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Geldwäsche des Verteidigers/Rechtsanwalts

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In der Praxis des Strafverfahrens spielen auch immer wieder die mit dem Geldwäschevorwurf zusammenhängenden Fragen ein Rolle, die dann letztlich erst vom BVerfG abschließend beantwortet werden. Denn für den Strafverteidiger besteht nicht selten das Risiko, dass Mandantenhonorare aus bemakelten Quellen stammen, er sich also objektiv im Grenzbereich von „Organ der Rechtspflege“ und Geldwäsche bewegt. Der Wortlaut des § 261 Abs. 1 und 2 StGB begnügt sich für die Strafbarkeit mit bedingtem Vorsatz. Für den Strafverteidiger würde das bei der Honorarannahme auf dem Hintergrund von Katalogtaten der § 261 StGB zu einem unkalkulierbaren Strafbarkeitsrisiko führen, das der Bedeutung seiner Rolle im Strafverfahren nicht gerecht würde. Für den Tatbestand des § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB hat das BVerfG (BVerfGE 110, 226 = NJW 2004, 1305) die Strafandrohung daher in solchen Fällen im Wege verfassungskonform einschränkender Auslegung auf die sichere Kenntnis der Herkunft des Honorars beschränkt (sog. Vorsatzlösung).

Das BVerfG hatte sich jetzt mit einer etwas anderen Konstellation zu befassen. Das OLG Bamberg hatte 2014 folgenden Sachverhalt entschieden (vgl. a. NStZ 2015, 235): Angeklagt waren zwei Rechtsanwälte. Der Ehemann ihrer Mandantin, ein Herr K., wurde wegen gewerbsmäßigen Betrugs, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung im Rahmen eines Schneeballsystems verurteilt. Gelder aus diesen Straftaten flossen auch auf ein Konto bei einer Privatbank in der Schweiz, über das Frau K. verfügungsbefugt war. Im Dezember 2009 veranlasste Frau K. in Absprache mit den beiden Rechtsanwälten eine Überweisung von 50.000 € auf das Kanzleikonto, um einen Honorarvorschuss für Strafverteidigung und zivilrechtliche Beratung zu leisten. Im August 2010 wandten sich dann die beiden Rechtsanwälte mit der Bitte um Auszahlung von 51.170 € für eine weitere Honorarrechnung an die Ban.- Das Konto war jedoch zuvor durch die schweizerische Staatsanwaltschaft in Folge eines Rechtshilfeersuchens aus Deutschland gesperrt worden. Die beiden Rechtsanwälte sind in allen drei Instanzen, also auch vom OLG Bamberg (a.a.O.) wegen vollendeter (Fall 1) und versuchter (Fall 2) Geldwäsche (§ 261 Abs. 1 S. 1 StGB) verurteilt worden.

Dagegen ist Verfassungsbeschwerden eingelegt worden, die das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, weil u.a. eine Verletzung der Berufsfreiheit nicht hinreichend substantiiert dargelegt worden sei (BVerfG, Beschl. v. 28.07.2015 – 2 BvR 2558/14, 2 BvR 2573/14, 2 BvR 2571/14). Obwohl das BVerfG die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen hat, hat es in dem Beschluss  eingehend zur verfassungskonformen Auslegung des § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB in solchen Fällen geäußert. Von Verfassungs wegen sei auch eine einschränkende Auslegung des vorliegend angewandten Vereitelungs- und Gefährdungstatbestandes aus § 261 Abs. 1 S. 1 StGB geboten, die den Besonderheiten bei der Honorierung von Strafverteidigern Rechnung trage. Für den hier nicht einschlägigen Verschleierungstatbestand des § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB gehe die überwiegende Auffassung davon aus, dass angesichts der im Gesetzeswortlaut verwendeten „finalen Tätigkeitsworte“ eine „manipulative Tendenz“ des Täters erforderlich sei. Bei einem solchen Tatbestandsverständnis besteht von Verfassungs wegen kein Bedürfnis, zum Schutze des redlichen Strafverteidigers weitere Einschränkungen vorzusehen. Beim Vereitelungs- und Gefährdungstatbestand des § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB würden hingegen die objektive Gefährdung oder Vereitelung einerseits und die Tatbegehung mit bedingtem Vorsatz andererseits überwiegend für ausreichend erachtet, ohne dass ein heimliches Verhalten, eine „Finalität“ oder eine „manipulative Tendenz“ als notwendig angesehen werden. Dieses Verständnis liege auch den angegriffenen Entscheidungen zugrunde.

