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OWi II: Nachfahren mit ungeeichtem Tacho, oder: „Richtigkeitsvermutung“ bei standardisierter Messung

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Im zweiten OWi-Posting dann zwei (KG-)Entscheidungen, und zwar zur Geschwindigkeitsüberschreitung. Hier kommen dann die Leitsätze;

1. Wie hoch der bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tachometer in Abzug zu bringende Sicherheitsabschlag ist, ist Tatfrage, die der Tatrichter in freier Beweiswürdigung zu beurteilen hat.

2. Will das Tatgericht von den der obergerichtlichen Rechtsprechung entsprechenden Toleranzwerten abweichen, bedarf es eingehender Darlegungen, warum dies ausnahmsweise geboten erscheint. Dies hat in einer auf die konkrete Beweisaufnahme gestützten Weise tatsachenbasiert zu geschehen.

1. Beruht das Ergebnis einer Geschwindigkeitsmessung auf dem Einsatz eines standardisierten Messverfahrens, kann sich die Beweisaufnahme auf ein Minimum beschränken, wenn sich dem Tatgericht im Rahmen der Amtsermittlung keine Zweifel daran aufdrängen müssen, dass das Messgerät von seinem Bedienungspersonal standardgemäß, also in geeichtem Zustand, seiner Bauartzulassung entsprechend und gemäß der vom Hersteller herausgegebenen Bedienungsanleitung, verwendet worden ist.

2. Wenn nicht ausnahmsweise etwas dagegenspricht, kann davon ausgegangen werden, dass von der Polizei eingesetzte Messgeräte grundsätzlich geeicht sind und auch die Bedienungsanleitung eingehalten worden ist.

3. Liegt der Verurteilung eine Messung mit einem standardisierten Verfahren zugrunde, so muss im Regelfall nur das Messverfahren (nicht: der Gerätetyp) und ggf. der Toleranzabzug mitgeteilt werden. Nicht mitzuteilen sind hingegen regelmäßig die Umstände, welche die Standardisierung tatsächlich tragen (sog. „Prämissen“, also die Vorbedingungen oder „materiellrechtlichen Voraussetzungen“ der Standardisierung).

Umkehrung von: „Wie du mir, so ich dir“, aber auch: Bewusste Falsch-/Fehlmessung?

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Oft kommt es in der Verteidigung auf Kleinigkeiten an. Das macht mal wieder das AG Alsfeld, Urt. v. 10.02.2014 – 4 OWi-805 Js32700/13 – deutlich. Es behandelt sicherlich keinen alltäglich Fall, zeigt aber sehr schön, worauf man als Verteidiger achten muss/sollte und verdeutlicht damit m.E. auch noch einmal die Bedeutung des Einsichtsrecht des Verteidigers in alle Unterlagen, die eine Messung und ein Messgerät betreffen.

Was ist/war passiert? Dem Betroffenen wurde eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen, die er am 31.01.2013 begangen haben sollte. Das bei der Messung verwendete Messgerät war am Dienstag, den 22. 1. 2013, zur Reparatur gebracht worden und wurde am gleichen Tag wieder repariert mitgenommen. Bei der Reparatur wurden eichrelevante Öffnungen vorgenommen. Am Montag, den 28.01.2013, wurde durch den Verantwortlichen bei der Polizei die Neueichung beantragt. Kurze Zeit später erhielt er die Mitteilung, dass der zuständige Eichbeamte erkrankt war. Am 19.03.2013, also rund 7 Wochen später, erfolgte eine Nachfrage. Auf diese wurde mitgeteilt, dass der Mitarbeiter immer noch erkrankt sei. Schließlich wurde das Gerät am 09.04.2013 in einem anderen Bundesland geeicht.

Das AG hat den Betroffenen frei gesprochen. Es hat die Messung als

„unwirksam [angesehen], weil sie mit einem ungeeichten Messgerät durchgeführt wurde.

Gemäß § 13 EichO erlischt die Eichung vorzeitig, wenn wie hier (infolge von Reparaturen) Hauptstempel, Sicherungsstempel oder Kennzeichnungen entfernt werden mussten. Nach Abs. 2 gilt dies allerdings dann nicht, wenn die erneute Eichung „unverzüglich“ beantragt wurde.

