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Klage auf Herausgabe der Mandantenunterlagen, oder: Wie bemesse ich den Streitwert?

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Heute ist der erste Freitag im Jahr 2022 – und damit auch der erste „Gebührenfreitag“ mit RVG-Entscheidungen. Die Serie will ich auch in 2022 fortsetzen. Das setzt allerdings voraus, dass ich genügend Entscheidungen bekomme. Als hier dann der Aufruf an alle: Gebührenentscheidungen und auch solche zum Kostenrecht are welcome. Bitte schicken, ich stelle sie dann ein.

Den Reigen für 2022 eröffne ich dann mit einem kleinen Beschluss des LG Bremen, und zwar mit dem LG Bremen, Beschl. v. 24.11.2021 – 4 T 431/21. Das LG hat Stellung genommen zum Streitwert einer Herausgabeklage auf Mandantenunterlagen, wenn die Herausgabe ausschließlich wegen offener Honorarforderungen verweigert wird. Das ist ja eine Frage, die immer auch mal den Strafverteidiger beschäftigen kann.

Das LG meint:

„Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Bei der Klage eines Mandanten gegen seinen ehemaligen Berater (Rechtsanwalt oder Steuerberater) auf Herausgabe der Mandatsunterlagen werden hinsichtlich der Streitwertfestsetzung unterschiedliche Ansätze vertreten. Einer Ansicht nach ist der Streitwert mit demjenigen Aufwand zu bemessen, den der Mandant für die Neuerstellung der Unterlagen / Ermittlung der benötigten Informationen aufwenden müsste (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 18. Februar 2005 – 12 W 3/04 –, Rn. 8, juris). Teilweise wird bei einem Steuerberater auf den möglichen steuerlichen Nachteil abgestellt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 21. Dezember 2004 – I-23 U 36/04 –, Rn. 10, juris). Einer anderen Ansicht nach wird in Fällen, in denen sich der Berater auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen offener Honorare beruft, auf den Wert des Zurückbehaltungsrechts abgestellt (OLG München, Urteil vom 15. Februar 2017 – 20 U 3317/16 –, Rn. 13 – 14, juris). Die Kammer ist der Auffassung, dass sich eine streng schematische Betrachtung verbietet. Vielmehr ist im Einzelfall zu schauen, worin der Schwerpunkt des Streites liegt, um daraus das wirtschaftliche Interesse der klagenden Partei ableiten zu können. Im vorliegenden Fall besteht nach dem Vortrag der Kläger kein Streit darüber, dass die Unterlagen überhaupt bei der Beklagten vorhanden sind. Die Beklagte verweigert die Herausgabe nach derzeitigem Stand ausschließlich unter Berufung auf ein offenes Honorar iHv 4.157,80 €. Diese Summe entspricht demnach dem derzeitigen Aufwand, den die Kläger (vor-)leisten müssten, um an die begehrten Unterlagen zu kommen. Daher entspricht auch diese Summe dem Streitwert. Derzeit besteht das wirtschaftliche Interesse der Kläger darin, die Unterlagen ohne Vorleistung der vermeintlichen Honoraransprüche zu erlangen.“

Bei der Durchsuchung beschlagnahmtes Bargeld, oder: Spätere Sicherstellung nach Polizeirecht zulässig?

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Und als zweites Posting dann etwas, das man gut in einer/der Rubrik: Wie ist es weiter gegangen?, einordnen könnte. Und zwar geht es um die „Fortsetzung“ eines Verfahrens, aus dem ich über den LG Mainz, Beschl. v. 09.08.2021 – 3 Qs 43/21 – berichtet hatte (Durchsuchung I: Verneinter Anfangsverdacht, oder: KiPo-Fall und legales Verhalten).

Ich erinnere: Es war im Zusammenhnag mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts auf illegalen Drogenhandel die Wohnung des Beschuldigten durchsucht und dabei eine größere Summe Bargeld, und zwar rund 35.000 EUR, beschlagnahmt worden. Das Geld wurde auf ein Konto bei der Landesoberkasse eingezahlt. Das LG hatte mit dem o.a. Beschluss die Durchsuchung als rechtswidrig angesehen., das Ermittlungsverfahren ist dann später eingestellt worden. Das beschlagnahmte Geld gab es aber nicht zurück, Es ist vielmehr eine sog. (Anschluss)Sicherstellung des Geldes nach Polizeirecht unter Anordnung des sofortigen Vollzugs ausgesprochen worden. Begründung: Es sei zu befürchten, dass das sichergestellte Bargeld für den Handel mit gesundheitsgefährdenden Stoffen, z.B. von 1V-LSD, eingesetzt werde. Dadurch würde das Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit gefährdet. Dies gelte vor allem deshalb, weil der Antragsteller erst kürzlich erneut polizeilich in Erscheinung getreten sei, indem er 1V-LSD zum Verkauf bei sich geführt habe und dieses Produkt auch auf seiner Webseite zum Verkauf anbiete. Das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Gesundheitsgefährdungen überwiege das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers an der vorübergehenden Rückgabe seines Geldes.

