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Unverschämt

… anders kann man m.E. das Verhalten des Vorsitzenden der Berufungskammer nicht bezeichnen, wenn man den Beschl. des OLG Hamm vom 19.10.2010 – III-3 RVs 87/10 liest.

Der Angeklagte legt gegen das Berufungsurteil Revision ein und beantragt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Der Vorsitzende tut nichts, sondern wartet ab, bis die Revisionsbegründungsfrist abgelaufen ist und verwirft dann die Revision wegen fehlender Begründung als unzulässig. Auf den dagegen eingelegten „Widerspruch“, den das OLG als Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO ausslegt, hebt das OLG Hamm auf und führt aus:

Der nach § 346 Abs. 2 S. 1 StPO zulässige Antrag des Angeklagten auf gerichtliche Entscheidung führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Landgerichts Detmold vom 13. September 2010. Zwar hat der Angeklagte die Frist zur Begründung der Revision gemäß § 345 Abs. 1 S. 2 StPO, die nach Zustellung des Urteils am 4. August 2010 am 6. September 2010 endete, versäumt. Dies geschah indes ohne Verschulden des Angeklagten (§ 44 Abs. 1 S. 1 StPO), weil über seinen bereits mit der Revisionseinlegung gestellten Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist entschieden worden ist (vgl. KK-Maul, StPO, 6. Aufl., § 44 Rdnr. 27; OLG Hamm, MDR 1976, 1038; BayObLG, NStZ 1995, 300).Aus dem Recht des Angeklagten auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren und aus seinem Anspruch auf rechtliches Gehör ergab sich die Verpflichtung des Landgerichts, vor Verwerfung der Revision über den Antrag des Angeklagten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 S. 1 StPO zu entscheiden. Der Senat ist – in Übereinstimmung mit der o.g. früheren Rechtsprechung des OLG Hamm und der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts – der Auffassung, dass in der gegebenen Konstellation ein Angeklagter darauf vertrauen darf, dass so rechtzeitig über den Beiordnungsantrag entschieden wird, dass der Angeklagte ggf. noch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist entweder selbst einen Verteidiger beauftragen oder die Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle erklären kann (vgl. auch BayObLG, StV 1988, 332).

Zutreffend, was das OLG sagt: Man hätte sich noch deutlichere Worte gewünscht.

Angriffsrichtung muss erkennbar sein….

Noch dauert es ja bis der § 81a Abs. 2 StPo geändert ist, wenn es überhaupt dazu kommt. D.h.: Noch kann ggf. ein Beweisverwertungsverbot bei fälschlicher Annahme von „Gefahr im Verzug“ angenommen werden. Und noch muss man als Verteidiger die Anforderungen an die Begründung der Revision/Verfahrensrüge beachten. Daher hat auch der Beschl. des OLG Hamm v. 24.08.2010 – III 3 RBs 223/10 Bedeutung, in dem das OLG noch einmal zu den Anforderungen an die Begründung der Verfahrensrüge der Verletzung des Richtervorbehalts bei Anordnung einer Blutprobe Stellung genommen hat. Die Begründung der Verfahrensrüge der Verletzung des Richtervorbehalts wegen der Anordnung und Verwertung der Blutprobe muss danach – worauf das OLG schon früher hingewiesen hat – die genaue Angriffsrichtung eines in der Hauptverhandlung erhobenen Widerspruchs erkennen lassen, der gegen die Verwertung der aufgrund der Blutentnahme gewonnenen Beweismittel erhoben worden ist. Der Amtsrichter muss das Beweismittel nicht „aufs Blaue hin“ auf seine Verwertbarkeit untersuchen. Nicht Neues, man muss nur daran denken.

Was ich nicht mit der Anhörungsrüge geltend machen sollte/kann

Die Anhörungsrüge (§ 356a StPO) spielt in der Praxis immer mehr eine Rolle. Sie wird aber immer wieder auch mit Vorbringen „belastet“, dass man nicht mit der Anhörungsrüge vorbringen sollte, da man sich ggf. nur eine Abfuhr beim BGH holt. Ein Beispiel ist der Beschluss vom 10.08.2010 – 3 StR 229/10. Dort heißt es:

„Die Anhörungsrüge ist unbegründet. Der Senat hat bei seiner Entschei-dung weder zu berücksichtigendes Vorbringen übergangen noch sonst den Anspruch des Verurteilten auf rechtliches Gehör verletzt.

