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Durchsuchung I: Durchsicht von „Papieren“, oder: Wie ist das mit dem Anwesenheitsrecht eines Betroffenen?

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In die 30. KW. starte ich heute mit zwei – positiven – Entscheidungen zur Durchsuchung.

Den Anfang mache ich mit dem LG Kiel, Beschlu. v. 18.06.2021- 3 Qs 14/21. In ihm geht es um das Anwesenheitsrecht eines von der Durchsuchung Betroffenen bei der Durchsicht von Papieren (§ 110 StPO). Das LG hat es bejaht:

„Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Amtsgericht Kiel hat zu Recht dem Rechtsbeistand des Betroffenen ein Anwesenheitsrecht bei der Durchsicht der vorläufig sichergestellten Datenträger gestattet.

Ein Recht auf Anwesenheit bei der Durchsicht im Sinne des § 110 StPO ist gesetzlich nicht normiert. Mit dem Ersten Gesetz zur Modernisierung der Justiz vom 24.08.2004 (BGBI 1 S. 2198) wurde ein solches, das in § 110 Abs. 3 StPO a.F. geregelt war, ohne Begründung ersatzlos gestrichen. Mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es im Einzelfall zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit geboten sein, den oder die Inhaber des jeweiligen Datenbestands in die Prüfung der Verfahrenserheblichkeit sichergestellter Daten einzubeziehen. Konkrete, nachvollziehbare und überprüfbare Angaben vor allem Nichtverdächtiger zur Datenstruktur und zur Relevanz der jeweiligen Daten können deren materielle Zuordnung vereinfachen und den Umfang der sicherzustellenden Daten reduzieren. Allerdings ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, in jedem Fall eine Teilnahme an der Sichtung sichergestellter E-Mails vorzusehen. Ob eine Teilnahme bei der Durchsicht geboten ist, ist im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung einer wirksamen Strafverfolgung einerseits und der Intensität des Datenzugriffs andererseits zu beurteilen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.06.2009, Az. 2 BvR 902J06, Rn. 96).

Die Verhältnismäßigkeit gebietet es im vorliegenden Fall, dem Rechtsbeistand des Betroffenen die Anwesenheit bei der Durchsicht zu gestatten. Bei ihm als nicht Beschuldigtem ist ein umfangreicher Datenbestand gesichert worden, dessen Großteil an Daten keine Relevanz für das Ermittlungsverfahren haben dürfte. Damit musste er einen erheblichen Eingriff ihn seine Rechte hinnehrnen; auch die Rechte der pp. sind berührt, soweit es um Kommunikation zwischen ihnen und dem Betroffenen geht. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Betroffene ein erhebliches Interesse daran hat, bei der Sichtung der Daten anwesend zu sein. Das gilt um so mehr, als ausweislich. des Vermerks vom 29. März 2021 deutliche Differenzen zwischen der Steuerfahndung und dem Vertreter des Betroffenen über die Art und Weise sowie den Umfang der Durchsicht bestehen.

Das Interesse an der Anwesenheit tritt auch nicht hinter Zwecke der Verfahrensförderung und der Prozessökonomie zurück. Gewisse zeitliche Einschränkungen und organisatorische Maßnahmen im Rahmen der Sichtung aufgrund der Hinzuziehung des Rechtsbeistands sind insoweit hinzunehmen, insbesondere wenn nicht ersichtlich ist, dass dies zu einer (nennenswerten) Verzögerung des Verfahrens führt. Es ist unbestritten, dass Rechtsanwalt pp. zu den vorgesehen Durchsichtterminen erschienen ist, ohne dass es zu einer Verlegung des Termins kommen musste. Vielmehr ergibt sich auch aus der Ermittlungsakte, dass der Rechtsbeistand des Betroffenen auch bei einer Ankündigung am 25.03.2021 über den Durchsichttermin am 26.03.2021 um 09:00 Uhr erschien und auch bei der Fortsetzung der Datensichtung am 31.03.2021 erscheinen konnte (vgl. BI. 4 f. HB IV): Nach alledem überwiegt das Interesse an der Anwesenheit während der Durchsicht.“

U-Haft II: Durchsuchung des Verteidigers in der JVA, oder: Auch Umkrempeln der Hosentaschen geht nicht

