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Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG, oder: Bindungswirkung

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So am heutigen ersten Samstag im April – also Vorsicht es kann also zu Scherzen kommen 🙂 – stelle ich hier zwei verkehrsverwaltungsrechtliche Entscheidungen vor.

Ich beginne mit dem VG Hamburg, Beschl. v. 09.03.2023 – 5 E 970/23 – zur Bindungswirkung nach § 3 Abs. 4 Satz 1 Var. 3 StV. Ergangen ist der Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren.

Das AG hatte die Antragstellerin wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 2 StGB) zu einer Gelstrafe von 20 Tagessätzen und ein Fahrverbot für die Dauer von sechs Monaten verhängt. In den Urteilsgründen hat das AG u.a. ausgeführt:

„Gegen die Angeklagte ist ein Fahrverbot in Höhe von 6 Monaten verhängt worden. Aufgrund ihr reuiges Verhalten und des Umstandes, dass sie seit einiger Zeit auf ihre Fahrerlaubnis verzichtet hat, war nämlich die Verhängung einer Sperre nach §§ 69, 69a StGB nicht mehr verhältnismäßig.

Das Fahrverbot ist allerdings nach § 51 Abs. 5 StGB wegen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis abgegolten.“

Die Antragsgegnerin hat dann mit Bescheid vom 20.02.2023 der Antragstellerin ihre Fahrerlaubnis und die sofortige Vollziehung des Bescheids angeordnet. Dagegen der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, der Erfolg hatte:

„Rechtsgrundlage der Entziehung ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StVG und § 46 Abs. 1 FeV. Danach ist die Fahrerlaubnisbehörde verpflichtet, eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn der Inhaber sich als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erweist, wobei es nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann an der Kraftfahreignung fehlt, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen.

Nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage dürfte die Antragsgegnerin eine mangelnde Fahreignung der Antragstellerin unter Missachtung der Bindungswirkung von § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG angenommen haben.

Will die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, so kann sie nach § 3 Abs. 4 Satz 1 Var. 3 StVG zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Mit dieser Vorschrift soll die sowohl dem Strafrichter (durch § 69 StGB) als auch der Verwaltungsbehörde (durch § 3 Abs. 1 StVG) eingeräumte Befugnis, bei fehlender Kraftfahreignung die Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgestimmt werden, dass erstens überflüssige und aufwendige Doppelprüfungen unterbleiben und dass zweitens die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschaltet wird. Der Vorrang der strafrichterlichen vor der behördlichen Entscheidung findet seine innere Rechtfertigung darin, dass auch die Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Strafrichter als Maßregel der Besserung und Sicherung keine Nebenstrafe, sondern eine in die Zukunft gerichtete, aufgrund der Sachlage zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zu treffende Entscheidung über die Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr ist. Insofern deckt sich die dem Strafrichter übertragene Befugnis mit der Ordnungsaufgabe der Fahrerlaubnisbehörde. Während die Behörde allerdings die Kraftfahreignung aufgrund einer umfassenden Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Kraftfahrers zu beurteilen hat, darf der Strafrichter nur eine Würdigung der Persönlichkeit vornehmen, soweit sie in der jeweiligen Straftat zum Ausdruck gekommen ist. Deshalb ist die Verwaltungsbehörde an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung auch nur dann gebunden, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beruht und wenn die Behörde von demselben und nicht von einem anderen, umfassenderen Sachverhalt als der Strafrichter auszugehen hat. Um den Eintritt einer Bindung überprüfen zu können, verpflichtet die Vorschrift des § 267 Abs. 6 StPO den Strafrichter zu einer besonderen Begründung, wenn er entweder entgegen einem in der Verhandlung gestellten Antrag oder aber in solchen Fällen von einer Entziehung der Fahrerlaubnis absieht, in denen diese Maß-regel nach der Art der Straftat in Betracht gekommen wäre (grundlegend mit zahlreichen weiteren Nachweisen BVerwG, Urt. v. 15.7.1988, 7 C 46/87, BVerwGE 80, 43, juris Rn. 11).

Nach diesen Maßstäben dürfte die Antragsgegnerin an die Feststellung des Amtsgerichts Hamburg-Harburg gebunden sein, dass die Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist.

