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KCanG II: Strafe unter Berücksichtigung des KCanG, oder: Berücksichtigung von jetzt straflosen Taten

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Als zweite Entscheidung dann der BayObLG, Beschl. v. 27.06.2024 – 4 StRR 205/24 – zur Verwertbarkeit von im BZR eingetragenen Verurteilungen bei der Strafzumessung, die ab 01.04.2024 nach § 3 Abs. 1, § 34 Abs. 1 Nr. 1 und 12 KCanG straflose und auch nicht nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 KCanG bußgeldbewehrte Handlungen betreffen und die weder getilgt noch tilgungsfähig sind.

„2. Auch die vom Berufungsgericht vorgenommene Strafzumessung ist – wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat – frei von Rechtsfehlern.

Dies betrifft auch den Umstand, dass das Berufungsgericht seine Strafzumessung maßgeblich auf die beiden zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen gestützt hat, die den unerlaubten Besitz von Marihuana betreffen, und hinsichtlich der letzten dieser einschlägigen Verurteilungen die Rückfallgeschwindigkeit strafschärfend herausgestellt hat.

a) In beiden Fällen wurden lediglich solche Mengen von Marihuana besessen, die ab 1. April 2024 weder den Straftatbeständen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 und 12 KCanG noch dem Bußgeldtatbestand des § 36 Abs. 1 Nr. 1 KCanG unterfallen. Dies führt zwar dazu, dass diese Strafen gemäß Art. 316p EGStGB i.V.m. Art. 313 Abs. 1 EGStGB mit Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes am 1. April 2024 erlassen wurden, da gemäß § 3 Abs. 1 KCanG für Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, der Besitz von – wie hier – bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum erlaubt ist, und die Strafen noch nicht vollstreckt waren. Die Verwertbarkeit der genannten Vorstrafen ist dadurch aber nicht entfallen, so dass sich aus § 354a StPO i.V.m. § 2 Abs. 3 StGB kein Hindernis für die Berücksichtigung der genannten Vorahndungen ergibt.

aa) Allerdings handelt es sich bei der Frage der Verwertbarkeit von Vorstrafen um eine Frage des sachlichen Rechts, so dass § 2 Abs. 3 StGB gilt und bei einer Gesetzesänderung zwischen Tat und Verurteilung das mildeste Gesetz Vorrang hat. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bayerischen Obersten Landesgerichts zu einer dem vorliegenden Verfahren vergleichbaren Fallkonstellation, als mit § 49 BZRG i.d.F. vom 18. März 1971 (BGBl. I, S. 243) am 1. Januar 1972 ein allgemeines Verwertungsverbot für im Strafregister eingetragene und inzwischen getilgte oder tilgungsreif gewordene Vorstrafen in Kraft getreten ist. Danach handelt es sich bei dieser nunmehr in § 51 Abs. 1 BZRG enthaltenen Regelung, soweit bei getilgter oder tilgungsreifer Verurteilung die Tat und die Verurteilung in einem neuen Strafverfahren nicht mehr strafschärfend verwertet werden dürfen, um eine solche des sachlichen Rechts, die als milderes Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 2 StGB a.F. (jetzt § 2 Abs. 3 StGB) auch im Revisionsverfahren zu berücksichtigen ist, § 354a StPO (so BGH, Urteil vom 19. Juli 1972 – 3 StR 66/72 –, BGHSt 24, 378, juris Rn. 9; BayObLG, Beschluss vom 22. März 1972 – RReg 1 St 19/72 -, BayObLGSt 3, 75, 77). Der Grundsatz, dass eine für den Angeklagten günstige Gesetzesänderung vom Revisionsgericht auch dann berücksichtigt werden muss, wenn sie erst nach Erlass des tatrichterlichen Urteils eingetreten ist (vgl. BGH, Urteile vom 27. Oktober 1964 – 1 StR 358/64 –, BGHSt 20, 77, juris Rn. 3; vom 19. Juli 1972 – 3 StR 66/72 -, BGHSt 24, 378, juris Rn. 9; BayObLG, Beschlüsse vom 20. Januar 1972 – RReg 2. St 171/71 –, BayObLGSt 1972, 3, 4; vom 22. März 1972 – RReg 1 St 19/72 -, BayObLGSt 3, 75, 77 f.; Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 2 Rn. 6 aE), muss seinem dem Grundgedanken des § 2 Abs. 3 StGB entsprechenden Sinn und Zweck, dem Angeklagten Milderungen des Gesetzes so weit wie möglich zukommen zu lassen, auch dann gelten, wenn es sich nicht um eine Änderung des Strafgesetzes im engeren Sinne handelt, sondern wenn die Änderung eines anderen Gesetzes ein Strafverfahren zugunsten des Angeklagten beeinflusst (so – jeweils zu § 2 Abs. 2 Satz 2 StGB a.F. – BayObLG, Beschlüsse vom 20. Januar 1972 – RReg 2. St 171/71 –, BayObLGSt 1972, 3, 4; vom 22. März 1972 – RReg 1 St 19/72 -, BayObLGSt 3, 75, 78). Dies wird für den Fall des Inkrafttretens des § 49 BZRG a.F. angenommen. Dieses Verwertungsverbot muss somit vom Revisionsgericht beachtet und auf solche Fälle angewendet werden, die beim Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht rechtskräftig abgeschlossen waren (vgl. BayObLG, Beschluss vom 28. April 1972 – RReg 6 St 523/72 OWi –, BayObLGSt 1972, 112, juris Rn. 9), also das tatrichterliche Urteil vor dem Inkrafttreten des Bundeszentralregistergesetzes ergangen ist (BayObLG, Beschlüsse vom 20. Januar 1972 – RReg 2. St 171/71 –, BayObLGSt 1972, 3, 4; vom 22. März 1972 – RReg 1 St 19/72 -, BayObLGSt 3, 75, 77 f.). Ein solcher Fall lag auch der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 19. Juli 1972 – 3 StR 66/72 –, BGHSt 24, 378) zugrunde.

