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Beweisantrag mit Negativtatsache, oder: Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit

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Heute ist dann Ostermontag, ich denke aber, dass wir es heute hier ganz normal laufen lassen. Vor allem, nachdem mein „Blogbetreuer“ 🙂 auch schon fleißig war und die neuesten Updates aufgespielt hat usw. Das kann ich nicht bzw.: Da mache ich mehr kaputt als heile 🙂 . Daher besten Dank Mirko Laudon für das Osterei, das ich noch nicht einmal suchen musste. Ja, der kann auch so etwas und nicht nur Strafrecht (vgl. zum Strafrecht hier bei „seiner“ Strafakte).

Hier dann heute zunächst zwei BGH-Entscheidungen. Zunächst ein Klassiker aus dem Beweisantragrecht, nämlich der

Heute ist dann Ostermontag, ich denke aber, dass wir es heute hier ganz normal laufen lassen. Vor allem, nachdem mein „Blogbetreuer“ 🙂 auch schon fleißig war und die neuesten Updates aufgespielt hat usw. Das kann ich nicht bzw.: Da mche ich mehr kaputt als heile :_). Daher besten Dank Mirko Laudon. Ja, der kann auch so etwas und nicht nur Strafrecht (vgl. hier bei „seiner“ Strafakte).

Hier dann heute bei mir zunächst zwei BGH-Entscheidungen. Zunächst ein Klassiker aus dem Beweisantragrecht, nämlich der BGH, Beschl. v. 19.12.2018 – 3 StR 516/18, der sich zu Frage der Ablehnung eines Beweisantrages als für die Entscheidung ohne Bedeutung. Das war der Strafkammer nicht rechtsfehlerfrei gelungen:

