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„Wunderbare Brotvermehrung“; oder was? – ein Schreiben 12-mal Gebühren?

Aus dem Neuen Testament kennen wir die wunderbare Brotvermehrung (vgl. Matthäus Kapitel 14, Verse 15 bis 21). Nun, ganz so ist es mit dem gebührenrechtlichen Fall, den das LG Bonn im LG Bonn, Beschl. v. 01.03.2012 – 22 Qs 71/11 entschieden nun doch nicht, aber immerhin:

Folgender Sachverhalt: Gegen den Betroffene wurden von der Verwaltungsbehörde in zwölf Bußgeldverfahren Bußgeldbescheide erlassen. Der Verteidiger legitimierte sich und legte gegen die zwölf Bußgeldbescheide Einspruch ein. Dieser Schriftsatz und alle weiteren an die Verwaltungsbehörde gerichteten Schriftsätze des wiesen jeweils die Aktenzeichen aller Bußgeldverfahren auf. Es wurde dabei jeweils nur ein einheitlicher Schriftsatz verfasst. Von der Verwaltungsbehörde wurde im Laufe des Verfahrens alle Bußgeldbescheide zurückgenommen und die Verfahren gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206a StPO wegen zwischenzeitlich eingetretener Verfolgungsverjährung eingestellt. Der Rechtsanwalt hat gegenüber der Verwaltungsbehörde in allen zwölf Bußgeldverfahren die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG und die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG, jeweils auf der Grundlage der hälftigen Mittelgebühr geltend gemacht. Von der Verwaltungsbehörde sind nur die Gebühren für ein Verfahren festgesetzt worden. Sie ist von nur einer Angelegenheit ausgegangen.

Der LG Bonn, Beschl. sagt: Falsch. Die Abrechnung des Rechtsanwalts ist richtig. Denn: Wird ein Rechtsanwalt in mehreren gleichartigen Bußgeldverfahren für einen Betroffenen tätig, so handelt es bei jedem Verfahren um eine gesonderte gebührenrechtliche Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG, so dass in jedem Verfahren Gebühren und Auslagenpauschale gesondert entstehen. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsanwalt jeweils nur ein einziges Schreiben verfasst, in dem er auf alle Verfahren einheitlich Bezug nimmt.

Die Auffassung ist zutreffend und entspricht der h.M. Als kein „wunderbare Brotvermehrung“, sondern Ausfluss der gesetzlichen Regelung in § 15 RVG.

Welche Auswirkungen haben die Tätigkeiten des BND?

Bei der Recherche des Materials zur 6. Auflage des „Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren“ bin ich auf eine Haftentscheidung des BGH gestoßen. So häufig gibt es die ja nicht, von daher ganz interessant. Es ist der BGH, Beschl. v. 22.12.2010 – AZ: AK 19/10. Der BGH hat in dem Beschluss einen Haftbefehl des OLG Düsseldorf aufgehoben, und das wie folgt begründet:

….Auch kann dahinstehen, ob gegen den Angeklagten weiterhin ein Haftgrund vorliegt. Denn der weitere Vollzug der nunmehr bereits fast zehn Monate andauernden Untersuchungshaft verstößt jedenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Der Senat hat schon in seinem Beschluss vom 16. September 2010 darauf hingewiesen, dass der Einfluss des Bundesnachrichtendienstes auf die Mitwirkung des Angeklagten in der DHKP-C sich gegebenenfalls – abhängig von der Art und Intensität – bei der Strafzumessung zu dessen Gunsten auswirken muss. Die in der Zwischenzeit durchgeführten weiteren Ermittlungen – insbesondere die Angaben des Bundesnachrichtendienstes in dem Schreiben vom 13. Dezember 2010 – belegen, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Angeklagten und dem Bundesnachrichtendienst besonders intensiv war und die vom Angeklagten gelieferten Informationen einen hohen Wert hatten. Danach fand etwa die erste Begegnung bereits im Dezember 2002 und damit nur kurz nach Beginn des Tatzeitraums im Oktober 2002 statt. Insgesamt kam es zu 134 Treffen, die im 14tägigen Rhythmus durchgeführt wurden. Im Zusammenhang mit den nachrichtendienstlichen Tätigkeiten wurde im August 2008 ein Betrag in Höhe von 10.000 € auf einem Konto des Angeklagten gutgeschrieben. Dessen Einlassung, er habe darüber hinaus ein monatliches Entgelt in erheblicher Höhe erhalten, ist nach den bisherigen Angaben des Bundesnachrichtendienstes nicht zu widerlegen. Über die einzelnen aktuellen Tätigkeiten des Angeklagten für die DHKP-C einschließlich der Schleusungsfahrten war der Bundesnachrichtendienst teilweise sogar im Voraus, zumindest jedoch nach deren Durchführung unterrichtet. Aus den vom Angeklagten übermittelten Informationen wurde eine Vielzahl von Meldungen erstellt; seine Arbeit wurde vom Bundesnachrichtendienst als besonders wichtig und hochwertig eingestuft, um die Strukturen der DHKP-C aufdecken zu können.
Bei sachgerechter Berücksichtigung all dieser Umstände ergibt sich, dass die Straferwartung des Angeklagten deutlich reduziert ist. Deshalb muss trotz des kurz bevorstehenden Beginns der Hauptverhandlung das staatliche Interesse an der weiteren Sicherung des Verfahrens hinter dem überwiegenden Freiheitsinteresse des Angeklagten zurücktreten.“

Mehrere Verfahren in einer Akte – wie viel Angelegenheiten?