Der Senat hat mit der Formulierung „nach § 349 Abs. 2 StPO unbegründet“ auf den nach dieser Vorschrift vorausgesetzten begründeten Antrag des Generalbundesanwalts vom 11. Juni 2010 Bezug genommen. Die maßgebli-chen Gründe für die Zurückweisung des Rechtsmittels ergeben sich aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils und der Stellungnahme des Generalbundesanwalts mit dem Verwerfungsantrag (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2007 – 2 StR 530/06 Rn. 5; Beschluss vom 4. Juni 2002 – 3 StR 146/02, BGHR StPO § 349 Abs. 2 Verwerfung 7).

Dabei ist es unschädlich, dass der Generalbundesanwalt in der Antragsschrift zu dem Vorbringen der Revision, eine Strafrahmenmilderung hätte zu-mindest nach § 31 BtMG analog gewährt werden müssen, nicht ausführlich Stellung genommen hat. Ebenso wenig wie der Verwerfungsbeschluss des Senats muss die Zuschrift des Generalbundesanwalts zur Wahrung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG in allen Einzelheiten auf jeden von der Verteidigung angesprochenen Punkt eingehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2007 – 2 BvR 746/07 Rn. 22; Beschluss vom 21. Januar 2002 – 2 BvR 1225/01 Rn. 9 und 10; Urteil vom 24. März 1987 – 2 BvR 677/86 Rn. 3; BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2009 – 1 StR 478/09 Rn. 3; Beschluss vom 11. August 2009 – 3 StR 131/09 Rn. 4). Dies gilt umso mehr, wenn es sich – wie hier – um rechtlich eher fernliegende Erwägungen handelt.“

Man muss eben einfach wissen, wo die Begründung des OU-Beschlusses steht oder stehen sollte.

„Schnauze auf“ – so früh wie möglich – und darüber dann auch berichten

Das OLG Schleswig ist jetzt das dritte OLG (vgl. hier und hier), dass eine Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt (§ 81a Abs. 2 StPO) geltend gemacht wird, als nicht ausreichend i.S. von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO begründet ansieht, wenn sich aus ihr nicht unmittelbar ergibt, wann der Verwertung der Blutproben erstmals widersprochen worden ist. Der Widerspruch muss spätestens in der Erklärung enthalten sein, die die Betroffene oder ihr Verteidiger im Anschluss an diejenige Beweiserhebung abgibt, die sich auf den Inhalt der beanstandeten Beweiserhebung bezieh (§ 257 StPO). Fehle es an der Darlegung eines solchen rechtzeitigen Widerspruchs, kann eine hierauf gestützte Rüge keinen Erfolg haben (vgl. zu allem Beschl. v. 24.06.2010 – 1 Ss OWI 88/10).

Immer wieder: Die nicht prozessordnungsgemäße Bezugnahme

Die Täteridentifizierung anhand eines von einem Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes spielt in der Praxis eine erhebliche Rolle. Nur, wenn auf das Lichtbild prozessordnungsgemäß i.S. des § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen worden ist, kann sich das Rechtsbeschwerdegericht selbst einen Eindruck von dem Lichtbild verschaffen und ist demgemäß der Begründungsaufwand für den Tatrichter gemindert. Entscheidend ist, dass das Lichtbild inhaltlich zum Gegenstand des Urteils gemacht wird, er also Bestandteil der Urteilsgründe sein soll.

Als dafür nicht ausreichend ist jetzt vom OLG Koblenz im Beschl. v. 17.08.2010 – 1 SsBs 97/10 angesehen worden der Hinweis auf die „in der Akte befindlichen Lichtbilder. Ebenfalls nicht ausreichend ist die Formulierung „Verwertung des Passfotos Blatt 8 der Akten“ bzw. „der Verwertung des von dem Zeugen B. überreichten Hochglanzfotos (OLG Hamm VA 2008, 16 = VRR 2008, 76; vgl. auch noch OLG Hamm VA 2008, 33) oder die bloße Mitteilung der Fundstelle in der Akte (OLG Bamberg NZV 2008, 211; zuletzt u.a. OLG Koblenz VA 2010, 13 = NZV 2010, 212). Folge ist, dass der Tatrichter dann durch eine ausführliche Beschreibung der Bildqualität und der charakteristischen ldentifizierungsmerkmale der abgebildeten Person dem Rechtsbeschwerdegericht in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung ermöglichen muss, dass dieses zur Identifizierung geeignet ist.

Also: Erhöhter Begründungsaufwand, der dann häufig von den Amtsrichtern nicht erbracht wird und der dann zur Aufhebung führt. Die Rechtsbeschwerden sind dann Selbstläufer.