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U-Haft III: Sechs-Monats-Haftprüfung durch das OLG, oder: Unzuverlässiger Sachverständiger der StA

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Und im dritten Posting dann der KG, Beschl. v. 23.04.2024 – – 3 Ws 12/24 HP – ergangen im Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 StPO. Das KG behandelt die Frage (vorwerfbarer) Verzögerungen des Verfahrens durch einen unzuverlässigen Sachverständigen. Das KG verneint eine durch die StA verursachte vorwerfbare Verzögerung und führt dazu aus:

„d) Die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren unter Beachtung des in Haftsachen geltenden besonderen Beschleunigungsgebots geführt, insbesondere nach Bekanntwerden von psychischen Auffälligkeiten des Angeschuldigten noch am selben Tag die psychiatrische Begutachtung in die Wege geleitet. Zwar ist es wegen der Erstellung des (vorläufigen) psychiatrischen Gutachtens zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung gekommen, weil – für die Staatsanwaltschaft nicht vorhersehbar – der ursprünglich beauftragte Sachverständige Dr. X seine Zusage, das vorläufige Gutachten bis Ende Februar 2024 zu erstellen, nicht eingehalten und nach Ablauf der Frist erklärt hat, die Exploration erst Ende April vornehmen zu können, wodurch die Staatsanwaltschaft gezwungen gewesen ist, einen neuen Sachverständigen mit der Begutachtung des Angeschuldigten zu beauftragen. Die dadurch entstandene Verzögerung des Verfahrens ist der Staatsanwaltschaft und dem Amtsgericht bei der Prüfung, ob ein wichtiger Grund im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO vorliegt, der die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigt, indes nicht zuzurechnen.

aa) Wird durch die Staatsanwaltschaft oder das Gericht ein Sachverständiger mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, haben sie durch Auswahl eines zuverlässigen Sachverständigen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 StPO), Fristsetzung zur Gutachtenerstattung (§ 73 Abs. 1 Satz 2 StPO) und gegebenenfalls durch Vornahme von Zwangsmaßnahmen gegen einen Sachverständigen bei Ausbleiben des Gutachtens (§ 77 StPO) auf eine rechtzeitige Gutachtenerstellung hinzuwirken (vgl. BVerfG NStZ-RR 2021, 50; OLG Jena StraFo 1997, 318). Ist für das bisherige Ausbleiben des Sachverständigengutachtens ein Grund nicht ersichtlich und sind rechtzeitige und wirksame Kontrollen einer zügigen Gutachtenerstellung unterblieben, ist die damit verbundene Verfahrensverzögerung dem Staat zuzurechnen (vgl. OLG Jena a.a.O.). Sind die Strafverfolgungsbehörden diesen Auswahl- und Überwachungspflichten nachgekommen, konnte die Verzögerung aber gleichwohl nicht verhindert werden, ist sie dem Staat nicht zuzurechnen.

bb) Diese Anforderungen hat die Staatsanwaltschaft erfüllt. Ein Verschulden der Staatsanwaltschaft bei der Auswahl des Sachverständige Dr. X ist nicht erkennbar. Den Sachakten sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass dieser unzuverlässig ist, insbesondere Zusicherungen abredewidrig nicht einhalten wird. Zudem hat die Staatsanwaltschaft realistische Vorgaben bezüglich der Gutachtenerstellung gemacht, die mit dem Sachverständigen im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 2 StPO abgesprochen und im förmlichen Auftragsschreiben der Staatsanwaltschaft textlich hervorgehoben worden sind. Darüber hinaus hat die Staatsanwaltschaft den Sachverständigen Dr. X noch vor Ablauf der Erstellungsfrist zweimal (mit E-Mail vom 11. Januar 2024 und postalischem Anschreiben vom 9. Februar 2024) auf die einzuhaltende Frist hingewiesen und um Mitteilung gebeten, sollte diese vom Sachverständigen nicht eingehalten werden. Erstmalig mit E-Mail vom 4. März 2024 hat Dr. X mitgeteilt, die Exploration erst Ende April 2024 vornehmen zu können. Dass die Staatsanwaltschaft keinen Gebrauch von der Möglichkeit gemacht hat, gegen den Sachverständigen ein Ordnungsgeld nach § 77 Abs. 2 StPO zu verhängen, erscheint sachgerecht. Ein Ordnungsgeld hätte wegen der nach § 77 Abs. 2 Satz 2 StPO zu setzenden Nachfrist allenfalls zu einer minimalen Zeitersparnis geführt. Zudem hätte das Risiko bestanden, dass bei fortdauernder Weigerung des Sachverständigen Dr. X gleichwohl ein neuer Sachverständiger, dann aber mit zusätzlichem Zeitverlust, hätte bestellt werden müssen. Dies wäre für den Fortgang des Verfahrens kontraproduktiv gewesen. Der neue Gutachtenauftrag wurde von der Staatsanwaltschaft unverzüglich nach Bekanntwerden der endgültigen Weigerung des alten Sachverständigen erteilt, wiederum unter angemessener Fristsetzung bis Mitte Mai 2024 und dem Hinweis, das Gutachten bis zum festgesetzten Zeitpunkt zu erstellen.