In Übereinstimmung hiermit geht auch das Oberlandesgericht München davon aus, dass es sich bei der Frage der Verwertbarkeit von Vorstrafen nicht um Verfahrensrecht, sondern um eine Regelung des materiellen Rechts handelt, so dass bei einer Gesetzesänderung zwischen Tat und Verurteilung das mildere Gesetz Vorrang hat (Beschluss vom 14. Dezember 2009 – 4St RR 183/09 –, NStZ-RR 2010, 105, juris Rn. 7; so auch BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg/Kudlich, 61. Ed. 1.5.2024, StGB § 2 Rn. 5).

bb) Ein solches auf die Sachrüge zu berücksichtigendes Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2022 – 2 StR 61/22 –, NStZ-RR 2023, 87, juris Rn. 5 m.w.N.; so bereits BayObLG, Beschluss vom 22. März 1972 – RReg 1 St 19/72 -, BayObLGSt 3, 75, 77) besteht aber gegenwärtig nicht. Denn die einschlägigen Vorahndungen sind noch nicht tilgungsfähig. Die entsprechenden Eintragungen im Bundeszentralregister werden erst nach den am 1. Januar 2025 in Kraft tretenden Vorschriften der §§ 40 bis 42 KCanG (vgl. Art. 15 Abs. 2 CanG) tilgungsfähig (§ 40 Abs. 1 KCanG) und dann nach Feststellung der Tilgungsfähigkeit durch die Staatsanwaltschaft auf Antrag des Angeklagten (§ 41 i.V.m. § 42 Abs. 1 KCanG) und Mitteilung an das Bundeszentralregister zu tilgen sein (§ 42 Abs. 2 KCanG i.V.m. § 48 Satz 3 BZRG), mit der Folge, dass erst ab diesem Zeitpunkt das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG eingreift.

cc) Offenbleiben kann damit, ob die in der Literatur vertretene Auffassung, dass eine nach dem tatrichterlichen Urteil eintretende Tilgungsreife für das Revisionsgericht ohne Bedeutung ist (vgl. Fischer, StGB, a.a.O., § 2 Rn. 6 unter Hinweis auf BGH mit unzutreffender Fundstelle), auf die vorliegende Fallgestaltung anwendbar ist. Dem liegt offenbar die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde, dass ein Verwertungsverbot dann besteht, wenn die Tilgungsfrist zwar zum Zeitpunkt der neuen Tat noch nicht verstrichen, aber vor Ende der Hauptverhandlung in der Tatsacheninstanz bereits abgelaufen ist (vgl. nur BGH, Beschluss vom 22. Dezember 2015 – 2 StR 207/15 –, NStZ-RR 2016, 120, juris Rn. 5 m.w.N.; noch offen gelassen vom BayObLG, Beschluss vom 22. März 1972 – RReg 1 St 19/72 -, BayObLGSt 3, 75, 78). Die Frage des durch Gesetzesänderung eintretenden, vom Revisionsgericht zu beachtenden Verwertungsverbots ist aber unabhängig vom zeitlichen Ablauf der Tilgungsfrist (in diesem Sinne auch BayObLG, Beschluss vom 22. März 1972 – RReg 1 St 19/72 -, BayObLGSt 3, 75, 78).

dd) Der strafschärfenden Berücksichtigung der beiden Vorverurteilungen steht auch sonst nichts entgegen.

Mit Ausnahme der Frage einer Tilgungsreife und der danach nicht mehr möglichen Verwertbarkeit von Vorstrafen ist der Umstand einer Vorverurteilung als solcher eine Strafzumessungserwägung, die § 2 Abs. 3 StGB auch dann nicht unterfällt, wenn diese Verurteilung auf einem Gesetz beruht, das mittlerweile abgemildert wurde oder nicht mehr gilt. Denn der nunmehr erkennende Richter wendet nicht dieses Gesetz an, sondern berücksichtigt nur den Umstand der Vorverurteilung als solchen.

Für die Frage nach dem mildesten Gesetz im Sinn von § 2 Abs. 3 StGB kommt es auf den gesamten Rechtszustand an, von dem die Strafe abhängt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. August 1994 – 2 BvR 1884/93 –, NJW 1995, 316, juris Rn. 9; BGH, Urteil vom 8. Januar 1965 – 2 StR 49/64 –, BGHSt 20, 177, juris Rn. 11), also auf das gesamte sachliche Recht, das über das „Ob“ und das „Wie“ der Strafbarkeit entscheidet (Schönke/Schröder/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 2 Rn. 18; NK-StGB/Kargl, 6. Aufl. 2023, StGB § 2 Rn. 23b; vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 24. Juli 2014 – 3 StR 314/13 –, BGHSt 59, 271, juris Rn. 9). Hierzu zählt § 46 Abs. 2 StGB, wonach das Vorleben des Täters zu berücksichtigen ist, wozu grundsätzlich auch abgeurteilte Vorstrafen gehören (vgl. nur Fischer, StGB, a.a.O., § 46 Rn. 38), soweit die Zulässigkeit der Berücksichtigung nicht durch Gesetze eingeschränkt wird, zu denen etwa – wie aufgezeigt – die Tilgungsvorschriften zählen (vgl. hierzu Fischer, StGB, a.a.O., § 46 Rn. 39).

