Bei der Durchsuchung beschlagnahmtes Bargeld, oder: Spätere Sicherstellung nach Polizeirecht zulässig?

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Und als zweites Posting dann etwas, das man gut in einer/der Rubrik: Wie ist es weiter gegangen?, einordnen könnte. Und zwar geht es um die „Fortsetzung“ eines Verfahrens, aus dem ich über den LG Mainz, Beschl. v. 09.08.2021 – 3 Qs 43/21 – berichtet hatte (Durchsuchung I: Verneinter Anfangsverdacht, oder: KiPo-Fall und legales Verhalten).

Ich erinnere: Es war im Zusammenhnag mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts auf illegalen Drogenhandel die Wohnung des Beschuldigten durchsucht und dabei eine größere Summe Bargeld, und zwar rund 35.000 EUR, beschlagnahmt worden. Das Geld wurde auf ein Konto bei der Landesoberkasse eingezahlt. Das LG hatte mit dem o.a. Beschluss die Durchsuchung als rechtswidrig angesehen., das Ermittlungsverfahren ist dann später eingestellt worden. Das beschlagnahmte Geld gab es aber nicht zurück, Es ist vielmehr eine sog. (Anschluss)Sicherstellung des Geldes nach Polizeirecht unter Anordnung des sofortigen Vollzugs ausgesprochen worden. Begründung: Es sei zu befürchten, dass das sichergestellte Bargeld für den Handel mit gesundheitsgefährdenden Stoffen, z.B. von 1V-LSD, eingesetzt werde. Dadurch würde das Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit gefährdet. Dies gelte vor allem deshalb, weil der Antragsteller erst kürzlich erneut polizeilich in Erscheinung getreten sei, indem er 1V-LSD zum Verkauf bei sich geführt habe und dieses Produkt auch auf seiner Webseite zum Verkauf anbiete. Das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Gesundheitsgefährdungen überwiege das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers an der vorübergehenden Rückgabe seines Geldes.

Dagegen der Widerspruch des ehemaligen Beschuldigten und ein vorläufiger Rechtsschutzantrag. Darüber hat das VG Mainz nun im VG Mainz, Beschl. v. 26.11.2021 – 1 L 887/21.MZ – entschieden. Das VG hat dem Eilantrag stattgegeben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Sicherstellungsbescheid wieder hergestellt und die Herausgabe des Geldes angeordnet. Darüber hat das VG bereits in einer PM berichtet. Ich bin schon ein Stückchen weiter und kann über den Volltext zu der Entscheidung berichten, den mir der Kollege Dr. Sobota, Wiesbaden, geschickt hat.

Das VG geht – nach summarischer Prüfung – davon aus, dass der Sicherstellungsbescheid materiell rechtswidrig ist, da im Zeitpunkt der Anordnung nicht von einer gegenwärtigen Gefahr ausgegangen werden konnte, welche die Sicherstellung des Geldes rechtfertige.

„Die Gefahrenlage braucht nicht in einer Eigenschaft der sicherzustellenden Sache begründet zu sein (vgl. OVG RP, Beschluss vom 8. Mai 2015 – 7 B 10383/15 –, juris, Rn. 11; Urteil vom 30. Oktober 2009 – 7 A 10723/09 –, juris, Rn. 28), sondern kann sich auch aus der Verwendung der Sache ergeben (vgl. BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O.; Nds.OVG, Urteil vom 2. Juli 2009 – 11 LC 4/08 –, juris, Rn. 36). Die Sicherstellung von Geld, das sich bereits in öffentlicher Verwahrung befindet, ist gemäß § 22 Nr. 1 POG (analog) deshalb grundsätzlich nur dann zulässig, wenn die zum Zeitpunkt der Sicherstellung bekannten Tatsachen die Prognose rechtfertigen, dass das Geld im Falle einer Rückgabe an den früheren Gewahrsamsinhaber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Straftaten verwendet werden wird (vgl. BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O., Rn. 25). Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn die Gefahr der Begehung von Betäubungsmitteldelikten besteht und dadurch wichtige Rechtsgüter, wie die Gesundheit von Dritten, beeinträchtigt werden können (vgl. VG Mainz, Urteil vom 3. Juli 2018, a.a.O., Rn. 33). Nichts anderes gilt für die Sicherstellung von Buchgeld.

