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Corona I: Gefälschter Impfpass vor Kreistagssitzung, oder: Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse

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Und in die neue Woche starte ich dann mit zwei Entscheidungen zu Corona, zwei – von mir so genannte „Abarbeitungsentscheidungen“, die also Fragen betreffen, die während der Corona-Pandemie eine Rolle gespielt haben.

Ich beginne mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 27.04.2023 – 3 RVs 16/23 – zur Vorlage eines gefälschten Impfpasses. Es geht um die Verurteilung eines Mitglieds der AFD. Das hatte im  November 2021 an einer Sitzung des Ältestenrates des Gütersloher Kreistages teilgenommen, wobei er ein verhindertes Mitglied dieses Gremiums vertrat. Bei der Überprüfung der Einhaltung der seinerzeit infolge der Coronaviruspandemie geltenden 3-G-Regelung legte er der Protokollführerin einen gefälschten Impfausweis vor, in dem zwei tatsächlich nicht erfolgte Impfungen eingetragen waren. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung wurde dieser Impfausweis bei ihm sichergestellt. Nach Bekanntwerden des Vorfalls in der Öffentlichkeit trat der Angeklagte von allen politischen Ämtern zurück und trat aus der Partei AfD aus.

Das Verhalten des Angeklagten hat das LG als Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 279 StGB gewertet und den Angeklagten entsprechend verurteilt. Das hat das OLG Hamm bestätigt:

„In sachlichrechtlicher Hinsicht erfüllt dieses Tatgeschehen den Tatbestand des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse gem. § 279 StGB in der bis zum bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung (§ 279 StGB a. F.).

a) Bei dem Impfausweis, den der Angeklagte der Zeugin H. vorlegte, handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis (RGSt 24, 284, 285f.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juli 2022 – 2 Rv 21 Ss 262/22 -, juris; OLG Celle, Urteil vom 31. Mai 2022 – 1 Ss 6/22 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. März 2022 – 1 Ws 33/22 -, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21 -, juris; Erb, in: Müchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2022, § 277, Rn. 2). Dieses Gesundheitszeugnis war auch unrichtig, denn entgegen den darin enthaltenen Angaben war der Verurteilte nicht gegen das Coronavirus geimpft.

b) Indem der Angeklagte den Impfausweis zur Überprüfung seines Impfstatus vorlegte, gebrauchte er diesen. Entgegen der Auffassung der Revision handelte er dabei in der Absicht, eine Behörde im Sinne von § 279 StGB a. F. zu täuschen.

aa) Allgemein wird unter dem Merkmal „Behörde“ in Anlehnung an das Reichsgericht (RGSt 18, 246, 249f.) „eine in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnete, organisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln“ verstanden, „die mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattet dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder von ihm geförderter Zwecke tätig zu sein“ (BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1959 – 2 BvF 1/58 -, juris; BGH, Urteil vom 23. Juli 1963 – 6 StE 1/63 -, juris; BayObLG, Beschluss vom 5. Juli 1993 – 4St RR 37/93 -, juris; Hilgendorf, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage 2020, § 11, Rn. 93; Radtke, in: Müchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, § 11, Rn. 150; Hecker, in: Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 11, Rn. 55). Auch die Revision beruft sich auf diese Definition.

Als die Zeugin H. den Impfausweis des Angeklagten kontrollierte, war sie für eine Behörde im vorgenannten Sinne tätig. Mit der Kontrolle nahm sie im Auftrag des Landrats dessen Befugnisse gem. § 36 Kreisordnung NRW (KrO NRW) wahr. Die Vorschrift überträgt dem Landrat öffentliche Gewalt zur Ausübung der Sitzungspolizei bei den Sitzungen des Kreistags, zu dem gem. § 4 der Geschäftsordnung des Kreistags des Kreises E. auch der Ältestenrat gehört. Gem. § 36 KrO NRW leitet der Landrat die Verhandlungen des Kreistags, eröffnet und schließt die Sitzungen, sorgt für die Aufrechterhaltung der Ordnung und übt das Hausrecht aus. Dazu zählte auch die Überwachung der Zugangsbeschränkungen gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Coronaschutzverordnung NRW in der ab dem 8. Oktober 2021 gültigen Fassung (CoronaSchVO NRW) sowie die Kontrolle von Impfnachweisen gem. § 4 Abs. 5 CoronaSchVO NRW. Mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben wirkt der Landrat selbständig auf die Erreichung von Staatszwecken hin. Denn gem. § 2 Abs. 1 KrO NRW sind die Kreise, soweit das Gesetz nicht etwas anderes bestimmt, ausschließliche und eigenverantwortliche Träger der öffentlichen Verwaltung zur Wahrnehmung der auf ihr Gebiet begrenzten überörtlichen Angelegenheiten. Zur Erfüllung dieser Aufgaben handeln die Kreise u. a. durch den Kreistag, dessen Kompetenzen in § 26 KrO NRW geregelt sind. Die Sitzungspolizei des Landrats sichert die Handlungsfähigkeit des Kreistags und dient damit der Staatsverwaltung (so bereits OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 13. Mai 1964 – 1 Ss 257/64 -, NJW 1964, 1682, für Stadtverordnetenvorsteher nach hessischem Kommunalrecht).

