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Auch wenn du kommst – Haftbefehl bleibt in Kraft…..

Machen wir mal wieder ein wenig Haftrecht, hatten wir ja schon länger nicht mehr. Im OLG Köln, Beschl. v. 15.11.2011 – 2 Ws 709/11 – ging es um die Aufrechterhaltung eines Haftbefehls, dessen Vollzug ausgesetzt war, nach Aussetzung der Hauptverhandlung und deren Neubeginn. Der Angeklagte hatte u.a. damit argumentiert, dass der angenommene Haftgrund der Fluchtgefahr nicht mehr vorliege, da er allen Ladungen pp, gefolgt sei.

Das OLG geht in der Begründung seiner „Aufrechterhaltungsentscheidung“  davon aus, dass sich erheblichen Tatvorwürfen gegen den Angeklagten und aus der insoweit zu erwartenden Gesamtfreiheitsstrafe ergeben kann, dass die Aufrechterhaltung eines Haftbefehl, dessen Vollzug unter Auflagen ausgesetzt ist, nicht unverhältnismäßig ist. Denn bei einem erheblichen Fluchtanreiz aufgrund einer hohen Straferwartung könne der Haftgrund der Fluchtgefahr weiter bestehen bleiben. Der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen gelte zwar auch bei Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls. Die Beschränkungen, die durch Auflagen und Weisungen entstehen, dürften danach nicht länger andauern, als es nach den Umständen des Falles erforderlich ist. Zur Sicherung der Durchführung des Verfahrens könne jedoch die Aufrechterhaltung von Auflagen unverzichtbar sein.

Ganz schön frech, das OLG Köln….

Wenn es so gemeint ist/war, wie es im OLG Köln, Beschl. v.  15.11.2011 – 2 Ws 650/11 geschrieben steht, dann ist es m.E. ganz schön frech das OLG Köln. Im Beschluss ging es um eine Haftbeschwerde während laufender Hauptverhandlung, die das OLG zurückgewiesen hat. In der entschiedenen Sache lässt sich dagegen kaum etwas einwenden, allerdings habe ich Zweifel, ob die Aussage des OLG, dass die Strafkammer bei vielen Anklagevorwürfen nicht den Haftbefehl während laufender Hauptverhandlung an die jeweilige Beweissituation anpassen müsse. Das mag hier richtig sein, da der Angeklagte wohl weitgehend geständig war. Aber der Inhaftierte muss/sollte ja immer auch die Grundlage kennen, auf der er in Haft gehalten wird. Führt man die Auffassung des OLG zu Ende, hätte das zur Folge, dass ein Haftbefehl während laufender HV nicht an sich ändernde Beweissituationen angepasst werden sondern möglicherweise erst am Ende der HV aufgehoben werden müsste. Das hat auch nichts mit „Belastung“ des erkennenden Gerichts, sondern m.E. dem Freiheitsrecht des noch nicht Verurteilten zu tun.

Aber das war/ist nicht „frech“.Sondern: Der Verteidiger hatte auch die Verhältnismäßigkeit beanstandet und das u.a. damit begründet, dass dass an 2 Tagen der Sitzungssaal nicht vorbereitet war und an einem weiteren Tag die inhaftierten Angeklagten nicht vorgeführt worden waren. Das OLG dazu:

„…. ist für die Verfahrensbeteiligten ärgerlich und auch nicht hinnehmbar, führt aber nicht automatisch zu einer Verkürzung der für die Verhandlung zur Verfügung stehenden Zeit. Schließlich ist eine Verzögerung von zweimal einer halben Stunde und einmal fast anderthalb Stunden keine Zeit, die bei einer auf 10 Tage terminierten Hauptverhandlung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten ins Gewicht fallen könnte. Im Übrigen mag der Verteidiger sich, soweit er Mängel der Gerichtsorganisation beanstandet, an die zuständige Behörde wenden.“

Im Übrigen mag der Verteidiger sich, soweit er Mängel der Gerichtsorganisation beanstandet, an die zuständige Behörde wenden„? Das ist m.E. ganz schön frech und im Übrigen so ähnlich wie sonst bei einer Behörden: Ich bin nicht zuständig, wenden Sie sich bitte an meinen Kollegen. Und hier ist es m.E. im Grundsatz auch nicht richtig. In dem Bereich muss man m.E. die Justiz als Gesamtheit sehen und „schlechte“ bzw. nicht ausreichende Organisation wird der Strafkammer zugerechnet.

 

 

Wer nicht kommt, wird auch nicht geholt

Das OLG Brandenburg musste sich mit folgender Verfahrenssituation befassen. Gegen den Angeklagten ergeht Strafbefehl. Es wird nach Einspruch des Angeklagten Hauptverhandlung anberaumt, zu der das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet wird. Der Angeklagte erscheint nicht. Daraufhin ergeht Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO. Dazu der OLG Brandenburg, Beschl. v.24.08.2011 – 1 Ws 133/11:

Der Haftbefehl sei aufzuheben: Für den Fall, dass der Angeklagte bei Beginn der auf den Einspruch gegen einen Strafbefehl anberaumten Hauptverhandlung weder erschienen noch durch einen Verteidiger vertreten sei, sei zwar der Erlass eines Haftbefehls zulässig, jedoch ist es nicht Sache des Gerichts, dem Angeklagten Gelegenheit zur Durchführung einer Hauptverhandlung mithilfe eines hierfür nicht vorgesehenen Zwangsmittels zu verschaffen. Vielmehr seidas Verfahren in solchen Fällen dadurch abzuschließen, dass der Einspruch des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache verworfen wird.