Die genannte Verzögerung hätte nicht dadurch verhindert werden können, dass die Staatsanwaltschaft, ohne die ursprünglich gesetzte Begutachtungsfrist abzuwarten, den Angeschuldigten ohne vorherige Begutachtung angeklagt hätte. Denn angesichts dessen, dass die Verteidigerin auf psychische Auffälligkeiten des Angeschuldigten hingewiesen hat und das Haftkrankenhaus mit Schreiben vom 12. Februar 2024 wegen des Verdachts einer paranoiden Schizophrenie nach ICD-10: F20.0 seine forensisch-psychiatrische Begutachtung angeregt hat, hatte die Staatsanwaltschaft zu ermitteln, ob die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 63 StGB vorliegen, um dadurch zum einen zu klären, ob Anklage zu erheben oder eine Antragsschrift im Sicherungsverfahren zu fertigen ist, und zum anderen, welches Gericht nach Maßgabe von §§ 24 Abs. 1, 74 Abs. 1 GVG sachlich zuständig ist.

Dass die Staatsanwaltschaft nunmehr, ohne den Eingang des schriftlichen Gutachtens abzuwarten, Anklage erhoben hat, steht dazu nicht im Widerspruch. Denn dem Zeitgewinn, der durch eine vorab erfolgte gutachterliche Klärung oben genannter Fragestellung erzielt worden wäre, ist durch die Weigerung des Dr. X, das Gutachten fristgerecht zu erstellen, die Wirkung genommen worden. ….

U-Haft I: Zur Haftprüfung wird nicht „verschubt“?, oder: Aufhebung des Haftbefehls

entnommen wikimedia commons Author Renardo la vulpo

Und auch heute dann „normaler“ Arbeitstag, auch wenn „Vatertag“ ist. Es werden ja nicht alle mit dem Bollerwagren unterwegs sein. Ich bin es nicht. Ich bin zwar unterwegs, aber nicht mit dem Bollerwagen, sondern nach Borkum 🙂 .

Ich mache heute dann mal einen U-Haft-Tag. In den starte ich mit dem AG Hamburg, Beschl. v. 14.01.2022 – 164 Gs 1489/21. Der Beschluss ist zwar schon etwas 🙂 älter, aber ein Bericht lohnt sich (noch). Denn das AG ha im AG Hamburg, Beschl. v. 14.01.2022 – 164 Gs 1489/21 – wegen einer nicht möglichen/erfolgten Vorführung des Beschuldigten zum Haftprüfungstermin den Haftbefehl aufgehoben.

„Der o.g. Haftbefehl war aufzuheben, da ein weiteres Aufrechterhalten jedenfalls nicht mehr verhältnismäßig wäre.

Wie das hiesige Gericht heute zufällig auf Nachfrage bei der JVA pp. erfahren hat, wurde der Beschuldigte nicht – wie angekündigt – von der JVA pp. nach Hamburg verschubt, sondern ist in der JVA pp. verblieben.

U.a. durch E-Mail vom 3.1.2022 war dem hiesigen Gericht zuvor von der JVA pp., Herrn pp. mitgeteilt worden, dass der Beschuldigte am 6.1.2022 verschubt und voraussichtlich auf 11.1.2022 in Hamburg eintreffen wird.

