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Klassischer (Anwalts)Fehler X: Die Nebenklagerevision, oder: „Herr Kollege, lassen Sie es…“

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Ich will ja nicht immer nur über „Klassische Fehler“ der Gerichte berichten – tue ich m.E. auch nicht – sondern auch über Fehler von Rechtsanwälten/ Verteidigern, da das vielleicht anderen Kollegen hilft, diese Fehler zu vermeiden. Aber offenbar gelingt das bei einer Problematik nicht, u.a. nämlich bei der Frage nach der „richtigen“ Begründung der Nebenklägerrevision (vgl. dazu § 400 StPO). Dazu habe ich schon öfters berichtet (vgl. u.a. hier Ach nöö, nicht schon wieder: Die unzulässige Revision des Nebenklägers) und auf die Problematik will ich auch heute noch einmal hinweisen, und zwar auf der Grundlage des BGH, Beschl. v. 03.04.2014 – 2 StR 652/13. Da hatte der Vertreter der Nebenklägerin in einem Sicherungsverfahren Revision eingelegt. Besonders erfahren – ich will es mal vorsichtig ausdrücken -, scheint der Kollege aber nicht (gewesen) zu sein, wenn man den BGH-Beschluss liest, in dem es heißt:

„Zwar ist form- und fristgerecht Revision eingelegt; die fehlerhafte Bezeichnung des Rechtsmittels in dem innerhalb der Revisionseinlegungsfrist eingegangenen Schreiben vom 9. August 2013 ist nach § 300 StPO unschädlich. Im Hinblick auf die Erklärung, das Urteil werde insgesamt angefochten, begründet auch das Fehlen eines ausdrücklichen Revisionsantrags kein Zulässigkeitsbedenken. Weiterhin kann ein Nebenkläger die Nichtanordnung einer Maßregel im Sicherungsverfahren beanstanden, ohne dass dem § 400 Abs. 1 StPO entgegenstünde (BGH Beschl. v. 1. Februar 2007 – 5 StR 444/06; Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. § 400 Rn. 1).

Es fehlt aber an einer den formellen Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Revisionsbegründung. Dem Vorbringen der Revision ist weder eine im Sinne des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO zulässige Verfahrensrüge noch die Sachrüge zu entnehmen, für die dem Vortrag des Revisionsführers zweifelsfrei zu entnehmen sein muss, dass eine Nachprüfung in sachlich-rechtlicher Hinsicht begehrt wird; dafür genügt es nicht, wenn – wie hier – lediglich das Ziel des Rechtsmittels dargelegt wird und jede weitere Begründung unterbleibt (vgl. BGH Beschl. v. 24. Oktober 2012 – 4 StR 325/12 m.w.N.; s. auch BGH Beschl. v. 1. August 2013 – 2 StR 242/13).“

Also hat die Revision im Grunde drei (!!) Macken, nämlich:

  1. Fehlerhafte Bezeichnung des Rechtsmittels – schade, dass der BGH nicht mitteilt, wie es bezeichnet worden ist, vielleicht mit „Berufung“ 🙁
  2. Fehlen eines ausdrücklichen Revisionsantrages
  3. Keine ausreichende Revisionsbegründung.

Also: Scheint ein „Revisionskünstler“ gewesen zu sein, dem man im Interesse der Mandantin zurufen möchte: „Herr Kollege, lassen Sie es, oder machen Sie eine Fortbildung“.

„Erfahrene Verteidiger“ wissen: Schweigen ist Gold – auch in der Revision..

Allegorie_des_Schweigens_Weimar_2Schweigen ist Gold, Reden ist Silber, wer kennt als Strafverteidiger den Spruch nicht. Und er beschäftigt ja auch immer wieder die Blogs. Dann geht es aber meistens um die Frage, dass der Beschuldigte zu früh oder zu viel „geredet“ und er sich „um Kopf und Kragen geredet“ hat. In dem OLG Hamm, Beschl. v. 08.04.2014 – 1 RVs 104/13 geht es nun nicht um die Problematik, aber auch um ein zu Viel, und zwar um zu viel „Gerede“ in der Revision zur Begründung der Sachrüge. Der Verteidiger hatte die von ihm erhobene Sachrüge zunächst mit der allgemeinen Rüge begründet, aber mitgeteilt, dass weitere Ausführungen folgen. Und die folgten dann, was tötlich für die Rüge war. Denn:

Im vorliegenden Verfahren hat der Verteidiger des Angeklagten zwar mit Schriftsatz vom 08.07.2013 die Verletzung materiellen Rechts gerügt, wobei gleichzeitig mitgeteilt worden ist, dass diese Rüge zunächst nur in allgemeiner Form erhoben werde und weitere Ausführungen einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten blieben. Aus den näheren Ausführungen zur Revisionsbegründung, die sodann mit Schriftsatz des Verteidigers des Angeklagten vom 19.07.2013 erfolgt sind, ergibt sich jedoch, dass mit der als „Sachrüge“ bezeichneten Rüge tatsächlich nicht die fehlerhafte Anwendung sachlichen Rechts auf den festgestellten Sachverhalt behauptet werden soll oder dass aus dem Urteil selbst hervorgehende Feststellungsmängel wie Widersprüche, Unklarheiten oder Verstöße gegen die Denkgesetze, die ebenfalls mit der Sachrüge hätten beanstandet werden können, geltend werden sollen,. sondern dass das Beweisergebnis, zu dem die Strafkammer gelangt ist, sowie die darauf basierenden Urteilsfeststellungen selbst in Frage gestellt werden sollen. Denn das Vorbringen im Schriftsatz vom 19.07.2013 erschöpft sich ausschließlich in unzulässigen Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil…“

Also: Vorsicht mit solchen Ausführungen bzw. deutlich machen, dass bei der Begründung der allgemeinen Sachrüge die zunächst allgemein erhobene Sachrüge durch die Ausführungen nicht eingeschränkt werden sondern allgemein erhoben bleiben soll und die Ausführungen nur „erläuternd“ oder „insbesondere“ gemacht werden. Dann kann an sich nichts passieren. „Erfahrene Verteidiger“ wissen das.

Erst mal über die Klippe „Verfahrensrüge“ springen…

entnommen wikimedia.org Urheber Harald Bischoff

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Urheber Harald Bischoff

In Rechtsprechung und Literatur ist ja seit einiger Zeit ein „Kampf entbrannt“, ob und wie § 329 Abs. 1 StPO mit dem EGMR konventionskonform auszulegen und deshalb ggf. ein  Verwerfungsurteil nch § 329 Abs. 1 StPO bei unentschuldigtem Ausbleiben des Angeklagten und Anwesenheit eines verteidigungsbereiten Verteidigers zulässig ist. Wir haben darüber ja auch schon ein paar Mal berichtet (vgl.z.B. Auch du mein Sohn Brutus/OLG Bremen: Was schert uns der EGMR – oder kein Abgesang auf die Berufungsverwerfung oder: OLG München: Was schert mich der EGMR – oder kein Abgesang auf die Berufungsverwerfung).

Nun hat sich das KG mit dem KG, Beschl. v. 07.02.2014 – (4) 161 Ss 5/14 (14/14) in der Diskussion auch noch einmal zu Wort gemeldet. Allerdings auf einem Nebenkriegsschauplatz, nämlich bei der Frage nach den Anforderungen an die Verfahrensrüge in diesen Fällen. Dazu führt das KG aus:

a) Die Verfahrensrügen sind schon nicht zulässig erhoben. Die von der Revision verlangte Abwesenheitsverhandlung erforderte – wollte man eine entsprechende konventionskonforme Auslegung des § 329 Abs. 1 StPO im Sinne der Rechtsprechung des EGMR überhaupt in Betracht ziehen – jedenfalls, dass der verteidigungs- und vertretungsbereite Verteidiger nicht nur erscheint, sondern auch mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht des Angeklagten ausgestattet ist und diese vorweist (vgl. OLG München, Beschluss vom 17. Januar 2013 – 4 StRR (A) 18/12 – [juris-Rn.13], insoweit in NStZ 2013, 358 nicht abgedruckt; OLG Düsseldorf StV 2013, 299, 301; OLG Hamm, Beschluss vom 14. Juni 2012 – III-1 RVs 41/12 – [juris-Rn.12]; OLG Celle NStZ 2013, 615, 616; Mosbacher NStZ 2013, 312, 314). Da (nur) in einem solchen Fall eine zulässige Vertretung im Sinne des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO anzunehmen ist, hielte sich die von den Revisionen verlangte Gesetzesinterpretation noch „im Rahmen einer methodisch vertretbaren Auslegung“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dementsprechend sieht auch der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz über ein „Gesetz zur Stärkung des Rechts auf Vertretung durch einen Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung“ (Bearbeitungsstand 19. Dezember 2013) vor, dass eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten nicht mehr erfolgen darf, wenn statt des Angeklagten ein „vertretungsbereiter Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht“ in dem Termin zur Berufungshauptverhandlung erschienen ist.