Maßgeblicher Zeitpunkt – nach materiellem Recht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2006 – 5 B 90/05 –, juris, Rn. 6) – sowohl für die Tatsachenfeststellung als auch für die Prognoseentscheidung ist dabei der Zeitpunkt des Erlasses der Sicherstellungsverfügung am 25. Oktober 2021 (vgl. VG Mainz, Urteil vom 3. Juli 2018 – 1 K 1228/17.MZ –, juris, Rn. 34; BayVGH, Urteil vom 22. Mai 2017 – 10 B 17.83 –, juris, Rn. 25; HessVGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 8 A 103/15 –, juris, Rn. 19; BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014 – 1 A 255/12 –, juris, Rn. 25; OVG RP, Urteil vom 30. Oktober 2009 – 7 A 10723/09 –, juris, Rn. 43; VG München, Urteil vom 10. Dezember 2014 – M 7 K 12.4367 –, Rn. 22).

Bei Erlass der Sicherstellungsverfügung am 25. Oktober 2021 lagen nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass eine gegenwärtige Gefahr insoweit besteht, als der Antragsteller das zuvor beschlagnahmte Geld im Falle einer Herausgabe mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar zum Handel mit neuen – verbotenen – psychoaktiven Stoffen verwenden wird, deren Konsum Gesundheitsbeeinträchtigungen herbeiführen kann.

Eine gegenwärtige Gefahr ist – nach allgemeiner Auffassung – eine Gefahr, bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht (vgl. etwa BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O., Rn. 25; OVG RP, Urteil vom 30. Oktober 2009, a.a.O., Rn. 28; Kuhn, in: PdK RhPf K-30, Stand: August 2013, § 22 POG, Ziff. 6). Sie zeichnet sich damit durch einen besonders hohen Grad an Wahrscheinlichkeit und die besondere zeitliche Nähe zu dem befürchteten Schadenseintritt aus. Die Gefahrenprognose muss daher eine hohe Sicherheit aufweisen (vgl. BremOVG, a.a.O., Rn. 25; Nds. OVG, Urteil vom 2. Juli 2009, a.a.O., Rn. 38). Es bedarf zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der gegenwärtigen Gefahr grundsätzlich der Prognose, das Geld werde bei Rückgabe in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zur Begehung von Straftaten verwendet werden (vgl. BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O., Rn. 22, 25). Bloße Vermutungen, vage Verdachtsgründe und Ähnliches reichen hierfür jedenfalls als Tatsachengrundlage nicht aus (vgl. VG München, Urteil vom 10. Dezember 2014 – M 7 K 12.4367 –, juris, Rn. 24). Es muss stets gewährleistet bleiben, dass Annahmen und Schlussfolgerungen einen konkret umrissenen Ausgangspunkt im Tatsächlichen haben (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Juli 2005 – 1 BvR 668/04 –, juris, Rn. 151). Dabei sind nach einem das Polizei- und Ordnungsrecht beherrschenden Rechtsgedanken an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Juli 2005 – 1 BvR 668/04 –, juris, Rn. 151).

Ist anhand von hinreichenden Indizien davon auszugehen, dass das Geld offensichtlich aus Drogengeschäften stammt, kommt diesem Umstand bei der Prüfung der Frage, ob eine (gegenwärtige) Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt, ein erhebliches Gewicht zu (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 7. März 2013 – 11 LB 438/10 –, juris, Rn. 38). Denn es entspricht kriminalistischer Erfahrung, dass das aus Drogengeschäften gewonnene Geld in der Regel zumindest teilweise wieder in die Beschaffung von Betäubungsmitteln investiert wird (Nds. OVG, Urteil vom 7. März 2013, a.a.O.; VG München, Urteil vom 10. Dezember 2014, a.a.O., Rn. 25).

Hier lagen jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass das Geld aus – illegalen – Drogengeschäften stammt und unmittelbar wieder dafür eingesetzt werden sollte. Der Antragsteller handelt – unbestritten durch den Antragsgegner – nur mit solchen psychoaktiven Stoffen, die noch nicht in der Anlage zum Neuepsychoaktive-Stoffe-Gesetz enthalten sind. Der Handel mit diesen Stoffen ist also derzeit nicht strafbar (siehe dazu auch den Beschluss des Landgerichts Mainz vom 9. August 2021, Az. 3 QS 43/21).