bb) Auf die von der Revision vorgenommene funktionale Differenzierung zwischen der Rolle des Landrats als Hauptverwaltungsbeamter des Kreises einerseits und Vorsitzendem des Kreistags (§ 25 Abs. 2 KrO NRW) andererseits kommt es somit schon im Hinblick auf die eindeutigen Aufgabenzuweisungen in §§ 26, 36 KrO nicht an. Auch der Einwand der Verteidigung, die hier in Rede stehende Tätigkeit des Landrats entfalte keine Außenwirkung, spielt für den strafrechtlichen Behördenbegriff keine Rolle.

Schließlich erfordert auch der Schutzzweck von § 279 StGB a. F. kein anderes Verständnis des Merkmals. Denn die Regelung dient dem Schutz des Rechtsverkehrs vor unwahren Urkunden; ein Grund, den Landrat als Vorsitzenden des Kreistags und Inhaber der Sitzungspolizei von diesem Schutz auszunehmen, ist nicht ersichtlich (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1963 – 2 StR 81/63 -, juris).

Für dieses Ergebnis spricht, dass es sich hierbei um die für den Täter günstigste Auslegung der Strafgesetze handelt (vgl. Peglau, NJW 1996, 1193): Das Verhalten des Angeklagten erfüllt zugleich den Tatbestand der Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 StGB in Gestalt des Gebrauchens einer unechten Urkunde. Während § 267 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe ermöglicht, sieht § 279 StGB a. F. als Strafmaß nur Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vor. Würde man in Fällen wie dem vorliegenden in Abrede stellen, dass der Angeklagte zur Täuschung einer Behörde gehandelt hat, wäre der Angeklagte nach der schärferen Regelung des § 267 StGB zu bestrafen. Denn entgegen der Auffassung von Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung entfaltet § 279 StGB a. F. keine „Sperrwirkung“ gegenüber der Urkundenfälschung (§ 267 StGB), wenn der Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen nicht vollständig erfüllt ist (BGH, Urteil vom 10. November 2022 – 5 StR 283/22 -, Pressemitteilung Nr. 161/2022 vom 10 November 2022; OLG Karlsruhe a. a. O.; OLG Celle, a. a. O.; OLG Stuttgart, a. a. O.; OLG Hamburg, a. a. O.).

c) Am Vorsatz und der Täuschungsabsicht des Angeklagten bestehen nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen keine Zweifel. Da dem Angeklagten die äußeren Umstände des Tatgeschehens bekannt waren, kommt ein Erlaubnistatbestandsirrtum analog § 16 1 Satz 1 StGB nicht in Betracht. Gleiches gilt für einen Verbotsirrtum gem. § 17 Satz 1 StGB. Es liegt fern, dass der Angeklagte sich irrtümlich für befugt hielt, mit einem falschen Impfausweises über seinen Impfstatus zu täuschen.“

Achtung: Die Entscheidung betrifft „altes Recht“.

Wegen anderer vom OLG behandelter Fragen, komme ich auf die Entscheidung noch einmal zurück.

Corona I: Wirksame (Ersatz)Zustellung in Corona-Zeiten, oder: Versuch der Übergabe gemacht?