Dagegen der Widerspruch des ehemaligen Beschuldigten und ein vorläufiger Rechtsschutzantrag. Darüber hat das VG Mainz nun im VG Mainz, Beschl. v. 26.11.2021 – 1 L 887/21.MZ – entschieden. Das VG hat dem Eilantrag stattgegeben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Sicherstellungsbescheid wieder hergestellt und die Herausgabe des Geldes angeordnet. Darüber hat das VG bereits in einer PM berichtet. Ich bin schon ein Stückchen weiter und kann über den Volltext zu der Entscheidung berichten, den mir der Kollege Dr. Sobota, Wiesbaden, geschickt hat.

Das VG geht – nach summarischer Prüfung – davon aus, dass der Sicherstellungsbescheid materiell rechtswidrig ist, da im Zeitpunkt der Anordnung nicht von einer gegenwärtigen Gefahr ausgegangen werden konnte, welche die Sicherstellung des Geldes rechtfertige.

„Die Gefahrenlage braucht nicht in einer Eigenschaft der sicherzustellenden Sache begründet zu sein (vgl. OVG RP, Beschluss vom 8. Mai 2015 – 7 B 10383/15 –, juris, Rn. 11; Urteil vom 30. Oktober 2009 – 7 A 10723/09 –, juris, Rn. 28), sondern kann sich auch aus der Verwendung der Sache ergeben (vgl. BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O.; Nds.OVG, Urteil vom 2. Juli 2009 – 11 LC 4/08 –, juris, Rn. 36). Die Sicherstellung von Geld, das sich bereits in öffentlicher Verwahrung befindet, ist gemäß § 22 Nr. 1 POG (analog) deshalb grundsätzlich nur dann zulässig, wenn die zum Zeitpunkt der Sicherstellung bekannten Tatsachen die Prognose rechtfertigen, dass das Geld im Falle einer Rückgabe an den früheren Gewahrsamsinhaber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Straftaten verwendet werden wird (vgl. BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O., Rn. 25). Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn die Gefahr der Begehung von Betäubungsmitteldelikten besteht und dadurch wichtige Rechtsgüter, wie die Gesundheit von Dritten, beeinträchtigt werden können (vgl. VG Mainz, Urteil vom 3. Juli 2018, a.a.O., Rn. 33). Nichts anderes gilt für die Sicherstellung von Buchgeld.

Maßgeblicher Zeitpunkt – nach materiellem Recht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2006 – 5 B 90/05 –, juris, Rn. 6) – sowohl für die Tatsachenfeststellung als auch für die Prognoseentscheidung ist dabei der Zeitpunkt des Erlasses der Sicherstellungsverfügung am 25. Oktober 2021 (vgl. VG Mainz, Urteil vom 3. Juli 2018 – 1 K 1228/17.MZ –, juris, Rn. 34; BayVGH, Urteil vom 22. Mai 2017 – 10 B 17.83 –, juris, Rn. 25; HessVGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 8 A 103/15 –, juris, Rn. 19; BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014 – 1 A 255/12 –, juris, Rn. 25; OVG RP, Urteil vom 30. Oktober 2009 – 7 A 10723/09 –, juris, Rn. 43; VG München, Urteil vom 10. Dezember 2014 – M 7 K 12.4367 –, Rn. 22).

Bei Erlass der Sicherstellungsverfügung am 25. Oktober 2021 lagen nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass eine gegenwärtige Gefahr insoweit besteht, als der Antragsteller das zuvor beschlagnahmte Geld im Falle einer Herausgabe mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar zum Handel mit neuen – verbotenen – psychoaktiven Stoffen verwenden wird, deren Konsum Gesundheitsbeeinträchtigungen herbeiführen kann.

Eine gegenwärtige Gefahr ist – nach allgemeiner Auffassung – eine Gefahr, bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht (vgl. etwa BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O., Rn. 25; OVG RP, Urteil vom 30. Oktober 2009, a.a.O., Rn. 28; Kuhn, in: PdK RhPf K-30, Stand: August 2013, § 22 POG, Ziff. 6). Sie zeichnet sich damit durch einen besonders hohen Grad an Wahrscheinlichkeit und die besondere zeitliche Nähe zu dem befürchteten Schadenseintritt aus. Die Gefahrenprognose muss daher eine hohe Sicherheit aufweisen (vgl. BremOVG, a.a.O., Rn. 25; Nds. OVG, Urteil vom 2. Juli 2009, a.a.O., Rn. 38). Es bedarf zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der gegenwärtigen Gefahr grundsätzlich der Prognose, das Geld werde bei Rückgabe in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zur Begehung von Straftaten verwendet werden (vgl. BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O., Rn. 22, 25). Bloße Vermutungen, vage Verdachtsgründe und Ähnliches reichen hierfür jedenfalls als Tatsachengrundlage nicht aus (vgl. VG München, Urteil vom 10. Dezember 2014 – M 7 K 12.4367 –, juris, Rn. 24). Es muss stets gewährleistet bleiben, dass Annahmen und Schlussfolgerungen einen konkret umrissenen Ausgangspunkt im Tatsächlichen haben (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Juli 2005 – 1 BvR 668/04 –, juris, Rn. 151). Dabei sind nach einem das Polizei- und Ordnungsrecht beherrschenden Rechtsgedanken an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Juli 2005 – 1 BvR 668/04 –, juris, Rn. 151).

