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StPO I: Durchsuchung/Sicherstellung von Datenträgern, oder: BVerfG moniert „zu späten Tatverdacht“

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Heute dann ein StPO-Tag, und zwar mit Entscheidungen in Zusammenhang mit Zwangsmaßnahmen, also Durchsuchung und/Beschlagnahme.

Ich beginne „ganz oben“ und stelle zunächst den BVerfG, Beschl. v. 30.11.2021 – 2 BvR 2038/18 – vor. Gegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens sind Beschlüsse aus einem Verfahren beim AG/LG Münster. Das AG hatte die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschuldigten gemäß § 102 StPO sowie die Durchsuchung der Geschäftsräume der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, in welcher der Beschuldigte als Partner tätig ist, als Dritte gemäß § 103 StPO tätig war, angeordnet. Gegen den Beschuldigten bestehe der Verdacht der Beihilfe zur Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuerverkürzung in den Jahren 2013 bis 2015 zum Vorteil des A., des B. sowie der pp. Immobiliengesellschaft mbH & Co. KG. Der Beschuldigte sei Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Partner in einer Partnerschaftsgesellschaft und mit der Erstellung der Steuererklärungen sowie mit der Bewertung von Grundstücken im Zusammenhang mit deren Einbringung in das Gesellschaftsvermögen beauftragt gewesen. Unter Bezugnahme auf die Ermittlungsergebnisse des Finanzamtes legte das AG dar, aus welchen Gründen gegen A. und B. der Verdacht der Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuerverkürzung bestehe. So seien Rechnungen über noch nicht ausgeführte Bauleistungen (Scheinrechnungen) eingereicht sowie Grundstücke mit deutlich überhöhten Verkehrswerten in das Betriebsvermögen der Gesellschaft eingebracht worden, wodurch die Abschreibungen (AfA) zu hoch in Ansatz gebracht worden seien.

Die Durchsuchungsbeschlüsse wurden am 16.01.2018 vollzogen. In der Privatwohnung des Beschuldigten wurden ein Computer sowie eine Festplatte und in den Geschäftsräumen der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft im Büro des Beschuldigten sowie im Büro eines anderen Mitarbeiters diverse Unterlagen sowie weitere Daten sichergestellt. Von den in der Privatwohnung des Beschuldigten sichergestellten Datenträgern wurden Kopien für die Ermittlungsbehörden erstellt und die Datenträger anschließend zurückgegeben.

Gegen den gegen ihn persönlich gerichteten Durchsuchungsbeschluss legte der Beschuldigte Beschwerde ein. Das AG hat nicht abgeholfen. Das LG hat dann aber festgestellt, dass der gegen den Beschuldigte gerichtete Durchsuchungsbeschluss rechtswidrig gewesen sei. Der Beschuldigte beantragte daraufhin die Aufhebung der Sicherstellung und die Herausgabe beziehungsweise Löschung aller sichergestellten Unterlagen und Daten. Das AG ordnete dann aber in dem Ermittlungsverfahren gegen B. und A. die „Beschlagnahme“ beziehungsweise zum Zwecke der Durchsicht die Sicherstellung derjenigen Gegenstände an, die bei den Durchsuchungen beim „gesondert verfolgten“ Beschuldigten und bei der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft aufgefunden worden waren. Dagegen die Beschwerde, die das LG verworfen. Nach Durchführung des Anhörungsverfahrens hat der Beschuldigte dann die Verfassungsbeschwerde erhoben. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen, soweit sie sich gegen den AG-Beschluss gewandt hat, im Übrigen hat es sie als unzulässig verworfen:

