annahme, dass der Gefahrverwirklichungszusammenhang zwischen § 315d Abs. 2 und 5 StGB verlangt, dass sich im qualifizierenden Erfolg auch gerade der vorsätzlich herbeigeführte konkrete Gefahrerfolg niederschlägt (vgl. dazu Rengier in Festschrift für Kindhäuser, 2019, S. 779, 786 ff.). Dies ist aber in Bezug auf die Erfolgsqualifikation des Todes eines anderen Menschen gemäß § 315d Abs. 5 Var. 1 StGB nur dann der Fall, wenn der Täter bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 315d Abs. 2 StGB auch im Hinblick auf die Gefährdung des Lebens anderer Menschen vorsätzlich gehandelt hat. Die Erfolgsqualifikationen der schweren Gesundheitsbeschädigung und der Gesundheitsbeschädigung einer großen Zahl von Menschen ( § 315d Abs. 5 Alt. 2 und 3 StGB ) kommen danach nur dann in Betracht, wenn ein Vorsatz wenigstens in Bezug auf die Herbeiführung einer Leibesgefahr im Sinne des § 315d Abs. 2 StGB festgestellt ist.

Verkehrsrecht I: Noch einmal Kraftfahrzeugrennen, oder: Zu schnelles Konvoifahren?

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Hier gab es lange keinen Verkehrssrechttag 🙂 mehr gemacht. Heute habe ich drei landgerichtliche Entscheidungen zu der Problematik. Nichts wesentlich Neues, aber Fortschreibung der Rechtsprechung…..

Ich beginne mit dem LG Berlin, Beschl. v. 21.12.2020 – 502 Qs 102/20. Das „Weihnachtsgeschenk 2020“ für einen Beschuldigten, dem die Fahrerlaubnis wegen verbotener Kraftfahrzeugrennen vorläufig entzogen worden war. Das LG hat aufgehoben.

Folgender Sachverhalt:

„Dem Beschuldigten wird von der Amtsanwaltschaft Berlin vorgeworfen, mit dem von ihm geführten Fahrzeug Fahrzeug Audi A3 Sportback, pp., am 01. September 2020 gegen 21:50 Uhr vom Bereich der Kreuzung Rhinstr./Landsberger Allee in 12681 Berlin über den KreuzungsbereichRhinstraße/Pyramidenring bis hin zum     Kreuzungsbereich Rheinstraße/Rheinstraße gefahren zu sein. Dabei soll er vorausgefahren und der Mitbeschuldigte soll ihm mit dessen Fahrzeug VW Tiguan, pp.,  gefolgt sein. Im Bereich der Kreuzung Rhinstraße/Pyramidenring sei es zu einem Fahrstreifenwechsel beider Fahrzeuge gekommen, wobei ein vorausfahrendes Fahrzeug rechts ohne vorheriges Setzen von Fahrtrichtungsanzeigern überholt worden und eine derart hohe Geschwindigkeit erreicht worden sei, dass das verfolgende Polizeifahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 110 km/h den Abstand nur gering habe verringern können. Die gefahrene Gesamt-strecke habe ca. 770-800 m betragen. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf dem befahrenen Abschnitt der Rhinstraße beträgt 60 km/h (https://daten.berlin.de/datensaetze/tempolimits-wms-2). Die Beschuldigten hätten schließlich im Bereich der Kreuzung Rhinstraße/Rhinstraße aufgrund der rot abstrahlenden Lichtzeichenanlage scharf bremsen müssen und seien zum Stillstand gekommen.