Ein solches Verständnis des § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB, das im Falle der Honorierung eines Strafverteidigers keinerlei Restriktionen im subjektiven Tatbestand vorsieht, ließe jedoch – so das BVerfG – eine Gefährdung der tragenden Erwägungen der in BVerfGE 110, 226 veröffentlichten Senatsentscheidung besorgen, die verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar sei. Dass der Geldfluss an den Strafverteidiger objektiv-tatbestandlich als Angriff auf eine Sicherstellung gewertet wird, sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Da jedoch der Verfall von Vermögen aus einer rechtswidrigen Tat grundsätzlich zwingend und die vorbereitende Sicherstellung die Regel ist, wäre in Fällen, in denen eine Strafbarkeit nach § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB aus den Gründen dieser Entscheidung ausscheidet, eine Strafbarkeit zumindest wegen Gefährdung des Verfalls oder der Sicherstellung von bemakeltem Vermögen gem. § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB eröffnet. Die in der Senatsentscheidung für erforderlich erachteten Restriktionen in Bezug auf die Kenntnis des Strafverteidigers von der deliktischen Mittelherkunft würden, ohne dass dies sachlich gerechtfertigt wäre, weitgehend leerlaufen, wenn im Hinblick auf diese Tatbestandsvariante einschränkungslos bedingter Vorsatz bezüglich der Herkunft des Vermögens oder gar Leichtfertigkeit genügten.

Das BVerfG überträgt damit seine Rechtsprechung zu § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB konsequent auch auf die Vereitelungs- und Gefährdungstatbestände in § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB. Anders als dort hat das BVerfG aber keine Vorgaben gemacht, sondern lediglich Vorschläge, wie die hiernach erforderlichen Restriktionen von den Fachgerichten umgesetzt werden können. Es könne wie in der früheren Entscheidung auf die sicherer Herkunftskenntnis im Tatzeitpunkt abgestellt werden, möglich sei aber auch der Ansatz, durch das Erfordernis eines „finalen Elements“ oder einer „manipulativen Tendenz“ ein verfassungskonformes Verständnis der möglichen Strafbarkeit des Strafverteidigers herzustellen. Es bleibt abzuwarten, welcher Weg von den Strafgerichten beschritten werden wird.

BVerfG: Einmal darf man, oder: Beinahetreffer (war) verwertbar

© helmutvogler - Fotolia.com

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Zur Abrundung und zum Abschluss an dieser Stelle dann der Hinweis auf die „Beinahetreffer-Entscheidung“ des BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 13.05.2015 – 2 BvR 616/13. Die mit dem sog. Beinahetreffer zusammenhängenden Fragen haben hier ja schon zweimal eine Rolle gespielt (vgl. Der Beinahetreffer (demnächst) beim BVerfG und zuvor: Massengentest – was darf man mit den Ergebnissen anstellen? Dazu jetzt der BGH). Der BVerfG, Beschl. v. 13.05.2015 – 2 BvR 616/13 ist nun die angekündigte Entscheidung zu der BGH-Entscheidung.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Es hat sie als unzulässig, weil nicht ausreichend begründet, im Übrigen aber auch als unbegründet angesehen. Dabei lesen wir (weider) viel zu Beweisverwertungsverboten und zur Abwägungslehre des BVerfG/BGH. Zudem obliege die Frage eines Beweisverwertungsverbots den Fachgerichten und sei einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich. Das BVerfG billigt  die Abwägungs-Rechtsprechung des BGH. In diesem Fall hat der BGH nach Auffassung der BVerfG keine grundgesetzlich geschützten Rechte verletzt, zwar sei § 81h Abs. 1 StPO klar formuliert, der Gesetzgeber habe aber die Behandlung der sog. „Beinahetreffer“ überhaupt nicht im Auge gehabt. Daher soll für diesen ersten Fall die Rechtslage unklar gewesen sein, künftig soll dies aber eben wegen dieser Entscheidung nicht mehr gelten. Einen expliziten Hinweis an den Gesetzgeber, die Vorschrift entsprechend anzupassen, sofern er künftig die Verwertbarkeit von über sog. „Beinahetreffer“ gewonnenen Erkenntnissen zum Zwecke einer effektiven Strafverfolgen sicherstellen will, enthält die Entscheidung aber nicht.