Der Angeklagte stand zur Tatzeit unter zweifach offener Bewährung, so dass zum Tatzeitpunkt diesen Vorahndungen eine Warnfunktion (vgl. hierzu Fischer, StGB, a.a.O., § 46 Rn. 38c) zukam.

Diese ist nicht dadurch in Wegfall geraten, dass der Besitz entsprechender Mengen Marihuana ab 1. April 2024 – also nach dem Tatzeitpunkt – nicht mehr strafbar war.

Die Zulässigkeit der Berücksichtigung der einschlägigen Vorahndungen steht insoweit im Einklang mit dem Regelungskonzept des Cannabisgesetzes in Bezug auf rechtskräftige Vorahndungen. Diese werden durch das Gesetz nicht aufgehoben. Gemäß Art. 316p EGStGB ist im Hinblick auf vor dem 1. April 2024 verhängte Strafen nach dem Betäubungsmittelgesetz, die nach dem Konsumcannabisgesetz oder dem Medizinal-Cannabisgesetz nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, Art. 313 EGStGB entsprechend anzuwenden. Danach werden rechtskräftig verhängte Strafen wegen solcher Taten, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, mit Inkrafttreten des neuen Rechts erlassen, soweit sie noch nicht vollstreckt sind (Art. 313 Abs. 1 EGStGB). Diese Rechtswirkungen treten unmittelbar kraft Gesetzes ein, ohne dass es einer Entscheidung der Vollstreckungsbehörde bedarf (OLG Stuttgart, Beschluss vom 28. Mai 2024 – 1 ORs 24 SRs 167/24 –, juris Rn. 7).

Der Straferlass bei noch nicht vollstreckten Strafen ändert aber nichts daran, dass der Schuldspruch hiervon unberührt bleibt und somit auch aus jetziger Sicht eine Warnfunktion für den Verurteilten ausgeübt hat.“

KCanG I: Schuldspruchanpassung versus Verteidigung, oder: Einschränkung der Strafbarkeit ist „Freigrenze“

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Es ist mal wieder so weit: Heute gibt es Entscheidungen, die mit dem KCanG zusammenhängen.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 12.06.2024 – 1 StR 105/24 – eine der vielen Entscheidungen des BGH aus der letzten zeit zum CanG oder zum KCanG. Das LG hat den Angeklagten wegen verschiedener Verstöße gegen das BtMG verurteilt (wegen der Einzelheiten des umfangreichen LG-Tenors verweise ich auf den verlinkten Volltext.

Nach den Feststellungen des LG entschloss sich der Angeklagte zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Frühjahr oder Sommer 2022, sich zur Finanzierung seines eigenen Cannabiskonsums durch den Gewinn bringenden Verkauf von Cannabis eine „auf Dauer angelegte, erhebliche“ Einnahmequelle zu verschaffen. Dabei arbeitete er mit einem nicht identifizierbaren Freund dergestalt zusammen, dass er diesem jeweils die Hälfte des erworbenen Marihuanas übergab, welches der Freund – wie der Angeklagte wusste – zur Hälfte seinerseits Gewinn bringend weiterveräußerte, zur anderen Hälfte selbst konsumierte. Den ihm verbleibenden Teil des Marihuanas und das nur für seine Zwecke erworbene Haschisch veräußerte der Angeklagte zum überwiegenden Teil; den Rest konsumierte er selbst. Das LG hat dann im Einzelnen insgesamt (mindestens) fünf Taten festgestellt.

Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg:

„Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils führt zu dessen Aufhebung.

1. Der Schuldspruch hat keinen Bestand. Am 1. April 2024 ist das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG) in Kraft getreten (BGBl. I Nr. 109), was der Senat nach § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO zu berücksichtigen hat. Nach der Neuregelung unterfällt der Umgang des Angeklagten mit Cannabis nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz, sondern allein dem – grundsätzlich milderen – Konsumcannabisgesetz (s. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24 Rn. 3 ff.).

a) Einer Schuldspruchanpassung durch den Senat (§ 354 Abs. 1 StPO analog) steht § 265 Abs. 1 StPO entgegen. Der Angeklagte hätte sich möglicherweise gegen den aufgrund der bisherigen Feststellungen nach dem Konsumcannabisgesetz zu fassenden Schuldspruch wirksamer als bislang geschehen verteidigen können. Denn anstelle des unter dem Regelungsregime des Betäubungsmittelgesetzes hinsichtlich des zum Eigenkonsum erworbenen Cannabis angeklagten und ausgeurteilten Tatbestandes des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge kommt nach neuer Rechtslage der Tatbestand des Erwerbs von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG) in Betracht, mithin eine andere Handlungsform, die überdies gegenüber dem Besitz von Cannabis eine niedrigere Freigrenze vorsieht und sich damit als für den Angeklagten ungünstiger erweist.