Dazu das LG:

„1. Ein dringender Verdacht für eine Straftat nach § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB kommt nach Ansicht der Kammer bei vorläufiger Bewertung der Aktenlage nicht in Betracht, da das Verhalten des Beschuldigten nicht als Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen zu qualifizieren ist. Denn als Rennen im Sinne der Norm sind Wettbewerbe zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten oder höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten mit mindestens zwei teilnehmenden Kraftfahrzeugen zu verstehen (vgl. m.w.Nw. BeckOK StGB/Kulhanek, 48. Ed. 01 November 2020, § 315d, Rn. 11, MüKoStGB/Peget, 3. Aufl. 2019, § 315d, Rn. 7). Das Fahren im Konvoi muss dem Renncharakter zwar nicht widersprechen (BT-Drs.18/12964, S. 5), jedoch fehlt es hier an objektiven Indizien zur Feststellung eines wettbewerbsmäßigen Verhaltens des Beschuldigten. Zwar kann auch ein konkludentes Übereinkommen zur Durchführung eines wettbewerbsmäßigen Rennens ausreichen. Hierfür finden sich jedoch nach gegenwärtigem Ermittlungsstand keine objektiven Indizien (etwa das Ver-wenden von renntypischen Begrifflichkeiten, der Festlegung gemeinsamer Start-, Etappen- und Zielorte, das Nehmen der Zeit oder die Vorgabe konkreter Fahrtstrecken). Hier stellt sich der Sachverhalt lediglich als übereinstimmendes – für den Innenstadtbereich mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 60 km/h deutlich zu schnelles – Hintereinanderfahren unter Missachtung der Geschwindigkeitsbegrenzung und der Regeln zum Überholen dar, ohne dass es äußere Anhaltspunkte für einen zwischen den Fahrzeugen ausgetragenen Wettbewerb gibt.

2. Auch liegen nicht genügend tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB vor. Danach macht sich strafbar, wer sich im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer mit nicht an-gepasster Geschwindigkeit grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Diese Tatvariante soll nach dem gesetzgeberischen Willen primär Einzel-raser erfassen (BT-Drs.18/12964, S. 5), die für sich oder ein virtuelles Publikum ein Rennen nachstellen. Die Norm ist über die Erfassung des Einzelrasers hinaus von ihrem Wortlaut auch geeignet, als Auffangtatbestand für Fälle herzuhalten, in denen eine Subsumtion unter den Rennbegriff mangels Nachweises der wechselseitigen Übereinkunft nicht gelingt (s. BeckOK StGB/Kulhanek, 48. Ed. 01. November 2020, § 315d, Rn. 32), die jedoch aufgrund ihrer abstrakten Gefährlichkeit strafwürdig erscheinen. Diese Tatvariante ist auch nicht aufgrund mangelnder. Bestimmtheit oder aufgrund der Verschleifung mit den anderen Tatbestandsvarianten verfassungswidrig, muss jedoch restriktiv ausgelegt werden (vgl. KG Be-schluss vom 20. Dezember 2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19), BeckRS 2019, 35362; sich anschließend OLG Köln, Beschluss vom 5. Mai 2020 -111-1 RVs 45/20, NStZ-RR 2020, 224 ff.).

a) In objektiver Hinsicht hat der Beschuldigte sein Kraftfahrzeug in nicht angepasster Geschwindigkeit im Straßenverkehr fortbewegt, da er den Audi A3 Sportback im öffentlichen Straßenland mit einer teils deutlich überhöhten Maximalgeschwindigkeit – die zeitweise zumindest nicht deutlich unter 110 km/h lag, wo-bei der Beschuldigte einräumte, jedenfalls zu schnell gefahren zu sein – geführt hat. Diese erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung im innerstädtischen Bereich stellt eine nicht an die konkrete Verkehrssituation angepasste Geschwindigkeit dar, da sie deutlich über der im befahrenen Straßenabschnitt zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h liegt, die Fahrt bei nächtlichen Lichtverhältnissen erfolgte und ein vorschriftswidriger Überholvorgang eines unbeteiligten Fahrzeugs in einem Kreuzungsbereich statt-fand, so dass davon auszugehen ist, dass vom Beschuldigten sein Fahrzeug in der konkreten Situation (Überholmanöver im Kreuzungsbereich) nicht mehr sicher beherrscht werden konnte.