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Und heute dann – seit längerem mal wieder – ein paar Entscheidungen, in denen Corona eine Rolle spielt. Zunächst hier eine Zwischenurteil des BFH, und zwar das BFH, Urt. v. 19.10.2022 – X R 14/21. Es geht in der Entscheidung um die Wirksamkeit einer Zustellung und damit um die Rechtzeitigkeit einer Revision.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt = Tatbestand zugrunde:

„Das angefochtene Urteil des Finanzgerichts wurde am 19.06.2021, einem Samstag, im Wege der förmlichen Zustellung mittels Zustellungsurkunde in den Briefkasten der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Kläger und Revisionskläger (Kläger), einer Steuerberatungs-GmbH, eingelegt. Auf dem Briefumschlag ist als Zustellungsdatum der 19.06.2021 vermerkt. Der Zusteller hat die Zustellungsurkunde wie folgt ausgefüllt:

„Das mit umseitiger Anschrift und Aktenzeichen versehene Schriftstück (verschlossener Umschlag) habe ich in meiner Eigenschaft als

2 [X]

– Postbediensteter


9 [X]

– zu übergeben versucht. (10.1 bis 12.3)
Weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht möglich war, habe ich das Schriftstück in den

10.1 [  ]

– zur Wohnung

10.2 [X]

– zum Geschäftsraum
gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt.


13

Den Tag der Zustellung – ggf. mit Uhrzeit – habe ich auf dem Umschlag des Schriftstücks vermerkt.
13.1 Datum: 190621
13.3 Unterschrift des Zustellers: …
13.4 Postunternehmen/Behörde: Deutsche Post
13.5 Name, Vorname des Zustellers (in Druckbuchstaben): …“

Die Revision der Kläger ging am 20.07.2021 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Auf einen Hinweis der Senatsgeschäftsstelle, dass die für die Einlegung der Revision geltende Monatsfrist versäumt sei, wandten die Kläger ein, die Zustellungsurkunde sei unrichtig. Während der Covid-19-Pandemie hätten die jeweiligen Postzusteller bei keiner einzigen förmlichen Zustellung eine persönliche Übergabe des Schriftstücks in den Geschäftsräumen der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten versucht. Dies sei auch am 19.06.2021 nicht der Fall gewesen. Gleichwohl sei in den Zustellungsurkunden stets ??objektiv unzutreffend?? angekreuzt worden, eine Übergabe des Schriftstücks in den Geschäftsräumen sei nicht möglich gewesen. Damit sei die Zustellung unter Verstoß gegen zwingende Zustellungsvorschriften erfolgt; eine Heilung nach § 189 der Zivilprozessordnung (ZPO) sei erst mit der am Montag, 21.06.2021 vorgenommenen Leerung des Kanzleibriefkastens eingetreten.

Die Kläger haben weiter vorgetragen, der Zusteller habe in Gesprächen mit der für den Posteingang zuständigen Mitarbeiterin und dem Geschäftsführer ihrer Prozessbevollmächtigten am 03. und 04.08.2021 erklärt, er sei aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zur Pandemiebekämpfung gehalten, keine persönlichen Zustellungen vorzunehmen. Im Übrigen müsse er dies auch nicht, weil er die Sendungen jederzeit in den Briefkasten einlegen könne.

Die Kanzleiräume befänden sich im dritten Obergeschoss eines Geschäftshauses, der Kanzleibriefkasten liege im Erdgeschoss hinter der verschlossenen Hauseingangstür. Klingeln für die Kanzleiräume seien sowohl außen am Hauseingang als auch im dritten Obergeschoss vor der Eingangstür zu den Kanzleiräumen angebracht. Der Postzusteller habe einen eigenen Schlüssel für die Hauseingangstür und damit jederzeit Zutritt zum Gebäude.

Die Senatsvorsitzende hat die Deutsche Post AG ??Großannahmestelle Brief Stadt X?? um Auskunft zu der Frage gebeten, ob es in deren Bereich die generelle Anweisung gebe, während der Covid-19-Pandemie vom Versuch einer persönlichen Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks abzusehen und statt dessen sogleich eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den zur Wohnung oder zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten vorzunehmen. Die Deutsche Post AG ??Kundenservice?? hat diese Frage mit Schreiben vom 04.05.2022 verneint und darüber hinaus ??ohne hierzu befragt worden zu sein?? ausgeführt, dass für den betroffenen Zustellungsauftrag am 19.06.2021 ein Zustellversuch unternommen worden sei. Der Geschäftsraum sei geschlossen gewesen, so dass eine Übergabe nicht möglich gewesen sei und der Auftrag in den Briefkasten des Adressaten eingelegt worden sei. Postzustellungsaufträge würden immer nach den Vorgaben der ZPO zugestellt.“

Der BFH hat die Revision als zulässig angesehen. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Eine wirksame Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten (§ 180 ZPO) setzt voraus, dass zuvor ein erfolgloser Versuch der Ersatzzustellung in der Wohnung oder den Geschäftsräumen des Adressaten (§ 178 Abs. 1 Nr. 1, 2 ZPO) unternommen wurde.