Das Amtsgericht Hamburg-Harburg dürfte die Fahreignung der Antragstellerin zu prüfen gehabt haben. Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt, so entzieht ihm das Gericht gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn die rechtswidrige Tat ein Ver-gehen der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) ist. Entgegen der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB kann von der Entziehung der Fahrerlaubnis nur dann abgesehen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die den seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoß in einem anderen Licht erscheinen lassen als den Regelfall, oder die nach der Tat die Eignung günstig beeinflusst haben (v. Heintschel-Heinegg/Huber, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2020, § 69 Rn. 75). Nachdem das Amtsgericht Hamburg-Harburg die Antragstellerin wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt hat, war das Regelbeispiel des § 316 Abs. 2 Nr. 3 StGB verwirklicht, so dass das Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis das Vorliegen besonderer Umstände erforderte.

Die strafgerichtliche Beurteilung der Fahreignung dürfte sich dabei zweifelsfrei aus den schriftlichen Urteilsgründen ergeben. Das Vorliegen einer Eignungsbeurteilung und damit der Eintritt der Bindungswirkung muss dabei nicht auf der Grundlage einer einzigen Formulierung, sondern nach dem Gesamtzusammenhang der Gründe des Strafurteils festgestellt werden (BVerwG, Beschl. v. 20.12.1988, 7 B 199/88, juris Rn. 6). Das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg differenziert auf S. 3 schon mit Blick auf die zitierten Vorschriften ausdrücklich zwischen der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB und der Verhängung einer Sperrfrist § 69a StGB. Auch wenn in dem Urteil untechnisch davon gesprochen wird, dass die „Verhängung einer Sperre“ nach §§ 69, 69a StGB nicht mehr verhältnismäßig sei, so wird doch hinreichend deutlich, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB und nicht die Verhängung einer Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis nach § 69a StGB Prüfungsgegenstand war. Denn die Verhängung einer Sperre setzt nach § 69a Abs. 1 Satz 1 StGB die Entziehung einer Fahrerlaubnis nach § 69 StGB überhaupt erst voraus. Auch dürfte der angewendete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in den Tatbestand-voraussetzungen des § 69 Abs. 1 StGB zum Ausdruck kommen und damit die Fahreignung selbst Prüfungsgegenstand gewesen sein. In diesem Zusammenhang dürfte auch zu berücksichtigen sein, dass es sich um ein nach § 267 Abs. 4 Satz 1 StPO abgekürztes Urteil handelt, bei dem nach dessen Halbsatz 2 sogar bei Entziehung der Fahrerlaubnis auf den Anklagesatz oder die Anklage verwiesen werden dürfte. Schließlich begnügen sich die Urteilsgründe auch nicht mit dem („schlichten“) Hinweis auf einen bloßen Zeitablauf zur Begründung der Feststellung der Fahreignung, ohne überhaupt auf die möglichen Auswirkungen der Straftat auf die Kraftfahreignung und auf die Persönlichkeit der Antragstellerin einzugehen (zu diesem Maßstab BVerwG, Beschl. v. 20.12.1988, a.a.O., Rn. 5). Ausweislich der Gründe auf S.3 der Urteilsausfertigung hat das Amtsgericht Hamburg-Harburg die Fahreignung auch mit dem reuigen Verhalten der Antragstellerin innerhalb des strafgerichtlichen Verfahrens und damit ihre Persönlichkeit begründet. Darin dürfte zugleich ein impliziter Verweis auf die Erwägungen des Gerichts im Rahmen der Strafzumessung zu erblicken sein.

Schließlich liegt der Beurteilung der Fahreignung der Antragstellerin in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. Februar 2023 der identische Sachverhalt wie dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 6. Juli 2021, namentlich das Führen eines Kraftfahrzeuges am 2. September 2020 unter dem Einfluss von Amphetaminen, zugrunde.“

Verkehrsrecht III: Verbotenes Kraftfahrzeugrennen, oder: Viele Strafzumessungsfehler

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Und zum Tagesschluss dann noch einmal etwas vom BayObLG, und zwar eine Entscheidung zur Strafzumessung bei verbotenem Kraftfahrzeugrennen und zur Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar den BayObLG, Beschl. v. 23.12.2022 – 202 StR 119/22.