b) Der Bewertung des Verhaltens des Beschuldigten als grob verkehrswidrig begegnen keine Zweifel. Anhand der Beschreibung des Geschehens durch den Zeugen PM pp. ist hinreichend sicher anzunehmend, dass es im Kreuzungsbereich Rhinstraße/Pyramidenring zu dem Überholvorgang von rechts ohne Verwendung des Fahrtrichtungsanzeigers gekommen ist und dass nur kurz nach dem Kreuzungs-bereich der Einsatzwagen der Polizeikräfte ca. 110 km/h schnell fahren musste, wodurch der Abstand zu dem Fahrzeug des Beschuldigten nur gering reduziert wurde. Es ist demnach gegenwärtig davon auszugehen, dass der Beschuldigte mit einer deutlich überhöhten Geschwindigkeit, die jedenfalls nicht deutlich unter 110 km/h gelegen hat, das Überholmanöver ausgeführt und den Kreuzungsbereich passiert hat. Dies lässt die Wertung zu, dass der Beschuldigte einen erheblichen Geschwindigkeitsverstoß in einem Kreuzungsbereich begangen hat, der — was die Einordnung eines solchen Verstoßes in § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB indiziert — einen besonders schweren und typischerweise besonders gefährlichen Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift darstellt. Das falsche Überholen unter Verstoß gegen § 5 Abs. 1 StVO stellt zudem einen Verstoß des Katalogs des § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB dar, was ebenso ein gewichtiges Indiz für die Bestimmung eines schwerwiegenden Verkehrsverstoßes darstellt (vgl. BeckOK StGB/Kulhanek, 48. Ed. 01. November 2020, § 315d, Rn. 36).

c) Der Beschuldigte handelte zudem rücksichtslos. Rücksichtslos handelt, wer sich im Bewusstsein seiner Verkehrspflichten aus eigensüchtigen Gründen über diese hinwegsetzt oder sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten als Fahrzeugführer besinnt und unbekümmert um die Folgen seines Ver-haltens fährt. Das Verhalten des Beschuldigten ist unter diesen Prämissen als rücksichtslos zu bewerten, da er gegenüber den Polizeibeamten PM pp., POK pp. und PK pp. angegeben haben soll, dass er zu schnell gefahren ist. Sein zur Schau gestellter Eigennutz, der im schnelleren Vorankommen unter Missachtung der Gefährlichkeit des zu schnellen Fahrens und der Regeln des Überholens zu sehen ist, sprechen dafür, dass der Beschuldigte rücksichtslos handelte und nicht nur aus Gedankenlosigkeit oder Nachlässigkeit die Verkehrsregeln missachtete (vgl. zu diesem Maßstab KG Beschluss vom 20. Dezember 2019 (3) 161 Ss 134/19 (75/19), BeckRS 2019, 35362 Rn. 22).

d) Es liegen jedoch keine dringlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschuldigte in der Absicht handelte, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Mit dieser hohen subjektiven Anforderung, der nur ein dolus directus ersten Grades genügt, soll der Renncharakter des Verhaltens auch bei § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB tatbestandlich verankert werden, womit auch an die mit einem solchen Verhalten verbundene erhöhte abstrakte Gefährlichkeit angeknüpft wird. Das subjektive Merkmal der Absicht des Er-reichens einer höchstmöglichen Geschwindigkeit dient der Abgrenzung von bußgeldbewehrten Geschwindigkeitsverstößen einerseits und dem Nachstellen eines Rennens andererseits (vgl. BT-Drs. 18/12964, S. 6; KG Beschl. v. 20.12.2019 — (3) 161 Ss 134/19 (75/19), BeckRS 2019, 35362 Rn. 9, beck-online). Das erstrebte Erzielen der höchstmöglichen Geschwindigkeit umfasst die fahrzeugspezifische Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit, das subjektive Geschwindigkeitsempfinden, die Verkehrslage und die Witterungsbedingungen (BT-Drs. 18/12964, S. 5).

Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist über das subjektive Vorstellungsbild des Beschuldigten nur bekannt, dass er wusste, dass er zu schnell gefahren ist. Dass er die maximale fahrzeugspezifische Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit erreichen wollte, ist damit nicht belegt und ist angesichts der technischen Möglichkeiten eines Audi A3 Sportback auch durch die tatsächlich erzielte Geschwindigkeit von unter 110 km/h nicht indiziert. Dass der Beschuldigte durch die Verkehrslage, die Witterungsbedingungen oder andere Umstände an dem Erzielen einer Höchstgeschwindigkeit an der äußeren Manifestation einer solchen Absicht gehindert worden wäre, ist bisher nicht ermittelt worden und angesichts der Fahrtstrecke von 770-800 m — in der auch eine Beschleunigung auf eine deutliche höhere Geschwindigkeit bei entsprechender Absicht möglich erscheint — nicht wahrscheinlich. Auch die sonstigen objektiven Umstände lassen keinen ausreichend sicheren Schluss auf eine solche Absicht zu.“

Verkehrsrecht I: Verbotenes Kraftfahrzeugrennen, oder: Nochmals der BGH zur Absicht

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Nach längerer Zeit dann heute mal wieder ein Tag mit Verkehrsrechtsentscheidungen.

Zunächst die nächste Entscheidung des BGH zu § 315d StGB, und zwar das BGH, Urt. v. 24.06.2021 – 4 StR 79/20. Das LG hat den Angeklagten wegen „Nachstellens eines nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennens mit der Folge des Todes und der schweren Gesundheitsbeschädigung“ in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.

Der BGH hebt auf:

„1. Der Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt als Tathandlung ein grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Sich-Fortbewegen mit nicht angepasster Geschwindigkeit voraus (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 ? 4 StR 225/20 Rn. 13 f., zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt), das in subjektiver Hinsicht im Sinne einer überschießenden Innentendenz von der Absicht getragen sein muss, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Neben den einschränkenden Merkmalen der groben Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit kommt nach den Intentionen des Gesetzgebers (vgl. Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz [6. Ausschuss], BT-Drucks. 18/12964, S. 6) gerade dem Absichtselement die Aufgabe zu, den für das Nachstellen eines Rennens mit einem Kraftfahrzeug kennzeichnenden Renncharakter tatbestandlich umzusetzen und das nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbare Verhalten von den alltäglich vorkommenden, auch erheblichen Geschwindigkeitsverletzungen abzugrenzen. Wie die verschiedenen in den Gesetzesmaterialien aufgeführten Parameter zur Bestimmung der höchstmöglichen Geschwindigkeit erkennen lassen (vgl. BT-Drucks. 18/12964, S. 5 f.), muss die nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbarkeitsbegründende Absicht darauf gerichtet sein, die nach den Vorstellungen des Täters unter den konkreten situativen Gegebenheiten ? wie Motorisierung, Verkehrslage, Streckenverlauf, Witterungs- und Sichtverhältnisse etc. ? maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Februar 2021 ? 4 StR 225/20 Rn. 15; vom 24. März 2021 ? 4 StR 142/20 Rn. 18; vom 29. April 2021 ? 4 StR 165/20 Rn. 8; vgl. auch OLG Köln, NStZ-RR 2020, 224, 226; KG, DAR 2020, 149, 151; OLG Stuttgart, NJW 2019, 2787; Zieschang, NZV 2020, 489, 491 f.; Zopfs, DAR 2020, 9, 11; Jansen, NZV 2019, 285, 286). Nicht ausreichend ist, dass es dem Täter auf das Erreichen einer „möglichst hohen“ Geschwindigkeit ankommt, die je nach den Vorstellungen und sonstigen Zielen des Täters auch unterhalb der nach den konkreten Gegebenheiten maximal erreichbaren Geschwindigkeit liegen kann (insoweit missverständlich Fischer, StGB, 68. Aufl., § 315d Rn. 17, Pegel in MüKo-StGB, 3. Aufl., § 315d Rn. 26). Erforderlich ist vielmehr, dass der Täter nach seinen Vorstellungen die situativ mögliche Höchstgeschwindigkeit anstrebt.

