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Beweiswürdigung I: Nur eingeschränkte Überprüfung, oder: Wenn das Tatgericht zu viele Fehler macht

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Ich meine, dass ich schon länger keine Entscheidungen zur Beweiswürdigungsfragen vorgestellt habe. Daher heute die Thematik.

Und ich eröffne mit dem schon etwas älteren BGH, Urt. v. 02.02.2022 – 5 StR 282/21. Ergangen ist die Entscheidung in einem BtM-Verfahren. Das LG hatte den Angeklagten vom Vorwurf des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in einer Vielzahl von Fällen freigesprochen. Dagegen hatte die StA Revision eingelegt, beschränkt auf einen Fall. Die Revision hatte Erfolg:

„Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

F., sein Bruder, der Mitangeklagte Fa. und zwei weitere Mitangeklagte waren aufgrund von Ermittlungsmaßnahmen in anderen Strafverfahren und daraufhin angeordneten Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen in den Verdacht geraten, am Betrieb eines Kokainlieferservice im B.er Stadtgebiet beteiligt zu sein, bei dem Kokain in Einheiten von 0,5 Gramm, abgefüllt in sogenannten Eppendorfgefäßen, telefonisch bestellt werden konnte und dann an der gewünschten Adresse angeliefert wurde.

Der Angeklagte lebte seit dem Jahr 2016 mit seiner damaligen Lebensgefährtin in deren Wohnung. Er blieb indes – wie sein Bruder, der zumindest zeitweise mit Frau und Tochter in einer anderen Wohnung in B. lebt – in der Dreizimmerwohnung der Mutter gemeldet. Der Angeklagte begab sich nach einem Streit mit seiner Lebensgefährtin etwa zwei bis drei Tage vor dem 26. Februar 2019 mit einer Reisetasche, Rasierzeug und Zahnbürste sowie einigen Kleidungsstücken in die Wohnung der Mutter, um dort in einem unbewohnten Zimmer zu übernachten. Bei der Durchsuchung am 26. Februar 2019 wurden in dem von dem Angeklagten genutzten Zimmer unter einem dort befindlichen Schreibtisch in einem Karton Eppendorfgefäße und fünf Druckverschlussbeutel gefunden sowie – daneben auf dem Boden liegend – insgesamt 221 Gramm Kokaingemisch teilweiser fester Substanz mit einem Wirkstoffgehalt von 182,9 Gramm Kokainhydrochlorid bei einer Messunsicherheit von +/- 5 %, verpackt in zwei Schnellverschlusstütchen und vier verknotete Kunststoffbeutel sowie eine kleine Feinwaage mit betäubungsmittelsuspekten Anhaftungen. An zwei der Kunststoffbeutel fanden sich im Knotenbereich DNA-Spuren des Angeklagten. Darüber hinaus wurden in dem Zimmer insgesamt elf Mobiltelefone sichergestellt, wovon sich acht Telefone in einer der Schreibtischschubladen befanden. Es handelte es sich um ältere Modelle, mindestens vier Modelle waren äußerlich defekt. Im Wohnzimmer wurde Bargeld in Höhe von 8.800 Euro in einer Stückelung von 14 x 500, 7 x 100‚ 21 x 50, 2 x 20 und 1 x 10 Euro in einer kleinen schwarzen Ledertasche unter einem Kissen der Couch sichergestellt; auch an dieser Ledertasche fanden sich DNA-Spuren des Angeklagten.

2. Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil ihm weder ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge noch der Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nachzuweisen gewesen sei. Dazu hat die Strafkammer ausgeführt: Dem Angeklagten sei seine Einlassung nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit zu widerlegen, dass er, als er das Zimmer bezogen habe, „verschiedene Tüten“ auf dem Schreibtisch vorgefunden und geöffnet und dabei „wahrgenommen [habe], dass es sich hierbei um Drogen handelte“. Er habe die Tüten daraufhin wieder verschlossen und unter den Schreibtisch auf eine Kiste geräumt, in die er nicht hineingeschaut habe; an eine Feinwaage habe er keine Erinnerung. Das Zimmer sei „zeitweise von verschiedenen Mitgliedern der Großfamilie F. […] bewohnt worden […] so dass auch mehrere Schlüssel zu der Wohnung existierten.“ Das Geld in der Geldtasche im Wohnzimmer unter den Sofakissen gehöre seiner Mutter, die nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 2017 eine Erbschaft von 9.000 Euro erhalten habe; davon habe er sich im Einverständnis mit ihr 200 Euro genommen, weil er Geld gebraucht habe. Zu den Mobiltelefonen könne er nur sagen, dass sein Bruder zu diesem Zeitpunkt in einem Reparatur- und Verkaufsladen für Mobiltelefone gearbeitet habe.

II.

Die während des Revisionsverfahrens wirksam auf den Teilfreispruch betreffend den Angeklagten im Fall VIII.3. der Urteilsgründe beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet, denn die Beweiswürdigung des Landgerichts erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

1. Allerdings muss das Revisionsgericht es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Urteile vom 10. November 2021 – 5 StR 127/21 Rn. 11; vom 4. November 2021 – 3 StR 105/21 Rn. 6, jeweils mwN).

2. Solche Rechtsfehler liegen hier vor. Denn die Beweiswürdigung weist Lücken auf, die Strafkammer hat falsche Maßstäbe angelegt und überzogene Anforderungen an ihre Überzeugungsbildung gestellt. Im Einzelnen:

a) Es erweist sich – jedenfalls mit Blick auf das Beweisergebnis im Übrigen – als rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht den Angeklagten freigesprochen hat, weil es gemeint hat, mangels anderer Erkenntnisse nach der Beweisaufnahme seine Einlassung nicht widerlegen zu können. Nach dieser hätten andere Mitglieder der Familie F., von denen bereits einige wegen Betäubungsmittelhandels verurteilt wurden, zeitweise in dem freien Schlafzimmer in der Wohnung der Mutter gewohnt. Es sei „durchaus möglich“, dass der Angeklagte, der „aus einer drogenerfahrenen Familie stamme“, die Beutel mit Kokain nur geöffnet und dabei seine DNA-Spuren hinterlassen habe, weil er lediglich habe wissen wollen, „ob sich in allen Beuteln Kokain befand oder etwa beispielsweise auch oder nur Streckmittel.“

Der Umstand, dass das Landgericht davon ausgegangen ist, es müsse die Einlassung des Angeklagten „widerlegen“, deutet hier bereits darauf hin, dass es überzogene Anforderungen an seine Überzeugungsbildung angelegt hat. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat; auch entlastende Angaben des Angeklagten sind nicht schon deshalb als unwiderlegbar hinzunehmen, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2021 – 5 StR 127/21 Rn. 11 mwN).

Für die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten waren schon keine Anhaltspunkte ersichtlich: Er hat keinen – auch nur entfernten – Verwandten, der angeblich das Zimmer genutzt habe, namhaft gemacht, was sich als gegebenenfalls zu würdigendes Teilschweigen erweist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2017 – 2 StR 258/16 Rn. 23). Konkrete tatsächliche Umstände, die dafür sprechen, dass jemand anders als der Angeklagte die Betäubungsmittel in das Zimmer gebracht hatte, hat die Strafkammer nicht festgestellt. Vielmehr war es der Angeklagte, der die Tüten mit Kokain nachweislich nicht nur flüchtig berührt, sondern auch verknotet hatte. Der pauschale Verweis der Strafkammer auf die „drogenerfahrene“ Familie des Angeklagten, innerhalb derer es bereits zu Verurteilungen wegen Betäubungsmittelhandels gekommen sei, bleibt insoweit gänzlich vage. Hinzu kommt, dass das von der Strafkammer unterstellte Motiv des Angeklagten für das angebliche Öffnen von zwei verknoteten Beuteln mit Kokain nicht einmal von ihm selbst in seiner Einlassung genannt worden ist. Nach alledem hat das Landgericht die naheliegende Möglichkeit außer Betracht gelassen, dass es sich bei der Einlassung des Angeklagten insoweit um eine bloße Schutzbehauptung handeln könnte.

