Schlagwort-Archive: Geschwindigkeitsmessung

Aufgepasst in Baden-Württemberg: Blitzen vor dem Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung erlaubt….

Autofahrer in Baden-Württemberg müssen jetzt aufpassen. Das OLG Stuttgart hat nämlich in OLG Stuttgart, Beschl. v.04.07.2011, 4 Ss 261/11 seine Rechtsprechung geändert.

Während es – auf der Grundlage einer früher in BW geltenden Verwaltungsvorschrift/Richtlinie – davon ausgegangen ist, dass eine Geschwindigkeitsmessung kurz vor dem Ende einer Geschwindigkeitsbegrenzung nicht zulässig ist, hat es diese Rechtsprechung – nach Aufhebung der Richtlinie – aufgegeben. In den Fällen darf der Kraftfahrer also nicht mehr von einem Richtlinienverstoß und damit nicht üblichen Verhältnissen i.S. von § 1 BKatV ausgehen. Und: Es ist auf die Fahrtrichtung des Betroffenen abzustellen, wenn es um die Zuordnung zum Verkehrsschild geht. In den Gründen heißt es:

„Geschwindigkeitsmessungen sollen grundsätzlich in einem Abstand von 150 m zu den jeweiligen beschränkenden Verkehrszeichen stattfinden. Davon kann bei gefährlichen Stellen (Unfallstellen, Gefahrenstellen) sowie im unmittelbaren Umfeld von Schulen, Kindergärten oder Baustellen abgewichen werden.“

Die Vorschrift beschreibt somit den Abstand der Messstelle zu einem Verkehrszeichen, das den Beginn einer Geschwindigkeitsbeschränkung anzeigt wie etwa der Ortseingangstafel (Zeichen 310 der Anlage 3 zur StVO i. V. m. § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) oder dem Zeichen 274 der Anlage 2 zur StVO. Da vor einem solchen Verkehrszeichen die Geschwindigkeit nicht beschränkt ist, bezieht sich der Abstand von 150 m auf den Bereich nach dem Zeichen. Darüber hinaus ist von dieser Regelung nicht die Geschwindigkeitsmessung bei einem solchen Verkehrszeichen erfasst, das eine Geschwindigkeitsbeschränkung aufhebt (etwa Zeichen 311 der Anlage 3 zur StVO i. V. m. § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO oder Zeichen 278 der Anlage 2 zur StVO).

Vorliegend wurde der Betroffene 90 m vor der Ortstafel gemessen. Zwar ist erfahrungsgemäß die Ortseingangs- mit der Ortsausgangstafel verbunden, so dass die Messung weniger als 150 m vor der Ortseingangstafel und damit entgegen der o.a. Vorschrift erfolgt sein könnte. Gleichwohl wurde das Messgerät korrekt aufgestellt, denn es ist auf die Fahrtrichtung des Betroffenen abzustellen, in der es kein beschränkendes Verkehrszeichen gab; die Ortseingangstafel hat hier außer Betracht zu bleiben.“

Das OLG hat übrigens in der Entscheidung DAR 2011, 210 gerade noch anders entschieden. Aber da hatte man wohl die Änderung/Aufhebung der Richtlinie übersehen.

Sommer – Winter – Sommerreifen… Messung verwertbar?

Bei einer Geschwindigkeitsmessung wird ProViDA 2000 eingesetzt. Am Tag der Eichung im Mai 2009 war das bei der Messung eingesetzte Polizeifahrzeug mit Sommerreifen der Größe 225/55R16 ausgerüstet. Während der Wintermonate im Winter 2009/2010 war es mit Winterreifen der gleichen Reifendimension ausgerüstet worden. Nach dem Winter 2009/2010 sind dann wieder Sommerreifen der Größe 225/55R16  aufgezogen worden. Gemessen wurde im Oktober 2010. Das AG hat das Messergebnis für verwertbar gehalten. Das OLG Hamm, Beschl. v. 07.06.2011 – III – 1 RBs 75/11 stimmt dem zu:

Das Erfordernis der Neueichung bei Wechsel von Winter- auf Sommerreifen hängt nicht mit der eigentlichen Funktion des Messgerätes „ProVida 2000“ zusammen, sondern damit, dass aufgrund einer Eichung mit Winterreifen durch einen solchen  Wechsel die jeweiligen Messergebnisse im Vergleich zu dem geeichten Zustand zu Ungunsten des Betroffenen verändert werden, was bei anderen Reifenwechseln (Austausch gegen Reifen gleichen Typs, Wechsel von Sommer- auf Winterreifen) auszuschließen ist. Maßgeblich ist nach Ansicht des Senates allein die Frage, ob der Reifenzustand bei der Messung von dem zur Zeit der Eichung gegebenen Zustand zu Lasten des Betroffenen abweicht. Dies war hier nicht der Fall. Die zwischenzeit­liche nicht erneut eichpflichtige Nutzung von Winterreifen und die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes der Bereifung wie zur Zeit der Eichung zugrunde ge­legt erfordert damit keine Neueichung – sie ist damit nicht anders zu werten als ein Reifenwechsel von Sommer- auf Sommerreifen.“

Wann sind Feststellungen zur Eichung erforderlich?