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Die zweite Entscheidung kommt dann vom LG Dortmund. Thematik im LG Dortmund, Beschl. v. 29.04.2021 – 33 Kls 4/21: Durchsuchung des Verteidigers vor dem Besuch des inhaftierten Mandanten. Dem Verteidiger sollte Zutritt zur Justizvollzugsanstalt Hagen zum Zwecke des Besuchs seines Mandanten nur gestattet werden unter der Voraussetzung, dass er die Hosentaschen von innen nach außen krempelt und die Jacken (Winterjacken und Anzugsjackett) ablegt und während des Besuchs in ein Schließfach einschließt. Dagegen hat sich der Verteidiger mit Erfolg gewehrt:

„2. Die Anordnung, der Justizvollzugsanstalt Hagen, nach der dem Antragsteller der Zutritt zur Justizvollzugsanstalt Hagen zum Zwecke des Besuchs seines Mandanten (Untersuchungsgefangener) verweigert worden ist, respektive nur gestattet worden ist unter der Voraussetzung, dass er die Hosentaschen von innen nach außen krempelt und die Jacken (Winterjacken und Anzugsjackett) ablegt und während des Besuchs in ein Schließfach einschließt, ausgesprochen durch den JVHS Pp., rechtswidrig.

Durchsuchungen des Verteidigers sind grundsätzlich unzulässig, weil sie den freien Verkehr mit dem Mandanten einschränken und den Angeklagten möglicherweise in seiner Verteidigung beeinträchtigen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 148, Rn. 12).

Dennoch ist die Durchsuchung nach Waffen und anderen gefährlichen Gegenständen auch bei einem Rechtsanwalt unter Berücksichtigung des ungehinderten Verkehrs mit dem Verteidiger aus Sicherheitsgründen zulässig.

Auch nach § 22 Satz 1 UVollzG NRW i.V.m. § 26 Abs. 1 Satz 2 StVollzG kann der Zutritt — auch von Rechtsanwälten — von ihrer Durchsuchung abhängig gemacht werden, wenn dies aus Gründen der Sicherheit der Anstalt erforderlich ist. Sofern von dem Ermessen, das die Norm vorsieht, Gebrauch gemacht werden soll, sind die Gründe dem zu Durchsuchenden darzulegen.

Ein Sicherheitsbedürfnis wurde jedoch nicht vorgetragen, als der Besuch des Antragstellers davon abhängig gemacht wurde, dass dieser seine Hosentaschen von innen nach außen krempeln sollte. Aus dem Schriftsatz des Antragstellers vom 05.03.2021 und auch aus der Stellungnahme des Leiters der JVA vom 25.03.2021 sowie aus der Stellungnahme zur Dienstaufsichtsbeschwerde des JVHS Pp. vom 08.03.2021 geht nicht hervor, dass die Durchsuchung aufgrund eines erkennbaren Verdachts durchgeführt werden sollte. Insoweit wird auch nicht behauptet, dass der Bedienstete der Justizvollzugsanstalt Hagen dem Antragsteller Gründe, die eine Durchsuchung rechtfertigen würden, zum Zeitpunkt des Zutritts dargelegt hat.

Vielmehr wird von der Justizvollzugsanstalt Hagen vorgetragen, dass die Maßnahme „die Hosentaschen von innen nach außen zu krempeln“ unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten das mildeste Mittel darstelle. Dem kann nicht beigepflichtet werden, da das Durchschreiten des Metalldetektorrahmens oder das Absonden mit einem Metalldetektor demgegenüber die milderen Mittel gewesen wären, dies insbesondere auch unter den derzeit bestehenden besonderen Umständen der Covid-19 Pandemie. Warum diese Maßnahme in dem vorliegenden Fall nicht in Betracht gezogen wurden, bleibt offen.

Auch die allgemeine Hausverfügung der Justizvollzugsanstalt Hagen rechtfertigt eine Durchsuchung in dem hiesigen Einzelfall nicht.

Dem vorangestellt ist bereits rechtlich umstritten, ob eine pauschale Durchsuchungsanordnung, normiert in einer Hausordnung, eine wirksame Berechtigung darstellt, alle Besucher (also auch Rechtsanwälte und Notare) anlasslos zu durchsuchen. Vielmehr dürfte diesbezüglich die Darlegung eines allgemeinen Sicherheitsbedürfnisses erforderlich sein.