aa) Zwar entsprechen die unter Strafe gestellten Handlungsformen des Konsumcannabisgesetzes weitgehend denen des Betäubungsmittelgesetzes (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 130). Auch ist hinsichtlich der konkurrenzrechtlichen Bewertung grundsätzlich auf die bisherige Rechtslage abzustellen (BGH, Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24 Rn. 5), weshalb in der Regel einer Schuldspruchanpassung durch das Revisionsgericht § 265 Abs. 1 StPO nicht entgegenstehen wird. Eine abweichende Bewertung kann indes in den Fällen veranlasst sein, in denen sich der Umgang mit Cannabis auf eine nicht geringe Menge bezieht. Denn das Betäubungsmittelgesetz unterstellt in dem Qualifikationstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nur die Handlungsformen des Handeltreibens, Herstellens, Abgebens und Besitzens einem höheren Strafrahmen. Dies hat u.a. zur Folge, dass die lediglich nach dem Grundtatbestand des § 29 Abs. 1 BtMG strafbaren Handlungsformen des Erwerbens und Sich-Verschaffens hinter dem spezielleren Tatbestand des Besitzes in nicht geringer Menge zurücktreten (vgl. Maier in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29a Rn. 215). Demgegenüber sieht das Konsumcannabisgesetz für den – nicht qualifizierten (§ 34 Abs. 4 KCanG) – Umgang mit Cannabis in nicht geringer Menge keinen Qualifikationstatbestand, sondern ein alle in § 34 Abs. 1 KCanG unter Strafe gestellte Handlungsformen erfassendes Regelbeispiel vor.

Dies führt in den Fällen, in denen das Tatgericht unter dem Regelungsregime des Betäubungsmittelgesetzes zwar einen Erwerb von Cannabis in nicht geringer Menge zum Eigenkonsum festgestellt, jedoch gemessen an vorstehend dargestellten Maßstäben den Besitztatbestand nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ausgeurteilt hat, dazu, dass nach dem Konsumcannabisgesetz anstelle des Besitzes eine andere Handlungsform – hier der Erwerb von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG) – in Betracht kommt.

bb) So liegt der Fall hier. Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte in den Fällen II.1. bis II.4. der Urteilsgründe Marihuana in nicht geringer Menge (auch) zum Eigenkonsum. Gemessen an vorstehenden Maßstäben ist daher nicht auszuschließen, dass sich der Angeklagte in Kenntnis der abweichenden rechtlichen Bewertung wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

b) Um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen und eine einheitliche rechtliche Bewertung zu ermöglichen, hebt der Senat das Urteil auch im Fall II.5. der Urteilsgründe auf.

2. Für die neue Verhandlung und Entscheidung wird auf Folgendes hingewiesen:

a) Sollte das neue Tatgericht abermals Feststellungen dahin treffen, dass der Angeklagte seinem Freund die tatsächliche Herrschaft über zuvor erworbenes und in Empfang genommenes Cannabis zum Eigenkonsum überließ, kommt anstelle des Tatbestandes der Beihilfe zum Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge der Tatbestand der Abgabe von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 7 KCanG) in Betracht.

b) Die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG normierten Einschränkungen der Strafbarkeit des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis stellen Freigrenzen dar. Dies hat zur Folge, dass bei Überschreiten derselben die Handlung hinsichtlich des gesamten besessenen, angebauten oder erworbenen Cannabis strafbewehrt ist und das Cannabis als Bezugsgegenstand auch vollständig der Einziehung unterliegt (§ 37 KCanG, § 74 Abs. 2 StGB).

aa) Für dieses Verständnis ist zunächst der Wortlaut des § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG heranzuziehen. Denn die Formulierung „mehr als“ … „besitzt“, „anbaut“ oder „erwirbt“ bedeutet lediglich, dass eine Strafbarkeit nur dann in Betracht kommt, wenn die jeweils genannte Menge überschritten ist. Dass die „erlaubten“ Mengen in jedem Fall aus der Strafbarkeit ausgenommen sein sollen, ergibt sich hieraus indes nicht. Aus der Bezugnahme auf § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG folgt nichts Anderes. Nach § 2 KCanG ist der Umgang mit Cannabis grundsätzlich verboten.

bb) Auch die Systematik des Konsumcannabisgesetzes und der Wille des Gesetzgebers sprechen hierfür; insbesondere führt die Entscheidung des Gesetzgebers, bestimmte Besitzmengen in §§ 3, 4 KCanG von dem in § 2 KCanG normierten Verbot des Umgangs mit Cannabis auszunehmen, zu keiner anderen Bewertung. Der Normgeber hat in §§ 3, 4 KCanG infolge einer „geänderten Risikobewertung“ von Cannabis für Erwachsene den Besitz bestimmter Mengen zum Eigenkonsum von dem grundsätzlichen Umgangsverbot des § 2 KCanG ausgenommen (BT-Drucks. 20/8704, S. 93). Zwar teilt die Gesetzesbegründung nicht mit, von welchen Erwägungen sich der Gesetzgeber bei der Festlegung der Mengen konkret hat leiten lassen. Angesichts dessen, dass das Konsumcannabisgesetz nach seiner Präambel einen verbesserten Gesundheitsschutz und die Stärkung eines „verantwortungsvolle[n] Umgang[s] mit Cannabis“ (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1) zum Ziel hat, ist jedoch davon auszugehen, dass sich die festgesetzten Mengen hieran orientieren und das äußerste Maß dessen darstellen, was mit Blick auf die – auch aus der Sicht des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1) – grundsätzlich weiterhin gegebene Gefährlichkeit von Cannabis vor dem Hintergrund des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung noch verantwortet werden kann. Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber den gleichzeitigen Besitz größerer als in §§ 3, 4 KCanG genannter Mengen als gefährlich angesehen und daher verboten hat (vgl. dazu BT-Drucks. 20/8704, S. 131: „erst bei Überschreiten … strafbar“). Da die Straftatbestände des § 34 KCanG der Durchsetzung der gesetzgeberischen Wertungen – mithin auch dem strikten Verbot, mehr als die in §§ 3, 4 KCanG genannten Mengen zu besitzen – dienen sollen, sind die Regelungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG als Freigrenzen zu verstehen.

c) Der geänderten Bewertung des Umgangs mit Cannabis durch den Gesetzgeber ist jedoch auf der Strafzumessungsebene Rechnung zu tragen. Denn die Wertung des Normgebers, den Besitz von Cannabis zum Eigenkonsum in einem bestimmten Maß zu erlauben und damit einhergehend den Besitz, Anbau und Erwerb zum Eigenkonsum nur bei Überschreiten bestimmter Grenzen unter Strafe zu stellen, wirkt sich auf den Schuldumfang aus (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2024 – 6 StR 536/23 Rn. 27). Die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG genannten Freigrenzen sind daher innerhalb der Straftatbestände des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG) bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO).