Umstritten ist in Rechtsprechung und Literatur, wann bei einer Geschwindigkeitsmessung Feststellungen zur Eichung erforderlich sind. Dazu verhält sich OLG Oldenburg, Beschl. v.10.05.2011 – 2 SsBs 35/11, der allerdings einen Sonderfall betrifft: Das OLG führt aus:

Das Urteil enthält keine Feststellungen zur Eichung des eingesetzten Messgeräts Multanova 6 F. Der in der Verwaltungsakte befindliche Eichschein bezieht sich auf das Messgerät 01-90-493 und nicht auf das nach dem Messprotokoll eingesetzte Messgerät 11-85-095 (BI. 4. d. unpag. Verwaltungsvorgangs).

Bei der Radarmessung mit dem eingesetzten Radarmessgerät Multanova 6 F handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. OLG Bamberg, DAR 2010, 279). Solche Messverfahren sind grundsätzlich beweiskräftig, wenn das Messgerät geeicht ist und richtig aufgestellt und bedient wird (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, § 3 StVO Rn. 59 m. w. N.).

Zwar genügt bei standardisierten Messverfahren in den Urteilsgründen in der Regel die Angabe des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes (OLG Koblenz, NZV 2010, 212; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, § 3 StVO Rn. 59 m. w. N.). Unterschiedlich beurteilt wird, ob das Urteil darüber hinaus grundsätzlich Feststellungen zur notwendigen Eichung des eingesetzten Messgeräts enthalten muss (so: OLG Frankfurt, NZV 2002, 135) oder diese Feststellungen ohne konkreten Anlass entbehrlich sind, weil davon ausgegangen werden kann, dass von der Polizei eingesetzte Messgeräte grundsätzlich geeicht sind (so: OLG Düsseldorf, NZV 1994, 41, vgl. auch Hentschel, a. a. 0., anders aber: Hentschel, a. a. 0., Rn. 56 b).

Hier liegen jedoch besondere Umstände vor, die in jedem Fall Feststellungen zur Eichung des eingesetzten Messgeräts erfordert hätten. Denn aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, dass dem Messbeamten das üblicherweise benutzte Messgerät aufgrund einer Reparatur nicht zur Verfügung stand und der sich daher ein baugleiches Messgerät von der Polizeiinspektion Cloppenburg ausgeliehen hatte. Da danach nicht auszuschließen ist, dass das ausgeliehene Messgerät von der Polizeiinspektion Cloppenburg zur Zeit der Tat nicht für Geschwindigkeitsmessungen vorgesehen war – was den Rückschluss auf die bestehende Eichung zuließe -, sondern nur zu Schulungszwecken eingesetzt worden sein könnte (vgl. S. 11 der Beschwerdebegründung), hätte das Amtsgericht insoweit weitere Feststellungen treffen müssen. Durch das Unterlassen der Inaugenscheinnahme der Eichscheine des ausgeliehenen Geräts der Polizeiinspektion Cloppenburg im Wege des Urkundsbeweises bzw. der unterlassenen Vernehmung des zuständigen Beamten der Polizeiinspektion Cloppenburg hat das Gericht seine Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG verletzt.“

Und noch ein zweiter interessanter Punkt: Dem Beschluss des OLG liegt eine erfolgreiche Aufklärungsrüge zugrunde.

Richtlinienverstoß – Absehen vom Fahrverbot ist möglich

In der Rechtsprechung ist schon lange weitgehend einhellige Meinung, dass ein Verstoß gegen Richtlinien für die polizeiliche Verkehrsüberwachung, insbesondere bei Geschwindigkeitsmessungen, Auswirkungen beim Fahrverbot haben kann.

Das bestätigt jetzt das OLG Stuttgart, Beschl. v. 03.02.2011 – 2 Ss 8/11, indem es ausführt, dass dann, wenn eine Geschwindigkeitsmessung nicht den Richtlinien für die polizeiliche Verkehrsüberwachung entspricht, sich, wenn der Tatrichter dennoch die für den Verkehrsverstoß vorgesehenen Regelfolgen des BKat festsetzt, den Urteilsgründen entnehmen lassen muss, ob der Geschwindigkeitsmessung eine Ausnahme i.S. der Richtlinien zugrunde gelegen hat.Denn nur dann dürfen die Richtlinien „missachtet“ werden.

Alter Wein in neuen Schläuchen – Geschwindigkeitsmessung unter Richtlinienverstoß

Ein alt bekannntes Problem ist Gegenstand des OLG Stuttgart, Beschl. v. 03.02.2011 – 2 Ss 8/11 gewesen. Nämlich letztlich die Frage, was die Folge bei einem Verstoß gegen die Richtlinien für die polizeiliche Verkehrsüberwachung ist.

Das OLG Stuttgart schließt sich der h.M. der OLG an und geht von Auswirkungen beim Fahrverbot aus. Weitere Folge: Entspricht eine Geschwindigkeitsmessung nicht den Richtlinien für die polizeiliche Verkehrsüberwachung, muss sich, wenn der Tatrichter dennoch die für den Verkehrsverstoß vorgesehenen Regelfolgen des BKat festsetzt, den Urteilsgründen entnehmen lassen, ob der Geschwindigkeitsmessung eine Ausnahme Fall i.S. der Richtlinien zugrunde gelegen hat.