Da der Gesetzgeber mit dem Absichtserfordernis dem für das Nachstellen eines Rennens kennzeichnenden Renncharakter Ausdruck verleihen wollte, ist für das Absichtsmerkmal weiterhin zu verlangen, dass sich die Zielsetzung des Täters nach seinen Vorstellungen auf eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerhebliche Wegstrecke bezieht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 ? 4 StR 225/20 Rn. 15) und sich nicht nur in der Bewältigung eines räumlich eng umgrenzten Verkehrsvorgangs erschöpft (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2021 ? 4 StR 142/20 Rn. 24). Für das Absichtsmerkmal des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB reicht es aus, dass der Täter die höchstmögliche Geschwindigkeit als aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel anstrebt, um ein weiteres Handlungsziel zu erreichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Februar 2021 ? 4 StR 225/20 Rn. 16; vom 24. März 2021 ? 4 StR 142/20 Rn. 19; vom 29. April 2021 ? 4 StR 165/20, aaO; OLG Stuttgart, NJW 2019, 2787, 2788; König in LK-StGB, 13. Aufl., § 315d Rn. 29; Ernemann in SSW-StGB, 5. Aufl., § 315d Rn. 15; Zieschang, NZV 2020, 489, 493; Zopfs, DAR 2020, 9, 11; Jansen, NZV 2019, 285, 287 f.). Dies erfordert konkrete Feststellungen dazu, dass der Täter sein eigenes Handlungsziel gerade durch die Beschleunigung auf die situativ höchstmögliche Geschwindigkeit erreichen möchte, was sich weder aus dem Willen, eine bestimmte Strecke möglichst schnell zurückzulegen, noch aus dem Fluchtmotiv in sogenannten Polizeifluchtfällen (vgl. dazu OLG Köln, NStZ-RR 2020, 224; OLG Stuttgart, NJW 2019, 2787) ohne Weiteres ergibt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 ? 4 StR 225/20 Rn. 17; Jansen, NZV 2019, 285, 288).

2. Von diesen rechtlichen Maßstäben ausgehend ergeben die Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht, dass der Angeklagte bei dem zur Kollision führenden Fahrmanöver mit der nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbarkeitsbegründenden Absicht handelte……“

Verkehrsrecht III: Nochmals Alleinrennen, oder: Höchstmögliche Geschwindigkeit?

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Und den Schluss der Berichterstattung mache ich heute mit dem OLG Celle, Beschl. v. 28.04.2021 – 3 Ss 25/21. Der befasst sich noch einmal mit dem verbotenenen Kraftfahrzeugrennen in der Form des Alleinrennens:

„Das Urteil weist keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Soweit die einzig auf die Sachrüge gestützte Revision einwendet, es fehle vorliegend sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht am Merkmal des Erreichens einer höchstmöglichen Geschwindigkeit im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, zumal der Angeklagte nicht die Motorkraft seines Fahrzeugs habe ausreizen, sondern vielmehr nur vor der Polizei habe fliehen wollen, greift dies nicht durch. Zwar ist im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) eine zurückhaltende Anwendung der Vorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB angezeigt (vgl. KG VRS 135, 267). Das Tatbestandsmerkmal der „höchstmöglichen Geschwindigkeit“ im Sinne dieser Vorschrift meint indessen nicht die technische Höchstgeschwindigkeit des geführten Fahrzeugs, sondern die in der konkreten Verkehrssituation erzielbare relative Höchstgeschwindigkeit (KG a.a.O.) Das hierbei vorausgesetzte Handeln, um eine höchst-mögliche Geschwindigkeit zu erreichen, setzt demnach lediglich voraus, dass es dem Täter darauf ankommt, in der konkreten Verkehrssituation die durch sein Fahrzeug bedingte oder nach seinen Fähigkeiten und nach den Wetter-, Verkehrs-, Sicht- oder Straßenverhältnissen maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen, wobei auch der Wille, vor einem verfolgenden Polizeifahrzeug zu fliehen, diese Absicht gerade nicht ausschließt (OLG Stuttgart, NJW 2019, 2787 mit Anm. Zopfs; LK-StGB/Laufhütte, 13. Aufl., § 315d Rn. 29). Das von der Revision bemühte Abstellen auf eine absolute Höchstgeschwindigkeit steht daher nicht nur in Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 18/12964, S. 5 f.), sondern würde den Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB praktisch nahezu leerlaufen lassen, weil die absolute Höchstgeschwindigkeit, insbesondere bei hochmotorisierten Fahrzeugen, in vielen Verkehrssituationen nicht erreichbar ist und deren Fahrer unangemessen begünstigen würde (Weiland in: Freymann/Wellner, jurisPK- Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 315d StGB; Jansen, Im Rausch der Geschwindigkeit(-sbegriffe), Eine kritische Betrachtung des § 315 d I Nr. 3 StGB, NZV 2019, 285; Preuß, Ein Jahr Strafbarkeit verbotener Kraftfahrzeug-rennen nach § 315d StGB – Eine erste Bilanz, insbesondere zur Strafbarkeit des“ Einzelrasens“-, NZV 2018, 537). All dies hat das Amtsgericht zutreffend herausgearbeitet. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen daher – und zwar ohne unzulässige Analogie in malampartem – auch den Schuldspruch eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens.“