Von dieser Verschubung wurde, ohne dass das die Haftkontrolle führende hiesige Gericht in die Entscheidung einbezogen und darüber informiert wurde, auf unbekannte Veranlassung abgesehen. Auf telefonische Nachfrage am heutigen Tag wurde dem hiesigen Gericht von der JVA mitgeteilt, dass eine Unterrichtung des zuständigen Gerichts nicht üblich sei.

Das hiesige Gericht hat, da der Beschuldigte eine Haftprüfung beantragt hat, innerhalb der gesetzlichen Fristen von 14 Tagen persönlich eine Anhörung des Beschuldigten durchzuführen. Diese gesetzliche Frist kann hier im Hinblick auf die einfach unterbliebende Verschubung des Beschuldigten nach Hamburg nicht mehr eingehalten werden. Dieser Umstand darf nicht zu Lasten des Beschuldigten gehen, zumal der Beschuldigte über seinen Verteidiger am heutigen Tag eine aktuelle Ladungs- und Zustellanschrift mitgeteilt hat.

Der Haftbefehl war daher – nach Anhörung des Verteidigers und der Staatsanwaltschaft Hamburg – aufzuheben.

Der Beschuldigte wird rein vorsorglich darauf hingewiesen, dass er, sollte er nicht unter der benannten Anschrift c/o pp. oder einer anderweitig mitgeteilten neuen Anschrift zuverlässig für Staatsanwaltschaft und Gericht erreichbar sei, er gegebenenfalls jederzeit erneut mit dem Erlass eines Haftbefehls zu rechnen hat.“

Ich frage mich allerdings, was mit § 118a Abs. 2 Satz 2 StPO ist. Dazu sagt das AG nichts.

U-Haft I: Sechs-Monats-Haftprüfung, oder: Der Begriff „derselben Tat“

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Dann schiebe ich nach dem U-Haft-Tag gestern heute gleich noch mal „Haftentscheidungen“ nach.

Ich beginne in dem Zusammenhang mit dem BGH, Beschl. v. 02.06.2021 – AK 33/21, der im Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 ergangen ist. Es geht in der Entscheidung noch einmal um den Begriff „derselben Tat“ und damit um die Voraussetzungen einer mehr als sechs Monate dauernden U-Haft.

Der BGH hat in seiner Entscheidung das Vorliegen „derselben Tat“ verneint und daher eine Haftprüfung nach §§ 121,1 22 StPO nicht durchgeführt:

„Eine Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO ist derzeit entgegen der Auffassung der Beschuldigten nicht veranlasst. Zwar befindet sie sich mittlerweile seit mehr als sechs Monaten in Untersuchungshaft. Im Hinblick auf die weiteren Vorwürfe im Haftbefehl vom 21. April 2021 ist jedoch eine neue Sechsmonatsfrist im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO in Gang gesetzt worden, deren Lauf am 18. Februar 2021 begonnen hat und deren Ablauf somit noch nicht bevorsteht.

Gemäß § 121 Abs. 1 StPO darf der Vollzug der Untersuchungshaft „wegen derselben Tat“ vor dem Erlass eines Urteils nur unter besonderen Voraussetzungen länger als sechs Monate aufrechterhalten werden. Der Begriff derselben Tat nach § 121 StPO ist mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm, die das Beschleunigungsgebot in Haftsachen durchsetzen soll, weit auszulegen. Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschlüsse vom 6. April 2017 – AK 14/17, juris Rn. 6; vom 7. September 2017 – AK 42/17, NStZ-RR 2018, 10, 11; vom 16. Januar 2018 – AK 78/17, juris Rn. 11; vom 3. Februar 2021 – AK 50/20, juris Rn. 5; s. auch KK-StPO/Schultheis, 8. Aufl., § 121 Rn. 10 mwN) erfasst er alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, zu dem sie – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt geworden sind und in einen bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind. Somit löst es keine neue Haftprüfungsfrist gemäß § 121 Abs. 1 StPO aus, wenn vor Ablauf der Frist ein neuer Haftbefehl erlassen wird, der lediglich auf Tatvorwürfe gestützt bzw. durch sie erweitert wird, die schon bei Erlass des ersten Haftbefehls – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt waren. Tragen dagegen die erst im Laufe der Ermittlungen bekannt gewordenen Tatvorwürfe für sich genommen den Erlass eines Haftbefehls und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Sechsmonatsfrist in Gang gesetzt. Für den Fristbeginn ist dann der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem sich der Verdacht hinsichtlich der neuen Tatvorwürfe zu einem dringenden verdichtet hat, der neue bzw. erweiterte Haftbefehl mithin hätte erlassen werden können, nicht hingegen, wann die Staatsanwaltschaft ihn erwirkt hat. Dabei ist regelmäßig der Haftbefehl spätestens an dem auf die Beweisgewinnung folgenden Tag der veränderten Sachlage anzupassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 – AK 14/17, juris Rn. 8; vom 25. Juli 2019 – AK 34/19, NStZ 2019, 626 Rn. 8; vom 3. Februar 2021 – AK 50/20, juris Rn. 5).