Vorliegend liegen zwischen Reparatur und Eichantrag 6 Tage, dies kann nicht mehr als unverzüglich angesehen werden. „Unverzüglich“ ist nach allgemeiner Definition ein Handeln ohne schuldhaftes Zögern“. Dabei ist der Maßstab, der an eine „Unverzüglichkeit“ zu stellen ist von der Art der verlangten Handlung (wie z. B. entsprechenden Vorbereitungen, Abläufen etc) abhängig. Nach Auffassung des Gerichts ist für den vorliegenden Fall allerdings ein ebenso strenger Maßstab zu stellen, wie an die Verkehrsteilnehmer selbst oder an (wenn auch an anderer Stelle) an staatliche Stellen. Der Autofahrer hat nach ständiger Rechtsprechung zu § 142 StGB kaum 24 Stunden Zeit, einen Unfall zu melden, sofern er die Unfallstelle erlaubterweise verlassen hat. Auch die Vorführung einer Person, die aufgrund eines Haftbefehls ergriffen wurde, vor dem Haftrichter hat „unverzüglich“ zu erfolgen, wobei dies spätestens am Tage nach der Ergreifung stattzufinden hat. Vor diesem Hintergrund und auch angesichts der Tatsache, dass die Stellung des Antrags auf Neueichung – und nur darauf kommt es bei § 13 Abs. 2 EichO an – kein sonderlich schwerer bzw. komplizierter Vorgang ist, der einer besonderen Vorbereitung o. ä. bedürfte, ist vorliegend der Ablauf von fast 1 Woche nicht mehr als unverzüglich anzusehen.

Also Umkehrung des Beschlusses: Wie du mir, so ich dir. Will heißen: Wenn ich als Staat usw. an anderer Stelle kurze Fristen vorgeben, dann muss ich die ggf. auch für mich selbst gelten lassen. Wenn man das AG-Urteil richtig versteht, bedeutet das: „Unverzüglich“ i.S. von 13 Abs. 2 EichO bedeutet, dass der Antrag spätestens in zwei Tagen gestellt sein muss.

Offen gelassen hat das AG eine weitere interessante Frage, nämlich die, ob dem Sinn des Gesetzes damit genüge getan wurde, dass zwar ein Neueichungsantrag gestellt wurde, in Kenntnis der Tatsache, dass keine Eichung erfolgen kann, dennoch gemessen wurde und sich erst nach fast 2 Monaten darum gekümmert wurde, dass nun auch tatsächlich neugeeicht wurde.“ Im Grunde genommen haben wir es also mit einer bewussten Falsch/Fehlmessung zu tun, oder?

 

Geschwindigkeitsmessung – mündliche Zulassung eines Messgerätes – geht das?

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Folgender Sachverhalt hat das AG Stuttgart und dann das OLG Stuttgart beschäftigt: Die PTB teilt der Eichdirektion Hessen am 29. 06.2010 mit, die Prüfungen der neuen Softwareversion 1.5.5 für das Überwachungsgerät Poliscan Speed seien erfolgreich abgeschlossen, weshalb der Zulassung dieser Software seitens der PTB nichts im Wege stehe. Die Zulassung werde in den nächsten Tagen erfolgen. Die Eichdirektion erstellte am 15.07 .2010 für das Gerät den Eichschein, mit dem die Eichung vom Vortage mit einer Eichgültigkeit bis Ende 2011 bescheinigt wurde. Die schriftliche Bauartzulassung des Messgerätes mit der neuen Softwareversion durch die PTB erfolgte am 21. 07. 2010. Das Amtsgericht ist davon ausgegangen, dass die Software vor der schriftlichen Bauartzulassung vom 21.072010 zuvor mündlich zugelassen worden sei, sodass der Eichschein am 15.07.2010 hätte erteilt werden dürfen. Es ist von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen. Der Betroffene hat das anders gesehen.

Das OLG Stuttgart, Beschl. v. 29.02.2012 – 4 Ss 39/12 schließt sich dem AG an:

Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass damit kein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH (St 39, 291) vorliegt. Im Zeitpunkt der Erteilung des Eichscheines waren die technischen Prüfungen durch die PTB abgeschlossen. Es stand fest, dass das Überwachungsgerät mit der neuen Softwareversion zugelassen würde. Die schriftliche Zulassung erfolgte dann auch knapp eine Woche nach Ausstellung des Eichscheines. Deshalb kann es keinem Zweifel unterliegen, dass das Gerät den Anforderungen der Technik entsprach. Es ist unschädlich, dass die schriftliche Bauartzulassung am Tag der Ausstellung des Eichscheines noch nicht vorlag. Dies ergibt sich aus dem Zweck des Eichgesetzes, die Messsicherheit zu gewährleisten und das Vertrauen in amtliche Messungen zu stärken (§ 1 Nr. 2 und 3 EichG). Dieser Zweck wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Zulassungsschein erst eine Woche nach der Eichung vorlag.

Darüber hinaus hat nach h. M. (OLG Jena VRS 115, 431 [435]; OLG Köln VRS 101, 140; a. A. Böttger in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Auflage, Rn. 660) ein Verstoß gegen § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EichG nicht zur Folge, dass die Messung im Bußgeldverfahren unverwertbar ist. Vielmehr ist lediglich ein Sicherheitsabschlag vorzunehmen. Dies zeigt, dass für das Bußgeldverfahren die materielle Richtigkeit der Messung maßgebend ist. Wenn schon keine Unverwertbarkeit in dem Fall angenommen wird, in dem überhaupt keine Eichung vorliegt, so kann in Fällen wie dem vorliegenden, in dem feststeht, dass die Bauart zugelassen wird, aber der Zulassungsbescheid erst wenige Tage nach der Eichung vorliegt, erst recht von einer uneingeschränkten Verwertbarkeit ausgegangen werden. Eines Sicherheitsabschlages bedarf es nicht, da die Eichung materiell richtig war. Deshalb liegt trotz des formalen Mangels bei der Eichung ein standardisierten Messverfahren vor. Im Übrigen hätte der formale Mangel mit der erneuten Erteilung eines gleichlautenden Eichscheins nach Vorliegen der schriftlichen Bauartzulassung geheilt werden können.