Angesichts der – was die Strafkammer im Ansatz auch nicht verkannt hat – den Angeklagten in erheblichem Maße belastenden objektiven Beweismittel, namentlich der DNA-Spuren, aber auch der übrigen Auffindesituation, bestand hier zudem Anlass für eine besonders sorgfältige Erörterung der näheren Umstände der Einlassung. Insbesondere – zumal vor dem Hintergrund, dass das Urteil nichts zum Einlassungsverhalten vor der Hauptverhandlung mitteilt – hätte sich eine Auseinandersetzung damit aufgedrängt, ob die Angaben des Angeklagten in Kenntnis der Ergebnisse der abgeschlossenen Ermittlungen gemacht wurden und ihnen deswegen ein geringerer Beweiswert beizumessen sein könnte, weil der Angeklagte bei diesem Kenntnisstand die Möglichkeit hatte, seine Darstellung an die bisherigen Ermittlungserkenntnisse anzupassen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2020 – 5 StR 411/20, NStZ 2021, 319 mwN).

b) Rechtsfehlerhaft ist weiter, dass die Strafkammer die Einlassung des Angeklagten nicht – wie geboten – einer echten Plausibilitätsprüfung unterzogen und erschöpfend gewürdigt hat (vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Mai 2017 – 2 StR 258/16 Rn. 20). Denn an die Bewertung der Einlassung des Angeklagten sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2003 – 4 StR 270/03, NStZ-RR 2004, 88; MüKo-StPO/Miebach, § 261 Rn. 167 mwN). Ein wesentlicher Gesichtspunkt der Glaubhaftigkeitsprüfung ist dabei die Plausibilität und Stimmigkeit der Einlassung an sich (vgl. BGH, Urteile vom 16. Dezember 2020 – 2 StR 209/20 Rn. 21 ff.; vom 5. November 2020 – 4 StR 381/20, NStZ 2021, 574 mwN; Beschluss vom 12. November 2019 – 5 StR 451/19 Rn. 7 mwN).

aa) Die Strafkammer hat ausweislich der Urteilsgründe lediglich die Einlassung des Angeklagten, er habe nur für ein paar Tage in dem Zimmer in der Wohnung seiner Mutter gewohnt, einer näheren Plausibilitätsprüfung unterzogen und insoweit ausgeführt, dafür spreche, dass sein Rasierzeug und die Zahnbürste in dem von ihm bewohnten Zimmer auf dem Schreibtisch gefunden worden seien und nicht im Badezimmer. Wie der Generalbundesanwalt indes zutreffend ausgeführt hat, ist es für die Frage, ob der Angeklagte im Zeitpunkt der Durchsuchung Betäubungsmittel in dem von ihm genutzten Zimmer aufbewahrte, um mit ihnen Handel zu treiben, bedeutungslos, ob er in der Wohnung seiner Mutter seinen Lebensmittelpunkt hatte oder sich nur vorübergehend dort aufhielt.

bb) Ungeprüft übernommen hat das Landgericht hingegen die angesichts des eingeräumten vorangegangenen Drogenfundes für sich genommen wenig plausible Erklärung, der Angeklagte habe in die unter dem Tisch stehende Kiste, in der sich die Eppendorfgefäße zur Portionierung und Auslieferung des Kokains befanden, nicht hineingeschaut, als er die Tüten mit Betäubungsmitteln eben darauf abgelegt habe und er habe an die ebenfalls dort liegende Feinwaage „keine Erinnerung“. Eine Plausibilitätsprüfung hätte die Frage ergeben, wie sich diese Einlassung und die darin zum Ausdruck gebrachte Indifferenz des Angeklagten gegenüber anderen zum Betäubungsmittelhandel dienenden Gegenständen mit dem ihm unterstellten Interesse am genauen Inhalt der mit Kokain befüllten Tüten in Einklang bringen lässt.

