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So gehts „im wilden Süden“: Durchsuchung/Beschlagnahme im OWi-Verfahren

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Ja, es gibt sie: Durchsuchung und Beschlagnahme auch im Bußgeldverfahren. Allerdings sind da die Verhältnismäßigkeit besonders zu beachten. Dazu gibt es EGMR und BVerfG-Rechtsprechung und auch einiges von den Instanzgerichten. Alles nachzulesen im OWi-HB oder im Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, in der demnächst erscheinenden 6. Auflage bei Rn.896.

Deshalb hat mich der – schon ein wenig ältere –  AG Reutlingen, Beschl. v. 28.10.2011 – 7 OWi 24 Js 19990/11 – schon ein wenig erstaunt. Danach sollen die Zwangsmaßnahmen auch verhältnismäßig sein in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren, in dem dem Betroffenen eine Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts um 39 km/h vorgeworfen wird. das erscheint mir angesichts des Umstandes, dass noch nicht einmal ein Fahrverbot droht zweifelhaft. Die Entscheidung ist allerdings bestätigt worden vom LG Tübingen, Beschl. v. 29.12.2011 – 1 Qs 248/11. Also: Nicht der „wilde Westen“, sondern der „wilde Süden“.

Wenn ich die Begründung so lese, klingt es für mich eher nach dem berühmten „Ätsch-Effekt“: Du schweigst, dann wird eben (zur Strafe) durchsucht. Das heißt es:

“ Bei der Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachts ist die Durchsuchung und darüber hin aus wegen der Notwendigkeit für das gerichtliche Bußgeldverfahren (u.a. Vorbereitung eines anthropologischen Identitätsgutachtens oder eines Augenscheines durch das Gericht) auch die Beschlagnahme erforderlich und verhältnismäßig (vgl. hierzu: Beschluss des BVerfG, Az: 1 BvR 1307/05). Der Betroffene besitzt eine Fahrerlaubnis für Krafträder und ist der Halter des Fahrzeugs. Der Betroffene räumt die Tat nicht ein. Die Bilder der Messung zeigen u.a. einen auffälligen Helm, Schuhe und eine Jacke, die auch zum Alter des Betroffenen passen. Es ist zu erwarten, dass die Gegenstände, so sie ihm gehören, noch bei ihm aufgefunden werden können. Die zu beschlagnahmenden Gegenstände sind zur weiteren Sachaufklärung geeignet. Nachdem der Betroffene keine Angaben machte, bedarf es der Beschlagnahme zum Zwecke eines Augenscheines durch den Bußgeldrichter und einer evt. sachverständigen Auswertung nach von dem Betroffenen verursachten Tragespuren. Persönliche Motorradbekleidung und Schuhe, insbesondere aber Motorradhelme, bei denen es sehr auf die Passform ankommt und die meist längere Zeit in Gebrauch sind, werden – was gerichtsbekannt ist – für gewöhnlich schon aus hygienischen Gründen nicht verliehen. Umgekehrt mag das Nichtauffinden des Helmes und der Jacke den Betroffenen vom Tatverdacht zu entlasten. Dieser Beschluss kann unbefristet mit der Beschwerde beim Amtsgericht Reutlingen oder dem Landgericht Tübingen angefochten werden, die aber keine aufschiebende Wirkung hat.“

Und: Wenn die Verfahren so bedeutend sind, dann frage ich mich, warum die dann nicht auch gebührenrechtlich eine Rolle spielt. Dann wäre doch zumindest in diesen Verfahren die Mittelgebühr angemessen. Aber: In den Verfahren wird dann viel Platz darauf verwendet darzulegen, warum die nicht angemessen ist. Verrückte Welt :-).

Durchsuchung der Anwaltskanzlei

Es ist vor einiger Zeit ja schon von anderen Blogs auf ein Merkblatt der RAK München hingewiesen worden (vgl. hier) , in dem zum Verhalten bei der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanlei Stellung genommen wird. Wegen der Bedeutung der damit zusammenhängenden Frage, weise ich auf diese Zusammenstellung auch hier noch einmal hin. Ist ja im Übrigen schließlich auch „meine“ Kammer. Zum Merkblatt geht es hier.

Wenn der Staatsanwalt zweimal klingelt – dann wird es eine „Ehren-Hausdurchsuchung“?

„Ehren-Hausdurchsuchung“? Ein Begriff, bei dem man stutzt. Gibt es die? Und wenn, was ist das und wo gibt es sie?

