Schlagwort-Archive: Ermittlungsverfahren

Ich habe da mal eine Frage/Bitte um Ihre Meinung, oder: Die Zeugenvernehmung durch den Rechtsanwalt im EV

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Vor einigen Tagen erreichte mich die Anfrage eines Kollegen zu folgender Problematik:

„Ich bin Verteidiger eines Mandanten, dessen von ihm getrennt lebende Ehefrau als Zeugin polizeilich vernommen wurde. Ein Protokoll über den Inhalt dieser Vernehmung liegt der Zeugin nicht vor.

Dem Mandanten habe ich eine Kopie der Ermittlungsakte einschließlich dieses Protokolls nach Akteneinsicht zur Verfügung gestellt. Der Mandant geht davon aus, daß die Vernehmung seiner Frau nicht korrekt stattgefunden hat und der Inhalt des Protokolls ihre tatsächliche Aussage verfälscht wiedergibt.

Sehen Sie eine legale Möglichkeit, der Zeugin im Vorverfahren (ohne Einschaltung eines weiteren Rechtsanwalts durch die Zeugin) eine Abschrift ihres Vernehmungsprotokolls zur Verfügung zu stellen oder wenigstens zur Kenntnis zu bringen, damit diese den Inhalt überprüfen und ggfs. berichtigen kann? Falls nicht, wäre ggfs. wenigstens ein Vorhalt des Protokollinhalts gegenüber dem Zeugen im Rahmen von eigenen Ermittlungen des Verteidigers zulässig?“

Ich war mir zunächst nicht gaz sicher, was ich ihm antworte, habe mich dann aber zu folgender Antwort entschlossen:

  1. Das Protokoll über die Vernehmung wird nicht herausgegeben.
  2. Einen Vorhalt können Sie daraus bei einer Vernehmung der Zeugin machen.
  3. Aber: Wenn Sie sich zu einer Vernehmung der Zeugin im Zuge „eigener Ermittlungen“ entschließen, dann vermeiden Sie alles, aus dem die Zeugin den Eindruck gewinnen könnte, Sie wollten Druck auf sie ausüben. Ich würde die Vernehmung in Abwesenheit des Mandanten führen, allerdings durch einen unbeteiligten Dritten (Kanzleiangestellte als Protokollführerin) sicher stellen, dass über die Umstände der Vernehmung später berichtet werden kann. Ggf. Tonbandprotokoll der gesamten Vernehmung. Wie Sie bei der Vernehmung vorgehen müssen (Belehrung usw.), finden Sie in meinem Handbuch Ermittlungsverfahren. Denken Sie bitte immer daran: Derzeit scheinen sich der Mandant und die Zeugin = als getrennt von ihm lebende Ehefrau gut zu verstehen. Das kann sich aber schnell ändern und dann haben Sie ggf. eine Zeugin, die über versteckten Druck berichtet bzw. so etwas andeutet. Dem müssen Sie begegnen können.“

Ich denke, damit kann er „leben“. 🙂

 

Pflichtverteidiger schon im Ermittlungsverfahren? Unter Hinweis auf EMRK ggf. ja

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Die StPO geht davon aus, dass im Ermittlungsverfahren für die Beiordnung eines Verteidigers grundsätzlich ein Antrag der Staatsanwaltschaft erforderlich ist. Die Prüfung nach § 141 Abs. 3 StPO obliegt nach h.M.  in erster Linie der Staatsanwaltschaft.

Fraglich ist, ob es Fälle gibt, in denen dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren allein auf seinen Antrag ein Verteidiger bestellt wird. Darum wird gestritten. Der LG Limburg, Beschl. v. 27.11.2012 – 5 AR 33/12 – hat die Frage vor einiger Zeit bejaht: Danach ist allein auf Antrag des Beschuldigten dann ein Verteidiger zu bestellen, wenn anderenfalls die Anforderungen der EMRK an einem fairen Verfahren nicht gewahrt wären.