cc) Schließlich hat das Landgericht auch die Einlassung des Angeklagten, das im Wohnzimmer in einer Geldtasche mit DNA-Spuren von ihm aufgefundene Geld stamme aus einer Erbschaft der Mutter aus dem Jahr 2017 nicht der gebotenen kritischen Prüfung unterworfen. Diese hätte die Frage aufgeworfen, warum er ausgerechnet im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Wohnungsdurchsuchung von den von der Mutter ererbten 9.000 Euro, die bis dahin – also über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren – offenbar unangetastet blieben, Geld erhalten haben sollte und die Tasche danach nicht seiner Mutter zurück in ihr Zimmer gelegt, sondern im Wohnzimmer unter den Sofakissen versteckt haben will.

c) Jedenfalls angesichts der Gesamtheit der aufgezeigten Rechtsfehler kann der Freispruch des Angeklagten – auch eingedenk der eingeschränkten Überprüfungsmöglichkeiten des Revisionsgerichts – keinen Bestand haben. Die Sache bedarf deshalb insoweit umfassender neuer Verhandlung und Entscheidung.“

Mal wieder die Nebenklägerrevision, oder: der Orthopäde zieht ja auch keine Zähne

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Manche Fragen beschäftigen die Revisionsgerichte immer wieder und als Leser der Entscheidungen kann man, wenn man dann wieder auf einen solchen Beschluss stößt, nur sagen: Das kann doch nicht wahr sein, schon wieder. So geht es mir u.a. mit der Problematik der Begründung der Revision des Nebenklägers. Das ist eine Frage, zu der es – ich habe nicht nachgezählt – sicherlich Postings von mir im zweistelligen Bereich gibt. Und dann heute nochmals ein, wobei ich nicht wusste: Soll ich „Grundkurs“ schreiben oder doch (besser) „klassischer Verteidigerfehler“. Ich habe mich für das Letztere entschieden, denn „Grundkurs“ bedeutet ja, dass man an einem solchen teilgenommen hat und das, was dort vorgetragen worden ist, auch (endlich) umsetzt. Das ist aber, wie der

BGH, Beschl. v. 06.12.2015 – 2 StR 425/16 – beweist, leider nicht der Fall, was man dem BGH, Beschluss ohne weiteres entnehmen kann:

„Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision der Nebenklägerin, die sie mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Das Rechtsmittel erweist sich als unzulässig (§ 349 Abs. 1, § 400 Abs. 1 StPO).

Nach § 400 Abs. 1 StPO ist ein Nebenkläger nicht befugt, das Urteil mit dem Ziel anzufechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt oder der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt. Ist der Angeklagte – wie hier – wegen eines nebenklagefähigen Delikts verurteilt worden, dann bedarf die Revision des Ne-benklägers eines genauen Antrages oder einer Begründung, die deutlich macht, dass er eine Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich des Nebenklagedelikts verfolgt (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 2. August 2016 – 2 StR 454/15, NStZ-RR 2016, 351). Diese Voraussetzungen hat die Nebenklägerin hier nicht erfüllt. Vielmehr weist der Nebenklägervertreter ausdrücklich darauf hin, dass die Tat „eindeutig als Totschlag zu qualifizieren“ sei. Aus der Begründung des Rechtsmittels ergibt sich, dass allein die Anwendung des § 213 StGB gerügt wird. Die Revision der Nebenklägerin betrifft daher ausschließlich die Strafrahmenwahl, also die Rechtsfolge der Tat. Damit wird kein zulässiges Re-visionsziel durch die Nebenklage angestrebt, so dass die Revision als unzulässig zu verwerfen ist (vgl. auch Senat, Beschluss vom 21. April 1999 – 2 StR 64/99, bei Kusch NStZ-RR 2000, 33, 40 Nr. 27).“