Nun es scheint „Ehren-Hausdurchsuchungen“ in Niedersachsen zu geben. Das sind offenbar Durchsuchungen, mit denen alle rechnen, die aber, wenn sie durchgeführt werden, niemand so nennt? Nun ja, der Begriff der Begriff „Ehren-Hausdurchsuchung“ ist neu und hier irgendwo im Netz aufgetaucht (zur Quelle im Law-Blog bei U. Vetter, der selbst von „Vorzugsbehandlung“ spricht).

In der Sache geht es um die gestrige „Durchsuchung“ beim Bundespräsidenten a.D. C. Wulff, die ohne Durchsuchungsbeschluss nach vorheriger Ankündigung (woher hatte sonst die Presse ihre Kenntnis?) durchgeführt worden ist (vgl. dazu auch schon hier). Geschickt auch der Termin: An einem späten Freitagnachmittag, wenn alle sich auf das Wochenende vorbereiten. Da ist das Interesse sicherlich nicht so groß wie an einem anderen Wochentag morgens, bis Montag hat sich dann auch alles weitgehend wieder beruhigt, und auch der „Spiegel“ der nächsten Woche ist gedruckt. Nun was soll’s: Zum „Ehrensold“ (ein fürchterliches Wort) dann eben auch eine „Ehren-Hausdurchsuchung“.

Eins aber sollte m.E. sicher sein: Die Ermittlungsbehörden sollten in Zukunft auch bei anderen Beschuldigten den Begriff der „Verhältnismäßigkeit“ in Zusammenhang mit einer Durchsuchung ebenso weit/großzügig auslegen wie in diesem Fall. Das würde viele Verteidiger freuen, die immer wieder beklagen, dass Durchsuchungen durch „geschickte“ Wahl des Termins usw. missbraucht werden, um Druck auf den Beschuldigten auszuüben.

Hier hat es einen anderen Ablauf gegeben (vgl. hier):

Bei der Durchsuchung bei Wulff waren ein Staatsanwalt und fünf Beamte des Landeskriminalamtes vor Ort, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft weiter. „Herr Wulff hat sich kooperativ gezeigt und den Einlass gestattet“, sagte der Sprecher. Die Staatsanwaltschaft habe zuvor bei dem Alt-Bundespräsidenten angefragt, Wulff habe der Durchsuchung zugestimmt, so der Sprecher weiter.

Abschließend: Man fragt sich: Was soll im Übrigen eigentlich noch eine „Durchsuchung“ bringen, die zwei Wochen nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens durchgeführt wird.

Keine Waffen im Gerichtssaal – Durchsuchung des Verteidigers

Keine Waffen im Gerichtssaal – darauf kam es dem Vorsitzenden einer Strafkammer beim LG Bielefeld an. Deshalb erließt er

eine sitzungspolizeiliche Verfügung, aufgrund derer allen Personen, die Zutritt zum Sitzungssaal hatten, das Mitführen von Waffen und Gegenständen, die geeignet sind, zur Störung der Hauptverhandlung verwendet zu werden, untersagt wurde. Zugleich wurde verfügt, dass jede Person im Rahmen des Einlassverfahrens auf Waffen, gefährliche Gegenstände und sonstige zur Störung der Hauptverhandlung geeignete Gegenstände zu durchsuchen sei und Funkgeräte, Mobiltelefone, Computer (Laptops), Foto- und Filmapparate sowie Geräte, die der Ton- und Bildaufnahme und/oder –wiedergabe dienen, zu hinterlegen seien.

Es wurde auch der Verteidiger durchsucht, der sich dagegen mit der Beschwerde gewendet hat. Die ist unzulässig, sagt das OLG Hamm, Beschl. v. 24.11.2011 – III-3 Ws 370/11:

„Die Beschwerde ist unzulässig. Die durch den Vorsitzenden der 6. Strafkammer getroffene sitzungspolizeiliche Maßnahme mit Verfügung vom 19. September 2011 ist nicht anfechtbar. Es handelt sich um eine sitzungspolizeiliche Maßnahme gemäß § 176 GVG, die nach ganz überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur einer gesonderten Anfechtung mit der Beschwerde nach § 304 StPO grundsätzlich entzogen ist (vgl. KG NStZ 2011, 120; OLG Zweibrücken, NStZ 1987, 477; BGH NJW 1962, 1260; OLG Hamm, NJW 1972, 1246; LG Ravensburg NStZ-RR 2007, 348; KK-Diemer, StPO, 6. Aufl. 2008, Rdnr. 2 zu § 181 GVG).

Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der angefochtenen sitzungspolizeilichen Maßnahme eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder gar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommt, insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von der sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen über die Hauptverhandlung hinaus dauerhaft tangiert oder beeinträchtigt würden (vgl. KG, a.a.O.; LG Ravensburg, a.a.O.). Ein so gearteter Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Die Wirkung der beanstandeten Anordnung erledigt sich mit dem Ende der Sitzung, für die sie getroffen worden ist. Zudem hat der Vorsitzende der Berufungskammer mit Zuschrift vom 10. Oktober 2011 mitgeteilt, dass er die Einlasskontrollen bereits im Verlauf des ersten Sitzungstages am 07.10.2011 aufgehoben habe, soweit ihnen auch der Verteidiger unterworfen war. Angesichts dieses Umstandes hat sich die richterliche Anordnung, jedenfalls soweit sie sich (auch) gegen den Verteidiger gerichtet hat, bereits am ersten Verhandlungstag und somit deutlich vor Urteilserlass erledigt. Eine weitergehende Fortwirkung und Beeinträchtigung seiner Grundrechte oder anderer Rechtspositionen scheidet angesichts dessen aus.

Durchsuchung: nicht nur Vermutungen, sondern „Butter bei die Fische“…

Eine Durchsuchungsanordnung setzt einen Anfangsverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO voraus. Dieser muss aber – so die Rechtsprechung des BVerfG – über bloße Vermutungen hinausreichen und auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützt werden. Das wird häufig übersehen, wenn von AG ohne ausreichende konkrete Anhaltspunkte für einen Tatverdacht Durchsuchungen angeordnet werden. Wenn die dann im „Morgengrauen“ vor versammelter Nachbarschaft durchgeführt werden: Ein „schönes“ Erlebnis…

Auf die Notwendigkeit eines ausreichenden Tatverdachts weist dann jetzt auch das LG Oldenburg, Beschl. v. 11.01.2012 – am 11.01.2012 noch einmal hin. Vorgeworfen wurde der Beschuldigten – offenbar eine Wohnungsverwalterin – Untreue (§ 266 StGB) durch nicht Weiterleitung von Mieteinnahmen. Das LG führt aus:

„…Ein konkreter Tatverdacht lässt sich auch nicht aus dem Verhalten der Beschuldigten in den Zivilverfahren ersehen. Die Beschuldigte hat dort die Auskunftserteilung hinsichtlich der von ihr abgeschlossenen Vermietungen verweigert, nachdem sie über Jahre – von den Anzeigeerstattern unbeanstandet – die Abrechnungen ohne. konkrete Benennung und Nachweis der Mieterdaten erstellt hat. Erstinstanzlich hat ihr das Landgericht Oldenburg Recht gegeben und die gegen sie gerichteten Klagen abgewiesen, da der Anspruch der  Kläger auf Rechnungslegung durch Geheimhaltungsinteressen der Beschuldig eingeschränkt gewesen sei. Dieser sei die Offenbarung des von ihr erarbeiteten Kundenstammes unzumutbar. Erst in der Berufungsinstanz hat das Oberlandesgericht zwar zugunsten der Kläger die Beschuldigte zur Auskunftserteilung verurteilt, zugleich aber z.T. die Revision zugelassen. Die Beschuldigte hat insoweit sodann Revision eingelegt. Dass die Beschuldigte die Auskunftsverteilung verweigert, solange eine Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofes nicht vorliegt, kann schon keinen Tatverdacht begründen. Dass dies mit widersprüchlichem Vortrag geschehen sei, lässt ebenfalls nicht indiziell auf die Veruntreuung von Mieteinnahmen oder eine Betrugshandlung schließen, sondern kann ebenso gut durch die (begründete oder unbegründete) Zurückhaltung der von ihr erwirtschafteten Kundendaten motiviert sein, die die Beschuldigte den Anzeigeerstattern nach Beendigung des Vermittlungsvertrages nicht preisgeben möchte. Diese – vom Landgericht erstinstanzlich gestützte – Motivation ist auch plausibel, so dass sich der Schluss, die Beschuldigte wolle hierdurch nicht abgeführte Mieteinahmen vertuschen, auch nicht aufdrängt…“