Das AG hat den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu jeweils 15 Euro verurteilt. Daneben hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von sechs Monaten bestimmt. Das LG hat die Berufung des Angeklagten verworfen. Dessen Revision hatte Erfolg: Zu viele Strafzumessungsfehler:

„Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil die Strafzumessung aus mehreren Gründen durchgreifend rechtsfehlerhaft ist.

a) Die Strafzumessung ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht entgegen § 46 Abs. 2 StGB nicht erkennbar zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass er bei Tatbegehung nicht vorbestraft war. Als bestimmender Strafzumessungsgrund im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO bedarf das straffreie Vorleben des Angeklagten (vgl. § 46 Abs. 2 StGB) indes regelmäßig ausdrücklicher Berücksichtigung (st.Rspr.; vgl. zuletzt u.a. nur BGH, Beschl. v. 21.09.2022 – 1 StR 479/21 bei juris = BeckRS 2022, 29664; Urt. v. 28.07.2022 – 1 StR 470/21 bei juris = NStZ-RR 2022, 374 = BeckRS 2022, 29658; Beschl. v. 30.06.2022 – 1 StR 185/22 bei juris = BeckRS 2022, 24831 und 23.03.2022 – 6 StR 61/22 = BeckRS 2022, 11327, jeweils m.w.N.).

b) Überdies hat die Berufungskammer mit der zu Lasten des Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung angestellten Erwägung, „dass die von der Polizei verfolgte Fahrt über eine erhebliche Fahrtstrecke innerorts mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit führte“ gegen das Verbot der Doppelverwertung gemäß § 46 Abs. 3 StGB verstoßen, indem sie die Tatbegehung als solche strafschärfend berücksichtigt hat. Denn der Straftatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt gerade voraus, dass sich der Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt hat, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.

…..

2. Die neben der Geldstrafe angeordnete Maßregel nach den §§ 69, 69a StGB kann ebenfalls keinen Bestand haben, weil die Berufungskammer ihre Entscheidung mit sachfremden Erwägungen begründet hat. Zwar hat die Berufungskammer gesehen, dass es für die Verhängung der Maßregel darauf ankommt, ob der Angeklagte ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen ist. Allerdings wurde verkannt, dass sich nach § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB die Ungeeignetheit „aus der Tat“ ergeben muss. Die stark moralisierenden Erwägungen zum Auftreten des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung („betont desinteressiert“, „herablassend siegesgewiss“, sich „nur gelegentlich in überheblich-spöttischer Weise äußernd“), die schon für sich genommen bedenklich sind (vgl. nur BGH, Beschl. v. 03.08.2021 – 2 StR 217/21 = StV 2022, 224; 22.10.2020 – 2 StR 232/20 bei juris; Urt. v. 04.12.2018 – 1 StR 477/18 = NStZ-RR 2019, 105), lassen keinen konkreten Bezug zur Frage der Eignung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr erkennen. Zudem hat die Berufungskammer die Begehung der Straftaten, die zu den späteren Verurteilungen in anderen Verfahren führten, und die daraus abgeleitete „Gleichgültigkeit des Angeklagten gegenüber anderen Rechtsgütern“ zusätzlich für ihre Einschätzung herangezogen, dass der Angeklagte auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch charakterlich zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr ungeeignet sei. Dabei wurde außer Acht gelassen, dass die Taten, die diesen Verurteilungen zu Grunde lagen, in keinem Zusammenhang mit dem Führen von Kraftfahrzeugen standen. Auch wenn es sich bei dem verfahrensgegenständlichen Delikt um einen Regelfall im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 1a StGB handelte, kann der Senat nicht völlig ausschließen, dass die Strafkammer im Falle einer am Gesetz orientierten Begründung der Maßregel von dem Regelfall abgewichen wäre, sodass die Entscheidung auch insoweit auf diesem Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).“

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Drogenkonsum, oder: Einwand „unbewusste Drogenaufnahme“

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In der zweiten Entscheidung, dem OVG Sachsen,-Anhalt Beschl. v. 26.10.2022 – 3 M 88/22 -geht es mal wieder um die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde. Gestützt worden ist die Entziehung auf die Nichteignung des Betroffenen wegen der Einnahme eines Betäubungsmittels. Der Betroffene wendet ein: Unbewusste Drogenaufnahme. Ohne Erfolg:

„Die eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln setzt dabei grundsätzlich einen willentlichen Konsum voraus. Die unbewusste Einnahme von Betäubungsmitteln stellt jedoch nach allgemeiner Lebenserfahrung eine seltene Ausnahme dar. Daher muss, wer sich darauf beruft, einen detaillierten, in sich schlüssigen und glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt und der damit auch zumindest teilweise der Nachprüfung zugänglich ist (vgl. BayVGH, Beschluss vom 7. Dezember 2021 – 11 CS 21.1896 – juris Rn. 11; OVG Saarl, Beschluss vom 2. September 2021 – 1 B 196/21 – juris Rn. 47; OVG NRW, Beschluss vom 10. März 2016 – 16 B 166/16 – juris Rn. 11; OVG Brem, Beschluss vom 12. Februar 2016 – 1 LA 261/15 – juris Rn. 6; OVG MV, Beschluss vom 4. Oktober 2011 – 1 M 19/11 juris Rn. 8). Erst nach einer solchen Schilderung kann sich die Frage ergeben, zu welchem Nachteil eine gleichwohl verbleibende Ungewissheit über den genauen Hergang der Ereignisse ausschlägt (OVG Bremen, a.a.O.).

Unter diesen Voraussetzungen hat der Antragsteller nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass er unbewusst Metamphetamin zu sich genommen haben könnte. Nach seiner Schilderung kommt für eine (unbewusste) Einnahme von Betäubungsmitteln nur die Zeit seines Aufenthalts bei einem Schausteller in Betracht, den er gemeinsam mit zwei Aushilfsmitarbeitern beim Aufbau eines Karussells unterstützt hat. In dieser Zeit hat der Antragsteller nach seinen Angaben eine von einem Lieferdienst bestellte Thunfischpizza gegessen und eine Cola getrunken. Sein Getränk und die Getränke der anderen Anwesenden hätten, so der Antragsteller, auf einem Tisch zusammengestanden. Er habe sein Getränk nicht über den ganzen Tag beobachtet.

Dieser Vortrag ist nicht hinreichend plausibel, um von einer unbewussten Einnahme von Betäubungsmitteln ausgehen zu können. Die Beschreibung des Antragstellers gibt keinen nachvollziehbaren Grund dafür, dass ihm jemand in der Situation eines gemeinsamen Arbeitstages gezielt Metamphetamine „unterschieben“ wollte. Für keinen der Anwesenden wäre es von Nutzen gewesen, dem Antragsteller heimlich Drogen beizubringen. Für die dem Antragsteller unbekannten Aushilfsarbeiter bestand ersichtlich keinerlei Motiv, auf eigene Kosten erworbene Betäubungsmittel dem nichtsahnenden Antragsteller zu überlassen. Der Schausteller dürfte für ein Unterschieben von Drogen schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil er mit dem Antragsteller offensichtlich freundschaftlich verbunden war. Er würde auch damit gerechnet haben, dass der Antragsteller auf eine unbewusste Einnahme von Metamphetaminen beunruhigt über die unerklärlichen körperlichen Veränderungen und nicht mit einer Leistungssteigerung aufgrund der aufputschenden Wirkung reagieren würde. Es ist auch sehr unwahrscheinlich, dass der Antragsteller versehentlich aus einem Glas getrunken hat, in dem sich ein mit Drogen vermischtes Getränk befunden hat. Ginge man davon aus, dass einer der anwesenden Männer selbst Metamphetamine zu sich nehmen wollte und diese in sein eigenes Getränk gegeben hat, würde eine unbewusste Drogenaufnahme des Antragstellers voraussetzen, dass er seine Cola mit dem drogenhaltigen Getränk dieses Mannes verwechselt hat. Wie es hierzu gekommen sein könnte, hat der Antragsteller jedoch nicht näher beschrieben. Eine Verwechslung käme von vornherein nur in Betracht, wenn mindestens einer der Anwesenden das gleiche Getränk (Cola) aus einem gleichen Behälter (z.B. Glas, Flasche, Dose) getrunken hätte. Der Antragsteller hat jedoch nicht einmal beschrieben, welche Getränkebehälter mit welchen Getränken auf dem Tisch gestanden haben. Die Angaben hierzu sind vage („Flaschen und/oder Gläser“). Es ist auch wenig plausibel, dass mindestens einer der Anwesenden ebenfalls eine Cola aus einem gleichen Trinkgefäß getrunken hat, da der Antragsteller nach seiner Schilderung sein Getränk selbst mitgebracht hatte, die Getränke also nicht von dem Schausteller gestellt wurden. Unabhängig davon, dass sich die Schilderung des Antragstellers schon aus diesen Gründen als unergiebig erweist, müsste hinzukommen, dass sich die beiden Trinkgefäße nebeneinander befunden haben und der Antragsteller deshalb das falsche Gefäß „erwischt“ hat. Das ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil derjenige, der Metamphetamine hat einnehmen wollen, ein Interesse daran gehabt haben wird, eine solche Verwechslung gerade auszuschließen, und die Anzahl der Trinkgefäße angesichts der geringen Zahl von vier Anwesenden überschaubar gewesen sein muss. Lückenhaft ist die Schilderung des Antragstellers auch im Hinblick auf die an dem fraglichen Tag anwesenden Personen. Angesichts einer gemeinsamen Arbeit über einen Zeitraum von über zwölf Stunden wäre zu erwarten gewesen, dass der Antragsteller genauere Angaben über die beiden Aushilfsarbeiter hätte machen können, von denen die Betäubungsmittel nach seiner Schilderung stammen mussten. Der Antragsteller hat keine Namen genannt und auch sonst keine Angaben gemacht, die auf die Identität dieser Männer schließen lassen könnten. Es fehlen auch Erläuterungen, warum der Antragsteller von dem mit ihm befreundeten Schausteller die Namen der Aushilfsmitarbeiter nicht erfahren konnte. Auch der Schausteller dürfte ein Interesse daran haben, Drogenkonsum seiner Mitarbeiter während der Arbeitszeit auszuschließen. Insgesamt ergeben sich aus der lückenhaften und vagen Schilderung des Antragstellers keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller am fraglichen Tag unbewusst Metamphetamine zu sich genommen haben könnte…..“