„c) Da das Verfahren im Stadium der Durchsicht noch einen Teil der Durchsuchung bildet, kommt es für die Rechtmäßigkeit der richterlichen Bestätigung einer vorläufigen Sicherstellung darauf an, ob die Voraussetzungen einer Durchsuchung zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Durchsicht vorliegen (vgl. BVerfGK 1, 126 <133 m.w.N.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2019 – 2 BvR 31/19a. -, juris, Rn. 39; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. September 2018 – 2 BvR 708/18 -, Rn. 25). Dabei müssen die Gründe der Durchsicht mit den Gründen für die Anordnung der Durchsuchung nicht notwendigerweise identisch sein und können im Detail andere Voraussetzungen bestehen als für die Durchsuchungsanordnung (vgl. BVerfGK 1, 126 <133 f.>). Sind jedoch die Voraussetzungen einer Durchsuchung zum Entscheidungszeitpunkt über die Durchsicht nicht mehr gegeben, dann ist auch die Durchsicht als Teil der Durchsuchung nicht mehr zulässig (vgl. BVerfGK 15, 225 <237 f.> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Juni 2008 – 2 BvR 1111/08 -, juris, Rn. 5). Es muss also zum Entscheidungszeitpunkt ein Anfangsverdacht bestehen und die Durchsicht zur Auffindung von Beweismitteln geeignet und verhältnismäßig sein. Ungeeignet ist die Durchsicht insbesondere, wenn Beweismittel aufgespürt werden sollen, die einem Beschlagnahmeverbot oder einem sonstigen Verwertungsverbot unterliegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. September 2018 – 2 BvR 708/18 -, Rn. 25).

d) Im vorliegenden Verfahren fehlt es an verfassungsrechtlich vertretbaren Ausführungen zur Zulässigkeit der vorläufigen Sicherstellung im Hinblick auf etwaige Beschlagnahmeverbote im Sinne des § 971 StPO (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. September 2018 – 2 BvR 708/18 -, Rn. 25; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juni 2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17 -, Rn. 80; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. August 2014 – 2 BvR 969/14 -, Rn. 45; Beschluss des Zweiten Senats vom 12. April 2005 – 2 BvR 1027/02 -, Rn. 137; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juli 2003 – 2 BvR 306/03 -, Rn. 6 f.; Hauschild, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2014, § 97 StPO Rn. 37).

aa) Dabei kommt es im Ergebnis nicht darauf an, dass das Landgericht ohne nähere Erörterung allein auf § 160a1 und Abs. 4 Satz 1 StPO abstellt, der nicht auf § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO verweist, obwohl der Beschwerdeführer Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (nicht aber Rechtsanwalt) ist und zudem ein gemäß § 160a Abs. 5 StPO nach herrschender Ansicht vorrangiges Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 StPO im Raum steht (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juni 2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17 -, Rn. 73-76), das auch Gegenstände im Gewahrsam eines nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO zeugnisverweigerungsberechtigten Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters umfasst.

bb) Ein Beschlagnahmeverbot kommt zwar gemäß § 972 Satz 2 StPO – ähnlich wie beim vom Landgericht geprüften § 160a Abs. 4 Satz 1 StPO – bei einem selbst beschuldigten Zeugnisverweigerungsberechtigten nicht in Betracht (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. September 2018 – 2 BvR 708/18 -, Rn. 42). Diese Rückausnahme vom Beschlagnahmeverbot setzt jedoch schon ihrem Wortlaut nach voraus, dass bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass der Zeugnisverweigerungsberechtigte an der Tat oder an einer Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist. Erforderlich ist daher ein konkretisierter Tatverdacht gegen den Zeugnisverweigerungsberechtigten selbst (vgl. BVerfGE 117, 244 <262>; 129, 208 <268>). Durchsuchung, Durchsicht oder Beschlagnahme dürfen nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind, denn sie setzen einen Verdacht bereits voraus (vgl. BVerfGK 8, 332 <336>; 11, 88 <92>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 -, Rn. 15).