 2. Die Beiordnung im Ermittlungsverfahren war ohne Antrag der Staatsanwaltschaft auszusprechen. Mit der überwiegenden Rechtsprechung (vergl. OLG Oldenburg StV 1993, 511; OLG Karlsruhe StV 1998, 123; LG Cottbus StV 2002, 414; a. A. LG Bremen StV 1999, 532 – zitiert jeweils nach juris; Übersicht zur Rechtsprechung Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 141 Rz. 24) ist im Ermittlungsverfahren – von Sonderregelungen im Recht der Untersuchungshaft abgesehen – grundsätzlich ein Antrag der Staatsanwaltschaft für eine Beiordnung erforderlich. Diese Ansicht wird hier geteilt. Die nach § 141 III StPO gebotene Prüfung obliegt in erster Linie der Staatsanwaltschaft. Das Ergebnis, keinen Antrag zu stellen, bindet im Regelfall den für das Hauptverfahren zuständigen Vorsitzenden. Die ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft wird zudem überwiegend auch nicht im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG als überprüfbar angesehen (vergl. OLG Karlsruhe StV 1998, 123 mit weiteren Nachweisen). Dies entbindet den für das Hauptverfahren zuständigen Vorsitzenden aber nicht von der Verantwortung, für ein den Anforderungen der EMRK genügendes Verfahren Sorge zu tragen (vergl. Löwe-Rosenberg a. a. O.). Unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens kann für die Verteidigerbestellung eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht kommen (vergl. Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., § 141 Rz. 7; offen gelassen OLG Karlsruhe StV 1998, 123 – juris).

M.E. der richtige Weg, wenn das LG die Beiordnung des Pflichtverteidigers jedenfalls dann ohne Antrag der Staatsanwaltschaft vornimmt, wenn davon auszugehen ist, dass im Erkenntnisverfahren auf jeden Fall die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers erforderlich sein wird. Dann kann es auf den Antrag der Staatsanwaltschaft nicht mehr ankommen, bzw.: In den Fällen kann die Staatsanwaltschaft durch den Hinweis auf ihre fehlende Antragstellung die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in dem frühen Verfahrensstadium nicht sperren, weil damit ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorliegen würde.

 

„Affäre um Hotelrechnungen: Wulff bleibt Korruptionsprozess wohl erspart“

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Das Jahr 2013 fängt für Christin Wulff dann doch noch ganz gut an: Unter der Überschrift „Affäre um Hotelrechnungen: Wulff bleibt Korruptionsprozess wohl erspart“ finde ich bei Stern.de nämlich gerade die (Vorab)Meldung, das Altbundespräsident Christian Wulff dann doch wohl ein Korruptionsprozess beim LG Hannover erspart bleiben wird, und zwar- das muss man ja immer mit anführen – in dem Verfahren wegen der Hotelrechnungen. Zur ganzen Meldung hier.

Interessant aus der Meldung der letzte Absatz:

„Dem Bericht zufolge blieben bei den Ermittlern zwar einige Restzweifel. Für eine Anklage sähen sie aber keine hinreichende Grundlage. Die Staatsanwaltschaft Hannover will ihre Entscheidung, ob sie Anklage gegen Wulff erheben wird, erst nach der niedersächsischen Landtagswahl am kommenden Sonntag offiziell bekanntgeben.

Der Staatsanwaltschaft bleibe nichts anderes übrig, als das Ermittlungsverfahren mangels Tatverdachts einzustellen, sagte Strafverteidiger und FDP-Politiker Wolfgang Kubicki dem Blatt: „Herr Wulff hat sich aus strafrechtlicher Sicht nichts zu Schulden kommen lassen.““

Also „nur“ ein Freispruch zweiter Klasse – mangels Beweisen, und: Warum offiziell erst nach der Wahl, wenn man jetzt schon Politiker das Ergebnis kommentieren lässt. Das verstehe, wer will. Ich nicht.

Bobbycar-, Pkw- und Kleideraffäre Wulff: Verfahren in Berlin eingestellt

Die Meldungen über Bundespräsident a.D. Christian Wulff und die Darlehensaffäre, Bobbycar-Affäre, die Leasingkonditionen für einen Pkw und das Kleidersponsoring haben Anfang des Jahres die Medien bewegt. Die deswegen eingeleiteten Strafverfahren haben dann zum Rücktritt des Bundespräsidenten geführt. Inzwischen ist es ruhiger geworden. Jetzt meldet die Tagespresse, dass gegen Christian Wulff eingeleitete Ermittlungsverfahren bei der Berliner Staatsanwaltschaft eingestellt worden ist (vgl. hier Welt-online). In der Meldung heißt es:

„Es seien zwar Vorteile gewährt worden, das Geschehen sei teilweise auch intransparent gewesen, so die Staatsanwaltschaft. Die Firmen hätten aber vorrangig das Ziel verfolgt, die Wulff-Familie als Werbeträger zu nutzen, so die Staatsanwaltschaft.