2. Allein aus den allgemeinen während der Covid-19-Pandemie geltenden Kontaktbeschränkungen kann nicht abgeleitet werden, dass in dieser Zeit eine Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten ohne vorherigen Versuch der Ersatzzustellung in der Wohnung oder den Geschäftsräumen als wirksam anzusehen wäre.

Kann m.E. auch in anderen Verfahren(sarten) von Bedeutung sein/werden.

Corona II: Rechtsprechungsübersicht zu Corona, oder: Montagsspaziergang, „Corona-Schöffe“, Vollstreckung

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Im zweiten Posting zu Corona-Entscheidungen bringe ich dann eine kleine Rechtsprechungsübersicht – quasi einmal „quer durch den Garten“. Es handelt sich um folgende Entscheidungen, von denen ich aber jeweils nur den Leitsatz vorstelle:

Weder mit Bußgeldern geahndeten Verstöße gegen die Maskenpflicht bei sogenannten Montagsspaziergängen noch die bloße Teilnahme an solchen Versammlungen noch die gemäß § 26 Nr. 2 VersammlG strafbewehrte Durchführung einer derartigen Versammlung ohne Anmeldung als Veranstalter oder Leiter begründen jeweils für sich allein oder in einer Zusammenschau die Annahme einer gröblichen Amtspflichtverletzung eines Schöffen im Sinne des § 51 Abs. 1 GVG.

Die Absonderung von Gefangenen bei einem Verdacht auf eine „Corona-Infektion“ ist eine zur Verhinderung der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus geeignete und zulässige Maßnahme.

Zur Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage bei Ordnungswidrigkeiten nach den Corona-Bekämpfungsverordnungen des Landes Rheinland-Pfalz, die an den Impfstatus von Betroffenen anknüpfen, wen dieser in der Hauptverhandlung nicht aufgeklärt werden kann.

Corona I: Fernbleiben in der HV wegen Corona, oder: Muss der Betroffene schlauer als der Verteidiger sein?

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In die 44. KW., starte ich dann mit zwei „Corona-Entscheidungen“.

Ich beginne mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.09.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 378/22. Er behandelt das (unentschuldigte) Fernbleiben des Betroffenen in der Hauptverhandlung wegen einer vermuteten Corona-Infektion nach Auskunft des Verteidigers zur Nicht-Erscheinenspflicht.

Dem Betroffenen wurde eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen. Nach Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid, der u.a. auch ein Fahrverbot enthielt, bestimmte das AG Termin zur Hauptverhandlung auf den 28.04.2022, 11:15 Uhr. Mit Schriftsatz seines Verteidigers, der per beA am Terminstag um 09:53 Uhr beim AG einging, beantragte der Betroffene die Aufhebung des Termins, weil sich bei ihm am Vortag typische Symptome einer Corona-Erkrankung (Halsbeschwerden, Schnupfen, Fieber) eingestellt hätten. Der Verteidiger fügte seinem Schriftsatz den Ausdruck eines E-Mail-Schriftwechsels mit dem Betroffenen vom selben Tag bei, in dem er ihm u.a. mitgeteilt hatte, dass er nicht an dem Termin teilnehmen könne und dies auch nicht müsse. Das AG führte gleichwohl den Hauptverhandlungstermin durch und hat den Einspruch des Betroffene gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Der Betroffene sei dem Hauptverhandlungstermin ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben. Die behauptete Covid-19-Erkrankung sei nicht durch geeignete Nachweise glaubhaft gemacht worden. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte keinen Erfolg.

„1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG statthaft und entsprechend den Bestimmungen der §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. In der Sache hat sie keinen Erfolg, sie ist unbegründet.

a) Gegen ein Verwerfungsurteil im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG kann mit der Rechtsbeschwerde nur vorgebracht werden, dass das Amtsgericht den Einspruch zu Unrecht wegen unentschuldigten Ausbleibens des Betroffenen verworfen habe, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen (Göhler, OWiG, 18. Auflage, zu § 74, Rz. 48a m. w. N.). Der Verstoß gegen § 74 Abs. 2 OWiG ist als Unterfall der Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör mit der nach §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO auszuführenden Verfahrensrüge geltend zu machen (OLG Koblenz NStZ-RR 2004, 373; OLG Köln NZV 2002, 241; OLG Brandenburg NStZ-RR 1997, 275).