Ist anhand von hinreichenden Indizien davon auszugehen, dass das Geld offensichtlich aus Drogengeschäften stammt, kommt diesem Umstand bei der Prüfung der Frage, ob eine (gegenwärtige) Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt, ein erhebliches Gewicht zu (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 7. März 2013 – 11 LB 438/10 –, juris, Rn. 38). Denn es entspricht kriminalistischer Erfahrung, dass das aus Drogengeschäften gewonnene Geld in der Regel zumindest teilweise wieder in die Beschaffung von Betäubungsmitteln investiert wird (Nds. OVG, Urteil vom 7. März 2013, a.a.O.; VG München, Urteil vom 10. Dezember 2014, a.a.O., Rn. 25).

Hier lagen jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass das Geld aus – illegalen – Drogengeschäften stammt und unmittelbar wieder dafür eingesetzt werden sollte. Der Antragsteller handelt – unbestritten durch den Antragsgegner – nur mit solchen psychoaktiven Stoffen, die noch nicht in der Anlage zum Neuepsychoaktive-Stoffe-Gesetz enthalten sind. Der Handel mit diesen Stoffen ist also derzeit nicht strafbar (siehe dazu auch den Beschluss des Landgerichts Mainz vom 9. August 2021, Az. 3 QS 43/21).

Zwar spricht es für eine gegenwärtige Gefahrenlage, dass ein bestimmtes szenetypisches „Muster“ zu erkennen ist, wonach immer wieder neue psychoaktive Stoffe auf den Markt gebracht werden, die sich geringfügig von den bereits mit dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz verbotenen Stoffgruppen unterscheiden und damit von dem Verbot nicht mitumfasst sind, aber trotzdem eine vergleichbare Wirkung versprechen. In einer Art Wettlauf gegen die Zeit werden diese Stoffe für einen überschaubaren Zeitraum solange zum Verkauf angeboten, bis dieser Stoff ebenfalls in der Anlage zum Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz gelistet wird. Wegen der offenbar nur geringfügig abweichenden chemischen Zusammensetzung verweist der Antragsteller selbst auf seiner Webseite darauf, dass er zwar ausschließlich legale Produkte anbiete, diese aber in ihrer Wirkung mit – den zwischenzeitlich verbotenen – 1P-LSD und 1cPLSD vergleichbar sei („Da es ein Prodrug ist, teilt es viele ähnliche Eigenschaften des LSD selbst, aber auch mit 1PLSD, 1cPLSD und 1B-LSD.“, abzurufen unter: …).

Gleichwohl kann es grundsätzlich keine Vorwirkung des Neue-psychoaktive-StoffeGesetzes dahingehend geben, dass der Umgang mit Stoffen bzw. Stoffgruppen, die noch nicht in die Liste aufgenommen sind, zwar noch nicht verboten oder strafbewehrt wäre, aber gleichwohl ein Vorgehen der Polizeibehörden im Wege der Gefahrenabwehr erlaubt. Dies widerspräche grundsätzlich der Gesetzessystematik des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes, das vorsieht, dass Stoffe/Stoffgruppen erst dann verboten sind, wenn sie in die anliegende Liste aufgenommen worden sind. Das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz sowie das Betäubungsmittelgesetz sind Teile der objektiven Rechtsordnung im Sinne der öffentlichen Sicherheit, deren Gefährdung eine Sicherstellungsmaßnahme rechtfertigen könnte. Solange ein Verstoß gegen das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz nicht angenommen werden kann, ist auch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (aus diesem Grunde) nicht zu befürchten.