Danach hat der Haftbefehl vom 21. April 2021 eine neue Sechsmonatsfrist eröffnet, deren Lauf an dem Tag begonnen hat, an welchem ein erweiterter Haftbefehl hätte erlassen werden können. Dieser hat neue selbständige Taten zum Gegenstand, die noch nicht Gegenstand des vorangegangenen Haftbefehls waren (unten 1.), erst im Laufe der nachfolgenden Ermittlungen bekannt geworden sind (unten 2.) und für sich genommen den Haftbefehlserlass rechtfertigen (unten 3.); zu einem dringenden Tatverdacht haben sich diese Vorwürfe erst am 18. Februar 2021 verdichtet (unten 4.).“

Wegen der Einzelheiten dann bitte selbst im Volltext weiterlesen.

U-Haft III: Haftprüfung beim OLG, oder: Folgen einer verspäteten Vorlage

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Und als letzte Entscheidung dann noch ein Beschluss in Zusammenhnag mit der Haftprüfung beim OLG. Es geht um die Frage: Was ist, wenn die die Akten ( versehentlich) verspätet bei bereits laufender Hauptverhandlung dem OLG vorgelegt werden.

Das OLG Stuttgart sagt im OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.06.2020 – H 7 Ws 54/20: Dann haben wir damit nichts mehr zu tun:

„Der Haftprüfungstermin für den Angeklagten pp. wurde mit Blick auf eine Untersuchungshaftunterbrechung zunächst auf den 29. Mai 2020 berechnet. Da übersehen wurde, dass diese Unterbrechung nicht — wie ursprünglich vorgesehen -50 Tage, sondern lediglich 25 Tage angedauert hat, hätten die Akten am 4. Mai 2020 zur Haftprüfung vorgelegt werden müssen.

Die große Jugendkammer des Landgerichts Stuttgart hat am 28. Mai 2020 die Hauptverhandlung begonnen. Sie hat, nachdem sie auf das Berechnungsversehen aufmerksam wurde, unter dem 2. Juni 2020 die Akten zur Durchführung des Haftprüfungsverfahrens gemäß §§ 121, 122 StPO vorgelegt. Die Akten gingen am Nachmittag des 3. Juni 2020 beim Oberlandesgericht Stuttgart ein.

Eine Haftprüfungsentscheidung ist nicht mehr veranlasst. Der Senat sieht für eine solche Entscheidung keinen Raum mehr.

1. Zwar wird die vorliegende Konstellation vom Wortlaut der §§ 121, 122 StPO nicht erfasst; § 121 Abs. 3 S. 2 StPO regelt ausdrücklich nur den Fall, dass die Hauptverhandlung vor dem Ablauf der Sechsmonatsfrist des § 121 Abs. 2 StPO begonnen hat. Die Bestimmung des § 121 Abs. 3 S. 2 StPO ist jedoch sinngemäß heranzuziehen. Danach endet die Prüfungskompetenz des Oberlandesgerichts im besonderen Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO grundsätzlich mit dem Beginn der Hauptverhandlung in der anhängigen Strafsache.