„b) Der Angeklagte S.    hat in der Hauptverhandlung beantragt, den Zeugen Ke.   zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, der Angeklagte H.   habe nach der Tat nicht jenem gegenüber gesagt, „wenn er (der Angeklagte H.   ) von der Polizei abgeholt werde, würden die anderen beiden ihn (den A.   T.  ) platt machen“. Solches hatte aber der Geschädigte A.   T.   gegenüber einem polizeilichen Vernehmungsbeamten nach dessen Vermerk vom 4. Oktober 2017 geäußert. Damit hat die Verteidigung des Angeklagten S.     – neben weiteren ähnlich gelagerten Beweisanträgen – ersichtlich die Glaubwürdigkeit des Zeugen A.   T.   angreifen wollen. Das Landgericht hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, die Beweistatsache sei aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung ohne Bedeutung. Selbst wenn diese Tatsache erwiesen sei, folge daraus nicht, dass der Zeuge A.   T.   die Unwahrheit gesagt habe. c) Diese Begründung trägt die Zurückweisung des Antrags nicht. aa) Zwar darf das Tatgericht Indiz- oder Hilfstatsachen als für die Entscheidung tatsächlich bedeutungslos erachten (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 2 StPO), wenn es aus diesen eine mögliche Schlussfolgerung, die der Antragsteller erstrebt, nicht ziehen will. Hierzu ist die unter Beweis gestellte Tatsache so, als sei sie erwiesen, in das aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme erlangte Beweisergebnis einzustellen und im Wege einer prognostischen Betrachtung zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung – gegebenenfalls in Anwendung des Zweifelsatzes – in einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 220). Diese antizipierende Würdigung ist in dem den Antrag ablehnenden Beschluss (244 Abs. 6 StPO) näher darzulegen. Denn dieser hat zum einen den Antragsteller sowie die weiteren Prozessbeteiligten so weit über die Auffassung des Tatgerichts zu unterrichten („formalisierter Dialog“), dass diese sich auf die neue Verfahrenslage einstellen und das Gericht von der Erheblichkeit der Beweistatsache überzeugen oder aber neue Anträge mit demselben Beweisziel stellen können; zum anderen muss der Ablehnungsbeschluss dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob der Beweisantrag rechtsfehlerfrei zurückgewiesen worden ist sowie ob seine Feststellungen und Schlussfolgerungen mit denjenigen des Urteils übereinstimmen. Deshalb ist mit konkreten Erwägungen zu begründen, warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserhebliche Schlussfolgerung ziehen will. Nach diesen Maßstäben erweist es sich in aller Regel als rechtsfehlerhaft, wenn die Ablehnung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit allein auf die Aussage gestützt wird, die unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache ließe keinen zwingenden, sondern lediglich einen möglichen Schluss zu, den das Gericht nicht ziehen wolle (BGH, Beschlüsse vom 10. November 2015 – 3 StR 322/15, NStZ-RR 2016, 117 f.; vom 9. Juli 2015 – 1 StR 141/15, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 29; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 225). bb) An diesen Grundsätzen gemessen hält der Ablehnungsbeschluss der Überprüfung nicht stand. (1) Der Antrag ist seinem Wortlaut nach zwar auf eine sogenannte Negativtatsache gerichtet. Dennoch stellt er eine bestimmte Tatsache unter Beweis, denn er ist bei verständiger Auslegung dahin zu verstehen (vgl. LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 117 mwN), der Angeklagte H.   habe nach der Tat nur zu anderen Personen Kontakt aufgenommen oder im Falle eines Zusammentreffens mit Ke.   habe er diesem anderes berichtet. (2) Das Tatgericht hat nicht begründet, warum es dem Zeugen A.   T.   zum Tatgeschehen weiterhin geglaubt hat, auch wenn dieser zum Randgeschehen gelogen haben sollte. Es hätte die für die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen sprechenden Gesichtspunkte und gegebenenfalls die weiteren Umstände, auf die es in den Urteilsgründen rechtsfehlerfrei seine Überzeugungsbildung gestützt hat (§ 261 StPO), bereits in seinem Ablehnungsbeschluss mitteilen müssen. Freilich kann und muss die Beschlussbegründung in der Regel weder die Ausführlichkeit noch die Tiefe der Beweiswürdigung der späteren Urteilsgründe aufweisen; die wesentlichen Hilfstatsachen wären indes jedenfalls in Grundzügen mitzuteilen gewesen. Nur dann hätte sich die Verteidigung auf die Umstände, die nach Ansicht des Landgerichts für die Glaubwürdigkeit des Zeugen A.   T.   sprachen, einstellen und diese gegebenenfalls mit weiteren Beweisanträgen angreifen können.

StPO II: Richtiger Beweisantrag, oder: Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit

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Die zweite „StPO-Entscheidung“, der OLG Hamm, Beschl. v. 30.10.2018 – 4 RVs 143/18, hat mir der Kollege Ramloh aus Duisburg übersandt. Er behandelt u.a. die Ablehnung eines Beweisantrages wegen „Bedeutungslosigkeit“. Das LG hatte einen Beweiantrag des Verteidigers abgelehnt. Das ist in der Revision erfolgreicht gerügt worden:

„1. Die Revision hat mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts Erfolg.

a) Mit Beschluss vom 17. Januar 2018 (vgl. Anlage III zum Tagesprotokoll vom 17. Januar 2018) hat die Strafkammer den im Hauptverhandlungstermin vom selben Tage und als Anlage II zum Tagesprotokoll genommenen Beweisantrag der Angeklagten verfahrensfehlerhaft unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 S. 2 StPO abgelehnt.

aa) Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Die Angeklagte hat beantragt, Herrn F. zu laden und zum Beweis folgender Tatsachen zu vernehmen:

[1]. Bei Frau M. handelt es sich um eine Prostituierte, die regelmäßig Kunden in ihrer Wohnung empfängt und dieser Tätigkeit mindestens seit 2009 nachgeht,

[2] Im Rahmen dieser Tätigkeit gehörte Herr pp.. nach den Mitteilungen der Frau M. Herrn J. gegenüber zu ihren Kunden.