Der vorliegende Fall ist auch nicht mit dem Sachverhalt zu vergleichen, der den Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Freiburg und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zugrunde lag (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 3. Juli 2019 – 3 K 2803/19 –, juris; VGH BW, Beschluss vom 4. Juli 2019 – 1 S 1772/19 –, juris). In diesen Entscheidungen haben die beiden Gerichte jeweils vertreten, dass – ausnahmsweise aufgrund einer „besonderen Konstellation“ – eine Beschlagnahme eines noch nicht verbotenen, neuartigen, psychoaktiven Stoffes zulässig sei. Anders als im vorliegenden Fall hatte der Bundesrat nämlich im Zeitpunkt der Beschlagnahmeanordnung bereits der Aufnahme des Stoffes in die Anlage zum Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz zugestimmt, sodass das Inkrafttreten der geänderten Anlage unmittelbar in wenigen Tagen bevorstand. Zudem lag den Polizeibehörden in dem Fall ein Gutachten des Landeskriminalamtes vor, das im Rahmen des vorangegangenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erstellt worden war und eine starke Ähnlichkeit der chemischen Struktur des beschlagnahmten Stoffes mit dem bereits verbotenen LSD festgestellt hatte. Eine vergleichbare, konkrete Gefahrenlage ist im vorliegenden Fall jedoch nicht anzunehmen. Es bestehen lediglich Mutmaßungen, dass das sichergestellte Geld im Falle einer Rückgabe zur Verwendung von Geschäften im Zusammenhang mit neuen psychoaktiven Stoffen (konkret: 1V-LSD), die zwar noch nicht verboten sind, aber eine ähnliche Gefährlichkeit aufweisen könnten, eingesetzt wird. Dies reicht – auch zur Wahrung der Einheit der Rechtsordnung, die ein ausdifferenziertes System zur Drogenregulierung vorsieht – nicht aus, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu begründen. Ob eine Gefahrenabwehr ausnahmsweise gerechtfertigt wäre, weil das vom Gesetzgeber tolerierte Stadium der Legalität bis zu einem Verbot durch Aufnahme in die Anlage erhebliche Gesundheitsgefahren für Dritte befürchten ließe, lässt sich aufgrund der nur allgemeinen Mutmaßungen über die Gefährlichkeit hier nicht hinreichend prognostizieren. Hierfür wäre es erforderlich gewesen, dass der Antragsgegner weitergehende Ermittlungen hinsichtlich der Gefährlichkeit und Vergleichbarkeit des aktuell vom Antragsteller gehandelten 1V-LSD mit einem bereits verbotenen psychoaktiven Stoff durchgeführt hätte. Die Angaben zur Vergleichbarkeit der Stoffe in dem Online-Shop reichen insofern nicht aus.“

StPO II: Bedeutung als Beweismittel, oder: Herausgabe des bei der Durchsuchung beschlagnahmten Handys

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Die zweite Entscheidung kommt aus Bayern. Es handelt sich um den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 18.03.2021 – 12 Qs 9/21.

Gegenstand des Verfahrens ist der Streit um die Beschlagnahme eines Handys. Das AG hat die Durchsuchung des Wohnanwesens des Beschuldigten angeordnet. Dem Durchsuchungsbeschluss lag der Verdacht zugrunde, der Beschuldigte habe am 06.08.2019 eine Straftat nach § 201 Abs. 1 Nr. 1, § 205 Abs. 1 StGB (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) begangen, indem er das zwischen ihm und zwei Polizeibeamten – PHK pp. und PHM´in pp. – anlässlich einer Verkehrskontrolle geführte Gespräch heimlich mit seinem Mobiltelefon aufgezeichnet habe, obwohl er gewusst habe, dass er dazu nicht berechtigt sei.

Mit Beschluss vom 25.02.2021 ordnete das AG dann die Beschlagnahme der sichergestellten Speichermedien an, wobei sich darunter auch ein Mobiltelefon Samsung Galaxy xCover 4s, Seriennummer: pp., mit SIM Karte, befand, welches im Eigentum der Firma pp. GmbH & Co. KG, der Arbeitgeberin des Beschuldigten, steht und dem Beschuldigten zu Nutzung als Diensthandy überlassen worden war.

Die Firma hat dann Herausgabe des Mobiltelefons verlangt mit der Begründung, dass das Mobiltelefon erst am 22.04.2020 und damit ein halbes Jahr nach dem dem Beschuldigten zur Last liegenden Vorgang angeschafft wurde. Es sei daher nicht möglich, dass der Beschuldigte das Gespräch mit diesem Mobiltelefon aufgezeichnet habe.

Die StA hat der Herausgabe widersprochen und dazu u.a. ausgeführt, dass das Mobiltelefon zwar erst am 22.04.2020 angeschafft worden sei, es könne allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschuldigte die Aufnahme auf dieses Mobiltelefon überspielt und dort gespeichert habe. Dies lasse sich erst nach Auswertung des Mobiltelefons klären, welche jedoch noch andauere.

Das AG hat dann die Akten dem LG vorgelegt. Das hat das Handy herausgegeben:

„Die Beschwerde der Beschwerdeführerin ist statthaft und auch sonst zulässig, § 306 Abs. 1 StPO. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Die vom Amtsgericht Nürnberg gemäß §§ 94,98 StPO angeordnete Beschlagnahme des Mobiltelefons der Beschwerdeführerin Samsung Galaxy xCover 4s, Seriennummer: pp., mit SIM Karte war aufzuheben, da dieses vorliegend nicht als Beweismittel von Bedeutung ist.