Gleiches gilt für die innerhalb der Strafzumessungsregelung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG zu bestimmende „nicht geringe Menge“. Der 1. Strafsenat schließt sich insoweit den Erwägungen des 6. Strafsenats in seiner Entscheidung vom 30. April 2024 (6 StR 536/23 Rn. 29 f.) an, wonach in Bezug auf die Besitztatbestände des § 34 KCanG die nicht unter Strafe gestellten Mengen von 60 bzw. 30 Gramm oder – im Zusammenhang mit Anbauvereinigungen – von 25 bzw. 50 Gramm im Monat bei der Berechnung der „nicht geringen Menge“ außer Betracht bleiben müssen. Diese Wertung ist auf den Erwerbstatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG zu übertragen.“

StPO III: Neufestsetzung einer Strafe nach dem KCanG, oder: Welches Gericht ist zuständig?

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Und dann im dritten Posting drei OLG-Entscheidungen zur – inzwischen in Rechtsprechung und Literatur – umstrittenen Frage: Wer ist eigentlich in den vom KCanG betroffenen Fällen für die erforderliche Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB sowie für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB zuständig? Ist das das erkennende Gericht oder ist das die Strafvollstreckungskammer?

Die OLG scheinen mehrheitlich zum Gericht des ersten Rechtszuges und nicht zur SttVK zu tendieren, so dass folgender Leitsatz passt:

Für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB sowie für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB ist das erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig.

Und dazu verweise ich auf:

Wie gesagt, die Frage ist umstritten. Nachweise zu den abweichenden Meinungen stehen in den verlinkten Volltexten. Da findet man dann auch weitere Nachweise zu den Gerichten, die es ebenso sehen wi OLG Dresden, OLG Nürnberg und OLG Stuttgart.

KCanG II: Rechtsprechung vornehmlich zum Straferlass, oder: Einmal etwas zur Pflichtverteidigung

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Im zweiten Posting habe ich dann zusammengestellt, was sich bei mir in den letzten Tagen angesammelt hat. Da geht es quer durch das StGB/die StPO, und zwar mit folgenden Entscheidungen:

Der Umstand, dass am 01.04.2024 das KCanG mit einem im Einzelfall niedrigeren Strafrahmen für die abgeurteilte Anlasstat in Kraft getreten ist, findet im Rahmen der Beurteilung im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB keine Berücksichtigung.

1. Die Rechtswirkungen des Straferlasses nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB iVm Art. 316p EGStGB für Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz, die nach dem Konsumcannabisgesetz oder dem Medizinal-Cannabisgesetz nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, treten unmittelbar kraft Gesetzes ein.

2. Das Revisionsgericht hat diesen rückwirkenden Straferlass gemäß § 354a StPO iVm § 2 Abs. 3 StGB auf die Sachrüge hin zu beachten. Eine gebildete Gesamtstrafe ist auf der Grundlage der gesamten Feststellungen des angefochtenen Urteils darauf zu überprüfen, ob einer einbezogenen Strafe ein nach § 3 Abs. 1 KCanG nunmehr strafloser Besitz von Cannabis zugrunde liegt. Ist ein sicherer Rückschluss auf einen Besitz zum Eigenkonsum möglich und liegen alle sonstigen Voraussetzungen einer Straflosigkeit vor, hat das Revisionsgericht seiner Entscheidung den rückwirkenden Straferlass zugrunde zu legen.

1. Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge gebietet die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn die drohenden Rechtsfolgen einschneidend sind, insbesondere bei drohenden längeren Freiheitsstrafen um 1 Jahr.

2. Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers in den Fällen des § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG.

Zur Neufestsetzung der Strafe, wenn unerlaubter Besitz von Cannabis mit Besitz von anderen Betäubungsmitteln zusammen trifft.

Die Möglichkeit einer Strafermäßigung nach Art. 316p i. V. m. 313 EGStGB ist auch in den Fällen zu bejahen, in denen neben Cannabis gleichzeitig noch andere Betäubungsmittel unerlaubt besessen wurden.

KCanG I: Nochmals zur neuen „nicht geringen Menge“, oder: Alter Wein in neuen Schläuchen

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Und in die 27. Woche – die erste Juli-Woche 2024 – geht es mit KCanG-Entscheidungen.