[3] Im Rahmen dieser Tätigkeit erhielt Frau C. 2009 oder 2010 ihrer Mitteilung an Herrn J. nach als „Gegenleistung“ für die regelmäßige Hingabe an Herrn R. verbunden mit einem vorherigen –  nicht sexuell geprägten Zusammensein – die Finanzierung eines Urlaubs in der dominikanischen Republik im Werte von ca. 3.000,00 Euro.“

Aus diesen Tatsachenbekundungen des Zeugen — so die Angeklagte in ihrem Antrag – sei zu folgern, dass der Zeuge R.  der Frau C. eine Zuwendung in Höhe von 3.000,00 Euro habe zukommen lassen. Dies rechtfertige den Schluss, dass die äußerst große Wahrscheinlichkeit bestehe, dass weitere Leistungen durch Herrn R. an Frau C. erfolgt seien. Dies wiederum belege, dass Herr pp. im Kernbereich seiner Angaben, bewusst unwahre Tatsachen bekundet habe. Er habe nämlich behauptet, mit Ausnahme zu Frau S.  Frau E., Frau K. und Frau A. keine weiteren Beziehungen zu Frauen gehabt zu haben. Den Angaben des Zeugen R.  könne insgesamt keinerlei Glauben mehr geschenkt werden.

In ihrem als Anlage III zum Tagesprotokoll vom 17. Januar 2018 genommenen Beschluss hat die Strafkammer die Frage, ob es sich bei dem o.g. Antrag um einen Beweisantrag oder einen Beweisermittlungsantrag handelt, dahinstehen lassen und ausgeführt, der Antrag sei jedenfalls gemäß § 244 Abs. 3 3. 2 Var. 2 StPO abzulehnen. Die unter Beweis gestellte Behauptung sei für die Entscheidung der Kammer ohne Bedeutung, da sie lediglich mögliche, aber keine zwingenden Schlüsse zulasse. Diese nur möglichen Schlüsse wolle die Kammer angesichts der bisherigen Beweisaufnahme nicht ziehen.

bb) Vorgenannte Begründung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

(1) Zunächst handelt es sich bei dem o.g. Antrag um einen „echten“ Beweisantrag, dessen Ablehnung eines begründeten Gerichtsbeschlusses bedarf, vgl. § 244 Abs. 5 und 3 StPO, und nicht um einen bloßen Beweisermittlungsantrag, dessen Ablehnung allein an § 244 Abs. 2 StPO zu messen ist.

Ein Beweisantrag ist das ernsthafte, unbedingte oder an eine Bedingung geknüpfte Verlangen eines Prozessbeteiligten, über eine die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betreffende Behauptung durch bestimmte, nach der StPO zulässige Beweismittel Beweis zu erheben (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage 2018, § 244 Rn. 18, m.w.N.).

Ein Beweisantrag muss bestimmte Beweistatsachen bezeichnen (vgl. BGH NStZ 1993, 550 – zitiert nach beckonline; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 244 Rn. 20). Wird – wie hier – ein Zeuge als Beweismittel benannt, müssen diese Beweistatsachen dem Zeugenbeweis zugänglich sein (vgl. BGH, a.a.O.). Ein Zeuge kann grundsätzlich nur über seine eigene Wahrnehmung vernommen werden (vgl. BGH, a.a.O.; m.w.N.). Gegenstand des Zeugenbeweises können nur solche Umstände sein, die mit dem benannten Beweismittel unmittelbar bewiesen werden sollen. Soll aus den Wahrnehmungen des Zeugen auf ein bestimmtes weiteres Geschehen geschlossen werden, ist nicht dieses weitere Geschehen, sondern nur die Wahrnehmung des Zeugen tauglicher Gegenstand des Zeugenbeweises (vgl. BGH, a.a.O.).

Nach dem Vorbringen der Angeklagten in ihrem Beweisantrag kann der benannte Zeuge J. den letztlich behaupteten Sachverhalt – nämlich Kontakte des Zeugen R. zu Frau C. und Schenkung eines Betrages von 3.000,00 Euro für eine Urlaubsreise nicht aus unmittelbarer eigener Wahrnehmung, sondern lediglich als Zeuge vom Hörensagen bekunden. Dies bedingt, dass Gegenstand des Zeugenbeweises hier nur die Wahrnehmungen des Zeugen aus seinen Unterredungen mit Frau C. sein können.