a) Die Rechtsprechung hat, soweit ersichtlich, den Fall einer verspäteten Aktenvorlage zur Haftprüfung infolge der versehentlich unzutreffend berechneten Sechsmonatsfrist des § 121 Abs. 1 StPO bisher nicht behandelt. Dennoch ist wiederholt klargestellt worden, dass für eine Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Fortdauer der Untersuchungshaft kein Raum mehr ist, wenn die Hauptverhandlung begonnen hat (BGH bei Schmidt, MDR 1988, 357 sowie OLG Hamm BeckRS 1998, 1490 für den Fall des Hauptverhandlungsbeginns noch vor Ablauf der dem Beschuldigten und Verteidiger eingeräumten Frist zur Stellungnahme zum Antrag auf Fortdauer der Untersuchungshaft), und die Regelung des § 121 Abs. 3 S. 2 StPO stets dann sinngemäß anzuwenden ist, wenn das Tatgericht die Hauptverhandlung begonnen hat, bevor das Oberlandesgericht über die Haftfortdauer entschieden hat bzw. entscheiden kann (OLG Düsseldorf NStZ 1992, 402; KG BeckRS 2006, 14719 und OLG Dresden NStZ 2004, 644 zur begonnenen Hauptverhandlung vor der Entscheidung des OLG, nachdem das Verfassungsgericht einen ergangenen Haftfortdauerbeschluss aufgehoben und das Haftprüfungsverfahren an das OLG zurückverwiesen hatte). Teile der Kommentarliteratur haben sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (KK -StPO/Schultheis, 8. Aufl., § 121 Rn 5; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 63. Aufl., § 121 Rn 31). Das OLG Hamm (BeckRS 2012, 17623) hat die Frage der Anwendung des § 121 Abs. 3 S. 2 StPO für den Fall der Aktenvorlage nach Ablauf der Sechsmonatsfrist offengelassen.

b) Der Senat teilt die Auffassung, dass nach dem Sinn und Zweck der Regelungen der §§ 121, 122 StPO die Aufgabe des Oberlandesgerichts, die Fortdauer der Untersuchungshaft zu überprüfen bzw. gegebenenfalls anzuordnen, mit Beginn der Hauptverhandlung endet.

Zunächst zeigt die Bestimmung des § 121 Abs. 3 S. 2 StPO, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass eine besondere Haftprüfung durch das Oberlandesgericht mit dem Beginn der Hauptverhandlung für deren Dauer entbehrlich ist (OLG Oldenburg WW 1965, 2120). Dies gilt umso mehr, als er die Vorschrift trotz mehrerer Neufassungen unverändert gelassen hat, obwohl die Rechtsprechung die zeitliche Begrenzung der Überwachungspflicht mehrfach bekräftigt hatte (OLG Düsseldorf aa0).

Zudem kann sich die Prüfung des Oberlandesgerichts im Verfahren nach §§ 121, 122 StPO allein auf die Frage erstrecken, ob die Fortdauer der Untersuchungshaft gerechtfertigt ist, nicht aber darauf, ob in der Vergangenheit erlittene Untersuchungshaft gerechtfertigt war. Eine Entscheidung des Senats trotz begonnener Hauptverhandlung ließe die aktuellen Haftverhältnisse und den Fortgang des Strafverfahrens außer Acht (KG aaO mwN).

c) Hinzu kommt, dass mit dem Hauptverhandlungsbeginn eine sachliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts fehlt. Diese lebt auch nicht wieder auf, weil eine rechtzeitige Haftprüfung versehentlich unterblieb (ebenso Keller NStZ 1992, 604). Demgemäß ist eine Entscheidung im Haftprüfungsverfahren auch dann nicht mehr veranlasst, wenn die Untersuchungshaft vor Erlass eines auf Freiheitsentziehung lautenden Urteils bereits länger als sechs Monate vollzogen worden ist (OLG Köln, Beschl. v. 18.02.1977 – HEs 11/77, juris).

Eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für die Prüfung einer in der Vergangenheit vollzogenen Untersuchungshaft gibt es nicht. Sie folgt weder aus gesetzlichen Regelungen noch aus Bedürfnissen des Angeklagten oder der Rechtspraxis. Vielmehr besteht nach dem gesetzlichen Zuständigkeitsgefüge für die Prüfung der Untersuchungshaftvoraussetzungen bei laufender Hauptverhandlung allein eine Zuständigkeit des Tatgerichts. Das Tatgericht hat diese Prüfung ständig und von Amts wegen durchzuführen (§ 120 StPO) und dabei auch — und unabhängig von § 121 StPO — zu überwachen, ob Verletzungen des Beschleunigungsgebots dem weiteren Vollzug der Untersuchungshaft entgegenstehen (vgl. nur Schmitt aaO § 120 Rn. 3 mwN). Zudem kann sich ein Angeklagter gegen die Untersuchungshaft jederzeit und ohne Rechtsverlust im Wege der Haftprüfung und der Haftbeschwerde wenden und eine hierauf ergehende Entscheidung anfechten.