Zwar spricht es für eine gegenwärtige Gefahrenlage, dass ein bestimmtes szenetypisches „Muster“ zu erkennen ist, wonach immer wieder neue psychoaktive Stoffe auf den Markt gebracht werden, die sich geringfügig von den bereits mit dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz verbotenen Stoffgruppen unterscheiden und damit von dem Verbot nicht mitumfasst sind, aber trotzdem eine vergleichbare Wirkung versprechen. In einer Art Wettlauf gegen die Zeit werden diese Stoffe für einen überschaubaren Zeitraum solange zum Verkauf angeboten, bis dieser Stoff ebenfalls in der Anlage zum Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz gelistet wird. Wegen der offenbar nur geringfügig abweichenden chemischen Zusammensetzung verweist der Antragsteller selbst auf seiner Webseite darauf, dass er zwar ausschließlich legale Produkte anbiete, diese aber in ihrer Wirkung mit – den zwischenzeitlich verbotenen – 1P-LSD und 1cPLSD vergleichbar sei („Da es ein Prodrug ist, teilt es viele ähnliche Eigenschaften des LSD selbst, aber auch mit 1PLSD, 1cPLSD und 1B-LSD.“, abzurufen unter: …).

Gleichwohl kann es grundsätzlich keine Vorwirkung des Neue-psychoaktive-StoffeGesetzes dahingehend geben, dass der Umgang mit Stoffen bzw. Stoffgruppen, die noch nicht in die Liste aufgenommen sind, zwar noch nicht verboten oder strafbewehrt wäre, aber gleichwohl ein Vorgehen der Polizeibehörden im Wege der Gefahrenabwehr erlaubt. Dies widerspräche grundsätzlich der Gesetzessystematik des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes, das vorsieht, dass Stoffe/Stoffgruppen erst dann verboten sind, wenn sie in die anliegende Liste aufgenommen worden sind. Das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz sowie das Betäubungsmittelgesetz sind Teile der objektiven Rechtsordnung im Sinne der öffentlichen Sicherheit, deren Gefährdung eine Sicherstellungsmaßnahme rechtfertigen könnte. Solange ein Verstoß gegen das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz nicht angenommen werden kann, ist auch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (aus diesem Grunde) nicht zu befürchten.

Der vorliegende Fall ist auch nicht mit dem Sachverhalt zu vergleichen, der den Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Freiburg und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zugrunde lag (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 3. Juli 2019 – 3 K 2803/19 –, juris; VGH BW, Beschluss vom 4. Juli 2019 – 1 S 1772/19 –, juris). In diesen Entscheidungen haben die beiden Gerichte jeweils vertreten, dass – ausnahmsweise aufgrund einer „besonderen Konstellation“ – eine Beschlagnahme eines noch nicht verbotenen, neuartigen, psychoaktiven Stoffes zulässig sei. Anders als im vorliegenden Fall hatte der Bundesrat nämlich im Zeitpunkt der Beschlagnahmeanordnung bereits der Aufnahme des Stoffes in die Anlage zum Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz zugestimmt, sodass das Inkrafttreten der geänderten Anlage unmittelbar in wenigen Tagen bevorstand. Zudem lag den Polizeibehörden in dem Fall ein Gutachten des Landeskriminalamtes vor, das im Rahmen des vorangegangenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erstellt worden war und eine starke Ähnlichkeit der chemischen Struktur des beschlagnahmten Stoffes mit dem bereits verbotenen LSD festgestellt hatte. Eine vergleichbare, konkrete Gefahrenlage ist im vorliegenden Fall jedoch nicht anzunehmen. Es bestehen lediglich Mutmaßungen, dass das sichergestellte Geld im Falle einer Rückgabe zur Verwendung von Geschäften im Zusammenhang mit neuen psychoaktiven Stoffen (konkret: 1V-LSD), die zwar noch nicht verboten sind, aber eine ähnliche Gefährlichkeit aufweisen könnten, eingesetzt wird. Dies reicht – auch zur Wahrung der Einheit der Rechtsordnung, die ein ausdifferenziertes System zur Drogenregulierung vorsieht – nicht aus, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu begründen. Ob eine Gefahrenabwehr ausnahmsweise gerechtfertigt wäre, weil das vom Gesetzgeber tolerierte Stadium der Legalität bis zu einem Verbot durch Aufnahme in die Anlage erhebliche Gesundheitsgefahren für Dritte befürchten ließe, lässt sich aufgrund der nur allgemeinen Mutmaßungen über die Gefährlichkeit hier nicht hinreichend prognostizieren. Hierfür wäre es erforderlich gewesen, dass der Antragsgegner weitergehende Ermittlungen hinsichtlich der Gefährlichkeit und Vergleichbarkeit des aktuell vom Antragsteller gehandelten 1V-LSD mit einem bereits verbotenen psychoaktiven Stoff durchgeführt hätte. Die Angaben zur Vergleichbarkeit der Stoffe in dem Online-Shop reichen insofern nicht aus.“

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