Gemessen hieran sind die Beweisbehauptungen hinreichend bestimmt. Denn jedenfalls aus den Formulierungen „nach den Mitteilungen der Prostituierten Frau C. gegenüber“ und „ihrer Mitteilung an Herrn J. nach“ sowie dem Gesamtzusammenhang ergibt sich, dass Gegenstand des Zeugenbeweises die Wahrnehmungen des Zeugen F. aus Gesprächen mit Frau C        . sein sollen, und nicht etwaige Schlussfolgerungen seinerseits hieraus.

(2) Indes eröffnet die seitens der Strafkammer vorgenommene Begründung der Ablehnungsentscheidung dem Senat nicht die Möglichkeit, deren Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

Wird ein Beweisantrag – wie vorliegend – wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt, muss der Beschluss die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst (vgl. BGH Beschluss vom 27. März 2012, Az. 3 StR 47/17 — zitiert nach juris; BGH Beschluss . vom 29. Dezember 2014, Az. 2 StR 211/14 — zitiert nach juris; Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung/Krehl, 7. Auflage, § 244 Rn. 144 — zitiert nach beckonline; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 244 Rn. 56). Verfolgt der Beweisantrag seiner Stoßrichtung nach das Ziel, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen zu erschüttern, bedarf die Ablehnungsentscheidung der Begründung, warum die zu beweisende (Indiz-) Tatsache das Gericht auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst ließe (vgl. BGH Beschlüsse vom 27. März 2012 und 29. Dezember 2014, a.a.O.). Hierbei entsprechen die Anforderungen an die Begründung grundsätzlich denjenigen, denen das Gericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf die Entscheidungsbildung ohne Einfluss geblieben ist (vgl. BGH Beschlüsse vom 27. März 2012 und 29. Dezember 2014, a.a.O.). Dies nötigt zu einer Einführung der behaupteten Beweistatsache in das bis dahin gewonnene Beweisergebnis (vgl. BGH Beschluss vom 29. Dezember 2014, a.a.O.).

Diesem Begründungserfordernis genügt der Beschluss des Landgerichts vom 17. Januar 2018 nicht. Er erschöpft sich in der pauschalen Erwägung, dass die Kammer die nur möglichen Schlüsse nicht ziehen wolle, ohne dies mit konkreten Erwägungen zu belegen oder das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme darzustellen. Insoweit weist die Angeklagte in ihrer Gegenerklärung zutreffend darauf hin, dass es der Strafkammer oblegen hätte, eine den vorgenannten Anforderungen genügende Begründung ihres Beschlusses vorzunehmen und dass eine solche nicht durch die Erwägungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift ersetzt oder nachgeholt werden kann.

Auf diesem Verfahrensfehler beruht der Schuldspruch, vgl. § 337 Abs. 1 StPO. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Urteil insoweit bei gesetzeskonformer Behandlung des Beweisantrages anders ausgefallen wäre. Denn es ist insbesondere nicht auszuschließen, dass die Strafkammer die Glaubwürdigkeit des Zeugen R. und die Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen abweichend beurteilt hätte.

Beanstandet hat das OLG zudem, dass die Strafkammer den Beweisantrag der Angeklagten verfahrensfehlerhaft unter Verstoß gegen § 245 Abs. 2 S. 3 StPO abgelehnt hat. Insoweit: Selbststudium 🙂 .

StPO I: Beweisantrag, oder: Der wird in der Hauptverhandlung gestellt

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Heute dann noch einmal drei „StPO-Entscheidungen“.