Entziehung der Fahrerlaubnis I: Zu viel ist zu viel, oder: Innerhalb eines Jahres 174 OWi-Verfahren sind zu viel

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Und heute dann der erste „Kessel Buntes 2023“. In dem „!Köcheln“ Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis, allerdings zur verwaltungsrechtlichen Entziehung nach dem StVG. Zunächst stelle ich das VG Berlin, Urt. v. 28.10.2022 – 4 K 456/21 – zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen zahlreicher Parkverstöße vor.

Folgender Sachverhalt: Der Kläger war seit 1995 Inhaber einer Fahrerlaubnis der früheren Klasse 3. Im Juli 2021 erfuhr die Fahrerlaubnisbehörde in Berlin, dass gegen den Kläger innerhalb eines Jahres 174 Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren geführt worden waren. Darunter befanden sich 159 Parkverstöße und 15 Geschwindigkeitsüberschreitungen. Die Behörde hat dem Kläger daher die Fahrerlaubnis aufgrund fehlender Kraftfahreignung entzogen. Hiergegen hat der Kläger vorgetragen, die Verstöße mit den drei auf ihn zugelassenen Fahrzeugen hätten andere Personen begangen. Er habe gegen die Entscheidungen lediglich deshalb kein Rechtsmittel eingelegt, um der Behörde Arbeit zu ersparen. Die Verhängung einer Fahrtenbuchauflage sei als milderes Mittel zuvor angezeigt gewesen. Er sei beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen.

Das VG hat die Klage abgewiesen:

„Rechtsgrundlage für die Fahrerlaubnisentziehung ist § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 Führerscheinverordnung (FeV). Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

Die im Zeitraum von Juli 2020 bis Juli 2021 mindestens 174 Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren begründen die Feststellung der fehlenden Eignung.