Nach der Hausverfügung der Justizvollzugsanstalt Hagen ist eine anlasslose Durchsuchung aller Besucher jedoch auch nicht geregelt. Vielmehr sind alle Besucher der Anstalt, auch Rechtsanwälte und Notare, durch den Metalldetektorrahmen zu schicken und ggfls. körperlich zu durchsuchen, insbesondere dann, wenn sich beim Absonden ein Verdachtsmoment ergibt.

Somit liegt die Berechtigung einer Durchsuchung gegebenenfalls dann vor, wenn sich ein Verdachtsmoment ergibt. Ein solcher ist jedoch nicht vorgetragen (s.o.).“

Ob in der Aufforderung, den Wintermantel und das Anzugjackett auszuziehen und in einem Schließfach einzuschließen eine unzulässige Entkleidung im Sinne des StVollzG NRW vorlag, kann dahinstehen. Denn diese Aufforderung war ebenfalls rechtswidrig und auch nicht von der allgemeinen Hausordnung gedeckt. Für die Aufforderung, das Anzugsjacketts insbesondere zu einer kalten Jahreszeit auszuziehen und sodann in das Schließfach einzuschließen, sodass der Antragsteller lediglich mit einem T-Shirt bekleidet zu seinem Mandanten hätte gehen müssen, gab es keinerlei Berechtigung. Auch insoweit hätte die Möglichkeit bestanden, den Antragsteller — bekleidet mit dem Anzugsjackett — durch den Metalldetektorrahmen gehen zu lassen.

Verdachtsmomente, die eine Durchsuchung gerechtfertigt hätten, sind diesbezüglich nicht vorgetragen.

Der Antragsteller war somit bereits nicht verpflichtet sein Jackett auszuziehen/durchsuchen zu lassen, sodass auch kein Anlass bestand, nachzufragen, ob er das Jackett nach erfolgter Durchsuchung zurückbekommen könne.

Die Kammer verkennt nicht, dass die vorliegende Situation sicherlich nicht alltäglich in dieser Form in der Justizvollzugsanstalt Hagen vorkommt. Vielmehr dürfte es — wie dem Gericht bekannt ist — bei Rechtsanwälten der Fall sein, dass diese den Metalldetektorrahmen durchschreiten, nachdem sie ihre persönlichen Sachen in den Spint gelegt haben und es damit sein Bewenden hat. Da insbesondere der Gesprächsverlauf zwischen den Beteiligten streitig ist, ist nicht auszuschließen, dass sich die Situation aufgrund der geführten Gespräche zugespitzt hat. Dennoch wurde durch die Anordnung der freie Verkehr des Antragstellers mit seinem Mandanten beeinträchtigt, ohne dass dafür sicherheitsrelevante Aspekte dargelegt wurden.“

StPO II: Anfangsverdacht im „KiPo-Verfahren“?, oder: Reichen Nacktbilder auf dem Smartphone?

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Die zweite Entscheidung zur StPO kommt dann heute vom LG Duisburg. Das hat im LG Duisburg, Beschl. v. 16.04.2021 – 36 Qs 24/21 – zur Rechtmäßigkeit einer Durchsuchung in einem sog. „KiPo-Verfahren“ Stellung genommen.

Beim Beschuldigten war durchsucht worden. Der Durchsuchungsanordnung lag die Strafanzeige einer Ladenbesitzerin zugrunde, die in Minden im Jahr 2019 ein Geschäft für Gebrauchtwaren betrieben hat. Diese kannte den Beschuldigten als Stammkunden. Sie gab bei der Anzeigeerstattung im November 2019 an, der Beschuldigte habe ihr Anfang Mai 2019 Urlaubsfotos zeigen wollen. Dabei habe er versehentlich eine falsche Datei auf seinem Smartphone angeklickt. Die Zeugin habe so sehen können, dass der Beschuldigte Bilder von nackten Jungen auf seinem Telefon gespeichert habe. Das Alter dieser nackten Jungen schätzte sie auf ca. 7 bis 10 Jahre. Sexuelle Handlungen habe sie nicht sehen können. Weitere Angaben dazu, was genau auf den Fotos zu sehen war, machte sie nicht. Der Beschuldigte sei auch nachdem er bemerkt habe, dass er offensichtlich den falschen Ordner geöffnet hatte, ganz ruhig geblieben und habe sich „nichts anmerken lassen“. Dieser Vorfall habe sie in der Folge länger beschäftigt. Sie habe sich jedoch erst jetzt — sechs Monate später — aufgrund der in der Presse publizierten Vorfälle von Kinderpornographie entschlossen, zur Polizei zu gehen.