Zwar kann sich ein Tatverdacht auch erst nachträglich nach Durchführung (gegebenenfalls rechtswidriger) vorheriger Ermittlungsmaßnahmen ergeben. Auch im Falle eines sich erst nachträglich ergebenden Tatverdachts ist es jedoch zwingende Voraussetzung der Rechtmäßigkeit einer weiteren richterlich angeordneten Ermittlungsmaßnahme, dass der gegen einen Verdächtigen gerichtete Tatverdacht jedenfalls zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung vorliegt. Gerade auch der Tatverdacht gegen einen Zeugnisverweigerungsberechtigten muss zum Entscheidungszeitpunkt vorliegen (vgl. Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 97 Rn. 20). Nicht ausreichend ist, dass der Tatverdacht erst durch das (unzulässig) sichergestellte beziehungsweise beschlagnahmte Beweismittel entsteht (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2001 – 1 StR 198/01 -, juris, Rn. 33; Greven, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 97 Rn. 41). Eine Ermittlungsmaßnahme vorzunehmen, um erst durch die Auswertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse möglicherweise einen Tatverdacht gegen den Berufsgeheimnisträger begründen und sich auf die Rückausnahme des § 97 Abs. 2 Satz 2 StPO berufen zu können, ist mit dem Schutzzweck des § 97 Abs. 1 StPO unvereinbar und ließe diesen leerlaufen.

cc) Die Ausführungen des Landgerichts, wonach ein Anfangsverdacht (nur) gegen die Beschuldigten A. und B. zur Sicherstellung von möglicherweise beschlagnahmefreien Gegenständen genüge, soweit sich (erst) durch den Vollzug oder im Nachgang an die anzuordnende Ermittlungsmaßnahme möglicherweise ein Tatverdacht gegen den Berufsgeheimnisträger ergebe, sind danach unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar. Soweit der Anfangsverdacht als Voraussetzung einer Durchsicht geprüft wird, stellen das Amtsgericht und das Landgericht einzig auf den Tatverdacht gegen die beiden Beschuldigten A. und B. ab. Soweit dann in einem weiteren Prüfungsschritt die Frage möglicher Beschlagnahmeverbote im Hinblick auf etwaige vertrauliche Kommunikation mit einem Berufsgeheimnisträger im Raum steht, stellen die Fachgerichte dagegen auf die potentielle (durch die Durchsicht erst noch zu ermittelnde) Tatbeteiligung des Beschwerdeführers ab, weswegen etwaige Beschlagnahmeverbote derzeit nicht in Betracht kämen. Der Verzicht auf einen Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt einerseits bei gleichzeitiger Verneinung eines etwaigen Beschlagnahmeverbots wegen der potentiellen Tatbeteiligung des Beschwerdeführers andererseits ist widersprüchlich und kombiniert in nicht mehr vertretbarer Weise die Voraussetzungen einer Durchsicht beim Verdächtigen und beim Nichtverdächtigen mit dem Ergebnis, dass zum fachgerichtlichen Entscheidungszeitpunkt weder ein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer erforderlich ist, noch die mögliche Einschlägigkeit von Beschlagnahmeverboten gemäß § 971 StPO und damit die Eignung und Angemessenheit der Durchsicht überhaupt näher zu prüfen und zu begründen wären (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. September 2018 – 2 BvR 708/18 -, Rn. 25; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juni 2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17 -, Rn. 80; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. August 2014 – 2 BvR 969/14 -, Rn. 45; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juli 2003 – 2 BvR 306/03 -, Rn. 6). Die Voraussetzungen einer Durchsicht von bei einem Berufsgeheimnisträger sichergestellten Gegenständen werden auf diese Weise derart weit unter das von der Strafprozessordnung vorgegebene Maß abgesenkt, dass die Beschlüsse einer Prüfung am Willkürmaßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht standhalten.“

Besetzung I: Zurückweisung der Besetzungsrüge, oder: Ist eine Verfassungsbeschwerde zulässig?

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Auf geht es in die 8. KW./2022 – und wieder ohne Corona. Derzeit gibt es zu der Thematik weniger Entscheidungen. Gott sei Dank.