Na ja, das kann man auch anders sehen.

Wann sind Feststellungen zur Eichung erforderlich?

Umstritten ist in Rechtsprechung und Literatur, wann bei einer Geschwindigkeitsmessung Feststellungen zur Eichung erforderlich sind. Dazu verhält sich OLG Oldenburg, Beschl. v.10.05.2011 – 2 SsBs 35/11, der allerdings einen Sonderfall betrifft: Das OLG führt aus:

Das Urteil enthält keine Feststellungen zur Eichung des eingesetzten Messgeräts Multanova 6 F. Der in der Verwaltungsakte befindliche Eichschein bezieht sich auf das Messgerät 01-90-493 und nicht auf das nach dem Messprotokoll eingesetzte Messgerät 11-85-095 (BI. 4. d. unpag. Verwaltungsvorgangs).

Bei der Radarmessung mit dem eingesetzten Radarmessgerät Multanova 6 F handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. OLG Bamberg, DAR 2010, 279). Solche Messverfahren sind grundsätzlich beweiskräftig, wenn das Messgerät geeicht ist und richtig aufgestellt und bedient wird (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, § 3 StVO Rn. 59 m. w. N.).

Zwar genügt bei standardisierten Messverfahren in den Urteilsgründen in der Regel die Angabe des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes (OLG Koblenz, NZV 2010, 212; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, § 3 StVO Rn. 59 m. w. N.). Unterschiedlich beurteilt wird, ob das Urteil darüber hinaus grundsätzlich Feststellungen zur notwendigen Eichung des eingesetzten Messgeräts enthalten muss (so: OLG Frankfurt, NZV 2002, 135) oder diese Feststellungen ohne konkreten Anlass entbehrlich sind, weil davon ausgegangen werden kann, dass von der Polizei eingesetzte Messgeräte grundsätzlich geeicht sind (so: OLG Düsseldorf, NZV 1994, 41, vgl. auch Hentschel, a. a. 0., anders aber: Hentschel, a. a. 0., Rn. 56 b).

Hier liegen jedoch besondere Umstände vor, die in jedem Fall Feststellungen zur Eichung des eingesetzten Messgeräts erfordert hätten. Denn aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, dass dem Messbeamten das üblicherweise benutzte Messgerät aufgrund einer Reparatur nicht zur Verfügung stand und der sich daher ein baugleiches Messgerät von der Polizeiinspektion Cloppenburg ausgeliehen hatte. Da danach nicht auszuschließen ist, dass das ausgeliehene Messgerät von der Polizeiinspektion Cloppenburg zur Zeit der Tat nicht für Geschwindigkeitsmessungen vorgesehen war – was den Rückschluss auf die bestehende Eichung zuließe -, sondern nur zu Schulungszwecken eingesetzt worden sein könnte (vgl. S. 11 der Beschwerdebegründung), hätte das Amtsgericht insoweit weitere Feststellungen treffen müssen. Durch das Unterlassen der Inaugenscheinnahme der Eichscheine des ausgeliehenen Geräts der Polizeiinspektion Cloppenburg im Wege des Urkundsbeweises bzw. der unterlassenen Vernehmung des zuständigen Beamten der Polizeiinspektion Cloppenburg hat das Gericht seine Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG verletzt.“

Und noch ein zweiter interessanter Punkt: Dem Beschluss des OLG liegt eine erfolgreiche Aufklärungsrüge zugrunde.

Abstandsmessung: Messung mit geeichtem Datengenerator

Mal wieder was zum Messverfahren: Das AG Landstuhl führt in seinem Urt. v. 03.03.2011 – 4286 Js 13510/10 zu Abstandsmessverfahren mit vorschriftsmäßig geeichtem Datengenerator aus: Eine Abstandsmessverfahren mit dem Charaktergenerator und Timer JVC/Piller, Typ CG-P50-E, sei nicht zu beanstanden, wenn vorschriftsmäßig Generator und Timer geeicht waren. Bei standardisierten Messverfahren habe das Gericht lediglich die Ordnungsmäßigkeit der Messung durch Einhaltung der Bedienungsanleitung und Überprüfung der vorgeschriebenen Eichung und nicht darüber hinaus nicht vorgeschriebene Eichungen weiterer Komponenten zu überprüfen. Der Tatrichter müsss sich, wenn der konkrete Einzelfall keine Veranlassung dazu gebe, nicht um die technischen Details des Messverfahrens kümmern. Das muss er nur, wenn der Verteidiger/Betroffene dazu konkret etwas vorträgt.