Das KG hat im Bereich einer etwas abgelegeneren Materie – Rehabilitationsrecht – eine für das anwaltliche Gebührenrecht nicht unwichtige Entscheidung getroffen.

Im Beschl. des KG v. 23.03.2011 – 2 Ws 83/11 REHA ging es um mehrere (selbständige) Rehabilitationsverfahren, die in einer Akte geführt wurden. Das KG sagt, dass es sich, so lange es sich um selbständige Ermittlungsverfahren handelt, also nicht verbunden worden ist, auch in dem Fall (noch) um mehrere Angelegenheiten bzw. mehrerer Rechtsfälle i.S.d. Nr. 4100 VV RVG handelt.

Die Frage ist bedeutsam für die Anwendung des § 15 RVG : Wenn mehrere Angelegenheiten, dann können auch in jeder Angelegenheit die Gebühren entstehen (vgl. § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG). Das gilt nicht nur für den vom KG behandelten Bereich, sondern auch für das „nomale“ Strafverfahren. Kann sich rechnen :-).

(Neues) Beweiserhebungsverbot bei Rechtsanwälten tritt heute in Kraft

Im BGBl. I, 2010 v. 27.12.2010 ist Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Rechtsanwälten im Strafprozessrecht verkündet worden, das das neue/geänderte Beweiserhebungsverbot bei Rechtsanwälten enthält. Das Gesetz tritt am ersten Tag des zweiten auf die Verkündung folgenden Monats in Kraft. Das ist heute der 01.02.2011.

Mit dem Gesetz soll der Schutz des § 160a Absatz 1 StPO, der ein absolutes Erhebungs- und Verwertungsverbot hinsichtlich aller Ermittlungsmaßnahmen vorsieht, auf Rechtsanwälte (einschließlich der niedergelassenen oder dienstleistenden europäischen Rechtsanwälte), nach § 206 BRAO in eine Rechtsanwaltskammer aufgenommene Personen und Kammerrechtsbeistände erstreckt werden. Damit werden Ermittlungsmaßnahmen, die sich gegen einen Rechtsanwalt richten und die voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würden, über die der Rechtsanwalt das Zeugnis verweigern dürfte, unzulässig; gleichwohl erlangte Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden.

(zu BVV nach § 160a StPO a.F. auch Burhoff, Handbuch für das strafverfahrensrechtliche Ermittlungsverfahren, 5. Aufl., 2010, Rn. 423a).

Wovon du lebst, interessiert mich nicht, oder: Auf deine Gebühren musst du bis zum Verfahrensabschluss warten….

Manche Dinge/Fragen machen mich ärgerlich. Da fragt gerade ein Kollege im Forum bei LexisNexis-Strafrecht in folgender gebührenrechtlichen Konstellation: Er war einem Untersuchungshäftling bei der HB-Eröffnung als Pflichtverteidiger beigeordnet und hat diesen in einer auswärtigen JVA auch besucht. Dort hat sich dann herausgestellt, dass der Mandant einen anderen RA beauftragt hatte. Dementsprechend bat der Kollege dann den noch zuständigen Ermittlungsrichter um Entpflichtung. Er wurde entpflichtet und hat dann umgehend den KFA bzgl. der Nr. 4101 und 4105 VV RVG sowie Fahrtkosten usw. gestellt. So weit, so gut – das hat mich auch nicht ärgerlich gemacht, sondern das, wann dann kommt:

Nun schreibt ihm nämlich der Kammervorsitzende, wo die Sache inzwischen anhängig ist, dass mit einer Kostenfestsetzung erst nach Abschluss des Verfahrens zu rechnen ist und dieser noch nicht absehbar ist, es werden gerade erst die Anklagen zugestellt. Das macht mich ärgerlich, denn:

  1. Warum wird die Vergütung nicht noch im Ermittlungsverfahren festgesetzt?
  2. Warum kommt niemand auf die Idee, ein Kostenheft anzulegen, damit festgesetzt werden kann, ohne dass die Akten benötigt werden; denn die sind „unentbehrlich“?
  3. Warum soll der Kollege, der die Arbeit bereits im Ermittlungsverfahren erbracht hat, nun warten bis das Verfahren abgeschlossen ist – also ggf. auch noch die Revision (zum Hintergrund: Verfahrensdauer ist bei fünf nicht deutschsprachige Angeklagten überhaupt nicht absehbar).
  4. Macht sich eigentlich niemand klar, dass der RA auch „leben“ muss. Aber wie hat schon der Kollege Nebgen so schön gepostet: Richter kennen keine Gebühren, sie kriegen Gehalt.

Im Übrigen: M.E. ist die Auskunft des Vorsitzenden auch falsch. Die Vergütung des Kollegen ist fällig (§ 8 RVG), nachdem die Pflichtverteidigerbeiordnung aufgehoben worden ist. Der Vergütungsantrag muss also beschieden werden. Nur: was kann man tun: Ich würde, wenn sich nichts bald was tut gegen die „Nichtfestsetzung“ Rechtsmittel einlegen, oder, was noch besser 🙂 😉 ist: Ich würde einen Vorschussantrag stellen (§ 47 RVG). Der muss auf jeden Fall beschieden werden, was die Kammer sicherlich sehr freuen wird.