Der Betroffene hat seine diesbezügliche Verfahrensrüge nicht in den Erfordernissen der §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügender Form ausgeführt. So fehlt es bereits an einer vollständigen Mitteilung der Urteilsgründe.

Ungeachtet dessen hätte die Verfahrensrüge im Fall ihrer zulässigen Erhebung in der Sache keinen Erfolg.

Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 08. August 2022 ausgeführt:

„Das Gericht darf den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG nur verwerfen, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist. Die Entschuldigung eines Ausbleibens im Termin ist dann als genügend anzusehen, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Betroffenen einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen. Maßgebend dafür ist nicht, ob sich der Betroffene entschuldigt hat, sondern, ob er entschuldigt ist, weswegen der Tatrichter von Amts wegen prüfen muss, ob Umstände ersichtlich sind, die das Ausbleiben des Betroffenen genügend entschuldigen (vgl. zu § 329 StPO BGHSt 17, 391). Die ihn insoweit treffende Nachforschungspflicht setzt jedoch erst ein, wenn überhaupt ein hinreichend konkreter und schlüssiger Sachvortrag vorliegt, der die Unzumutbarkeit oder die Unmöglichkeit des Erscheinens indizierende Tatsachenbehauptungen enthält (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 06. März 2013 – 3 Ss 20/13 – m. w. N.) und dem Gericht somit hinreichende Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung zur Kenntnis gebracht sind, die einer Überprüfung durch das Gericht zugänglich sind (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31. März 2020 – 202 StRR 29/20).

So liegt es hier nicht, denn in seiner Mitteilung an seinen Rechtsbeistand (Bl. 9 d. A.) erklärt der Betroffene lediglich, er leide an Symptomen, die er mit einer COVID-19-Erkrankung in Zusammenhang bringt. Er teilt jedoch nicht mit, dass er sich – was angesichts der zum relevanten Zeitpunkt jedermann problemlos zur Verfügung stehenden und anzuwendenden Testsysteme zu erwarten gewesen wäre – einen Selbsttest mit einem Positivergebnis unterzogen hat. Auch wäre es ihm trotz seiner Symptome offensichtlich möglich gewesen, eine Arztpraxis zum Zwecke der Ausstellung eines seine Infizierung bestätigenden Attestes aufzusuchen. Von dieser Möglichkeit hat er nach seiner Mitteilung nur deshalb keinen Gebrauch gemacht, weil er nicht in einer Arztpraxis „rumsitzen“ wollte. Auf die – letztlich nicht verifizierbare – bloße Behauptung des Betroffenen, er sei erkrankt, musste und durfte sich das Amtsgericht bei seiner Entscheidung über die Verwerfung des Einspruchs mithin nicht verlassen, sodass die Verwerfung des Einspruchs nicht zu beanstanden ist.“

Diese Ausführungen entsprechen der Sach- und Rechtslage, der Senat schließt sich ihnen an.

Die Ausführungen des Betroffenen in seiner Gegenerklärung vom 06. September 2022 geben keinen Anlass zu abweichender Bewertung. Soweit darin die Auffassung vertreten wird, nicht der sichere und attestierte Nachweis einer Corona-Erkrankung habe Priorität, sondern die besondere Selbstverantwortung jedes Einzelnen bei selbst festgestellten Symptomen, vermag sich der Senat dem für die Teilnahme des Betroffenen an einem innerhalb eines gegen ihn gerichteten justiziellen Verfahrens angesetzten Termin nicht anzuschließen. Insoweit sind die Belange der öffentlichen Gesundheitsvorsorge und der Justiz gegeneinander abzuwägen und in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu setzen. Diese Abwägung führt nicht dazu, dass ein gerichtlich angesetzter Termin im Bußgeldverfahren allein auf den Vortrag des Betroffenen zu einer persönlich für möglich gehaltenen Infektion ohne objektiven Nachweis aufzuheben wäre.