Auf dieser Grundlage hat das AG die Durchsuchung angeordnet, und zwar irrtümlich zunächst bei einem Cousin des Beschuldigten und dann bei ihm. Beweismittel wurden nicht gefunden.

Die Beschwerde des Beschuldigten mit dem Rechtsschutzziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der richterlichen Durchsuchungsanordnung hatte Erfolg:

„2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen für eine richterliche Durchsuchungsanordnung waren nicht gegeben.

Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlung in Betracht kommenden Durchsuchung gemäß § 102 StPO reicht der auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht aus, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1999, Az. StB 7/99, StB 8/99; zitiert nach juris; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Auflage [2019], § 102, Rn. 2). Ein erhöhter Verdachtsgrad ist nicht erforderlich. Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Artikel 13 Abs. 1 GG erfährt die räumlichen Lebenssphäre des Einzelnen allerdings einen besonderen grundrechtlichen Schutz. Das Gewicht des Eingriffs verlangt daher Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (BVerfG, Beschluss vom 13. März 2014, Az. 2 BvR 974/12; zitiert nach juris).

Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch bereits an tatsächlichen Anhaltspunkten für einen solchen konkreten Verdacht, dass eine Straftat, etwa der Besitz von kinderpornographischen Inhalten gemäß § 184 b Abs. 3 StGB, begangen worden ist. Lediglich die Tatsache, dass der Beschuldigte Fotos von nackten Jungen auf seinem Smartphone gespeichert hat, reicht hierfür nicht aus, zumal sexuelle Handlungen offenbar auch nicht zu sehen waren. Ob ein Fall des sog. „Posens“ gem. § 184 b Abs. 1 Nr. 1b) StGB vorliegt oder eine sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien eines Kindes gemäß § 184 b Abs. 1 Nr. 1 lit. c) StGB kann anhand der rudimentären Angaben der Zeugin nicht beurteilt werden.

Ein Anfangsverdacht kann zwar grundsätzlich auch aus legalem Verhalten erwachsen, falls weitere Umstände hinzutreten (BVerfG, Beschluss vom 15. August 2014, Az. 2 13vR 969/14, Rn. 38 m.w.N.; LG Regensburg, Beschluss vom 10. Oktober 2014, Az. 2 Qs 41/14; alle zitiert nach juris; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Auflage [2019], § 152, Rn. 4a). Ein solcher Umstand kann unter anderem in einem kriminalistischen Erfahrungssatz liegen. Erforderlich ist jedoch insoweit, dass der kriminalistische Erfahrungssatz im Rahmen des Ermittlungsverfahrens bezogen auf das jeweilige Delikt hinreichend konkretisiert ist —sei es durch die eigene forensische Erfahrung der Kammer oder durch sich aus den Ermittlungen ergebene Umständen (LG Limburg, Beschluss vom 3. Februar 2015, Az. 1 QS 160/14, Rn. 9; zitiert nach juris).

Aber auch solche weiteren Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Der Beschuldigte hat auf die — vermeintlich ungewollte — Offenbarung der Fotos gegenüber der Zeugin nicht auffällig reagiert. Vielmehr teilte die Zeugin mit, der Beschuldigte habe sich „nichts anmerken lassen“ und sei ganz ruhig geblieben.

Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wären auch vor dem Hintergrund der zwischen „Entdeckung“ der Fotos auf dem Smartphone des Beschuldigten und der mit der Beschwerde angegriffenen Durchsuchungsanordnung liegenden beträchtlichen Zeitspanne noch andere, weniger einschneidende — den Ermittlungszweck auch nicht gefährdende — Maßnahmen zur Erhärtung bzw. zum Erreichen eines höheren Verdachtsgrades zu ergreifen gewesen (siehe dazu BVerfG 11. Februar 2015, Az. 2 BvR 1694/14, Rn. 23; zitiert nach juris). So wäre eine Nachvernehmung der Zeugin denkbar gewesen über den genauen Inhalt und die Anzahl der fraglichen Fotos oder die Einholung behördlicher Auskünfte zu den persönlichen Verhältnissen des Beschuldigten.“

StrEG II: Telefonkontakt zum Verteidiger während der Durchsuchung, oder: Entschädigung?