Für die Bejahung der Bedeutung als Beweismittel für die Untersuchung ist es sowohl erforderlich als auch ausreichend, dass bei einer ex ante-Betrachtung die Möglichkeit bejaht wird, dass der Gegenstand im weiteren Verfahren zu Beweiszwecken verwendet werden kann (BVerfG NJW 1988, 890 (894); BGH NStZ 1981, 94; OLG Düsseldorf StV 1991, 473; NJW 1993, 3278; OLG München NJW 1978, 601). Einer (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit bedarf es zwar nicht, jedoch bedarf es zumindest der Erwartung, dass der Gegenstand oder dessen Untersuchung Schlüsse auf verfahrensrelevante Tatsachen zulässt (BeckOK StPO/Gerhold, 39. Ed. 1.1.2021, StPO § 94 Rn. 11). Dies ist jedenfalls im Hinblick auf das hier genannte Mobiltelefon Samsung Galaxy der Beschwerdeführerin nicht gegeben. Das Mobiltelefon wurde erst über ein halbes Jahr nach der dem Beschuldigten zur Last liegenden Tat angeschafft. Mithin ist es ausgeschlossen, dass der Beschuldigte die Tat mit diesem Mobiltelefon begangen hat. Zwar ist – wie die Staatsanwaltschaft ausführt – das Mobiltelefon zur Speicherung der Aufnahme geeignet, die Annahme, der Beschuldigte könnte die von ihm mutmaßlich am 6. August 2019 getätigte Aufnahme des Gesprächs mit den Polizeibeamten über ein halbes Jahr später auf sein Diensthandy überspielt haben, hält die Kammer bei lebensnaher Betrachtung für ausgeschlossen. Der Beschuldigte verfügte über zahlreiche eigene Speichermedien, welche ebenfalls beschlagnahmt wurden. Bei lebensnaher Betrachtung ist allenfalls denkbar, dass der Beschuldigte die Aufnahme auf einem anderen Speichermedium, welches in seinem Eigentum steht, gesichert hat. Eine Speicherung der Aufnahme auf seinem Diensthandy ist hingegen nicht zu erwarten.

In den Blick genommen werden muss dabei auch, dass die Beschlagnahme des Mobiltelefons, von der vorliegend in erster Linie nur die völlig unbeteiligte Beschwerdeführerin betroffen ist, auch in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts stehen und für die Ermittlungen notwendig sein (BeckOK StPO/Gerhold, 39. Ed. 1.1.2021, StPO § 94 Rn. 18 m.w.N., BVerfG, NJW 2021, 763). Auch wenn die vorgeworfene Straftat nicht lediglich geringfügig (zu diesem Gesichtspunkt BVerfG, Beschluss vom 28. September 2008 – 2 BvR 1800/07, juris Rn. 20) ist und auch der Tatverdacht angesichts der eigenen Angaben des Beschuldigten im Ordnungswidrigkeitenverfahren stark ist, so ist aus den oben genannten Gründen eine Beschlagnahme des Diensthandys des Beschuldigten für die Ermittlungen nicht notwendig. Nach der Argumentation der Staatsanwaltschaft könnte man die Beschlagnahme auch auf sämtliche Speichermedien von Personen, die mit dem Beschuldigten in Kontakt stehen, ausweiten, da auch diese geeignet sind, die Aufnahme des Beschuldigten zu speichern und es in der Theorie auch denkbar wäre, dass der Beschuldigte die Aufnahme an andere Personen verschickt haben könnte. Dies überspannt jedoch in jedem Fall den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.“

OWi II: Nochmals Rohmessdaten, oder: OLG Schleswig folgt dem VerfGH Saarland natürlich auch nicht

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt mit dem OLG Schleswig, Beschl. v. 20.12.2019 – II OLG 65/19 – mal wieder zu der Frage der Anwendung des Urteils des VerfGH Saarland v. 05.07.2019 (Lv 7/17). Ich bin auf die Entscheidung von verschiedenen Bloglesern aufmerksam gemacht worden und stelle sie u.a. deshlab hier vor. Obwohl: Viel Neues bringt sie nicht. Denn – wen wundert es? – das OLG wendet die Grundsätze des VerfGH natürlich nicht an und meint dazu:

„bb) Dieser Auffassung vermag der Senat bereits aus verfahrensrechtlicher Sicht nicht zu folgen.