Man kann es m.E. auch anders zusammenfassen, und zwar: Einmal darf man! Irgendwie unschön….

Leicht säuerlich reagiert das OVG Münster auf das BVerfG , oder: Kritik mögen wir nicht

© angelo sarnacchiaro - Fotolia.com

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Im Februar 2015 hatte ich im Posting: Verkehrsrechtler aufgepasst – BVerfG: „erhebliche Bedenken”, wenn man den Richtervorbehalt „flächendeckend aushebelt…” über den BVerfG, Beschl. v. 28.06.2014 – 1 BvR 1837/12 berichtet. Nun, der hat – zumindest kleine – Kreise gezogen und ist jetzt auch beim OVG Münster angekommen, das allerdings im OVG Münster, Beschl. v. 04.05.2015 – 16 B 426/15 – m.E. -„leicht säuerlich“ zu in der in dem Beschluss des BVerfG enthaltenen Kritik an der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte reagiert/formuliert:

„Die Antragstellerin beruft sich ohne Erfolg auf ein Beweisverwertungsverbot wegen eines möglichen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt nach § 81a StPO. Ein Verwertungsverbot im Straf? oder Ordnungswidrigkeitenverfahren führt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht zur Unverwertbarkeit der jeweiligen Erkenntnisse auch im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren. Während nämlich Beweisverwertungsverbote im vorrangig repressiven Zwecken dienenden Strafprozess dem Spannungsverhältnis zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch einerseits und dem Grundrechtsschutz des Betroffenen andererseits Rechnung tragen, sind im rein präventiven, auf keine Bestrafung gerichteten Fahrerlaubnisverfahren maßgeblich auch Rechtsgüter einer unbestimmten Zahl Dritter, namentlich Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer, zu beachten. Mit dem Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrerlaubnisinhabern wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die Fahrerlaubnisbehörden an der Berücksichtigung (eventuell) strafprozessual fehlerhaft gewonnener Erkenntnisse allgemein gehindert wären oder wegen eines außerhalb ihres Verantwortungsbereichs begangenen Verfahrensfehlers sehenden Auges die gravierenden Gefahren hinzunehmen hätten, die mit der Verkehrsteilnahme eines derzeit kraftfahrungeeigneten Fahrerlaubnisinhabers verbunden sind.

Vgl. zuletzt etwa OVG NRW, Beschluss vom 13. März 2014 ? 16 B 228/14 ?, juris, Rn. 2 f. (mit weiteren Nachw.).

Die in einem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts BVerfG, Beschluss vom 28. Juni 2014 ? 1 BvR 1837/12 ?, NJW 2015, 1005 = juris, Rn. 13 geäußerten Zweifel an dieser Praxis können jedenfalls im auf summarischer tatsächlicher Grundlage ? d. h. insbesondere ohne nähere Kenntnis der genauen Umstände der Anordnung nach § 81a StPO ? geführten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu keiner anderen Handhabung führen, zumal mit Blick auf die kurzen Nachweiszeiten für Drogen im Blut(serum) viel für das Vorliegen von Gefahr im Verzug wegen drohenden Beweismittelverlusts sprach.“

Durchsuchung II: Geht es vielleicht etwas „bestimmter“?

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Mein „Lieblings-Urteils-Lieferant vom Dienst“ weist mich gerade auf den BVerfG, Beschl. v. 16.04.2015 – 2 BvR 440/14 – hin, der ganz gut zu dem leidigen Thema „Rechtswidrigkeit von Durchsuchungsbeschlüssen“ hinpasst (vgl. dazu heute schon der BVerfG, Beschl. v. 29.01.2015 – 2 BvR 497/12 –und dazu: Achtung/Vorsicht bei der Durchsuchung der Rechtsanwaltskanzlei). Also schiebe ich ihn hinterher.

