„Gang der Hauptverhandlung, Allgemeines“ heißt in meinem „Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung“ ein Stichwort. Ich räume ein, ich habe dem bislang nicht so ganz große Bedeutung beigemessen: Das kann sich jetzt aber vielleicht ändern, wenn man sich das Verfahren Kachelmann ansieht.
Gestern die Verlesung der Anklage, die (nicht erfolgte) Einlassung des Angeklagten = Verlesung seiner Angaben beim Haftrichter, und dann der Streit über den weiteren Gang der Hauptverhandlung. Denn normal – aber was ist schon normal – wäre es, wenn sich nun die Vernehmung des potenziellen Tatopfers anschließen würde, das wäre der normale Gang. Der liegt m.E. i.d.R. auch im Interesse des Angeklagten, der einen Anspruch darauf hat, ggf. möglichst schnell frei gesprochen zu werden, wenn man dem Tatopfer nicht glaubt, aber dieser Gang liegt auch im Interesse des Tatopfers, das dann die vor ihm liegende Belastung durch die Zeugenaussage schneller hinter sich hat.
Von diesem Gang wird nun abgewichen und es werden zunächst die Vernehmungsbesamten, die das Opfer zuerst vernommen haben, gehört und der Haftrichter. Und dann – man ist erstaunt – 10 ehemalige Freundinnen von Kachelmann – so meldet es wenigstens dpa in unserer Tageszeitung (vgl. aber auch hier). Das erschließt sich mir nun wirklich nicht. Was sollen deren Angaben denn für den Vorwurf der Vergewaltigung einer anderen Frau bringen? Etwa die Überlegung, dass K. bestimmte Praktiken nicht wesensfremd sind, woraus man ggf. Rückschlüsse ziehen will? Aber die Praktiken und das, was passiert sein soll, kennt man doch noch gar nicht. Das erfährt man ggf. doch erst durch die Vernehmung des Opfers, wenn überhaupt. Das eigentliche Tatgeschehen liegt doch bis dahin im Wesentlichen im Dunkeln, es sei denn die Kammer hinterfragt schon mal das, was man in den vergangenen Monaten alles in der Presse hat lesen können. :-(. Der zuständige Staatsanwalt hat für den späten Vernehmungstermin als Begründung angeführt, dass ein Gutachter, der die Aussage des mutmaßlichen Opfers bewerten solle, bis zum 13.10.2010 verhindert sei. Ok, das kann ein Grund für die spätere Vernehmung eines Zeugen sein. Aber, tatsächlich auch hier: Denn man muss sich doch fragen, ob der Gutachter, wenn er ein vernünftiges Gutachten erstatten soll/will, dann nicht die gesamte Beweisaufnahme mit erleben muss, nicht nur die 10 ehemaligen Freundinnen, sondern vor allem auch die Vernehmung der „Erstvernehmungsbeamten“, da sich ja gerade aus deren Angaben Anhaltspunkte für die Glaub- oder Unglaubhaftigkeit des mutmaßlichen Opfers ergeben können. An deren Vernehmung nimmt der Guachter dann aber wohl nicht teil.
Alles in allem: Der „Gang der Hauptverhandlung“ ist für mich – auf der Grundlage der Informationen, die ich habe – nicht so recht nachvollziehbar. Man erkennt nicht so richtig, was dahintersteckt. Mir ist auch unverständlich, warum die Kammer die Abweichungen vom normalen Gang nicht in öffentlicher HV erörtert und erläutert. So könnte man doch dem Eindruck, der entstanden ist, man wolle erst mal durch die Vernehmung der 10 Ex-Freundinnen Stimmung machen, entgegenwirken.
Im Übrigen: Mir ist klar, dass der Vorsitzende und ggf. das Gericht (§ 238 Abs. 2 StPO) die Reihenfolge der Zeugenvernehmungen bestimmt. Es wird auch nicht ganz einfach sein, aus einer Abweichung von der „normalen Reihenfolge“ Munition für die Revision ziehen zu können. Grds. möglich ist es aber (vgl. § 338 Nr. 8 StPO).
Man darf gespannt sein, wie es weitergeht.
Zum Thema auch noch hier, hier und hier, und es gibt noch mehr. Man kann nicht alles lesen.