Denn es trifft zunächst nicht zu, dass Beweisobjekte grundsätzlich für eine Nachprüfung der Gewinnung des Beweisergebnisses noch zur Verfügung stehen müssten. Im Falle der Einholung eines Sachverständigengutachtens – und dies betrifft etwa die vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes angesprochene Auswertung von DNA-Proben oder die Auswertung von Blutproben – ist Beweismittel das Sachverständigengutachten, nicht hingegen die DNA-Probe oder Blutprobe, welche – wie § 81a Abs. 3 StPO zeigt – zwar grundsätzlich bis zum Abschluss des Verfahrens aufzubewahren und danach zu vernichten sind, aber durchaus häufig auch im Rahmen der Sachverständigenuntersuchung verbraucht worden sind. Dies schließt die Verwertung des gutachterlichen Ergebnisses jedoch keinesfalls aus, weil eben dieses selbst das Beweismittel ist. Genau diese Wertung liegt auch der Möglichkeit der Verlesung von Gutachten oder Berichten über die Entnahme von Blutproben gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StPO zugrunde.

Kann sich der Strafrichter aufgrund der verlesenen Gutachten bzw. Berichte keine abschließende Überzeugung bilden und hat insbesondere Zweifel an der Aussagekraft der Erklärungen, wird er den Sachverständigen ergänzend vernehmen und zur Gewinnung seines Beweisergebnisses befragen müssen. Sind die Beweisobjekte nicht mehr vorhanden, kann es zur Erforderlichkeit einer besonders kritischen Bewertung des Beweisergebnisses kommen, gegebenenfalls auch zur Beauftragung eines weiteren Sachverständigen (BGH, Beschluss vom 8. November 1988 – 1 StrR 544/88 -, StV 1989, 141, bei juris; BGH, Beschluss vom 14. Juli 1995 – 3 StR 355/94 -, StV 1995, 565, bei juris). Eine Neubestimmung der Blutprobe oder der DNA-Probe wird aber nicht regelmäßig erfolgen müssen und auch nicht stets erfolgen können. Auch kennen andere Messmethoden, wie etwa der Gebrauch von Waagen, Längenmessern, Thermometern oder die Bestimmung der Atemalkohol-Konzentration, eher selten bis überhaupt nicht eine Aufzeichnung von Rohmessdaten, ohne dass dies bisher Gerichte oder auch den Gesetzgeber (vgl. etwa § 24 a StVG für die Atemalkoholkonzentration) zur Annahme eines rechtsstaatlichen Defizits gebrachte hätte.

Zudem kennt die forensische Praxis diverse Verfahren, die sich zum Inhalt verlorengegangener oder vernichteter Urkunden (etwa Testamente) verhalten und deren Inhalt rekonstruieren müssen. Auch dies ist prozessual anerkannt möglich, ohne dass dem der Einwand der Unmöglichkeit einer Kontrolluntersuchung entgegenstände. Die Rechte des Betroffenen werden in solchen Situationen durch die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Sachaufklärung des Gerichts gewahrt. Kann sich das Gericht eine hinreichende Überzeugung bilden, kann es von einem Beweisergebnis ausgehen. Gelingt dies nicht und kann die „Lücke“ nicht auf andere Weise geschlossen werden, ist der Beweis nicht als geführt anzusehen; im Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren ist der Angeklagte oder Betroffene im Zweifel freizusprechen.

Die Rechtsfigur des „standardisierten Messverfahrens“ erleichtert die Aufklärungslast des Gerichts in den für sie geeigneten Situationen lediglich dahin, dass im Sinne eines antizipierten Gutachtens ein Beweis als geführt angesehen werden darf, solange nicht konkrete Einwendungen gegen die Richtigkeit des Messergebnisses erhoben werden. Diese Einwände müssen jedoch das Messergebnis selbst betreffen, nicht in erster Linie die Funktionalität des eingesetzten Messgerätes. Denn für die Verlässlichkeit des Messverfahrens ist nicht erforderlich, dass und in welcher Weise die Funktionalität des Messvorganges konkret nachvollzogen werden kann oder auch noch nachträglich aufgrund vorhandener Rohmessdaten zu Kontrollzwecken simuliert werden kann. Die Annahme eines Messverfahrens als eines standardisierten Verfahrens setzt voraus, dass das Messgerät im Rahmen seiner Konformitätsprüfung durch die PTB diverse Messreihen durchlaufen hat und von daher in einem anzunehmenden „Normalfall“ unter Berücksichtigung einer Toleranz seine Messgenauigkeit unter Beweis gestellt hat. Die Qualität denkbarer Einwände richtet sich daher allein danach, ob und inwieweit es Umstände gibt, die eine Anormalität der Messsituation oder des Messvorgangs nahelegen.

cc) Mit dieser – verfahrensrechtlichen – Sicht ist es nicht vereinbar, eine Verwertbarkeit des derart gewonnenen Ergebnisses bereits deshalb zu verneinen, weil dem Betroffenen nicht die Möglichkeit eröffnet ist, durch Recherche denkbare Fehlfunktionen zu ermitteln. Denn letztlich stellt eine derartige Sicht – wie es das OLG Oldenburg (Beschluss vom 23. Juli 2018 – 2 Ss (OWi) 187/18 -, bei juris), der I. Senat für Bußgeldsachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (Beschluss vom 5. Juni 2019 – I OLG 123/19, SchlHA 2019, 279 f., bei juris) und jetzt das Bayerische Oberste Landesgericht (Beschluss vom 9. Dezember 2019 – 202 ObOWi 1955/19, BeckRS 2019, 31165) zutreffend formuliert haben – die Figur des standardisierten Messverfahrens grundlegend in Frage.

