Nachdem ich gestern – zumindest inzidenter – AG und LG München wegen eine Durchsuchungsbeschlusses kritisiert habe (vgl. hier:Abenteuerlicher geht es kaum bei der Anordnung einer Durchsuchung), kommt mir der AG Backnang Beschl. v. 19.03.2013 – 2 Ls 222 Js 113636/12 – gerade Recht, um zu sagen: Es geht auch anders. Der Beschluss betrifft zwar nicht eine Durchsuchungsmaßnahme, aber den mindestens ebenso sensiblen Bereich der Anordnung/Aufrechterhaltung von U-Haft.
Die OLG werden nicht müde in Haftsachen immer wieder – gebetsmühlenartig – zu formulieren: Eine hohe Straferwartung allein vermag Fluchtgefahr nicht zu begründen, die Straferwartung ist vielmehr lediglich Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass die Annahme gerechtfertigt, ist der Beschuldigte werde ihm wahrscheinlich nachgeben und flüchtig werden . Die Annahme, dass Fluchtgefahr besteht, muss aus bestimmten Tatsachen hergeleitet werden, allgemeine Befürchtungen genügen nicht. woran sie sich dann allerdings auch nicht immer halten. Häufig halten sich die Instanzgerichte nicht an diese „Vorgaben“ bzw. argumentieren damit, dass dem sich aus der hohen Straferwartung ergebenden Fluchtanreiz nicht ausreichende soziale Bindungen gegenüberstehen, was dann zur Anordnung/Fortdauer der U-Haft führt. Dabei wird dann aber häufig übersehen, dass die vorhandenen sozialen Bindungen doch ausreichend wären, den Beschuldigten von einer Fluch abzuhalten bzw. einen Fluchtanreiz zu mindern und somit mindestens eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls rechtfertigen würden. Anders der AG Backnang Beschl. v. 19.03.2013 – 2 Ls 222 Js 113636/12, in dem das AG m.E. wohl abgewogen mit den dem Fluchtanreiz entgegenstehenden Umständen umgeht.
Das AG stellt ab bzw. würdigt:
„Neben der Straferwartung sind vorliegend keine Gründe ersichtlich, die den Angeschuldigten zur Flucht veranlassen könnten. Insbesondere sind starke familiäre Bindungen vorhanden. Der Angeklagte, der über einen festen Wohnsitz verfügt, ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von drei und neun Jahren. Diese festen familiären Bindungen sprechen erheblich gegen die Annahme, der Angeschuldigte werde alleine oder werde mit seiner Familie untertauchen.
Soweit in dem nunmehr aufgehobenen Haftbefehl darauf abgestellt wird, die kroatischen Wurzeln der Ehefrau des Angeschuldigten ließen befürchten, der Beschuldigte werde im In- oder Ausland untertauchen, teilt das Gericht die dieser Annahme zugrunde liegende Auffassung nicht. Der Umstand alleine, dass die Ehefrau der Ehefrau des Angeschuldigten aus Kroatien stammt und über die kroatische Staatsangehörigkeit verfügt, rechtfertigt die Annahme einer Fluchtgefahr nicht. Der Angeschuldigte selbst ist deutscher Staatsangehöriger, seine beiden Kinder sind in Deutschland geboren, und seine Frau lebt seit über zwölf Jahren ebenfalls in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Absetzen nach Kroatien wäre daher für den Angeschuldigten nicht nur die bloße Rückkehr in die alte Heimat, sondern würde eine vollständige Verlagerung des Lebensmittelpunktes bedeuten. Dies wäre nur möglich, wenn entweder erhebliche finanzielle Mittel vorhanden wären oder die Möglichkeit bestünde, über Freunde oder Verwandte der Ehefrau des Angeschuldigten Unterschlupf zu erhalten. Über eigene finanzielle Mittel verfügt der Angeschuldigte nicht, die Familie ist mit 80.000,00 € verschuldet. Sie lebte zuletzt von Sozialleistungen. Auch ist nicht ersichtlich, dass er sich illegale Einnahmen, etwa aus den ihm vorgeworfenen Betäubungsmittelgeschäften, in einem Umfang verschafft hat, die ihm und seiner Familie einen kompletten Neuanfang im Ausland ermöglichen würden. Die von der Kriminalpolizei durchgeführten Finanzermittlungen haben ergeben, dass auf das Konto des Angeschuldigten und seiner Ehefrau Bareinzahlungen in Höhe von 2.755,00 € geleistet wurden. Hierbei handelt es sich zwar um einen nicht unerheblichen Betrag, für eine komplette Verlagerung des Lebensmittelpunktes genügt er jedoch nicht. Dass die Kontakte der Ehefrau des Angeschuldigten nach Kroatien so gut sind, dass dort ein untertauchen des Angeschuldigten und seiner Familie einschließlich der beiden Kinder möglich wäre, ist dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Der Schwiegervater des Angeklagten ist verstorben, und die Mutter seiner Ehefrau lebt in Kroatien von ihrer Rente, so dass sie nicht in der Lage sein dürfte, den Angeklagten und seine Familie bei sich aufzunehmen und zu unterhalten.
Darüber hinaus fehlt es auch an hinreichend konkreten Anhaltspunkten dafür, dass der Angeschuldigte in der Betäubungsmittelszene untertauchen könnte. Soweit ersichtlich handelte der Angeschuldigte zwar durchaus professionell, jedoch sind die ihm zu Last gelegten Taten allesamt im Internet unter Gewährleistung der Anonymität aller Beteiligter begangen worden, so dass sich die Annahme der Fluchtgefahr auf die professionelle Tatbegehungsweise alleine nicht stützen lässt. Es handelt sich bei dem Angeschuldigten nicht um einen sogenannten „Straßendealer“, der aufgrund seiner Drogengeschäfte über zahlreiche persönliche Kontakte in der BtM-Szene verfügt, die es ihm ermöglichen, seinen Aufenthaltsort häufig zu wechseln, in dem er bei anderen Szeneangehörigen untertaucht.“
Wie gesagt: Schöner Beschluss