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamm. Das hat im OLG Hamm, Urt. v. 29.01.2021 – I-11 U 41/20 – zur Zulässigkeit und Begründetheit einer Feststellungklage, mit der ein Entschädigungsanspruch aus § 2 StrEG für aus Anlass einer strafprozessualen Durchsuchung entstandene Verteidigerkosten geltend gemacht wird. Der Beschuldigtre hatte während der Durchsuchung zu seinem Verteidiger telefonischen Kontakt aufgenommen. Nach Einstellung des Verfahrens macht er die entstandenen Kosten gegen die Landeskasse geltend, die sich natürlich heftig wehrt.

Hier dann nur die Ausführungen des OLG zur Begründetheit:

„2. In der Sache ist die Feststellungsklage nur teilweise begründet.

Der Feststellungsantrag ist allein insoweit begründet, als dass in ihm als Minus das Begehren des Klägers enthalten ist, die grundsätzliche Verpflichtung des beklagten Landes festzustellen, ihn von den zu seinen Lasten durch die Durchsuchungsmaßnahme vom 24.10.2017 verursachten Verteidigerkosten freizustellen, wobei sich die Freistellungsverpflichtung des beklagten Landes auf die nach dem RVG abrechenbaren Gebühren und Auslagen beschränkt und auch hinsichtlich dieser, soweit mit ihnen nicht nur die Verteidigung des Klägers gegen die Durchsuchungsmaßnahme sondern auch dessen sonstige Verteidigung in dem Ermittlungsverfahren 355 Js 1/17 (126) StA Bochum abgegolten wird oder würde, nur auf den Anteil, der dem Anteil der Verteidigung gegen die Durchsuchungsmaßnahme an der gesamten Verteidigung des Klägers in dem Ermittlungsverfahrens 355 Js 1/17 (126) StA Bochum entspricht. Allein insoweit ist das Feststellungsbegehren des Klägers dem Grunde nach aus §§ 2 und 7 StrEG begründet. Wegen seines darüber hinausgehenden Feststellungsbegehrens ist die Klage unbegründet.

a) Aufgrund der vom Amtsgericht Bochum mit Beschluss vom 24.07.2018 (64 GS 2430/18 (355 Js 1/7) getroffenen Grundentscheidung, welche seit dem 09.08.2018 rechtskräftig ist, steht mit Bindungswirkung für den Senat fest, dass der Kläger für die am 24.10.2017 bei ihm durchgeführte Durchsuchungsmaßnahme, die gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG eine andere Strafverfolgungsmaßnahme i.S.d. § 2 Abs. 1 StrEG darstellt, für etwaige von ihm durch den Vollzug der Strafverfolgungsmaßnahme erlittene Vermögensschäden aus der Staatskasse zu entschädigen ist (vgl. Meyer, a.a.O. Vorbem. §§ 10-13 Rn. 5).

Aus den bereits oben unter C. 1. B) cc) (3) dargelegten Gründen ist vom Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dargelegt und nachgewiesen worden, dass durch die während der Durchsuchungsmaßnahme erfolgte telefonische Kontaktierung von Rechtsanwalt P zu seinen Lasten infolge der Durchsuchungsmaßnahme Verteidigerkosten entstanden sind. Diese stellen einen nach § 7 StrEG erstattungsfähigen Vermögensschaden dar, weil das gegen den Kläger geführte Ermittlungsverfahren am 04.04.2018 von der Staatsanwaltschaft Bochum nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde und die Kostenvorschriften der Strafprozessordnung für diesen Fall die Möglichkeit einer prozessualen Erstattung dieser Auslagen nicht vorsehen (BGH, Urteil vom 11.11.1976, III ZR 17/76 – Rz. 12 juris).