Dies zeigt gerade auch der konkrete Fall: denn auch hier ist der Betroffene ersichtlich nicht in der Lage, auf Anormalitäten der Messsituation oder des Messvorganges zu verweisen. Insbesondere liegt die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung von etwa 28 km/h bezogen auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit keinesfalls in einem Bereich, der eine derartige Überschreitung als nach dem eingesetzten Fahrzeug oder den Örtlichkeiten unplausibel erscheinen lassen müsste. Lag es derart, war das Amtsgericht auch nicht gehalten, von sich aus weitere Sachaufklärung vorzunehmen.

dd) Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass die skizzierte Handhabung des Verfahrensrechts den Betroffenen in seinen Grundrechten oder seinem Recht auf Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens verletzt.

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass das derzeitige System der Tatsachenfeststellung in Ordnungswidrigkeitenverfahren einschließlich der Überprüfung durch die Rechtsbeschwerdegerichte in ihrer Gesamtschau rechtsstaatlichen Standards nicht genügen würde (so mit Recht auch BayObLG a.a.O.). Die vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes angeführte Situation bei elektronischen Wahlgeräten (hierzu BVerfG, Beschluss vom 3. März 2009 – 2 BVC 3/07, 2 BVC 4/07, BVerfGE 123, 39 ff., bei juris) betrifft eine demokratierelevante Sondersituation und ist nicht mit der Situation eines gerichtlichen Verfahrens vergleichbar.

Ungeachtet dessen teilt der Senat auch nicht die Auffassung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes, dass die Konsequenz selbst eines angenommenen rechtsstaatlichen Defizits stets in einem Verbot der Verwertung des gewonnenen Beweisergebnisses liegen muss.

Zum einen handelt es sich bei Zweifeln an der Beweiskraft eines Sachverständigengutachtens oder einer technischen Aufzeichnung in erster Linie um ein Problem richterlicher Sachverhaltsaufklärung, ohne dass die vorzunehmende – notfalls kritische – Würdigung in der bisherigen gerichtlichen Praxis durch die Annahme von Verwertungsverboten „überholt“ worden wäre. Zum anderen ist die Beantwortung der Frage, ob die Annahme eines Verwertungsverbots gerechtfertigt ist, im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht stets das Ergebnis einer Abwägung der betroffenen Belange im Einzelfall (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 2010 – 2 BvR 1046/08 -, bei juris Rn. 36 zur Verwertung einer entgegen § 81 a StPO damaliger Fassung gewonnenen Blutprobe). Insoweit ist aber zu bedenken, dass es vorliegend nicht um den Vorwurf eines schweren Delikts mit für den Betroffenen einschneidenden Folgen geht, sondern – nur – um den Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung und einer sich hieraus ergebenden Ordnungswidrigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat auch bei Dauervideoaufzeichnungen im Straßenverkehr ausgesprochen, dass deren Verwertung im Bußgeldverfahren nicht schon an einem generellen Verwertungsverbot scheitert, weil derartige Aufnahmen nicht den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung des Betroffenen und seine Privatsphäre berühren (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 20. Mai 2011 – 2 BVR 2072/10 -, bei juris).“

Also es bleibt dabei: Eine „unheilige Allianz“ von Nord nach Süden, mit der die OLG die Messpraxis pp. verteidigen. Man kann nur den Kopf schütteln, wenn man liest: Dies zeigt gerade auch der konkrete Fall: denn auch hier ist der Betroffene ersichtlich nicht in der Lage, auf Anormalitäten der Messsituation oder des Messvorganges zu verweisen.“ und sich fragen: Wie soll er denn auch, wenn er die Messung nicht kennt und man die Daten nicht herausrückt? Wie war das noch mit dem „Teufelskreis“ß

Und: Zutreffend was einer meiner „Tippgeber“ „anmerkte“:

Sehr schön auch Rn. 33 zum Beweisverwertungsverbot:

„…Ergebnis einer Abwägung der betroffenen Belange im Einzelfall… Insoweit ist aber zu bedenken, dass es vorliegend nicht um den Vorwurf eines schweren Delikts mit für den Betroffenen einschneidenden Folgen geht, sondern – nur – um den Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung und einer sich hieraus ergebenden Ordnungswidrigkeit“

Ich dachte immer, im Rahmen der (sicherlich unter Aufbietung aller Erkenntniskräfte durchgeführten) Abwägung würde das geringe Gewicht des Verfolgungsinteresses (keine schwere Straftat oder OWi) FÜR ein Verwertungsverbot sprechen (weil die staatlichen Interessen eben nicht so schwer wiegen) und nicht DAGEGEN.