Verkehrsrecht II: Verbotenes Kraftfahrzeugrennen, oder: Begriff des Rennens und Urteilsgründe

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Und im zweiten Posting zwei Entscheidungen zum Kraftahrzeugrennen (§ 315d StGB) – also zu der noch recht neuen Vorschrift im StGB.

Ich weise zunächst hin auf den LG Aachen, Beschl. v. 11.02.2021 – 60 Qs 1/21, das in einem umfangreich begründeten Beschluss einen Nichteröffnungsbeschluss des AG Aachen aufgehoben und ein Verfahren eröffnet hat. Dazu folgende Leitsätze:

  1. Die Tatbestände des § 315d Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB erfassen Fälle nicht erlaubter Kraftfahrzeugrennen in der Variante der Ausrichtung oder Durchführung (Nr. 1) bzw. der Teilnahme (Nr. 2). Gemeinsame objektive Tatbestandsvoraussetzung ist das Vorliegen eines nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennens. Ziel des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist demgegenüber die Erfassung auch derjenigen Fälle, in denen nur ein einziges Kraftfahrzeug objektiv und subjektiv ein Rennen gewissermaßen nachstellt. Es kann daher nicht zugleich (tateinheitlich) eine Teilnahme an einem unerlaubten Kraftfahrzeugrennen nach § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB und ein unerlaubtes „Einzelrasen“ nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegen. Vielmehr schließen sich die vorgenannten Tatbestände gegenseitig aus.

  2. Die Ermittlung eines Siegers ist kein konstitutives Element eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens (Anschluss an LG Deggendorf, Urt. v. 22.11.2019 – 1 Ks 6 Js 5538/18). Ausreichend ist, dass der Versuch des Erreichens der Höchstgeschwindigkeit der gegenseitigen Leistungsprüfung dient, ohne dass die Teilnehmer miteinander im Wettbewerb stehen (Anschluss an OLG Köln, Urt. v. 05.05.2020 – III-1 RVs 42/20; KG, Beschl. v. 20.12.2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19).

  3. Auf die Erzielung einer absoluten Höchstgeschwindigkeit kommt es für das Vorliegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens nicht an. Der Wille, gemeinsam möglichst schnell zu fahren, erfüllt den Rennbegriff ebenso. Ausschlaggebend ist das Streben nach einer höheren Geschwindigkeit (Anschluss an LG Berlin, Beschl. v. 29.01.2019 – 511 Qs 126/18). Ebenso ausreichend ist, dass die betroffenen Kraftfahrzeugführer das Beschleunigungspotential ihrer Gefährte vergleichen (Anschluss an LG Berlin, Beschl. v. 29.01.2019 – 511 Qs 126/18; LG Arnsberg, Urt. v. 20.01.2020 – 2 Ks 15/19).