Zwar haben die, durch die Nichterfassung im Verkehrszentralregister dem Bagatellbereich zuzurechnenden, Verkehrsordnungswidrigkeiten grundsätzlich bei der Prüfung der Fahreignung außer Betracht zu bleiben (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1973 – BVerwG VII C 12.71 – juris, Rn. 9). Davon ist jedoch dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Inhaber der Fahrerlaubnis die Rechtsordnung über den ruhenden Verkehr nicht anerkennt; so ist ein Kraftfahrer, der offensichtlich nicht willens ist, auch bloße Ordnungsvorschriften, die im Interesse eines geordneten, leichten und ungefährdeten Verkehrs geschaffen sind, einzuhalten, und der solche Vorschriften hartnäckig missachtet, wenn dies seinen persönlichen Interessen entspricht, zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. März 2007 – OVG 5 S 26.07 – juris, Rn. 3; OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. Dezember 1999 – 12 M 4307/99 – juris, Rn. 10). Dabei kommt ein solcher Ausnahmefall jedenfalls dann in Betracht, wenn über einen längeren Betrachtungszeitraum nahezu wöchentlich Verstöße dokumentiert werden. Besonderes Gewicht gewinnen diese Verstöße, wenn sie an einem bestimmten Ort gehäuft auftreten und der Fahrerlaubnisinhaber damit zu erkennen gibt, dass er seine persönlichen Interessen über das Allgemeinwohl stellt. Bei der durchzuführenden Gesamtabwägung sind ferner auch sonstige Verstöße – auch wenn sie nach dem Punktesystem zu Eintragungen im Verkehrszentralregister geführt haben – in den Blick zu nehmen, da auch sie Aufschluss über die eignungsmängelbegründende Haltung des Fahrerlaubnisinhabers geben. Bei Vorlage dieser Kriterien begründet allein die Anzahl an für sich genommenen unbedeutender Verstöße Zweifel an der Eignung (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Dezember 2007 – OVG 1 S 145.07 – juris, Rn. 5).

So verhielt es sich hier, zumal für den Zeitraum Juli 2020 bis Juli 2021 im Schnitt mehr als drei Verstöße pro Woche zu verzeichnen waren. Der Kläger lässt mit den mehr als 150 Parkverstößen binnen eines Jahres keinen Zweifel daran, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Durch dieses Verhalten dokumentierte er eine krasse Missachtung der Rechtsordnung des ruhenden Verkehrs. Die dadurch zum Ausdruck kommende Haltung steht im Widerspruch zu den Erfordernissen eines geordneten und vor allem sicheren Straßenverkehrs, der insbesondere zum Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmender die Regelbeachtung auch in Bezug auf den ruhenden Verkehr durch Fahrerlaubnisinhaber erfordert. Besonderes Gewicht gewinnen diese Verstöße, da sie vornehmlich im direkten Umfeld der Wohnung des Klägers stattgefunden haben. Der Kläger stellt mit diesem Verhalten seine Interessen über die Interessen anderer Verkehrsteilnehmender. Die Ordnungswidrigkeitenverfahren haben ihm nicht Anlass gegeben, eine dauerhaft belastbare Lösung für das Parken seiner Kraftfahrzeuge zu finden (wie z.B. die Anmietung eines Stellplatzes, Umstieg auf den ÖPNV oder das Fahrrad). Vielmehr hat er es dadurch bewusst hingenommen, dass er seine Individualinteresse über das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit stellt. Das rechtswidrige Abstellen ihres Fahrzeuges in Zonen eines absoluten Halteverbots ist darüber hinaus geeignet, andere Verkehrsteilnehmende zu gefährden. Angesichts der Intensität seines Fehlverhaltens hat die Behörde darin zutreffend eine fehlende Eignung erkannt.

Auch sein Verweis auf die mögliche Täterschaft seiner Familienangehörigen ändert nichts an dieser Bewertung. Es kann nämlich dahingestellt bleiben, ob er die Verkehrsordnungswidrigkeiten selbst begangen hat oder ein Dritter. Auch im Fall einer Täterschaft seiner Familienangehörigen wäre der Kläger zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet. Derjenige, der durch zahlreiche ihm zugehende Bußgeldbescheide erfährt, dass Personen, die sein Fahrzeug benutzen, laufend gegen Verkehrsvorschriften verstoßen, und der dagegen nichts unternimmt, weil er keine Rechtsmittel gegen die Bußgeldbescheide ergreift und auch nicht die Überlassung des Fahrzeugs an die jeweiligen Täter von Ordnungswidrigkeiten verweigert, zeigt charakterliche Mängel, die ihn selbst als einen ungeeigneten Verkehrsteilnehmer ausweisen (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1976 – BVerwG VII C 57.75 – juris, Rn. 34). Dies gilt auch für mit Verwarngeldern belegtes Verhalten.