Dass der Verteidiger in Verkennung der Rechtslage den Betroffenen ausdrücklich angewiesen hat, der Hauptverhandlung fernzubleiben, vermag ebenfalls nicht zu einer Entschuldigung dessen Nichterscheinens zu führen. Der Betroffene hatte keinerlei Veranlassung, auf die Richtigkeit dieser Anweisung zu vertrauen – die Entscheidung dieser Frage lag offensichtlich nicht in der Entscheidungskompetenz des Verteidigers (vgl. OLG Frankfurt DAR 2017, 595; BayObLG NZV 2003, 293).“

Die Entscheidung führt bei mir zu mehr als leichtem Kopfschütteln. Denn: Man kann sicherlich über das Vorgehen und das Verhalten des Betroffenen streiten. Man kann sicherlich auch darüber streiten, ob es eine Verpflichtung gibt, im privaten Bereich Corona-Tests einzusetzen. Jedenfalls hätte das OLG aber darlegen können, wenn nicht müssen, woraus sich die Verpflichtung, wenn es eine solche denn gibt, ergeben soll. Worüber man m.E. aber nicht streiten kann, ist der Umstand, dass der Betroffene der Auskunft seines Verteidigers vertraut hat und u.a. auch deshalb dem Hauptverhandlungstermin fern geblieben ist. Dabei spielt dann auch die knappe Zeit – Mitteilung am Hauptverhandlungstag – eine Rolle. Was soll der Verteidiger denn dann anderes tun, als dem Betroffenen zu raten, dem Hauptverhandlungstermin fern zu bleiben, zumal in Pandemiezeiten. Und was soll der Betroffene anderes tun, als auf diese Auskunft zu vertrauen?. Das ist m.E. „offensichtlich“ und nicht die vom OLG verneinte Entscheidungskompetenz des Verteidigers. Alles in allem: Nicht nachvollziehbar, wobei auch der Hinweis auf OLG Frankfurt am Main und BayObLg mich nicht überzeugen.

Nicht nachvollziehbar ist m.E. auch der Hinweis des OLG auf den fehlenden Vortrag der Urteilsgründe. Denn der Betroffene hatte auch die Sachrüge erhoben, die dem OLG den Zugriff auf die Urteilsgründe doch ermöglicht.

Corona II: Wegen Corona-Pandemie abgesagte Reise, oder: Gutschein statt Stornierung erlaubt?

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Und als zweite Entscheidung zur „Corona-Problematik“ etwas zivil- bzw. wettbewerbsrechtliches, und zwar das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 15.09.2022 – 6 U 191/21 – zur Frage: Gutschein vom Reiseveranstalter statt Stornierung – erlaubt oder nicht erlaubt?

Gestritten worden ist um einen pandemiebezogenen Kundenhinweis auf der Homepage der Beklagten. Der Kläger ist der bundesweit tätige Dachverband der Verbraucherzentralen der Bundesländer. Die Beklagte ist eine Reiseveranstalterin, die Verbrauchern die Möglichkeit bietet, online Pauschalreisen über ihre Website zu buchen. Vom 28.05.2020 bis zum 08.07.2020 befand sich auf der Internetseite der Beklagten unter dem Link „Aktuelle Corona-Informationen finden sie hier“ ein Hinweis, dass die Beklagte wegen vieler Anfragen schwer erreichbar sei. Gäste mit Abreise bis 30.06.2020 würden in der Reihenfolge ihrer Abreise unaufgefordert kontaktiert. Das Team erarbeite gerade alternative Angebote für Reisen im nächsten Jahr. Weiter heißt es: „Wir würden uns freuen, wenn Sie Ihre Traumreise mit X um ein Jahr verschieben …“ Ferner bittet die Beklagte darum, aktuell von Rückfragen abzusehen, „bis das Schreiben bei Ihnen ist“.

Der Kläger war der Ansicht, durch diese Hinweise würden Kunden davon abgehalten, ihre Reise gegen Rückerstattung des Reisepreises zu stornieren. Das hat er klageweise durchsetzen wollen. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Ich stelle hier jetzt nichts aus dem verlinkten Urteil ein, sondern empfehle das zur „Selbstlektüre“. Hier soll der Leitsatz reichen. Der lautet:

Bietet ein Reiseveranstalter seinen Kunden eine Umbuchung einer pandemiebedingt nicht durchführbaren Reise an, ohne ausdrücklich auf die Möglichkeit der Stornierung gegen Rückerstattung des Reisepreises hinzuweisen, ist dies nicht unlauter, solange der Verbraucher nicht über den optionalen Charakter des Angebots getäuscht wird.