Ich stelle heute zwei Entscheidungen zu Besetzungsfragen vor, und zwar zunächst den BVerfG, Beschl. v. 16.12.2021 – 2 BvR 2076/21 u. 2 BvR 2113/21 – betreffend (erfolglose) Verfassungsbeschwerden bezüglich der Entbindung eines Schöffen im Strafprozess.

Folgender Sachverhalt: Grundlage ist ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das BtMG. Die Angeklagten rügen mit ihren Verfassungsbeschwerden einen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG missachtenden Entzug des gesetzlichen Richters. Sie machen geltend, der Kammervorsitzende habe in verfassungsrechtlich nicht mehr tragfähiger Weise die Verhinderung eines Schöffen angenommen. Im Besetzungsrügeverfahren nach § 222b Abs. 2 und Abs. 3 StPO hätten dann sowohl das LG Leipzig als auch das OLG Dresden in willkürlicher Weise über ihre Besetzungsrügen entschieden.

Einer der Hauptschöffen und die nach diesem Schöffen zu berufende Ersatzschöffin wurden vom Kammervorsitzenden – von den Angeklagten unbeanstandet – wegen Urlaubs von der Pflicht zum Schöffendienst entbunden. Auf Anordnung des Vorsitzenden lud die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle telefonisch den nächsten Hilfsschöffen. Die Beamtin fertigte eine Aktennotiz über das Gespräch, wonach der Schöffe mitgeteilt habe, er müsse am 09.082021 um 8:10 Uhr „einen Termin zur Führerscheinprüfung“ wahrnehmen. Der entsprechende Nachweis werde über die Fahrschule zugesandt. Noch am selben Tag leitete der Schöffe eine E-Mail der Fahrschule weiter, mit der ihm eine Mitarbeiterin einer Fahrschule die angekündigte Bescheinigung der Fahrschule zugesandt hatte. Er versah diese E-Mail mit einer Signaturzeile, die auf seinen Beruf als Prüfingenieur hinwies. Das der E-Mail als Anlage beigefügte Dokument war mit „Entschuldigung“ überschrieben. Dem Schöffen wurde bescheinigt, er nehme am 09.08.2021 von 7:15 Uhr bis 9:20 Uhr „in [der] Fahrschule an der praktischen Fahrprüfung [und] an einer Fahrstunde teil“.

Die Verteidigerinnen haben die Besetzungsrüge erhoben, die das LG als unbegründet angesehen und dem OLG vorgelegt hat. Das OLG hat die Besetzungsrüge als unbegründet verworfen. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext des Beschlusses.

Die Verteidigerinnen haben gegen den Beschluss des LG und des OLG Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das BVerfG hat die nicht zur Entscheidung angenommen:

„Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, denn die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Grundsätzliche Bedeutung kommt den Verfassungsbeschwerden nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer angezeigt. Soweit sie sich gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 16. September 2021 richten, sind sie unzulässig (I.). Im Übrigen sind sie unbegründet (II.).

I.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 16. September 2021 richten, sind sie unzulässig.

Die Entscheidung eines Tatgerichts, einem Besetzungseinwand nicht abzuhelfen und das Verfahren nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO dem Rechtsmittelgericht vorzulegen, ist als reines Verfahrensinternum nicht gesondert mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar. Das Tatgericht trifft keine abschließende Entscheidung, sondern setzt – wie bei einer Nichtabhilfeentscheidung im Beschwerdeverfahren nach § 306 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Dezember 2020 – 2 BvR 1787/20 -, Rn. 43) – lediglich den Instanzenzug in Gang. Ein Interesse, dass über die Verfassungsmäßigkeit der Zwischenentscheidung des Landgerichts selbst und nicht erst in Verbindung mit der Überprüfung der den Instanzenzug des § 222b Abs. 3 StPO abschließenden Entscheidung des Oberlandesgerichts erkannt wird, ist hier weder dargetan noch ersichtlich (vgl. BVerfGE 1, 322 <324 f.>; 58, 1 <23>).

II.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 28. Oktober 2021 richten, sind sie zwar zulässig (1.). Allerdings sind sie unbegründet, da den Beschwerdeführern der gesetzliche Richter nicht in einer Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG missachtenden Weise entzogen wurde (2.).