Dass der Kläger von den diversen Verkehrsordnungswidrigkeiten Kenntnis erhalten hat, zieht er selbst nicht in Zweifel. Zu möglichen Gegenmaßnahmen äußert er sich nicht, sondern verbleibt im Vagen und spricht nur von „familieninterner Sanktion“. Der Kläger durfte es nicht dulden, dass mit auf ihn zugelassenen Kraftfahrzeugen fortgesetzt Verkehrsordnungswidrigkeiten begangen werden. Er zeigt durch dieses Verhalten, dass er es nicht für erforderlich ansieht, gegen rechtswidriges und potentiell die Verkehrssicherheit gefährdendes Verhalten einzuschreiten. Dies belegt seine fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Es ist auch unerheblich, ob die Bescheide über die Verwarngelder formell in Rechtskraft erwachsen (können), denn er hat sich nämlich tatsächlich innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre nicht gegen diese gewehrt. Er muss diese daher gegen sich gelten lassen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob den als „eidesstattliche Erklärung“ überschriebenen Dokumenten überhaupt ein Beweiswert zukommt, da jedenfalls eine Erklärung von einer anderen Person verfasst wurde („V…“), als vom Kläger als Täter angegeben wurde („N…“).

Da es sich bei der Entziehungsentscheidung um eine gebundene Entscheidung handelt, verbleibt für die Berücksichtigung der – ohnehin nicht konkret vorgetragenen – beruflichen Angewiesenheit keinen Raum. Auch die Anordnung einer medizinischpsychologischen Gutachtens kommt nicht in Betracht, da die Nichteignung feststeht.“

Wie war das noch mit Krug und Brunnen 🙂 ?

Verkehrsrecht III: Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: Grenze für bedeutenden Schaden neu bei 1.750 EUR

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Und zum Tagesschluss dann noch eine Entscheidung zum bedeutenden Schaden im Sinn von § 69a Abs. 2 Nr. 3 StGB, also Entziehung der Fahrerlaubnis in den Fällen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort.

In den Fällen spielt ja die Schadenshöhe eine erhebliche Rolle und da geht es in der Rechtsprechung „fröhlich hin und her“. Das LG Bochum ist jetzt „über seinen Schatten gesprungen“ und hat die Untergrenze im LG Bochum, Beschl. v. 06.12.2022 – 1 Qs 59/22 – seit längerer Zeit mal wieder angehoben, und zwar auf 1.750 EUR:

„Gleichwohl kommt die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis– zumindest zu dem gegenwärtigen Zeitpunkt – letztlich nicht in Betracht, da sich aus dem bisherigen Akteninhalt ein entstandener bedeutender Schaden an dem Fahrzeug der Zeugin im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB nicht ergibt.

Dabei hat die Kammer nicht verkannt, dass nach ihrer bisherigen Rechtsprechung – orientiert auch am Beschluss des OLG Hamm vom 06.11.2014 – 5 RVs 98/14 – ein bedeutender Fremdschaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ab 1.300 Euro angenommen worden ist.

Infolge der zwischenzeitlichen Preisentwicklung ist die Rechtsprechung zu der Frage, wann ein bedeutender Schaden vorliegt, zunehmend unübersichtlich geworden. Die Untergrenze des Schadens wird teilweise nach wie vor bei 1.300 Euro angesetzt. Andere Gerichte setzen die Grenze bei 1.500 Euro (vgl. u. a. LG Magdeburg, Beschl. v. 19.06.2019 – 26 Qs 15/19; LG Dresden, Beschl. v. 07.05.2019 – 3 Qs 29/19), bei 2.000 Euro (vgl. u.a. LG Darmstadt, Beschl. v. 01.02.2018 – 3 Qs 27/18) oder gar bei 2.500 Euro (vgl. u.a. LG Nürnberg, Beschl. v. 15.01.2020 – 5 Qs 4/20) fest.