Man fragt sich: Wie komm so etwas? M.E. liegt einer der Gründe darin, dass sich im Strafverfahren leider dann doch noch immer Kollegen tummeln, die meinen: „Ach, das bisschen Strafrecht mache ich doch mal eben so nebenbei.“ Liebe Kollegen: Das mit dem „mal eben so nebenbei“, sollte man sich gut überlegen, egal, ob man Verteidiger oder als Nebenklägervertreter am Verfahren teilnimmt. Nur wer es kann, sollte es dann auch tun. Wenn man es nicht kann, sollte man die Finger davon lassen, vor allem, wenn man die Nebenklage in einem Verfahren wegen Totschlags vertritt. Der Orthopäde zieht ja auch keine Zähne..

Klassischer (Anwalts)Fehler X: Die Nebenklagerevision, oder: „Herr Kollege, lassen Sie es…“

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Ich will ja nicht immer nur über „Klassische Fehler“ der Gerichte berichten – tue ich m.E. auch nicht – sondern auch über Fehler von Rechtsanwälten/ Verteidigern, da das vielleicht anderen Kollegen hilft, diese Fehler zu vermeiden. Aber offenbar gelingt das bei einer Problematik nicht, u.a. nämlich bei der Frage nach der „richtigen“ Begründung der Nebenklägerrevision (vgl. dazu § 400 StPO). Dazu habe ich schon öfters berichtet (vgl. u.a. hier Ach nöö, nicht schon wieder: Die unzulässige Revision des Nebenklägers) und auf die Problematik will ich auch heute noch einmal hinweisen, und zwar auf der Grundlage des BGH, Beschl. v. 03.04.2014 – 2 StR 652/13. Da hatte der Vertreter der Nebenklägerin in einem Sicherungsverfahren Revision eingelegt. Besonders erfahren – ich will es mal vorsichtig ausdrücken -, scheint der Kollege aber nicht (gewesen) zu sein, wenn man den BGH-Beschluss liest, in dem es heißt:

„Zwar ist form- und fristgerecht Revision eingelegt; die fehlerhafte Bezeichnung des Rechtsmittels in dem innerhalb der Revisionseinlegungsfrist eingegangenen Schreiben vom 9. August 2013 ist nach § 300 StPO unschädlich. Im Hinblick auf die Erklärung, das Urteil werde insgesamt angefochten, begründet auch das Fehlen eines ausdrücklichen Revisionsantrags kein Zulässigkeitsbedenken. Weiterhin kann ein Nebenkläger die Nichtanordnung einer Maßregel im Sicherungsverfahren beanstanden, ohne dass dem § 400 Abs. 1 StPO entgegenstünde (BGH Beschl. v. 1. Februar 2007 – 5 StR 444/06; Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. § 400 Rn. 1).

Es fehlt aber an einer den formellen Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Revisionsbegründung. Dem Vorbringen der Revision ist weder eine im Sinne des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO zulässige Verfahrensrüge noch die Sachrüge zu entnehmen, für die dem Vortrag des Revisionsführers zweifelsfrei zu entnehmen sein muss, dass eine Nachprüfung in sachlich-rechtlicher Hinsicht begehrt wird; dafür genügt es nicht, wenn – wie hier – lediglich das Ziel des Rechtsmittels dargelegt wird und jede weitere Begründung unterbleibt (vgl. BGH Beschl. v. 24. Oktober 2012 – 4 StR 325/12 m.w.N.; s. auch BGH Beschl. v. 1. August 2013 – 2 StR 242/13).“

Also hat die Revision im Grunde drei (!!) Macken, nämlich:

  1. Fehlerhafte Bezeichnung des Rechtsmittels – schade, dass der BGH nicht mitteilt, wie es bezeichnet worden ist, vielleicht mit „Berufung“ 🙁
  2. Fehlen eines ausdrücklichen Revisionsantrages
  3. Keine ausreichende Revisionsbegründung.

Also: Scheint ein „Revisionskünstler“ gewesen zu sein, dem man im Interesse der Mandantin zurufen möchte: „Herr Kollege, lassen Sie es, oder machen Sie eine Fortbildung“.