Allerdings kann der Kläger nach den §§ 2 und 7 StrEG für seine Verteidigerkosten vom beklagten Land nur eine Entschädigung bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühren und Auslagen verlangen. Eine etwaig vereinbarte höhere Anwaltsvergütung ist nach diesen Vorschriften nicht zu entschädigen (BGH, a.a.O. – Rz. 36 bis 38). Auch die gesetzlichen Gebühren und Auslagen können vom Kläger, soweit mit ihnen nicht nur die vom Verteidiger im Zusammenhang mit der Durchsuchungsmaßnahme entfalteten Tätigkeiten, sondern zugleich auch die von ihm vor und/oder nach der Durchsuchungsmaßnahme im Ermittlungsverfahren 355 Js 1/17 (126) StA Bochum entfalteten Tätigkeiten pauschal abgegolten werden, nicht in voller Höhe erstattet verlangt werden. Für diese Gebühren und Auslagen, zu denen auch die vom Kläger auf Seite 5 der Berufungsbegründung vom 17.04.2020 genannten Gebührentatbestände und Auslagen gehören dürften, steht dem Kläger allein eine anteilige Entschädigung zu, die dem Anteil der Verteidigung gegen die Durchsuchungsmaßnahme an der gesamten Verteidigung des Klägers in dem Ermittlungsverfahren 355 Js 1/17 (126) StA Bochum durch P entspricht (BGH, a.a.O. – Rz. 39). Entsprechend war der Feststellungsausspruch inhaltlich zu beschränken.

b) Das darüber hinausgehende Feststellungsbegehren des Klägers ist unbegründet.

Dem Kläger steht gegen das beklagte Land weder ein weitergehender Entschädigungs- oder Schadensersatzanspruch wegen der ihm durch die Durchsuchungsmaßnahme bereits entstandenen Verteidigerkosten, noch ein Entschädigungs- oder Schadensersatzanspruch wegen „noch entstehenden Verteidigungsauslagen“ und „sonstigen Vermögensschäden“ zu.

Hinsichtlich der dem Kläger durch die Durchsuchungsmaßnahme bereits entstandenen Verteidigerkosten ist die Entschädigungspflicht des beklagten Landes aus §§ 2 und 7 StrEG aus den bereits vorstehend unter Ziffer 1 genannten Grunde dem Grunde nach auf dem im Urteilstenor bezeichneten Umfang beschränkt. Ein Entschädigungsanspruch aus § 2 und 7 StrEG wegen der im Feststellungsantrag des Klägers genannten „noch entstehenden Verteidigungsauslagen“ und „sonstigen Vermögensschäden“ scheitert hingegen bereits daran, dass solche vom Kläger im Justizverwaltungsverfahren nicht geltend gemacht wurden und es damit ihrer wegen bereits an der für die Zulässigkeit des Betragsverfahrens erforderlichen Durchführung des Justizverwaltungsverfahrens fehlt (vgl. dazu: Meyer, a.a.O. § 13 Rn. 15).

Dem Kläger stehen insoweit auch keine weitergehenden Ansprüche aus den von ihm mit der Berufung ausdrücklich weiterverfolgten, aber nicht näher bezeichneten „konkurrierenden“ Anspruchsgrundlagen zu. Als solche käme vorliegend allenfalls § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Betracht. Allerdings scheitert ein Amtshaftungsanspruch vorliegend bereits an dem Fehlen einer haftungsbegründenden Amtspflichtverletzung des beklagten Landes. Denn es ist weder vom Kläger dargelegt worden, noch sonst ersichtlich, weshalb die bei ihm am 24.10.2017 durchgeführte Durchsuchungsmaßnahme rechtswidrig und damit amtspflichtwidrig sein sollte. Eine Amtspflichtverletzung des beklagten Landes könnte vorliegend allenfalls darin zu sehen sein, dass die von der Generalstaatsanwältin in Hamm im Justizverwaltungsverfahren vertretene Rechtsauffassung, dass in dem Entschädigungsverfahren nach dem StrEG nur ein bezifferter Vermögensschaden ersetzt verlangt werden könne, aus den vorstehend dargelegten Gründen jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend gewesen ist. Allerdings fehlt es an jeglichem näheren Vortrag des Klägers dazu, ob und auf welche Weise ihm durch diese denkbare Amtspflichtverletzung „Verteidigungsauslagen“ oder derzeit für ihn noch nicht bezifferbare „sonstige Vermögensschäden“ entstanden sein sollen.“

„Transportsicherung“, oder: Vollständiges Entkleiden und Untersuchung von Körperöffnungen rechtswidrig

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Heute dann im Kessel Buntes zunächst eine Entscheidung, die mir schon etwas länger vorliegt. Ich wusste aber nicht so richtig, wo ich sie bringen sollte. Ich habe mich dann für den „Kessel Buntes“ entschieden.