Deshalb gehört zu einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensbeschwerde der Vortrag, dass sich der verteidigungs- und vertretungsbereite Verteidiger auf eine solche, ihm in schriftlicher Form erteilte besondere Vollmacht des abwesenden Angeklagten berufen und diese dem Gericht nachgewiesen hat (vgl. OLG Celle aaO; s. auch OLG Hamburg, Beschluss vom 3. Dezember 2013 – 1 Ss 68/13 – [juris-Rn. 26]; KG, Beschluss vom 3. Januar 2012 – [2] 1 Ss 421/11 [58/11] –). Daran fehlt es hier. Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich vielmehr, dass die erschienenen Verteidiger gerade keine entsprechende Vollmacht vorgelegt oder eine Bevollmächtigung auch nur behauptet hätten. …“

Also: Die Klippe muss man schon überspringen, wenn die Verteidigung an der Stelle Erfolg haben soll..

„Eine Erklärung abgeben“ ist nicht „widersprechen“…

© Ideeah Studio - Fotolia.com

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In dem dem BGH, Beschl. v. 16.09.2013 – 1 StR 264/13 – zugrunde liegenden Verfahren wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion – mal was anderes – ging es um die Verwertbarkeit zweier Mitschnitte eines Gesprächs, das die beiden Angeklagten Z und T geführt hatten und das mit Wissen und unter Mithilfe des Angeklagten T von den Ermittlungsbehörden abgehört und aufgezeichnet worden war. Die Angeklagte Z hat die Unverwertbarkeit des Gesprächs geltend gemacht (der BGH formuliert ein wenig missverständlich: „die Unverwertbarkeit …. beanstandet :-)). Die dazu erhobene Verfahrensrüge ist an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gescheitert:

„Mit ihrem Vortrag, der Verteidiger habe zum Abspielen des zunächst am 11. Hauptverhandlungstag eingeführten ersten Mitschnitts („Kurzversion“) eine „Erklärung“ abgegeben, genügt die Revision bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Sie teilt nicht mit, ob die Angeklagte durch diese „Erklärung“ ihres Verteidigers der Verwertung der Aufzeichnung rechtzeitig widersprochen oder ihr zugestimmt hat. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, weil ein etwa bestehendes Verwertungsverbot für sie disponibel war (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2006 – 1 StR 316/05, BGHSt 51, 1). Die von der Revision für ihre abweichende Auffassung in Bezug genommene Entscheidung des Senats vom 22. August 1995 (1 StR 458/95) ist auf Fälle wie den vorliegenden nicht anwendbar.

Der Beschluss zeigt mal wieder, wie schmal der Grat ist, auf dem man als Verteidiger mit der Verfahrensrüge wandelt. Allerdings hatte die Unzulässigkeit der Verfahrensrüge hier keine Auswirkungen, da das landgerichtliche Urteil auf die Sachrüge hin aufgehoben worden ist.

Sitzungshaftbefehl II: LG Berlin – na bitte, geht doch

© Aleksandar Radovanov – Fotolia.com

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In meinem vorhin veröffentlichten Beitrag zum Sitzungshaftbefehl in Sachsen (vgl. Sitzungshaftbefehl I – zu schnell ging es in Sachsen – da hilft nur der VerfGH) hatte ich über den VerfGH Sachsen, Beschl. v. 17. 10 2013 – Vf. 40-IV-13 – berichtet, in dem der VerfGH Sachsen zwei Entscheidungen des LG Leipzig und des OLG Dresden, mit denen Rechtsmittel des Angeklagten gegen einen Sitzungshaftbefehl als unzulässig verworfen worden waren, gerügt hat. Dass es auch anders geht und man das Verfassungsgericht nicht braucht, zeigt der LG Berlin, Beschl. v. 10.10.2013 – 524 Qs 48/13.  Das LG sieht nicht nur die (nachträgliche) Beschwerde als zulässig an, sondern schreibt dem AG gleich auch noch einiges ins Stammbuch zum Erlass des Haftbefehls, nämlich:

Die gegen den Haftbefehl erhobene Beschwerde ist zulässig, obwohl das Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen und die angefochtenen gerichtlichen Entscheidungen bereits aufgehoben wurden. Denn bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen — wie im vorliegenden Fall in das der Freiheit — besteht ein berechtigtes Interesse d-es Betroffenen, klären zu lassen, ob dieser Eingriff rechtmäßig war. Eine Haftbeschwerde darf in solchen Fällen nicht wegen prozessualer Überholung als unzulässig verworfen werden; vielmehr ist die Rechtmäßigkeit der zwischenzeitlich erledigten Maßnahme zu prüfen und ggf. deren Rechtswidrigkeit festzustellen. (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. 10. 2005 — 2 BvR 2233/04). Diese Grundsätze gelten auch für den Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 123. Februar 2001 — 1 Ws 33/01).

Das Rechtsmittel ist auch begründet. Denn der vom Amtsgericht Leipzig verhängte Haftbefehl war unverhältnismäßig. Zwar lagen im vorliegenden Fall die Voraussetzungen vor, nach denen Zwangsmittel gemäß § 230 StPO gegen den nicht erschienenen Angeklagten verhängt werden durften. Denn er war – wie dieser selbst vorträgt – ordnungsgemäß geladen. Er hatte den Gerichtstermin versäumt, weil er ihn „vergessen“ hatte. Jedoch besteht zwischen den in § 230 Abs. 2 StPO vorgesehenen Zwangsmitteln ein Stufenverhältnis, d.h. grundsätzlich ist zunächst das mildere Mittel — nämlich die polizeiliche Vorführung – anzuordnen. Ohne diese versucht zu haben, ist der Erlass eines Haftbefehls nur in seltenen Ausnahmefällen verhältnismäßig; ein solcher liegt etwa dann vor, wenn feststeht, dass der Angeklagte auf keinen Fall erscheinen will (vgl. KG Beschluss vom 29. Juni 2012 — 4 Ws 69/12).

Wenn ein Gericht sofort zum Mittel des Haftbefehls greift, muss aus der Entscheidung deutlich werden, dass es eine Abwägung zwischen polizeilicher Vorführung und Haftbefehl vorgenommen hat. Die Gründe, warum ausnahmsweise sofort die Verhaftung des Angeklagten angeordnet worden ist, müssen in dem Beschluss aufgeführt werden. Das Amtsgericht hat seinerzeit keinerlei Abwägung vorgenommen. Dies hätte sich hier bereits deshalb aufgedrängt, weil der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch Heranwachsender war. Es ist in dieser Altersgruppe ein nicht selten anzutreffender Umstand, dass Termine verschlampt oder vergessen werden, ohne dass dahinter eine grundsätzliche Ablehnung des Gerichtsverfahrens stehen würde. Dies müsste jedem Jugendrichter aus der täglichen Praxis hinlänglich bekannt sein.

Der angefochtene Haftbefehl leidet aber nicht nur an einem Erörterungsmangel. Aus dem Akteninhalt ergibt sich darüber hinaus auch, dass die Anordnung der Haft nicht rechtmäßig war. Denn der Angeklagte war durchaus willens, an der Hauptverhandlung teilzunehmen: Bereits am 7. März 2007 hatte er telefonisch mitgeteilt, dass er die Anklageschrift erhalten habe. Er sei unschuldig (vgl. Bd. II, 245). Auch auf die Ladung reagierte er am 4. Juni 2007 telefonisch. Er bat darum, auf seine Schwester, die als Zeugin geladen worden war, zu verzichten, da er das in ihr Wissen Gestellte bestätigen könne. Außerdem bat er um einen Gesprächstermin bei der zuständigen Richterin (vgl. Bd. II, 249). Bereits aus diesen beiden Telefonaten wird ersichtlich, dass das Gericht nicht davon ausgehen durfte, dass der Angeklagte auf keinen Fall zu einem Termin erscheinen würde. Spätestens der Anruf vom 9. Juni 2008, in dem der Angeklagte noch einmal deutlich bekräftigte, dass er zu einem neuen Hauptverhandlungstermin auf jeden Fall – erscheinen würde, hätte das Amtsgericht veranlassen müssen, seinen Haftbefehl aufzuheben.“

Na bitte, Geht doch.