Aber auf solche Details kommt es vielleicht in der heutigen Rechtsprechung auch schon gar nicht mehr an.“

Herausgabe der Handakten, oder: Anspruch verjährt?

Heute wird es im „Kessel Buntes“ dann mal ganz bunt. Denn ich eröffne mit dem LG Frankfurt am Main, Urt. v. 01.03.2018 – 2-25 O 125/17. Das hat nichts mit Verkehrsrecht oder Strafrecht zu tun, sondern hat seinen Ausgangspunkt in einem Insolvenzverfahren. Nach dessen Abschluss wird nun um die Herausgabe von Handakten gestritten. Kläger ist der Insolvenzverwalter, Beklagte ist eine Rechtsanwaltssozietät, die für die Insolvenzschuldnerin rechtsberatend tätig war. Das Insolvenzverfahren ist 2012 eröffnet worden.  Mit E-Mail vom 23.12.2015 hat der Kläger von der Beklagten Herausgabe der bei der Beklagten für die Insolvenzschuldnerin geführten Handakte gefordert. Die hat u.a. die Einrede der Verjährung erhoben. Sie ist der Auffassung, ein Herausgabeanspruch aus §§ 667, 675 Abs. 1 BGB sei nach den allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB verjährt. Eine berufsrechtliche Herausgabepflicht bestehe allenfalls zivilrechtsakzessorisch, das heißt die Pflicht bestünde nur dann, wenn ein korrespondierender zivilrechtlicher Herausgabeanspruch durchsetzbar wäre, was aufgrund der Verjährung nicht der Fall sei. Im Übrigen ergäbe sich aus einer berufsrechtlichen Herausgabepflicht, sei es nach § 50 BRAO alter oder neuer Fassung, kein Anspruch des Klägers im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB, also das „Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen“. Die Verletzung der Berufspflicht werde lediglich berufsrechtlich sanktioniert. Es sei strikt zwischen zivilrechtlicher Anspruchsgrundlage und sanktionsfähiger Berufspflicht zu unterscheiden. § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO n.F., der berufsrechtlich sanktioniert sei, sei überdies auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Dem stehe das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG entgegen, das sich auch auf die anwaltliche Ehrengerichtsbarkeit beziehe.

Das LG gibt der Beklagten Recht und hat die Klage abgewiesen. Begründung: Zwar hat es einen Herausgabeanspruch gegeben, aber:

„II.

Dieser Anspruch ist jedoch nicht mehr durchsetzbar, weil er gem. §§ 195, 199 Abs. 1, 214 Abs. 1 BGB verjährt ist.

1. Die Regelverjährung nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB findet auf den Herausgabeanspruch nach § 667 BGB Anwendung (Sprau, in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 667 Rn. 9). Dies gilt auch für den auf §§ 675 Abs. 1, 667 BGB gestützten Anspruch auf Herausgabe der anwaltlichen Handakten ( BGHZ 109, 260, 264 f.; Deckenbrock, NJW 2017, 1425, 1427).

2. Dabei sind die §§ 195, 199 Abs. 1 BGB für den Anspruch eines Auftraggebers auf Herausgabe der anwaltlichen Handakte nicht dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass Verjährung nicht vor Ablauf der in § 50 Abs. 1 Satz 1 BRAO in der seit dem 18.05.2017 geltenden Fassung (nachfolgend: n.F.) oder in § 50 Abs. 2 Satz 1 BRAO in der bis zum 17.05.2017 geltenden Fassung (nachfolgend: a.F.) normierten Aufbewahrungsfrist eintritt. Die allgemeinen Vorschriften der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB sind nicht um einen Ausnahmetatbestand im eben genannten Sinne zu ergänzen.

Eine teleologische Reduktion setzt voraus, dass das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht und der ihm immanenten Teleologie unvollständig ist, mithin eine nach dem Regelungsplan oder dem Gesamtzusammenhang des Gesetzes zu erwartende Regel fehlt (Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl. 1995, 196 f.) und dass die Ergänzung um einen Ausnahmetatbestand wertungsmäßig geboten ist, was einerseits durch den Sinn und Zweck der einzuschränkenden Norm selbst oder durch den insoweit vorrangigen Zweck einer anderen Norm geboten sein kann, wobei jeweils das Gebot der Gerechtigkeit, Ungleiches ungleich zu behandeln zu beachten ist (Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl., 211).

a) Für die vorliegende Fallgestaltung ist dem Gesetz bereits keine planwidrige verdeckte Regelungslücke zu entnehmen……“