Es handelt sich um das VG Braunschweig, Urt. v. 02.12.2020 – 5 a 65/20. Das VG hat zur Zulässigkeit des vollständigen Entkleidens eines Gefangenen und zur Zulässigkeit der Untersuchung sämtlicher Körperöffnungen, sowie des Anlegens von Gehörschutz, Sichtschutz und Spuckhaube auf dem Rücktransport vom LG Braunschweig, wo eine Hauptverhandlung stattgefunden hatte, in die JVA Transport. Das VG hat im Wesentlichen die Unzulässigkeit der getroffenen Maßnahmen festgestellt:

„Die auch im Übrigen zulässige Klage ist überwiegend begründet. Das vollständige Entkleiden des Klägers und die Untersuchung sämtlicher Körperöffnungen, sowie das Anlegen von Gehörschutz. Sichtschutz und Spuckhaube durch SEK — Beamte am 21. April 2017 beim Rücktransport des Klägers vom Landgericht Braunschweig zur JVA Wolfenbüttel war rechtswidrig und hat den Kläger in seinen Rechten verletzt. Soweit er hingegen auch seine Fesselung und Durchsuchung ohne Entkleiden angreift („eingewickelt wie ein Guantanamo — Gefangener“). hatte seine Klage keinen Erfolg.

Die an den Kläger ergangene Anordnung. sich vollständig, einschließlich der Unterwäsche zu entkleiden. stellt sich als rechtswidrig dar.

Als Rechtsgrundlage kommt insoweit allein § 22 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG in Betracht. Danach kann die Polizei eine Person durchsuchen. wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Sachen mit sich führt. die sichergestellt werden dürfen.

Danach war die Anordnung hier schon deshalb als rechtswidrig anzusehen. weil die SEK – Beamten von dem nach dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht. sondern als _Standardverfahren“ durchgeführt haben (Dienstliche Stellungnahme Beamter 271 v. 3. Mai 2017. BI. 82 BA 003: Stellungnahme Beamter 302 v. 3. Mai 2015. BI. 84 BA 003: Stellungnahme Beamter 308 v. 16.Mai 2017. BI. 85 BA 003) und sich offenkundig generell verpflichtet sehen, das vollständige Entkleiden zum Zwecke der Durchsuchung anzuordnen.

Die Verpflichtung des Klägers, sich zu entkleiden und nackt untersuchen zu lassen, verletzt darüber hinaus den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Hierbei kann offenbleiben. ob der Kläger nur von außen untersucht wurde oder ob die Beamten bei der Untersuchung in seinen Körper eingedrungen sind. Die Kammer folgt der einstweiligen Anordnung des LG Hannover vom 4. Mai 2017, dass bereits die körperliche Untersuchung des Klägers durch Inaugenscheinnahme sämtlicher Körperöffnungen nach vollständigem Entkleiden in einer Situation, in der zuvor ausschließlich Kontakt mit Sicherheitspersonal und seinen beiden Verteidigern stattgefunden hat, rechtswidrig ist und im konkreten Fall — mangels Anhaltspunkten für versteckte. verbotene Gegenstände — ein unverhältnismäßiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht war.

Durchsuchungen. die mit einer Entkleidung verbunden sind. stellen sich als schwerwiegender Eingriff in die Intimsphäre und damit in das durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Persönlichkeitsrecht dar und berühren zudem die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Das gilt in besonderem Maße. wenn sie mit der Nachschau im Bereich von normalerweise bedeckten Körperöffnungen verbunden sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29. Oktober 2003. 2 BvR 1745/01, juris).

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung deutlich gemacht, dass derartige körperliche Durchsuchungen durch die Erfordernisse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt sein können. sie aber nur in schonender Weise und nicht routinemäßig, unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalles. durchgeführt werden dürfen. Vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalles abzuwägen. Auch ist der bloße Umstand. dass Verwaltungsabläufe sich ohne eingriffsvermeidende Rücksichtnahme einfacher gestalten. hinsichtlich der Anordnung von Durchsuchungen. die den Intimbereich und das Schamgefühl berühren. danach noch weniger als in anderen. weniger sensiblen Bereichen geeignet, den Verzicht auf solche Rücksichtnahmen zu recht-fertigen (BVerfG. Beschl. v. 10. Juli 2013. 2 BvR 2815/11. juris. Rn. 16 f. zur Durchsuchung von Gefangenen unter Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR und Beschl. v. 4. Februar 2009. 2 BvR 455/08, juris, Rn. 27 zur Durchsuchung von Untersuchungsgefangenen und LG Lüneburg. Beschl. v. 19. April 2005, 10 T 56/04, juris. Rn. 13 f.)

So hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 4. Februar 2009 ausgeführt. dass bei Personen. die in Untersuchungshaft verbracht werden. Umstände vorliegen können, die den Verdacht, der oder die Betreffende könne zum Zweck des Einschmuggelns in die Haftanstalt Drogen oder andere gefährliche Gegenstände in Körperöffnungen des Intimbereichs versteckt haben, als derart fernliegend erscheinen lassen, dass hierauf gerichtete Untersuchungen. die mit einer Inspektion von Körperöffnungen verbunden sind, sich als nicht mehr verhältnismäßig erweisen. Denn ein solch schwerwiegender Eingriff in die Intimsphäre ist nur zulässig bei fallbezogenen Verdachtsgründen.

Fallbezogene Verdachtsgründe sind vorliegend nicht ersichtlich. Die von den eingesetzten SEK – Beamten und der Beklagten genannten Gefahrenmomente sind allgemein gehalten und nicht ansatzweise geeignet, ein vollständiges Entkleiden des Klägers zu rechtfertigen. So haben diese auch auf Nachfrage keinen einzigen Beweis oder auch nur ein Indiz dafür liefern können, dass der Kläger, der am 21. April 2017 von der JVA Wolfenbüttel zum LG Braunschweig verbracht und die ganze Zeit ausschließlich Kontakt zu seinen Verteidigern und Justizbediensteten hatte. an oder in seinem Körper Gegenstände bei sich führte, mit denen er sich oder die eingesetzten Beamten hätte verletzen können.

Dass die körperliche Durchsuchung des Klägers nicht verhältnismäßig war, ergibt sich nach Auffassung der Kammer darüber hinaus aus dem Umfang der Sicherheitsmaßnahmen der Justizbehörden an den übrigen Verhandlungstagen:

In den 4 Folgeterminen nach dem 21. April 2017 wurde das SEK nicht eingesetzt. Dass das zunächst angenommene Befreiungsrisiko zu diesen Zeitpunkten entfallen war, hat die Beklagte noch nicht einmal behauptet, sondern lediglich eine nicht näher erläuterte „Neubewertung und Entscheidung (BI. 245 GA) angeführt.

Diese Einschätzung beruht offensichtlich auf den Beschluss des LG Braunschweig vom 4. Mai 2017. der eine Sicherheitsbegleitung des Klägers durch das SEK zu den nachfolgenden Verhandlungstagen des Landgerichts allerdings nicht schlechterdings untersagte. sondern den beteiligten Behörden lediglich aufgab. das vollständige Entkleiden des Klägers und die Untersuchung sämtlicher Körperöffnungen. nachdem er lediglich Kontakt zu Sicherheitspersonal und seinen Verteidigern hatte, zu unterlassen.

Nach allem konnten die Behörden dem Gericht keinen nachvollziehbaren Grund dafür nennen. warum der Kläger nur am 21. April 2017 vom SEK vom Landgericht Braunschweig zur JVA Wolfenbüttel begleitet wurde. nicht aber zu den Folgeterminen. Angesichts der mit der Durchführung der Maßnahme verbundenen Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte des Klägers stellt sich das vollständige Entkleiden des Klägers durch das SEK für die Kammer als unverhältnismäßig dar.

2. Unzulässige Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers waren darüber hinaus das auf die Ermächtigungsgrundlage der Generalklausel nach § 11 Nds. SOG gestützte Überstreifen eines Spuckschutzes. das Aufsetzen einer Schlafbrille und des Gehörschutzes. Zwar bestand die allgemeine Fluchtgefahr. als milderes Mittel wird aber eine Fesselung an Händen und Beinen. zusammen mit der Fixierung durch einen Feuerwehrgurt als ausreichend angesehen. Die weitergehenden Eingriffe sind deshalb unter Würdigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 10. Juli 2011. 2 BA 2815/13. juris) nicht mehr verhältnismäßig.

3. Keine Bedenken hat die Kammer lediglich. dass der Kläger vor dem Transport (bekleidet) durchsucht und während des Transports an Händen und Füßen gefesselt wurde und die Fesseln mit einem Feuerwehrgurt am Körper fixiert wurden. …..“