1. Die Verfassungsbeschwerden gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts sind zulässig, denn sie stellen den Lebenssachverhalt in einer eine tragfähige verfassungsrechtliche Prüfung ermöglichenden Weise dar und setzen sich mit den dem Verfahren zugrundeliegenden Verfassungsfragen hinreichend substantiiert auseinander. Ferner ist diese Entscheidung gesondert mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar (a). Nach Abschluss des Besetzungsrügeverfahrens steht den Beschwerdeführern zudem ein weiterer Rechtsweg gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht offen, und sie haben auch keine anderweitige Möglichkeit, den behaupteten Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im fachgerichtlichen Verfahren geltend zu machen (b).

a) Durch das am 13. Dezember 2019 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl I S. 2121) wurde für Strafverfahren, die im ersten Rechtszug vor dem Land- oder Oberlandesgericht verhandelt werden, ein spezielles Besetzungsrügeverfahren geschaffen. Wie zuvor gilt: Wird die Gerichtsbesetzung den Regeln des § 222a StPO entsprechend zugestellt, ist ein Verfahrensbeteiligter gehalten, innerhalb einer Woche nach Zustellung die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts zu rügen. Gemäß § 222b Abs. 2 StPO entscheidet das derzeit mit der Sache befasste Gericht über die Besetzungsrüge. Die Begründungs- und Substantiierungserfordernisse für diese Rüge sind nach § 222b Abs. 1 Sätzen 2 und 4 StPO dem Revisionsrecht nachgebildet. Eingeführt wurde mit § 222b Abs. 3 StPO ein Instanzenzug im Verfahren über die Besetzungsrüge. Erachtet sich das derzeit mit der Sache befasste Gericht als zuständig, ist es gehalten, das Verfahren dem jeweiligen Rechtsmittelgericht vorzulegen. Das Rechtsmittelgericht entscheidet dann abschließend über die Besetzungsrüge. Einen weiteren Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts sieht das Strafprozessrecht nicht vor.

Die eingeführten Regelungen zum Instanzenzug im Besetzungsrügeverfahren gehen einher mit einer Beschränkung der Rügemöglichkeiten im Revisionsrecht; § 338 Abs. 1 Nr. 1 StPO wurde ebenfalls neu gefasst. Das Verfahren nach § 222b Abs. 3 StPO soll eine endgültige Klärung des Besetzungseinwandes im fachgerichtlichen Verfahren herbeiführen. § 338 Abs. 1 Nr. 1 StPO enthält nicht nur eine Präklusionsregelung. Ein Verfahrensbeteiligter, der das Vorabentscheidungsverfahren des § 222b Abs. 3 StPO nicht durchführt, kann nach Ablauf der in § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO bestimmten Wochenfrist mit der Besetzungsrüge nicht mehr gehört werden. Für den Fall, dass auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten das Rügeverfahren nach § 222b Abs. 3 StPO durchgeführt wurde, entzieht § 338 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b StPO in der nun geltenden Fassung dem Revisionsgericht darüber hinaus die Möglichkeit, die Ordnungsmäßigkeit der Gerichtsbesetzung zu überprüfen. Helfen weder das Tatgericht noch das Rechtsmittelgericht dem form- und fristgerecht erhobenen Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung ab, ist die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts bindend. Sie steht der Überprüfung des Besetzungseinwands in der Revisionsinstanz entgegen.

