Schlagwort-Archive: Ermittlungen

„Hausaufgaben“ nicht gemacht?, oder: „Zur Strafe“ dann wird das Bußgeldverfahren eingestellt

entnommen openclipart.org

entnommen openclipart.org

Es mehren sich die Hinweise der AG auf und die Anwendung des § 69 Abs. 5 OWiG. Die Vorschrift gibt dem Amtsrichter die Möglichkeit bei offensichtlich ungenügender Aufklärung des Sachverhalts die Sache unter Angabe der Gründe mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft an die Verwaltungsbehörde zurückverweisen. Verneint der Richter dann bei erneuter Übersendung den hinreichenden Tatverdacht einer Ordnungswidrigkeit, so kann er die Sache durch Beschluß endgültig an die Verwaltungsbehörde zurückgeben. Und das hat das AG Minden im AG Minden, Beschl. v. 04.03.2016 – 15 OWi 502 Js 3652/15 (154/15) – getan.

Es ging um die Identifizierung des Betroffenen, die dem Amtsrichter auch im zweiten Anlauf noch nicht genügte:

„Die Verwaltungsbehörde hat eine weitere Sachaufklärung durchgeführt und die Akten erneut dem Amtsgericht zur Durchführung des Verfahrens vorgelegt. Eine erneute Prüfung hat jedoch ergeben, dass auch nach diesen weiteren Ermittlungen ein hinreichender Tatverdacht nicht besteht. Deshalb war das Verfahren gemäß § 69 Abs. 5 Satz 2 OWiG endgültig an die Verwaltungsbehörde zurückzugeben.

In der erstmaligen Zurückverweisung gern. § 69 Abs. 5 S. 1 OWiG wurde bereits darauf hingewiesen, dass eine Fahreridentifizierung nach Aktenlage nicht möglich ist. Selbst wenn der Halter des Fahrzeugs und Vater des Betroffenen nach erforderlicher Belehrung nach § 52 StPO und zusätzlicher qualifizierter Belehrung über die Nichtverwertbarkeit seiner Angaben im Rahmen der durchgeführten informatorischen Befragung in der Tatnacht seine Angaben sodann wiederholen würde, kann hieraus eine sichere Fahrerfeststellung nicht getroffen werden. Es ist nicht auszuschließen, dass eine unbekannte dritte Person der Fahrzeugführer war. Ein Abgleich durch die Polizeibeamten – beispielsweise mit dem beim Einwohnermeldeamt hinterlegten Lichtbild des Betroffenen – war zum Zeitpunkt der ersten Zurückverweisung nicht erfolgt. Die Fahrerbeschreibung „kurze Haare, dem Anschein nach größere Person“ ist wenig individuell. Der Betroffene beruft sich auf sein Schweigerecht.

Die Verwaltungsbehörde hat nunmehr ein EMA-Lichtbild des Betroffenen vorgelegt. Hierauf hat der Betroffene längere Haare, über seine Größe können anhand des Bildes keine Aussagen getroffen werden. Das Lichtbild ist zudem aus dem BPA aus 2010 und damit wenig aussagekräftig für das Aussehen des Betroffenen zum Tatzeitpunkt.

Zudem sind die eingesetzten Polizeibeamten erneut zur schriftlichen Stellungnahme aufgefordert worden. POK pp. gibt an, dass eine zweifelsfreie Identifizierung des Fahrzeugführers durch ihn nicht möglich sei, da das Gesicht nicht wahrgenommen werden konnte. PK pp. gibt an, dass das Gesicht des Fahrzeugführers nicht wahrgenommen werden konnte. Zudem ergänzt er den Inhalt der informatorischen Befragung des Vaters des Betroffenen in der Tatnacht und gibt insoweit an, dieser habe auf Nachfrage ausgeschlossen, dass sein Sohn das Fahrzeug Freunden zur Verfügung stelle und dass er davon ausgehe, dass sein Sohn selbst gefahren sei.

Davon abgesehen, dass dieser Inhalt der informatorischen Befragung nunmehr erstmals aktenkundig gemacht wird, bestehen aus den vorstehenden Gründen Bedenken in Bezug auf die Verwertbarkeit. Eine richterliche Vernehmung des Vaters des Betroffenen ist nicht erfolgt. Nicht einmal eine ergänzende förmliche Vernehmung des Vaters durch die Polizei wurde offenbar für erforderlich gehalten.