Zunächst hier noch einmal etwas vom BGH, und zwar der BGH, Beschl. v. 24.04.2024 – 4 StR 50/24. In ihm äußert sich nun auch der 4. Strafsenat des BGH zum Grenzwert für die neue „nicht geringe Menge“:

„3. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird bei der gebotenen Prüfung, ob die Voraussetzungen eines besonders schweren Falles nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG gegeben sind, das Folgende zugrunde zu legen haben:

a) Der Grenzwert der nicht geringen Menge im Sinne der Vorschrift liegt bei 7,5 g THC. Der Senat sieht weder Anlass noch Möglichkeit, den bislang unter der Geltung des BtMG für Cannabisprodukte anerkannten Grenzwert abweichend festzusetzen (so bereits BGH, Beschluss vom 23. April 2024 – 5 StR 153/24 Rn. 11 ff.; Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 – 5 Ws 19/24).

aa) Der Gesetzgeber hat – nicht anders als im Bereich des Betäubungsmittelgesetzes – die Bestimmung des konkreten Wertes einer nicht geringen Menge der Rechtsprechung überlassen. Soweit er hierzu ausgeführt hat, dass dieser Wert „abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt des Cannabis (…) aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln“ sei, man „im Lichte der legalisierten Mengen“ an der bisherigen Definition „nicht mehr festhalten“ könne und der Grenzwert „deutlich höher“ angesetzt werden müsse (BT-Drucks. 20/8704, S. 132), kann dem zwar entnommen werden, dass dem Gesetzgeber ein höherer Grenzwert vor Augen stand, als er bisher von der Rechtsprechung unter der Geltung des BtMG für Cannabis angenommen worden ist. Der Senat vermag aber weder in tatsächlicher Hinsicht noch unter normativen Gesichtspunkten einen belastbaren Anknüpfungspunkt für eine von dem bisherigen Grenzwert abweichende Bestimmung zu finden.

bb) Bei der herkömmlichen Bestimmung des Grenzwertes der nicht geringen Menge für Cannabisprodukte hat sich der Bundesgerichtshof in tatsächlicher Hinsicht an der durchschnittlichen Konsumeinheit für einen Rauschzustand orientiert und diese gestützt vor allem auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf 15 Milligramm THC festgelegt. Das Vielfache der so bestimmten Konsumeinheit hat er mit der Maßzahl 500 bestimmt. Hiermit sollte die wesentlich geringere Gefährlichkeit von Cannabisprodukten im Verhältnis zu Heroin abgebildet, aber auch – angesichts der gegenüber § 29 Abs. 1 BtMG „außerordentlichen“ Verschärfung der Strafrahmen in § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG und insbesondere in § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG – den Unsicherheitsfaktoren bei der Bestimmung des THC-Gehalts einer durchschnittlichen Konsumeinheit Rechnung getragen werden. Auf dieser Grundlage errechnet sich die nicht geringe Menge als 500 Konsumeinheiten zu je 15 Milligramm, was 7,5 Gramm THC entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8 ff.). Dies hat der Bundesgerichtshof unter ausführlicher Auseinandersetzung mit neueren Erkenntnissen zur Gefährlichkeit von Cannabis insoweit bestätigt gesehen und am Grenzwert festgehalten (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2024 – 5 StR 153/24 Rn. 11 ff., 14; Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95, BGHSt 42, 1 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 – 2 BvL 43/92, BVerfGE 90, 145).

Dass sich die wissenschaftlichen Grundlagen zur Einschätzung der Gefährlichkeit von Cannabis maßgeblich geändert hätten, lässt sich weder der Gesetzesbegründung entnehmen (vgl. zu den – fortbestehenden – gesundheitlichen Risiken vielmehr BT-Drucks. 20/8704, S. 68; siehe dazu auch HansOLG Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 – 5 Ws 19/24, juris Rn. 30) noch legen dies gutachterliche Stellungnahmen, die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens von ärztlichen Verbänden und Gesellschaften abgegeben wurden, nahe (vgl. insbesondere die Stellungnahmen der Bundesärztekammer vom 30. Oktober 2023 [BT – Ausschuss f. Gesundheit, Ausschussdrucks. 20(14)154(11)], der Bundespsychotherapeutenkammer vom 19. Oktober 2023 [Ausschussdrucks. 20(14)154(1)], des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärztinnen vom 20. Oktober 2023 [Ausschussdrucks. 20(14)154(4)], der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. vom 2. November 2023 [Ausschussdrucks. 20(14)154(30)], der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. vom 2. November 2023 [Ausschussdrucks. 20(14)154(27)] sowie die gemeinsame Stellungnahme mehrerer kinder- und jugendmedizinischer, -psychiatrischer und -psychotherapeutischer Fachverbände und -gesellschaften vom 2. November 2023 [Ausschussdrucks. 20(14)154(29)]).

cc) Auch unter normativen Gesichtspunkten bieten weder der Gesetzestext noch der den Gesetzesmaterialien entnehmbare Wille des Gesetzgebers einen Anhaltspunkt für eine abweichende Festsetzung des Grenzwertes (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2024 – 5 StR 153/24 Rn. 21). Soweit darauf abgehoben wird, dass der Erwerb von Cannabis im illegalen Handel wegen des unbekannten THC-Anteils oder möglicher „giftige(r) Beimengungen“ mit erhöhten Gesundheitsrisiken verbunden sei (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1 und 68) und deshalb ein verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis auf der Grundlage eines (mengenlimitierten) Eigenanbaus oder eines nicht gewerblichen gemeinschaftlichen Anbaus mit kontrollierter Weitergabe erleichtert werden solle, kann dem lediglich ein Strategiewechsel in Bezug auf den angestrebten Schutz der Volksgesundheit vor den Gefahren des Cannabiskonsums entnommen werden.