Mit der Einführung des Instanzenzugs in § 222b Abs. 3 StPO hat der Gesetzgeber mithin ein selbstständiges Zwischenverfahren geschaffen, in dem abschließend über eine verfassungsrechtlich determinierte Rechtsfrage befunden wird. Die Entscheidung über diese Rechtsfrage kann im weiteren fachgerichtlichen Instanzenzug nicht mehr nachgeprüft und korrigiert werden. In einem solchen Fall ist die Verfassungsbeschwerde gegen die im Zwischenverfahren ergangene Entscheidung zuzulassen (vgl. BVerfGE 1, 322 <325>; 24, 56 <61>; 58, 1 <23>).

b) Die Beschwerdeführer haben der ihr auferlegten Pflicht Genüge getan, über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur des geltend gemachten Verfassungsverstoßes bereits im fachgerichtlichen Verfahren zu erwirken (vgl. BVerfGE 31, 364 <368>; 73, 322 <325>). Insbesondere haben sie die Besetzungsrüge in einer den Vorgaben der § 222b Abs. 1 Sätze 2 und 4, § 345 Abs. 2 StPO genügenden Weise erhoben und zu den von ihnen als wesentlich erachteten Gesichtspunkten ausgeführt. Nach der Durchführung des Verfahrens nach § 222b Abs. 3 StPO bleibt es ihnen überdies verwehrt, die behauptete Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Revisionsverfahren zu rügen. Im Hinblick auf die geltend gemachte Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG stellt die Revision damit einen offensichtlich aussichtslosen Rechtsbehelf dar, auf den die Beschwerdeführer vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde nicht verwiesen werden können (vgl. BVerfGE 55, 154 <157>).

2. Die Verfassungsbeschwerden sind allerdings unbegründet, denn die Beschwerdeführer sind nicht in ihrem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.  ……..“

Die Kosten im Verfassungsbeschwerdeverfahren, oder: Billigkeitsentscheidung

Als zweite Entscheidung dann mal etwas ganz Anderes, nämlich etwas Kostenrechtliches vom BVerfG. Das hat im BVerfG, Beschl. v. 10.01.2022 – 2 BvR 1851/21 – zu § 34a Abs. 3 BVerfGG Stellung genommen, also Kostenerstattung im Verfassungsbeschwerdeverfahren:

„1. Über die Verfassungsbeschwerde, mit der sich der Beschwerdeführer gegen die Ablehnung seines Asylantrags gewendet hat, ist nicht mehr zu entscheiden, weil der Beschwerdeführer das Verfassungsbeschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2021 für erledigt erklärt hat.

2. Die Auslagenerstattung war in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang anzuordnen.

a) Über die Auslagenerstattung ist gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden. Die Erstattung der Auslagen nach dieser Vorschrift stellt im Hinblick auf die Kostenfreiheit des Verfahrens (§ 34 Abs. 1 BVerfGG), den fehlenden Anwaltszwang und das Fehlen eines bei Unterliegen des Beschwerdeführers erstattungsberechtigten Gegners die Ausnahme von dem Grundsatz des Selbstbehalts der eigenen Auslagen (vgl. BVerfGE 49, 70 <89>) dar (vgl. BVerfGE 66, 152 <154>). Bei der Entscheidung über die Auslagenerstattung kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen. So ist es billig, einer beschwerdeführenden Person die Erstattung ihrer Auslagen zuzuerkennen, wenn die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt oder der Beschwer auf andere Weise abhilft, weil in diesem Fall ? falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind ? davon ausgegangen werden kann, dass sie das Begehren der beschwerdeführenden Person selbst für berechtigt erachtet hat (vgl. BVerfGE 85, 109 <114 ff.>; 87, 394 <397 f.>). Im Hinblick auf die Funktion und die Tragweite der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts findet eine überschlägige Beurteilung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde im Rahmen der Entscheidung über die Auslagenerstattung nicht statt (vgl. BVerfGE 33, 247 <264 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 12. März 2021 – 2 BvR 2069/19 -, Rn. 3).

b) Nach diesen Maßstäben entspricht es der Billigkeit, die Auslagenerstattung zu zwei Dritteln anzuordnen.

Die Auslagenerstattung ist anzuordnen, soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs gerichtet hat. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat diese mit Beschluss vom 26. November 2021 aufgehoben und damit zum Ausdruck gebracht, dass er das Begehren des Beschwerdeführers insoweit selbst für berechtigt erachtet hat.