Doch selbst wenn der Vater des Betroffenen nach den erforderlichen Belehrungen seine Angaben wiederholen würde, könnte hieraus kein sicherer Tatnachweis gezogen werden, da es sich allenfalls um Mutmaßungen des Vaters und ggfls. dessen Erfahrungswerte handelt. Solange der Betroffene sich auf sein Schweigerecht beruft, wird eine Täterfeststellung nicht gelingen.“

Halterhaftung, was muss die Verwaltungsbehörde tun?

entnommen wikimedia.org Urheber Mediatus

entnommen wikimedia.org
Urheber Mediatus

Die Frage, ob und welche Ermittlungen die Verwaltungsbehörde angestellt hat und ob es genügend Ermittlungen waren, um den Fahrer des Pkw zu ermitteln, spielt eine Rolle, wenn es um die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme des Halters nach § 25a StVG geht. Im AG Bergisch Gladbach, Beschl. ohne Datum– 48 OWi 1196/14 (b) –geht das davon ausgegangen, dass es der Behörde frei steht, welche Bemühungen sie unternimmt. Die Ordnungskräfte/Polizeibeamten könnten grundsätzlich frei entscheiden, ob sie entweder eine schriftliche Verwarnung an die Windschutzscheibe anbringen oder nach Rückkehr in die Dienststelle alsbald, jedenfalls zeitnah, eine Halterermittlung zum Zwecke der Übersendung einer schriftlichen Verwarnung/Anhörung durchzuführen. Die wohl überwiegende Meinung geht davon aus, dass das Anbringen einer schriftlichen Verwarnung am Kfz (Stichwort: Knöllchen) auf jeden Fall genügt.

Im vom AG entschiedenen Fall war das Fahrzeug „mit offener Heckklappe gefüllt mit Einkaufstaschen und einem Bierkasten (jeweils voll oder leer)“ unmittelbar vor einem Halteverbotsschild abgestellt. Die Mitarbeiter der Bußgeldbehörde hinterließen an der Windschutzscheibe – offensichtlich wegen des zeitgleichen strömenden Regens – keine schriftliche Verwarnung oder sonstige Nachricht. Stattdessen veranlasste die Bußgeldbehörde 2 Tage später die automatische Halteranfrage beim KBA in Flensburg. Dazu dann das AG:

„Prüfungsmaßstab kann also allein sein, ob und ggfls. welche geeignete Ermittlungsmaßnahme hinsichtlich der Feststellung des Halters durch die Ordnungsbehörde durchgeführt worden sind.

Vorliegend ist dementsprechend festzustellen, dass die Mitarbeiter der Ordnungsbehörde nicht zwingend gehalten waren, eine Zeit vor Ort zu bleiben, um die Rückkehr des Fahrzeughalters zum Fahrzeug abzuwarten. Dies gilt umso mehr, als die Mitarbeiter nachweislich 2 bis 3 Minuten vor Ort waren und der Fahrzeughalter – trotz offener Heckklappe – nicht zum Fahrzeug zurückkehrte. Dies ließ beispielsweise die Möglichkeit offen, dass der Fahrzeughalter zunächst den Regenschauer abwarten wollte oder schlicht vergessen hatte, dass die Heckklappe noch offen war. Hinzu kommt, dass bei der vom Betroffenen betriebenen „genauen Betrachtungsweise“ ein derartiges Abwarten der Ordnungskräfte auch nicht zielführend gewesen wäre. Die Mitarbeiter der Ordnungsbehörde hatten offensichtlich das Abstellen des Fahrzeuges nicht beobachtet. Wenn dann eine Person zum Fahrzeug gekommen wäre und dieses Be- bzw. Entladen hätte, hätte auch dies nicht zum Nachweis der Fahrzeugführerschaft im Vorfallszeitpunkt geführt, wenn diese Person nicht freiwillig – was aber hypothetisch ist – den Tatvorwurf eingeräumt hätte. Vielmehr blieb dann immer noch die – noch nicht einmal abwegige – Möglichkeit, dass neben dieser Person, die zum Fahrzeug zurückkehrt, eine weitere Person im Haus ist, die das Fahrzeug an der fraglichen Stelle abgestellt hatte.“

Freilassung aus der U-Haft: Auch bei geplanter Abgabe des Verfahrens kein Stillstand zulässig

Das ist doch mal ein Auftakt in der Statistik, den das OLG Dresden, Beschl. v. 11.01.2012 – 1 AK 1/12 setzt. Im ersten im Jahr 2012 anhängig gewordenen Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 StPO wird der Beschuldigte frei gelassen. Grund: Der Angeklagte ist ausgeliefert worden. Danach wird das Verfahren aber nicht mehr betrieben, da man beabsichtigt, es hier ggf. nach § 154b StPO einzustellen. Die Voraussetzungen dafür liegen aber noch nicht vor.