Im Beschluss geht es allerdings nicht um die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei, sondern um eine Steuerberater-/Wirtschaftsprüferdatei. Zur Anordnung der Durchsuchung im Beschluss des AG Wuppertal heißt es im BVerfG, Beschl. v. 16.04.2015:

„1. Gegen einen der Geschäftsführer der Beschwerdeführerinnen zu 1. und 2. wurde wegen des Verdachts der Beteiligung an einer Steuerhinterziehung in besonders schwerem Fall ermittelt. Die Beschwerdeführerin zu 3. und der Beschwerdeführer zu 4. verfügten über Büroräume unter derselben Adresse wie die Beschwerdeführerinnen zu 1. und 2. Die elektronischen Daten der Beschwerdeführer zu 1. bis 4. befinden sich auf einem gemeinsamen Server.

2. Mit angegriffenem Beschluss ordnete das Amtsgericht unter anderem die Durchsuchung sämtlicher Geschäftsräume der „D. GmbH, A.-str., M.“ an. Eine ausdrückliche Eingrenzung auf einen oder mehrere der Beschwerdeführerinnen zu 1. bis 3. erfolgte nicht…..“

Im Beschwerdeverfahren verteidigt das AG (wortreich) seine „knappe“ Anordnung. Das LG übernimmt die. Das BVerfG macht es dann kurz und zackig. Nach dem üblichen „Mantra“/Textbaustein zur „Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG“ und der Erstreckung dieses Schutzes „auch auf geschäftlich genutzte Räume, die nicht allgemein zugänglich sind (vgl. BVerfGE 42, 212 <219>; 96, 44 <51>; BVerfGK 15, 225 <240>)“ zur Anordnung dann nur recht knapp:

„Diesen Anforderungen wird der Durchsuchungsbeschluss nicht gerecht.

Der Durchsuchungsbeschluss ist hinsichtlich der Anordnung, die Geschäftsräume der „D. GmbH, A.-str., M.“ zu durchsuchen, unbestimmt. Ein Unternehmen mit der ausschließlichen Firma „D. GmbH“ nutzt unter der angegebenen Adresse keine Räumlichkeiten. Hinsichtlich der Unternehmen, die Büros in der A.-str. unterhalten und deren Firmenbezeichnung aus den Worten „D. GmbH“ mit einem daran anknüpfenden Zusatz besteht, ist dem Durchsuchungsbeschluss nicht zu entnehmen, welches dieser Unternehmen gemeint ist. Eine Bestimmung der Gesellschaft, deren Räumlichkeiten durchsucht werden sollen, ist auch anhand der weiteren Angaben in dem Beschluss nicht möglich. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts reicht es nicht, dass sich in den Ermittlungsakten eine Vollmacht der Unternehmensgruppe befindet, die beschuldigt wird, Steuern hinterzogen zu haben, aus der sich ergibt, welche Gesellschaft mit der Wahrnehmung der steuerlichen Beratung beauftragt war. Denn der Durchsuchungsbeschluss muss aus sich heraus verständlich und hinreichend bestimmt sein. Eine solche Bestimmtheit ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass der Tatverdacht sich aus einer steuerlichen Beratung ergibt, da sowohl Rechtsanwälte als auch Steuerberater zur steuerlichen Beratung befugt sind.“

Sicherlich kein Meilenstein, aber eins der vielen kleinen Mosaiksteinchen zur „Rechtswidrigkeit eine Durchsuchungsmaßnahme“ und eine weitere Mahnung an die Instanzgerichte mit der „Unverletzlichkeit der Wohnung“ vielleicht doch etwas weniger „unbestimmt“ umzugehen.

Nicht sofort zum BVerfG rennen, oder: Rechtsprechungsänderung angesagt?