Soweit sich der Beschwerdeführer auch gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts gewendet hat, ist die Auslagenerstattung nicht anzuordnen. Zum einen ist dieses durch den Verwaltungsgerichtshof nicht aufgehoben worden. Zum anderen war die Verfassungsbeschwerde insoweit mangels hinreichender Begründung (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG) offensichtlich unzulässig, sodass eine Auslagenerstattung aus Billigkeitsgesichtspunkten ausscheidet (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Februar 2018 – 2 BvR 2628/17 -, Rn. 2).

3. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Bevollmächtigten für das Verfassungsbeschwerdeverfahren erledigt sich, soweit das Land Baden-Württemberg zur Kostenerstattung verpflichtet wird (vgl. BVerfGE 62, 392 <397>; 71, 122 <136 f.>; 105, 239 <252>). Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt, weil die vom Beschwerdeführer beabsichtigte Rechtsverfolgung mangels hinreichender Erfolgsaussicht die Voraussetzungen der entsprechend anzuwendenden §§ 114 ff. ZPO (vgl. BVerfGE 1, 109 <112>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juni 2021 – 2 BvR 307/21 -, Rn. 2) nicht erfüllt.

4. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 f.>).“

Bundesnotbremse, oder: Die Verfassungsbeschwerden sind erfolglos

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Und da ist sie dann die Pressemitteilung Nr. 101/2021 vom 30.11.2021 zum BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 1 BvR 781/21, 1 BvR 889/21, 1 BvR 860/21, 1 BvR 854/21, 1 BvR 820/21, 1 BvR 805/21, 1 BvR 798/21.

In der Mail, die ich gerade bekommen habe, heißt es:

Verfassungsbeschwerden betreffend Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite („Bundesnotbremse“) erfolglos

Das Bundesverfassungsgericht hat eine neue Pressemitteilung veröffentlicht.
Hierzu lautet der Kurztext:

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in mehreren Hauptsacheverfahren Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die sich unter anderem gegen die durch das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 in § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG für einen Zeitraum von gut zwei Monaten eingefügten bußgeldbewehrten Ausgangsbeschränkungen sowie bußgeldbewehrten Kontaktbeschränkungen nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG zur Eindämmung der Corona-Pandemie richteten. Die beanstandeten Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen waren Bestandteile eines Schutzkonzepts des Gesetzgebers. Dieses diente in seiner Gesamtheit dem Lebens- und Gesundheitsschutz sowie der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems als überragend wichtigen Gemeinwohlbelangen. Die Maßnahmen griffen allerdings in erheblicher Weise in verschiedene Grundrechte ein. Das Bundesverfassungsgericht hat die Maßnahmen anhand der allgemein für sämtliche mit Grundrechtseingriffen verbundenen Gesetze geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen geprüft. Danach waren die hier zu beurteilenden Kontakt- und selbst die Ausgangsbeschränkungen in der äußersten Gefahrenlage der Pandemie mit dem Grundgesetz vereinbar; insbesondere waren sie trotz des Eingriffsgewichts verhältnismäßig. Soweit in diesem Verfahren weitere Maßnahmen des Gesetzes zur Eindämmung der Pandemie angegriffen wurden, wie etwa die Beschränkungen von Freizeit- und Kultureinrichtungen, Ladengeschäften, Sport und Gaststätten, war die entsprechende Verfassungsbeschwerde nicht zulässig erhoben.

Sie können den Text im Internet über folgende URL erreichen:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-101.html

Und die Pressemitteilung Nr. 100/2021 vom 30.11.2021 zum BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021
1 BvR 971/21, 1 BvR 1069/21

„Schulschließungen waren nach der im April 2021 bestehenden Erkenntnis- und Sachlage zulässig…..

Sie können den Text im Internet über folgende URL erreichen:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-100.html

Na, dann schauen wir mal, wie es weiter geht…. Muss man dann aber natürlich erst mal lesen….