Das OLG sagt: Das Führen eines Ermittlungsverfahrens ausschließlich zur Vorbereitung einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach § 154 b StPO rechtfertigt die Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten nach § 121 StPO über sechs Monate hinaus nicht.

Geheimnisverrat durch ermittelnden Kriminalbeamten?

Der Kollege Gieg vom OLG Bamberg hat mir leider erst jetzt eine Entscheidung des OLG Bamberg vom 22.12.2009 – 3 Ws 58/09 zukommen lassen, die einen recht interessanten Sachverhalt hat.

Im Verfahren ging es um den Tatvorwurf der unbefugten Offenba­rung der dem Be­schuldigten als Kriminalbeamten und damit als Amtsträger iSv. von § 11 I Nr. 2a StGB anver­trauter Geheimnisse. Der mit den Ermittlungen zur Aufklärung eines ärztlichen Abrechnungsbetruges betraute Beschuldigte/Kriminalbeamte  hatte im Rahmen mehrerer an verschiedene private Krankenversicherungsun­ternehmen gerichteten Auskunftsersuchen um Mitteilung über seitens des Tatverdächtigen dort privat­ärztlich abgerechneter und laut Rechnungsstellung von dem Tatverdächtigen jeweils persönlich er­brachter ärztlicher Leistungen ersucht und in diesem Zusammenhang u.a. Aufenthaltsorte und Zeit­räume mitgeteilt, in denen sich der Verdächtige außerhalb des Klinikbetriebes aufgehalten haben könnte.

Das OLG sagt im Klagerzwingungsverfahren abschließend:

„Eine Strafbarkeit des mit den Ermittlungen gegen einen Arzt wegen des Ver­dachts des Abrechnungsbetruges betrauten kriminalpolizeilichen Sachbearbei­ters wegen unbefugter Offenbarung der ihm als Amtsträger (§ 11 I Nr. 2a StGB) anvertrauten Geheimnisse gemäß § 203 II Nr. 1 StGB scheidet aus, wenn im Rahmen von zur Aufklärung gefertigter Anschreiben an potentiell geschädigte Krankenversicherungen auf den ‚Verdacht’ des Abrechnungsbetruges aus­drücklich hingewiesen wird und überdies z.B. durch die grammatikalische Verwendung der Möglichkeitsform klar gestellt ist, dass sich das Verfahren im Stand eines nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahrens befindet.“

Neben der Rechtsfrage ist an dem Beschluss interessant, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Rechtsanwalts ausreichend begründet und damit zulässig war. Wann gibt es das sonst schon. In der obergerichtlichen Rechtsprechung fast nie. Und dabei ist es im Grunde ganz einfach.

Die Deutsche Bundesbahn und der Einzelfall… Hot Summer in the trains :-)

Die Kommentare zu meinem gestrigen Beitrag „Sänk ju vor travelling wis Deutsche Bahn“ aber auch die vielen anderen Beiträge zu der Problematik „Die Deutsche Bahn und die Hitze“ (sehr schön und vor allem auch hier der Kollege Nebgen; nur die Kollegin Braun war offenbar bevorzugt und ist klimatisiert gefahren, vgl. hier) oder „Alle reden vom Wetter, wir nicht“ haben mich zu der Frage getrieben, was ist denn nun ein „Einzelfall“? sehr schön dazu das, was Wikipedia sagt:

Als Einzelfall wird ein konkretes Vorkommnis, in der Regel von Verantwortlichen, bewertet, wenn dieses Vorkommnis besser nicht vorgekommen wäre und die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Vorkommnis wieder auftritt, nach Ansicht des Bewertenden vernachlässigbar gering sei.

Das Wort Einzelfall soll darauf hindeuten, dass das Vorkommnis einzigartig sei. Damit ist auch Verantwortung für dieses Vorkommnis ebenso abzulehnen (»Wer hätte denn dies wissen können?« oder »Jeder macht mal Fehler.«) wie Gegenmaßnahmen für zukünftige solche Vorkommnisse (»Das wird nicht wieder passieren.«

Mehr braucht man m.E. gar nicht zulesen, um zu behaupten :-), dass der Sprecher der DB sicherlich dort erstmal nachgesehen hat, als er zum „Einzelfall“ Evakuierung aus der Bahn Stellung genommen (vgl. hier).

Ich bin jedenfalls froh, dass ich derzeit nicht mit der Bahn fahren muss. Und: Strafverfahren gegen die DB sind eingeleitet, vgl. hier. Sicherlich auch ein „Einzelfall“. 🙂