Haftbefehl nicht vollzogen – Akteneinsicht: Ja oder nein?

Nach Abschluss der Ermittlungen ist gemäß § 147 Abs. 1 StPO dem Verteidiger Einsicht in die gesamten Akten zu gewähren.. Das Akteneinsichtsrecht ist allerdings im Ermittlungsverfahren gemäß § 147 Abs. 2 Satz 1 StPO eingeschränkt. Dem Verteidiger kann die Akteneinsicht in diesem Verfahrensstadium versagt werden, soweit dadurch der Untersuchungszweck gefährdet würde. Die Frage, wie mit dieser Einschränkungsmöglichkeit umzugehen ist, wenn im Ermittlungsverfahren Zwangsmaßnahmen gegen den Beschuldigten ergriffen worden sind, ist umstritten, wenn es sich um nicht vollzogene Zwangsmaßnahmen handelt. Das spielt besonders beim nicht vollzogenen Haftbefehl eine Rolle. Mit der Frage hat sich im Sommer der KG, Beschl. v. 06.07.2011 –  4 Ws 57/11– auseinandergesetzt. Das KG kommt zu folgenden Leitsätzen:

  1. Akteneinsicht kann dem Beschuldigten auch bei einem allein auf den Haftgrund der Flucht gestützten Haftbefehl gemäß § 147 Abs. 2 Satz 1 StPO versagt werden, solange der Haftbefehl noch nicht vollzogen ist.
  2. Der Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG wird in diesem Fall nicht dadurch verletzt, dass er erst nach der Festnahme über die entscheidungserheblichen Umstände informiert wird.

Und weiter:

„Von der Kenntnis des Beschuldigten sind daher zunächst solche Informationen abzuschirmen, die seine Flucht erleichtern können. Von Wert sind für den Beschuldigten dabei nicht nur Informationen über die klassischen, allein der Aufenthaltsermittlung dienenden Maßnahmen (Durchsuchungen zum Zweck der Ergreifung oder Maßnahmen der Telefonüberwachung), sondern alle Informationen, die ihm offenbaren könnten, was die Ermittlungsbehörden über sein familiäres und sonstiges soziales Umfeld, seine Kontakte und damit mögliche Anknüpfungspunkte für Aufenthaltsermittlungen in Erfahrung gebracht haben. Seine Flucht erleichtern können ferner Informationen darüber, wer aus seinem sozialen Umfeld im Verfahren mit den Ermittlungsbehörden kooperiert hat und aus diesem Grund nicht um Hilfe bei der Flucht ersucht werden sollte. Selbst wenn die Ermittlungen insoweit unergiebig geblieben sein sollten, wären auch diese sogenannten negativen Tatsachen dem Beschuldigten für die weitere Flucht von großem Nutzen. Sie verschafften ihm einen vollständigen Überblick über den Ermittlungsstand. Er würde wissen, welche Bereiche seines persönlichen Umfelds bislang nicht in das Visier der Ermittler gelangt sind und damit zur Fortsetzung der Flucht nutzbar blieben.

Um den Vollzug des Haftbefehls bei einem flüchtigen Beschuldigten nicht zu gefährden, können daher regelmäßig auch wesentliche Aktenbestandteile von der Einsicht ausgenommen werden. Denn oftmals werden sich entsprechende Anhalte gerade auch aus Ermittlungen ableiten lassen, die zur Schuld- und Straffrage geführt worden sind und ohne die dem Beschuldigten eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Haftbefehls nicht möglich sein wird.“


Was wird aus dem nicht vollzogenen Haftbefehl…

wenn Rechtskraft eintritt? Wird er gegenstandslos oder was passiert? Zu der damit zusammenhängenden Problematik des Übergang von Untersuchungshaft in Strafhaft befasst sich der lesenswerte KG, Beschl. v. 17.06.2011 – 2 Ws 219/11.

Das KG geht in dem Beschluss davon aus, dass – so auch die h.M. – die Untersuchungshaft bei Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung automatisch in Strafhaft übergeht. Grundlage der Strafvollstreckung ist dann das rechtskräftige Urteil, welches mit Rechtskraft ohne Weiteres die angeordneten Rechtsfolgen eintreten lässt. Der Haftbefehl wird insoweit gegenstandslos.

Das gilt nach Auffassung des KG jedoch nicht in den Fällen, in denen der Haftbefehl gegen Auflagen bereits außer Vollzug gesetzt war. Um insoweit den Zweck der Untersuchungshaft, nämlich die Sicherstellung der Strafvollstreckung, zu gewährleisten, sei der Haftbefehl weiterhin Grundlage für die nach wie vor geltenden Haftverschonungsauflagen (so früher auch schon OLG Karlsruhe MDR 1980, 598; LG Stuttgart StRR 2009, 118).