Akteneinsicht I: Akteneinsicht für die Nebenklägerin?, oder: Umfang der Akteneinsicht und rechtliches Gehör

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Heute dann mal ein Tag der „Akteneinsichtsentscheidungen“, und zwar quer Beet, also Straf-, Bußgeld- und Auslieferungsverfahren.

Ich beginne mit dem Strafverfahren und stelle zunächst drei Entscheidungen zur Akteneinsicht des Nebenklägers/Verletzten vor, und zwar:

Beim AG Tiergarten ist ein Verfahren mit dem Vorwurf der Vergewaltigung anhängig. In dem hat das AG mit dem AG Tiergarten, Beschl. v. 11.10.2021 – (255 Ls) 284 Js 4525/19 – der Nebenklägerin in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vollständige Akteneinsicht gewährt. Dagegen die Beschwerde des Angeklagten. Das LG gewährt dann mit dem LG, Beschl. v. 03.11.2021 – 538 Qs 131/21 – nur beschränkte Akteneinsicht:

„Gemäß § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO kann dem durch eine Straftat Verletzten, die Akteneinsicht unter anderem dann versagt werden, wenn und soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint. Dies ist grundsätzlich auch nach Erhebung der öffentlichen Klage möglich (vgl: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, § 406e Rn. 11).

Die Möglichkeit, dass durch die Aktenkenntnis des Verletzten eine. auf den Akteninhalt präparierte Zeugenaussage folgt, reicht für die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungszwecks noch nicht aus, Bei Aussage gegen Aussage Konstellationen ist jedoch durch die Aktenkenntnis des Verletzten regelmäßig eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung (§ 244 Abs, 2 StPO) zu besorgen, weil die Kenntnis des Verletzten vom Akteninhalt die Zuverlässigkeit und den Wahrheitsgehalt der Zeugenaussage beeinträchtigen kann (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 22. Juli 2015 — 1 Ws 88/15 —) und die Beurteilung im Hinblick auf die Konstanz der Aussage als wesentliches Glaubhaftigkeitskriterium erschwert. In diesen Fällen ist jedenfalls eine unbeschränkte Akteneinsicht des Verletzten mit der gerichtlichen Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung unvereinbar (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg a.a.O.).

Jedoch bedeutet dies nicht, dass der Nebenklägerin die Akteneinsicht gänzlich zu versagen ist. Mildere Mittel, die diese Besorgnis hinreichend ausräumen, sind vorrangig zu prüfen. Insoweit genügt es, die Versagung der Akteneinsicht lediglich. auf die Protokolle der Vernehmung der Nebenklägerin zu beschränken (vgl. Kammergericht, Beschluss vom 5. Oktober 2016 -. 3 Ws 517/16 — m.w.N.).

Die unbeschränkte Akteneinsicht ist daher im derzeitigen Verfahrensstadium zu versagen, bleibt aber zu einem späteren Zeitpunkt (nach Abschluss der Vernehmung der Nebenklägerin im gerichtlichen Verfahren) unbenommen.“

Zu dieser ganzen Problematik gibt es ja auch eine umfangreiche Rechtsprechung des BVerfG, das sich jetzt gerade erst im BVerfG, Beschl. v. 08.10.2021 – 1 BvR 2192/21 – noch einmal geäußert hat, allerdings „nur“ im Rahmen einer Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das BVerfG weist aber schon in dieser Entscheidu ng auf seine bisherige Rechtsprechung hin, so dass nach wie vor folgendern Leitsatz gilt:

„Die Gewährung von Akteneinsicht nach § 406e Abs. 1 StPO ist regelmäßig mit einem Eingriff in Grundrechtspositionen des Beschuldigten, namentlich in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, verbunden. Die Staatsanwaltschaft ist vor Gewährung der Akteneinsicht deshalb zu einer Anhörung des von dem Einsichtsersuchen betroffenen Beschuldigten verpflichtet. Die unterlassene Anhörung stellt einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar, der durch die Durchführung des Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung nicht geheilt werden kann.