© Klaus Eppele - Fotolia.com

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In Großverfahren bzw. Verfahren mit erheblichem Medieninteresse gibt es immer Streit und Auseinandersetzung um die Fragen der Berichterstattung. So auch in einem Verfahren, dass 2008 beim LG Oldenburg anhängig war. Dort wurde dem Angeklagten vorgeworfen, einen Holzklotz von einer Autobahnbrücke auf einen Personenkraftwagen geworfen und dadurch die Beifahrerin getötet zu haben. Die Tat und die Strafverfolgung fanden bundesweit ein hohes mediales Interesse. Nachdem im Rahmen der Berichterstattung über den ersten Verhandlungstag mindestens eine Zeitung unverpixelte Bilder des Angeklagten veröffentlichte, erließ der Vorsitzende Richter des Schwurgerichts eine sitzungspolizeiliche Anordnung auf Grundlage des § 176 GVG, nach der vom Angeklagten und dem Nebenkläger nur verpixelte Bilder veröffentlicht werden dürfen.  Gegen diese sitzungspolizeiliche Anordnung und mittelbar gegen die Versagung eines fachgerichtlichen Rechtsbehelfs durch den Gesetzgeber hatte eine Verlagsgesellschaft, die mehrere Tageszeitungen herausgibt, Verfassungsbeschwerde erhoben. Das BVerfG hat dazu dann jetzt im BVerfG, Beschl. v. 17.04.2015 – 1 BvR 3276/08 – Stellung genommen.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Grund: Fehlende Rechtswegerschöpfung. Zwar gehören – so das BVerfG – offensichtlich unzulässige Rechtsmittel nicht zum Rechtsweg. Andererseits müsse vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf § 90 Abs. 2 BVerfGG von einem Rechtsmittel grundsätzlich auch dann Gebrauch gemacht werden, wenn zweifelhaft sei, ob es statthaft sei und im konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden könne. Darüber hätten dann die Fachgerichte zu entscheiden. In dem entschiedenen Fall weist das BVerfG darauf hin, dass die Frage, ob gegen die sitzungspolizeiliche Maßnahme Beschwerde eingelegt werden könne, in der fachgerichtlichen Rechtsprechung streitig gewesen sei. Und deshalb:

„Nach den fachgerichtlich entwickelten Kriterien wäre eine Beschwerde gegen die streitgegenständliche sitzungspolizeiliche Verfügung nicht offensichtlich unzulässig gewesen. Dass auch das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit und zuletzt im Jahr 2007 angenommen hat, ein Rechtsweg gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen nach § 176 GVG sei nicht eröffnet (vgl. BVerfGE 87, 334 <338 f.>; 91, 125 <133>; 103, 44 <58>; 119, 309 <317>), steht dem nicht entgegen. Denn im Zeitpunkt der Einlegung der Verfassungsbeschwerde war nach der weitgehenden Änderung der Auffassung in fachgerichtlicher Rechtsprechung und Literatur ein Rechtsmittel nach § 304 Abs. 1 StPO nicht mehr offensichtlich unzulässig. Die Verpixelungsanordnung reicht über die Dauer der Hauptverhandlung und sogar über die Rechtskraft des Urteils hinaus, denn sie untersagt das Veröffentlichen nicht anonymisierter Aufnahmen des Angeklagten sowie des Nebenklägers vor und nach den Sitzungen der Strafkammer zeitlich unbeschränkt. Auch dient die Anordnung nicht lediglich der Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung, sondern vielmehr dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Angeklagtem und Nebenkläger. Sie war darauf gerichtet, die Wirkungen einer nicht anonymisierten Abbildung gerade des Angeklagten außerhalb des Verfahrens einzuschränken, um dem rechtsstaatlichen Gebot der Unschuldsvermutung gerecht zu werden. Schließlich reicht die sitzungspolizeiliche Verfügung auch insoweit über den Gang der Hauptverhandlung hinaus, als sie nicht nur prozessuale Rechte der nicht verfahrensbeteiligten Beschwerdeführerin tangiert, sondern darüber hinaus in ihre Pressefreiheit eingreift. „

Also: Nicht sofort zum BVerfG rennen, sondern erst mal prüfen, ob es nicht an anderer Stelle Rechtsschutz gibt. Zum BVerfG geht es erst, wenn man sich an anderer Stelle eine „blutige Nase“ geholt hat.

Im Übrigen: Ich verstehe den Beschluss so, dass das BVerfG eine Rechtsprechungsänderung anmahnt.