Vor diesem Hintergrund haben auch die den Eigenanbau rechtlich erst ermöglichenden und auf Rohmengen oder Pflanzenzahlen bezogenen Besitz- und Anbauerlaubnisse in § 3 Abs. 1 und 2 sowie § 9 Abs. 1 KCanG keine weitergehende Aussagekraft. Die sich daraus ergebenden sog. legalisierten Mengen sind unabhängig von ihrem THC-Anteil. Zugleich wird der Umgang mit ihnen – über die mengenmäßige Limitierung hinaus – weiter in personaler (Volljährigkeit) und sachlicher Hinsicht (Eigenkonsum, räumliche Beschränkungen, partielle Konsumverbote, Schutzmaßnahmengebote etc.) eingegrenzt, wobei diese Einhegungen partiell in einer Abhängigkeit zur Mengendefinition stehen (vgl. § 3 Abs. 1 und 2 KCanG). Normative Anknüpfungspunkte für die Bewertung von Cannabis, das diesem Schutzregime entzogen worden ist, weil es zum Beispiel nicht für den Eigenkonsum angebaut (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 b) KCanG) oder illegal weitergegeben wurde (§ 34 Abs. 1 Nr. 4, 7, 8, 9 und 10 KCanG), enthalten sie nicht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. April 2024 – 5 StR 153/24 Rn. 19; Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24 Rn. 21; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 – 5 Ws 19/24, juris Rn. 28 ff.). Dies gilt im Ergebnis auch für den – hier vorliegenden – Anbau zum Eigenkonsum, der allein die dafür vorgesehenen Umfangs- und Mengenvorgaben verletzt. Angesichts der eindeutigen gesetzlichen Vorgabe, wonach ersichtlich eine nicht geringe Menge zu bestimmen ist, bleibt für die Annahme einer insoweit abweichenden Definition, etwa im Sinne einer Bestimmung anhand der Bruttomenge (vgl. dazu Sobota, NJW 2024, 1217 Rn. 12 ff.), kein Raum.

b) Bei der Prüfung, ob und in welchem Maß sich die Tathandlung auf eine in diesem Sinn nicht geringe Menge bezogen hat, wird – ebenso wie in den weiteren Fällen des straffreien Umgangs mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 12 KCanG) – derjenige Teil der Gesamtmenge, mit dem der jeweilige Umgang straffrei wäre, außer Betracht zu bleiben haben und erst die die Grenze zur Strafbarkeit überschreitende Stoffmenge daraufhin zu untersuchen sein, ob und inwieweit sie ihrem Wirkstoffgehalt nach den Grenzwert von 7,5 g THC erreicht bzw. überstiegen hat.

Dieses Verständnis des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG ergibt sich zwar nicht eindeutig aus dem Wortlaut der Norm, denn dieser lässt offen, ob unter der auf eine nicht geringe Menge bezogenen „Handlung“ das gesamte Verhalten des Straftäters oder lediglich derjenige Teil desselben zu verstehen ist, durch das er die Schwelle zur Strafbarkeit überschreitet (also beispielsweise das Einpflanzen von vier Setzlingen oder nur das die Straftat begründende Einpflanzen des vierten). Auch der Gesetzesbegründung ist eine eindeutige Aussage dazu, ob die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 a) und Nr. 12 KCanG genannten Stoffgewichte bzw. Pflanzenmengen gleichsam strafrechtliche Freibeträge oder lediglich strafrechtliche Freigrenzen darstellen, nicht zu entnehmen. Allerdings dürften die Ausführungen in der Gesetzesbegründung zu § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG (BT-Drucks. 20/8704, S. 132) hier eher für Ersteres sprechen, wenigstens aber dafür, dass diejenigen Mengen, die selbst einem verwaltungsrechtlichen Verbot nicht unterliegen, bei der Prüfung der nicht geringen Menge unberücksichtigt zu bleiben haben. Denn dort wird der Zweck der Strafrahmenerhöhung mit den Risiken gerade des illegalen Umgangs mit nicht geringen Mengen erklärt.

Maßgeblich gegen die Auslegung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG als bloße Freigrenze – bei der jegliche Bruttomenge, die die Werte des straffreien Besitzes, Anbaus, Erwerbs oder der Entgegennahme überschreitet, als Ganzes der Prüfung auf einen die Voraussetzungen des besonders schweren Falles erfüllenden Wirkstoffgehalt unterläge – sprechen aber Systematik und Zweck der Norm. Die in ihr geregelten Höchstmengen straffreien Umgangs mit Cannabis sind jeweils durch eine Bruttomenge an Pflanzen oder ein Bruttogewicht an Pflanzenmaterial definiert. Demgegenüber bestimmt sich die nicht geringe Menge – wie ausgeführt – nach dem Wirkstoffgehalt (so auch BT-Drucks. 20/8704, S. 132). Wären die Teilmengen, mit denen der jeweilige Umgang straffrei ist, bei der Ermittlung der nicht geringen Menge im Sinne des Regelbeispiels nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG mit zu berücksichtigen, so könnte diese gesetzliche Regelungstechnik dazu führen, dass bereits eine äußerst geringfügige Überschreitung der straffreien Bruttostoffmenge das Regelbeispiel eröffnen würde. Besäße beispielsweise jemand 61 g Haschisch mit einem THC-Gehalt von 20 % (vgl. zur Entwicklung der durchschnittlichen Wirkstoffgehalte von Cannabis-Produkten Patzak/Dahlenburg, NStZ 2022, 146, 147) in seiner Wohnung, so wäre regelmäßig ein besonders schwerer Fall einer Straftat nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 b) KCanG gegeben, wohingegen der Besitz einer um ein Gramm geringeren Menge straflos und einer um 11 g geringeren Menge trotz jeweils deutlichen Überschreitens eines Wirkstoffgewichts von 7,5 g THC sogar erlaubt wäre. Mit dem in der Gesetzesbegründung niedergelegten Zweck der Strafrahmenerhöhung, den – besonderen – Gefahren des illegalen Umgangs mit nicht geringen Mengen an THC zu begegnen, wäre dies kaum zu vereinbaren.