Es sei nicht darum gegangen, sich politische Einflussnahme zu erkaufen. Es habe keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Unrechtsvereinbarung gegeben.

„Offen“ isr damit dann nur noch das Ermittlungsverfahren in Hannover.

 

LG Erfurt II: Pflichtverteidiger im Ermittlungsverfahren – geht auch ohne StA

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Ich hatte ja bereits auf  LG Erfurt, Beschl. v. 23.04.2012 – 7 Qs 101/12 hingewiesen (vgl. hier). Hier nun noch einmal der Beschluss und der zweite Grund, warum der Beschluss einen Bericht wert ist.

Das LG hat nämlich im Beschwerde-/Ermittlungsverfahren dem Beschuldigten „von Amts wegen“ einen Pflichtverteidiger beigeordnet und dabei von einer vorherigen Anhörung der StA abgesehen. Das liest man nun wirklich selten. Die Begründung:

Der Kammer hält es angesichts der besonderen Umstände im vorliegenden Fall – ausnahmsweise und in pflichtgemäßer Ausübung ihres Ermessens – für geboten, dem Beschul­digten gemäß § 140 Abs. 2 i.V.m. § 141 Abs. 3 StPO bereits im Ermittlungsverfahren einen Pflichtverteidiger zur Seite zu stellen.

 Die frühzeitige Verteidigerbestellung ist erforderlich, weil erkennbar ist, dass in einer eventu­ellen Hauptverhandlung ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegen wird und weil zudem wesentliche Weichenstellungen in dem derzeitigen Verfahrensabschnitt erfolgten und erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 25.07.2000, Az.: 1 StR 169/00, juris). Dies gilt insbeson­dere für den Fall, dass der (wohl einzige) Belastungszeuge doch noch vernommen werden sollte. Zudem war und ist Akteneinsicht erforderlich, um die Rechtmäßigkeit des Durchsuchungsbeschlusses und die Ordnungsmäßigkeit späterer Anordnungen überprüfen zu kön­nen (vgl. LG Lübeck, Beschluss vom 10.11.2010, Az.: 4 Qs 118/10).

 Dabei war auch zu berücksichtigen, dass im Zuge des Ermittlungsverfahrens bereits Fehler unterlaufen sind, so dass die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten unerlässlich erscheint. So kann fortan ein konventions- und menschenrechtskonformes sowie faires Verfahren mit gewährleistet werden.

 Der Beschuldigte ist im Übrigen offenkundig nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen, so dass die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO vorliegen. Der Beschuldigte ist der deut­schen Sprache nur begrenzt mächtig und bereits daher in seiner Verteidigungsfähigkeit ein­geschränkt. Als Ausländer vermag er die durchaus komplizierte Rechtslage kaum zu erfas­sen und die möglichen Folgen einzuschätzen. Auch mit Blick auf die Vielzahl und Schwere der erhobenen Vorwürfe — vom Betrug bis zum Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz — war die Pflichtverteidigerbestellung erforderlich. Dies gilt auch mit Blick auf eventuelle ausländerrechtliche Sanktionen oder Nachteile.

 Eines — grundsätzlich erforderlichen — Antrages der Staatsanwaltschaft nach § 141 Abs. 3 S. 2 StPO bedurfte es hier ausnahmsweise nicht, da das der Staatsanwaltschaft eingeräumte Ermessen „auf Null reduziert“ war. Der „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ ist hier zwar ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum eingeräumt. Jede andere Entscheidung als die Be­stellung eines Pflichtverteidigers (bzw. eines Antrages hierzu) wäre jedoch ermessensfehlerhaft (vgl. LG Cottbus, Beschluss vom 13.05.2005, Az.: 22 Qs 15/05, juris). Es wäre im Übri­gen eine bloße „Förmelei“, zunächst der Staatsanwaltschaft aufzugeben, einen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zu stellen, um dann jenem Antrag Folge zu leisten. An­gesichts der Ermessensreduzierung auf Null sah sich die Kammer in der Lage, im Zuge des Beschwerdeverfahrens ausnahmsweise selbst die Bestellung vorzunehmen.“

Interessant und für die Praxis verwendbar ist sicherlich die Begründung:

„Dabei war auch zu berücksichtigen, dass im Zuge des Ermittlungsverfahrens bereits Fehler unterlaufen sind, so dass die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten unerlässlich erscheint. So kann fortan ein konventions- und menschenrechtskonformes sowie faires Verfahren mit gewährleistet werden.

Danach wird in vielen Fällen ein Pflichtverteidiger beizuordnen sein.