In diesem Licht steht auch die zuletzt geänderte Rechtsprechung des OLG Hamm. Mit Beschluss vom 05.04.2022 (5 RVs 31/22) hat das OLG Hamm – auf einen bestimmten Einzelfall bezogen – bekräftigt, dass die Wertgrenze für einen bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB im Hinblick auf die allgemeine Preis-steigerung nunmehr jedenfalls nicht unter 1.500 Euro liegt. Aus dieser Formulierung wird deutlich, dass der unterste Rahmen nicht zwingend bei 1.500 Euro liegt, sondern lediglich unterhalb dessen liegende Schadensbeträge jedenfalls keinen bedeutenden Schaden darstellen.

Auch die Kammer vertritt die Ansicht, dass die bis zuletzt gezogene Wertgrenze von 1.300 Euro aufgrund der allgemeinen Preisentwicklung nunmehr einer Anpassung bedarf. Eine solche Anpassung ist – wie sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen ergibt – grundsätzlich zulässig, da es sich bei der Wertgrenze um eine veränderliche Größe handelt, die maßgeblich von der Entwicklung der Preise und Einkommen abhängig ist (vgl. BGH, Beschl. vom 28.09.2010 – 4 StR 245/10).

Bei der Frage, nach welchen Kriterien eine Anpassung der Wertgrenze vorzunehmen ist, hat sich die Kammer auch an dem jährlich vom Statistischen Bundesamt berechneten und veröffentlichten Verbraucherindex orientiert, der die durchschnittliche Preisentwicklung aller Waren und Dienstleistungen bemisst. Der Verbraucherindex weist in der aktuell geltenden Fassung mit dem Basisjahr 2015 (2015 = 100) im Oktober 2022 einen Wert von 122,2 aus. Im Jahr 2002 lag dieser Wert noch bei 82,6. Dies ergibt für den Zeitraum der letzten zwanzig Jahre eine Preissteigerung von 47,94 Prozent (122,2/82,6 x 100 – 100 = 47,94). Im Vergleich zum Indexjahr 2015 sind die Verbraucherpreise allein um 22,2 Prozent gestiegen. Seit April 2022 (Entscheidung des OLG Hamm vom 05.04.2022 – 5 RVs 31/22) hat sich der Verbraucherindex um sechs Punkte, von 116,2 auf 122,2, gesteigert.

Unter Zugrundelegung dieser Zahlen erscheint es der Kammer daher als erforderlich, die Wertgrenze für die Annahme eines bedeutenden Schadens angemessen anzuheben. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass auch die Einkommen im fraglichen Zeitraum einer Veränderung unterworfen waren.

Angemessen erscheint vor diesem Hintergrund eine Anhebung von 1.300 Euro auf 1.750 Euro als Untergrenze für das Vorliegen eines bedeutenden Schadens im Sinne von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB.

Im vorliegenden Fall wird dieser Grenzwert nicht erreicht.

Ob ein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vorliegt, ist nach den objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen, um den das Vermögen des Geschädigten als unmittelbare Folge des Unfalls gemindert wird (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 06.11.2014 – 5 RVs 98/14). Abzustellen ist dabei auf den Geldbetrag, der erforderlich ist, um den Geschädigten wirtschaftlich so zu stellen, als wäre das schädigende Ereignis nicht eingetreten (vgl. MüKoStGB/v. Heintschel-Heinegg/Huber, 4. Aufl. 2020, StGB § 69 Rn. 71). Zu berücksichtigen sind namentlich Reparaturkosten, Abschlepp- und Bergungskosten sowie ein etwaiger merkantiler Minderwert (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2010 – 4 StR 245/10). Der Brutto-Reparaturpreis lag im vorliegenden Fall laut Rechnung der Reparaturwerkstatt bei 1.493,01 Euro. Hinzu kommt ein merkantiler Minderwert von rund 250 Euro. Die Nutzungsausfallentschädigung und die Kostenpauschale bleiben bei der Schadensberechnung hingegen unberücksichtigt (vgl. Fischer, StGB, 69. Auflage 2022, § 69 Rn. 28). Mithin ergibt sich ein im Rahmen von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB zu berücksichtigender Gesamtbetrag von 1.743,01 Euro, der den (aktualisierten) Grenzwert nicht erreicht.

Eine letztverbindliche Entscheidung über eine endgültige Fahrerlaubnisentziehung bleibt einer etwaigen Hauptverhandlung vorbehalten.“

Na, mit der Frage wird sich dann wahrscheinlich bald das OLG Hamm noch einmal befassen dürfen….