An der Spitze der KG, Beschl. v. 12.09.2018 – (2) 161 Ss 141/18 (40/18). Es geht um außerhalb der Hauptverhandlung gestellte Beweisanträge. Mit der Revisin war gerügt worden, dass das Tatgericht nicht vor der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträgen nachgegangen ist. Dazu das KG:

„1. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge genügt nicht der gebotenen Form. Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO sind bei Erhebung der Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß begründenden Tatsachen anzugeben. Sie müssen ohne Bezugnahmen und Verweisungen so umfassend und vollständig mitgeteilt werden, dass das Revisionsgericht allein aufgrund dieser Angaben prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revi­sion zutrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2016 – 1 StR 579/15 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 12. Juli 2017 – 3 Ws (B) 166/17 –, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. § 344 Rdn. 21, mwN).

Die Revision rügt einen Verstoß gegen § 244 Abs. 3 und 6 StPO, obwohl – insoweit in der Gegenerklärung klargestellt – in der Hauptverhandlung am 17. April 2018 ein Beweisantrag nicht gestellt wurde. Dabei handelt es sich auch nicht – wie der Revisionsführer meint – um eine bloße Förmelei, weil der Zeuge zu den zuvor stattge­fundenen Hauptverhandlungsterminen regelmäßig geladen worden war. Nur für Beweisanträge in der Hauptverhandlung sind Ablehnungsgründe abschließend normiert (§ 244 Abs. 3, 4 und 5 StPO) und hat eine Ablehnung durch Beschluss zu erfolgen (§ 244 Abs. 6 Satz 1 StPO). Bei der Behandlung von Beweisanträgen die vor der Hauptverhandlung gestellt wurden, ist der Tatrichter gerade nicht an § 244 Abs. 3 und 6 StPO gebunden, sondern kann im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht entscheiden (vgl. Trüg/Habetha, Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 244 Rn. 93, Rn. 55). Diese verpflichtet ihn nur dann zur Erhebung des Beweises, wenn bekannte oder erkennbare Umstände vorliegen, die zur Erhebung des Beweises drängen (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1952 – 3 StR 374/52 –, BGHSt 3, 169; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 244 Rn. 12 mwN). Zudem handelt es sich bei dem von der Revision vorgetragenen Begehren schon nicht um einen Beweisantrag, da er bereits eine dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptung vermissen lässt. Ob der Angeklagte sich „aggressiv“ verhalten und die Zeugin „verbal angegriffen“ hat, ist eine reine Wertungsfrage, die einem Beweis nicht zugänglich ist (vgl. BGHSt 37, 162).

Eine fehlerhafte Nichterhebung des beantragten Beweises könnte somit lediglich mit der Aufklärungsrüge beanstandet werden. Eine solche Verfahrensrüge ist vorliegend aber nicht erhoben worden. Die Revision rügt (nur) einen Verstoß gegen § 244 Abs. 3 und 6 StPO. Doch selbst wenn die Aufklärungsrüge in der Beweisantragsrüge mit angelegt wäre – wovon der Senat nicht ausgeht –, wäre sie erfolglos geblieben. Die Verfahrensrüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO wäre bereits nicht ordnungsgemäß unter Beachtung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeführt und daher unzulässig. Es sind weder konkrete Tatsachen bezeichnet, die der Tatrichter unterlassen hat zu ermitteln (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 244 Rn. 102) noch ist vorgetragen, welche konkreten Umstände das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen (vgl. BGH NStZ 1999, 45 mwN; KG, Beschluss vom 16. Oktober 2017 – [5] 121 Ss 143/17 [65/17] –, juris).“

Beweisantrag III: Verjährung?, oder: Zur Feststellung reicht der Freibeweis

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Und die dritte Entscheidung ist der OLG Bamberg, Beschl. v. 07.01.2019 – 3 SsOWi 1710/18. Er behandelt die Ablehnung eines „Beweisantrages“, der auf die Feststellung eines Verfahrenshindernissesn nämlich der Verjährung, gerichtet war. Dazu das OLG Bamberg:

„1. Bei dem Antrag auf Vernehmung der Zeugin handelte es sich nicht um einen Beweisantrag, der den Vorschriften der §§ 244 III StPO, 77 OWiG unterlag, weil er die Feststellung eines Verfahrenshindernisses und nicht unmittelbar den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch betraf. Da es um die Frage des Vorliegens des Verjährungseintritts und damit eines Verfahrenshindernisses ging, mussten die entsprechenden Tatsachen nicht im Strengbeweisverfahren geklärt werden, sondern konnten freibeweislich festgestellt werden (vgl. nur BGH, Beschl. v. 17.07.2018 – 5 StR 250/18 [bei juris]; 06.05.2010 – 4 StR 98/10 = StraFo 2010, 255 = NStZ 2010, 504). Die Klärung, ob die Verjährung unterbrochen wurde, konnte das AG durch Verlesung des Anhörungsprotokolls vornehmen, so dass auch die erhobene Aufklärungsrüge nicht durchgreift, weil sich das Tatgericht im Hinblick auf den eindeutigen Inhalt dieser Urkunde nicht zu weiterer Aufklärung gedrängt sehen musste.

2. Die durch den Senat von Amts wegen freibeweislich an Hand des Akteninhalts vorzunehmende Prüfung der Verjährung (vgl. nur BGH, Beschl. v. 18.11.2015 – 4 StR 76/15 = NStZ-RR 2016, 42 = wistra 2016, 109 = BGHR StGB § 78a Satz 1 Betrug 4 = StV 2017, 85) führt zu keinem anderen Ergebnis. Unter Zugrundelegung des Anhörungsprotokolls besteht kein Zweifel daran, dass die Anhörung des Betr. am 10.09.2017 mit der Folge der Verjährungsunterbrechung nach § 33 I 1 Nr. 1 OWiG durchgeführt wurde.“

Beweisantrag II: Beweisantrag im Bußgeldverfahren, oder: Zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den KG, Beschl. v. 22.11.2018 – 3 Ws (B) 282/18. Es geht um die Ablehnung eines Beweisantrags nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG im Bußgeldverfahren, also auch ein Dauerbrenner. Das AG hat den Betroffenen wegen eines Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt. Dagegen die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die fehlerhafte Ablehnung eines von ihm gestellten Beweisantrages rügt. Und: Die Rüge hat Erfolg:

„Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gerügt wird, hat (vorläufigen) Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel in ihrer Zuschrift vom 9. November 2018 wie folgt Stellung genommen:

„Sie [Anm. des Senats: Die Rechtsbeschwerde] dringt mit den zulässig erhobenen Verfahrensrügen durch, das Amtsgericht habe einen Beweisantrag auf Vernehmung der Ehefrau des Betroffenen, der Zeugin A.L., zu Unrecht abgelehnt und es habe die Feststellungen nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft.

1. Der Beschluss, mit dem das Amtsgericht die Vernehmung der Zeugin L., die bekunden sollte, dass sie das Fahrzeug zum fraglichen Zeitpunkt geführt habe, abgelehnt hat, hält rechtlicher Prüfung [Anm. des Senats: Zu ergänzen ist hier offenkundig „hält rechtlicher Prüfung nicht stand“].

Das Amtsgericht führt aus, dass die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei (§ 77 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 OWiG), weil der anthropologische Sachverständige Dr. X ausgeschlossen habe, dass auf den bei den Akten befindlichen Belegfotos eine Frau als Fahrerin zu erkennen sei. Ferner habe der Betroffene sich in der Hauptverhandlung nicht eingelassen und somit die nunmehr benannte Zeugin ebenso wie in seinen früheren Einlassungen nicht als Fahrerin des Tatfahrzeugs ins Feld geführt.

 Auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist das Gericht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 OWiG verpflichtet, die Wahrheit vom Amts wegen zu erforschen. Den Umfang der Beweisaufnahme hat der Amtsrichter – unter Berücksichtigung der Bedeutung der Sache (§ 77 Abs. 1 Satz 2 OWiG) – nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen. In § 77 Abs. 2 OWiG ist für die Beweisaufnahme im Bußgeldverfahren zudem eine über das Beweisantragsrecht der Strafprozessordnung (§ 244 Abs. 3 bis 5 StPO) hinausgehende Sondervorschrift normiert. Danach kann das Gericht, wenn es den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für geklärt hält, einen Beweisantrag auch dann ablehnen, wenn nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Hierzu müssen drei Voraussetzungen vorliegen: Es muss bereits eine Beweisaufnahme über eine entscheidungserhebliche Tatsache stattgefunden haben, aufgrund der Beweisaufnahme muss der Richter zu der Überzeugung gelangt sein, der Sachverhalt sei geklärt und die Wahrheit gefunden und die beantragte Beweiserhebung muss nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur weiteren Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sein (vgl. OLG Celle NZV 2010, 634 f.; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 77 Rdnr. 11). Damit ist das Gericht unter Befreiung vom Verbot der Beweisantizipation befugt, Beweisanträge nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückzuweisen, wenn es seine nach § 77 Abs. 1 Satz 1 OWiG prinzipiell fortbestehende Aufklärungspflicht nicht verletzt (vgl. OLG Celle NZV 2009, 575; Seitz/Bauer in Göhler, a. a. O., § 77 Rdnrn. 12, 14 und 16).

Gemessen an diesen Maßstäben verletzt die Ablehnung des Beweisantrages das Beweisantragsrecht des Betroffenen. Denn die Grundlage, die das Amtsgericht seiner Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen zugrunde gelegt hat, ist nicht so verlässlich, dass die Möglichkeit, das Gericht könne in seiner Überzeugung durch eine weitere Beweisaufnahme erschüttert werden, vernünftigerweise auszuschließen ist. Weder in dem Beschluss selbst noch in den Urteilsgründen erfolgt eine weitere Begründung, aufgrund welcher Kriterien der Sachverständige eine weibliche Person als Fahrer ausgeschlossen hat. Es wird auch nicht deutlich, welche bei den Akten befindlichen „Belegfotos“, die auch Gegenstand des Urteils geworden sind, der Sachverständige hierbei einbezogen hat. Insoweit kann auch bei der Prüfung, ob die Aufklärungspflicht die Beweiserhebung auch unter Berücksichtigung der bisherigen Beweisaufnahme gebot, nicht außer Betracht bleiben, dass sich bei den auf die zulässige Verfahrensrüge zugänglichen Akten zwei Lichtbilder befinden (Bl. 63 oben und Bl. 70 d. A.), die nicht mit dem Lichtbild Bl. 4 d. A. des Fahrzeugführers übereinstimmen, sondern unter derselben Nr. 81523922 eine Person mit einer anderen Kopfhaltung darstellen, wobei das Amtsgericht in den Urteilsgründen ausgeführt hat, dass nur das von dem Sachverständigen gefertigten Lichtbild Bl. 69 d. A. den vorliegenden Fall betrifft und den Betroffenen abbildet (UA S. 4) und dies für die Lichtbilder Bl. 70 d. A. nicht annimmt. Aufgrund des auf beiden Lichtbildern sichtbaren weiteren Fahrzeuges (einem Taxi), des angemessenen Fahrzeugs sowie der eingeblendeten identischen Zeit auf beiden Bildern liegt dies jedoch nicht nahe, sondern dass der Tatrichter in diesem Punkt erkennbar irrt.

Die weiteren Erwägungen betreffen nicht den Ablehnungsgrund des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG, sondern stützen sich auf das Recht des Betroffenen zu schweigen und die späte Benennung von Beweismitteln. Soweit damit in Wahrheit der Ablehnungsgrund des § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG angeführt werden soll, setzt dieser voraus, dass das verspätete Vorbringen ohne verständigen Grund erfolgt ist und dass die Beweiserhebung zur Aussetzung – nicht nur zur Unterbrechung – der Hauptverhandlung führen würde. Dass diese Voraussetzungen vorliegen, wird in dem Beschluss weder dargelegt noch drängt sich dies auf. Vielmehr wäre ein verständiger Grund, wenn durch ein früheres Vorbringen für einen Angehörigen die Gefahr einer Verfolgung wegen einer Ordnungswidrigkeit bestünde (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, a.a.O., § 77 Rdnr. 21).“