Würde die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts im Verfahren nach §§ 121, 122 StPO im Falle einer versehentlich verspäteten Vorlage bei bereits laufender Hauptverhandlung bejaht, könnte der Senat keine Entscheidung zur Fortdauer der Untersuchungshaft treffen, sondern lediglich eine Feststellung über die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft für einen beschränkten und in der Vergangenheit liegenden Zeitraum vom Ablauf der Sechsmonatsfrist bis zum Hauptverhandlungsbeginn. Eine solche sich auf einen zurückliegenden Verfahrensabschnitt beziehende Feststellung sehen §§ 121, 122 StPO im Haftprüfungsverfahren aber nicht vor. Ein Angeklagter kann sie gegebenenfalls mit einer erfolgreichen Haftprüfung oder Haftbeschwerde erreichen. Überdies bestünde die Gefahr, dass es zu divergierenden Entscheidungen des Oberlandesgerichts und des Tatgerichts über die Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft kommen könnte.

2. Ob eine fehlende Prüfungskompetenz des Oberlandesgerichts auch in dem Ausnahmefall anzunehmen ist, in dem das Tatgericht die Aktenvorlage bewusst unterlässt bzw. „eigenmächtig“ schon mit der Hauptverhandlung begonnen hat (zu dieser Konstellation Münchener Kommentar StPO/Böhm 1. Aufl., § 121 Rn 108), kann offenbleiben. Für eine solche Fallgestaltung fehlt jeder Anhaltspunkt. Vielmehr folgt aus dem Vorlagebericht der Strafkammervorsitzenden nicht nur, dass alles Notwendige zur Einhaltung des Beschleunigungsgebots getan wurde, sondern auch, dass die verspätete Vorlage allein auf einem Versehen bei der Haftzeitberechnung beruht, das auch von der Staatsanwaltschaft und den beiden Verteidigern bis zum Hauptverhandlungsbeginn nicht bemerkt worden ist.“

U-Haft II: „Vorratshaltung“ von Tatvorwürfen, oder: Das Auslieferungsrecht kann auch eine Rolle spielen

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Von der zweiten „Haftentscheidung“, dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 12.06.2018 – 1 Ws 191/18 H – schon etwas älter, aber erst vor kurezm übersandt -, stelle ich dann nur die Leitsätze des OLG ein. Aus denen erschließt sich, worum es geht: Haftprüfungsverfahren nach § 121, 122 StPO:

  1. Der Tatbegriff des § 121 Abs. 1 StPO ist weiter zu fassen als die Tat im Sinne von § 264 StPO.
  1. Um ein „Vorrätighalten“ von Tatvorwürfen zulasten des Beschuldigten zu verhindern, rechnen zum Tatbegriff des § 121 Abs. 1 StPO deshalb alle Taten, die zum Zeitpunkt des Erlasses des vollzogenen Haftbefehls bereits bekannt waren.
  1. Werden neue Taten nachträglich bekannt, ist maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der neuen Sechs-Monatsfrist nicht der Erlass eines neuen oder die Erweiterung des bestehenden Haftbefehls, sondern die Erlassreife, also der Zeitpunkt, in dem der einfache Tatverdacht sich zum dringenden verdichtet hat.
  1. Ist der Beschuldigte wegen anderer Taten aus einem EU-Mitgliedstaat ausgeliefert worden, ohne auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet zu haben, beginnt die neue Sechs-Monatsfrist bezüglich der nachträglich bekannt gewordenen Taten erst ab dem Zeitpunkt, zu dem entweder der ausliefernde Staat nachträglich seine Zustimmung erteilt hat, den Beschuldigten hier auch wegen dieser Taten zu verfolgen, zu verurteilen oder einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme zu unterwerfen (§ 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG), oder zu dem der Beschuldigte nachträglich auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet hat (§ 83h Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3 IRG).
  1. Bis zu diesem Zeitpunkt wäre nämlich zwar der Erlass eines Haftbefehls, nicht aber dessen Vollstreckung zulässig gewesen.