Zwar liegt es im Wesen jedes rechtlichen Grenzwerts, dass selbst ein für sich genommen geringes Maß an Überschreitung desselben die hieran geknüpften Rechtsfolgen auslösen kann. Auch erscheint nach dem Regelungskonzept des Konsumcannabisgesetzes zwingend, dass die Grenze zwischen dem straflosen und dem strafbaren Umgang mit Cannabis allein von der Bruttomenge abhängt. Dies und die Konsequenz hieraus, dass deshalb der Besitz einer größeren Wirkstoffmenge straffrei sein kann, während – bei größerem Bruttogewicht – derjenige einer kleineren Wirkstoffmenge die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 KCanG erfüllen und damit (nach dem Normalstrafrahmen) strafbar sein kann, ist allerdings ersichtlich dem Umstand geschuldet, dass Wirkstoffgehalte für die Normadressaten nicht ohne weiteres erkennbar sind und daher als Orientierungsgröße wenig geeignet wären. Es ändert freilich nichts daran, dass es systemwidrig erschiene, könnte auch das – im Gegensatz zu der Strafbarkeitsschwelle des § 34 Abs. 1 KCanG – an die besondere Gefährlichkeit hoher Wirkstoffmengen anknüpfende Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG schon durch eine unter diesem Gesichtspunkt unerhebliche Differenz zu einer nicht strafbewehrten Besitzmenge (also beispielsweise 12 g THC bei 60 g Bruttostoffmenge und 12,2 g THC bei 61 g) eröffnet werden.

Hinzu kommt, dass auch die Begrifflichkeit des besonders schweren Falles gegen eine Auslegung spricht, in deren Folge schon bei durchschnittlichen Wirkstoffgehalten und nur ganz geringfügig oberhalb der Strafbarkeitsgrenze liegender Bruttomenge nicht mehr der Normalstrafrahmen, sondern regelmäßig der erhöhte Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG heranzuziehen wäre. Dies wäre aber jedenfalls in Teilen der in Frage kommenden Sachverhaltskonstellationen der Fall, würde man bei der Bestimmung der nicht geringen Menge die gesamte Stoffmenge und nicht lediglich den die straffreie Menge übersteigenden Anteil betrachten: Bei durchschnittlichen Wirkstoffgehalten von über 13 % (Cannabisblüten) und über 20 % (Haschisch) (vgl. Patzak/Dahlenburg, aaO) würde etwa in Fällen des durch Besitz dieser Cannabisprodukte verwirklichten Straftatbestandes des § 34 Abs. 1 Nr. 1 b) KCanG Raum für den Normalstrafrahmen nur noch in Fällen deutlich unterdurchschnittlicher Qualität der Bezugsobjekte bleiben (vgl. zum Erfordernis eines verbleibenden Anwendungsbereichs des Normalstrafrahmens – dort betreffend einen Fall von zur Veräußerung bestimmtem Cannabis – auch BGH, Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24 Rn. 19).

Weiter bestärkt wird diese gesetzessystematische Erwägung durch die Vorschrift des § 35a KCanG. Nach dieser kann die Staatsanwaltschaft unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen von der Verfolgung von Vergehen nach § 34 Abs. 1, 2 oder 5 KCanG absehen (bzw. das Gericht das Verfahren einstellen), wenn der Täter nur zum Eigenverbrauch Cannabis in geringer Menge anbaut oder eine der weiteren aufgezählten Tathandlungen begeht. Da hiervon die Fälle, in denen straflose Cannabismengen geregelt sind (§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 a) u. 12 KCanG), nicht ausgenommen, sondern Anbau, Erwerb und Besitz sogar ausdrücklich erwähnt sind, kommt eine Auslegung, die der Vorschrift des § 35a KCanG in diesen Fällen ihren Anwendungsbereich wenigstens weitgehend nehmen würde, nicht in Betracht. So läge es aber, müsste die straffreie Menge mitgerechnet werden, sobald sie (auch nur geringfügig) überschritten ist. Denn dann wäre, wie ausgeführt, vielfach bereits eine nicht geringe Menge oder jedenfalls eine dieser nahekommende Gesamtmenge erreicht, was die Annahme einer geringen Menge im Sinne des § 35a KCanG ausschließen oder jedenfalls fernlegen würde.

4. Hiervon ausgehend wird das neue Tatgericht für die Wahl des Strafrahmens im vorliegenden Fall drei der Cannabispflanzen von der Gesamtmenge in Abzug bringen müssen. Da die Straffreiheit des Anbaus von nicht mehr als drei Pflanzen unabhängig von deren Wirkstoffgehalt ist, wird es hierfür zugunsten des Angeklagten gegebenenfalls diejenigen Pflanzen mit dem höchsten (aktuellen) THC-Gehalt auszuwählen und für die Prüfung der nicht geringen Menge allein die übrigen 49 Pflanzen in den Blick zu nehmen haben. Wie bereits im Anwendungsbereich des Betäubungsmittelgesetzes wird insoweit nötigenfalls auf eine Schätzung zurückgegriffen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2021 – 3 StR 53/21, NStZ 2023, 46, 47 mwN), etwa durch Zugrundelegung des aus der festgestellten Gesamtzahl der Pflanzen und der festgestellten Gesamtwirkstoffmasse zu ermittelnden durchschnittlichen Wirkstoffgehalts je Pflanze für jede der drei Pflanzen unter Hinzurechnung jeweils eines angemessenen Sicherheitsaufschlags, der dem Gedanken Rechnung trägt, dass gerade die drei wirkstoffreichsten Pflanzen abzuziehen sind.“

Also: Wie gehabt. Nichts Neues aus Karlsruhe. Hätte mich inzwischen auch gewundert.