  4. Die für die Ermittlung bzw. Schätzung von Geschwindigkeiten im Ordnungswidrigkeitenrecht maßgeblichen Kriterien der Länge der Messstrecke und des Abstands zum vorausfahrenden Fahrzeug sowie insbesondere der Ansatz eines deutlichen Toleranzabzugs zur Berücksichtigung von Ablese- und Eigenfehlern des (unjustierten) Tachometers sollen die zutreffende, den Grundsatz „in dubio pro reo“ wahrende Einordnung eines Geschwindigkeitsverstoßes in das System der Regelbußen und des Regelfahrverbots der Bußgeldkatalog-Verordnung ermöglichen; sie finden im Rahmen der § 315b Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB keine Anwendung. Entsprechende Feststellungen sind hier auch ohne genauere Bestimmung der gefahrenen Geschwindigkeit möglich (Anschluss an OLG Köln, Urt. v. 05.05.2020 – III-1 RVs 42/20).

  5. Gegen die Strafnorm des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (Anschluss an KG, Beschl. v. 20.12.2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19); OLG Köln, Beschl. v. 05.05.2020 – 1 RVs 45/20; entgegen AG Villingen-Schwenningen, Beschl. v. 16.01.2020 – 6 Ds 66 Js 980/19).

  6. Im Rahmen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist nicht erforderlich, dass der Nachweis einer doppelten Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit geführt werden kann. Erforderlich, aber auch ausreichend ist die Feststellung eines abstrakt grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Fahrens mit der Absicht des Erreichens einer höchstmöglichen Geschwindigkeit (hier: mehrfaches Durchfahren eines „Eifel-Rundkurses“ mit einer Länge von gut 12 km in 6 Minuten und 38 Sekunden sowie 6 Minuten und 56 Skunden).

Und als zweite „Renn-Entscheidung“ stelle ich den KG, Beschl. v. 22.02.2021 – 3 Ss 13/21 – zu den Anforderungen an das Urteil bei einer Verurteilung wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens vor, und zwar mit folgenden Leitsätzen:

  1. Bei der Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gilt, dass gerade dessen weite Fassung vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) möglichst klar konturierte Feststellungen des für erwiesen erachteten Sachverhalts erfordert.

  2. Vor dem Hintergrund der weiten gesetzlichen Formulierung dürfen sich Unschärfen bei der Sachverhaltsermittlung nicht einseitig zum Nachteil des Angeklagten auswirken.

  3. Es ist Aufgabe des Tatgerichts, die innere Tatseite zu ermitteln und darzustellen, nicht aber Aufgabe des Revisionsgerichts, aus dem geschilderten äußeren Sachverhalt darauf zu schließen, welche Vorstellungen sich das Tatgericht möglicherweise von der inneren Tatseite gemacht hat.

  4. Die vom Beschuldigten gefahrene Geschwindigkeit valide zu schätzen und das Ergebnis darzulegen, ist nicht Aufgabe des Revisions-, sondern diejenige des Tatgerichts. Bei versierten polizeilichen Zeugen können in Bezug auf Geschwindigkeiten auch valide Schätzungen zu erwarten und vom Tatgericht in freier richterlicher Beweiswürdigung gegebenenfalls ohne Abschlag zu übernehmen sein.

  5. Bei den Urteilsfeststellungen zu schildern ist nicht vorrangig das den Polizeibeamten zur Verfolgung abgenötigte Fahrverhalten, sondern dasjenige des (vorausfahrenden) Täters, welches das Tatgericht nach freier richterlicher Beweiswürdigung für tatbestandsmäßig hält.

  6. Als nicht per se rechtsfehlerhaft, aber als problematisch muss es gelten, wenn sich bei einem komplexen Tatgeschehen die Würdigung der den Angeklagten belastenden Beweise darauf beschränkt, der Sachverhalt stehe fest aufgrund der „uneidlichen Bekundungen der Zeugen“. Bei einem schweigenden oder bestreitenden Angeklagten oder bei anderweitig schwieriger Sachlage wird eine derart inhaltslose Phrase in aller Regel die gesetzlichen Anforderungen an die richterliche Beweiswürdigung verfehlen.