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Etwas zu Auslagenerstattung nach Einstellung, oder: Verfassungsbeschwerde, Straf-, Bußgeldverfahren

Und dann heute noch einmal vorbereitete Beiträge – bin ja erst seit gestern wieder vor Ort.

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Ich habe dann hier zunächst einige Entscheidungen, die sich noch einmal mit der Auslagenerstattung befassen. Es geht einmal von „ganz oben“, nämlich vom BVerfG über LG nach „ganz unten“, nämlich AG. Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Es entspricht der Billigkeit dem Beschwerdeführer einer Verfassungsbeschwerde seine Auslagen gem. § 34a Abs. 3 BVerfGG nach einer Erledigungserklärung zu erstatten, wenn sich die Verfassungsbeschwerde gegen als unionsrechtswidrig gerügte Regelungen gerichtet hatte – hier: Vorschriften zur anlasslosen Datenspeicherung – und diese Regelungen durch den EuGH wegen Verstoßes gegen Unionsrecht für unanwendbar erklärt wurden.

Wird das Verfahren nach § 206a StPO eingestellt, erscheint eine Ermessensentscheidung, dem Beschuldigte seine notwendigen Auslagen aufzuerlegen, zweifelsfrei unbillig, wenn ihm der zur Einstellung führende Fehler in keiner Weise angelastet werden kann, sondern der zur Einstellung führende Verfahrensfehler in der Sphäre der Staatsanwaltschaft liegt, die einen Strafbefehl am örtlich unzuständigen Gericht beantragt hat, sowie beim AG, das seine örtliche Zuständigkeit vor dem Erlass eines Strafbefehls von Amts wegen zu prüfen gehabt hätte. Das anzuwendende Ermessen auf der Ebene der Auslagenentscheidung ist dann auf Null reduziert.

Wenn nicht einmal die vollständige Gewährung von Akteneinsicht gerichtlich festgestellt ist, kann keinesfalls ausgeschlossen werden, dass ein Einspruchsverfahren aufgrund nicht vollständiger Akteneinsicht zumindest gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt worden wäre, was der Annahme eines Falles gem. § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO entgegensteht.

 

BtM/KCanG III: Besitz lebender Cannabispflanzen, oder: Einstellung aus tatsächlichen Gründen

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Und dann habe ich hier noch zwei Entscheidungen des LG Kaiserslautern, die an sich auch an einem „Gebührentag“ hätten Gegenstand der Berichterstattung sein können.

Ausgangspunkt ist der LG Kaiserslautern, Beschl. v. 24.04.2024 – 3 NBs 6214 Js 2740/23. Mit dem hat das LG ein Verfahren wegen des strafbaren Besitzes lebender Cannabispflanzen aus tatsächlichen Gründen eingestellt, aber davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Landeskasse aufzuerlegen:

„Das Strafgesetz, das bei Beendigung der Tat galt (Anlagen zu § 29 BtMG), wurde geändert. Die Strafbarkeit des Besitzes lebender Cannabispflanzen richtet sich nunmehr nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 c) KCanG, wonach nur der Besitz von mehr als drei lebenden Cannabispflanzen strafbar ist. Zwar wurden im vorliegenden Fall vier Cannabispflanzen bei den Angeklagten gefunden. Inwiefern sich die Besitzverhältnisse hinsichtlich dieser Cannabispflanzen gestalten, kann jedoch nicht mehr aufgeklärt werden. Zugunsten der Angeklagten muss daher unterstellt werden, dass getrennter Besitz vorlag und keiner der beiden Angeklagten mehr als drei Pflanzen besessen hat. Eine solche Tat ist jedoch nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 c) KCanG nicht mehr strafbar, weshalb das Verfahren gemäß § 206b StPO einzustellen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464, 467 Abs. 1 und 3 StPO. Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls wird daher davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.

Die Kostenentscheidung gefällt dem Verteidiger nicht. Er legt Beschwerde ein und hat mit der Erfolg. Das LG hilft ab und legt mit dem LG Kaiserslautern, Beschl. v. 08.05.2025 – 3 NBs 6214 Js 2740/23 – auch die notwendigen Auslagen der Landeskasse auf:

„Die Angeklagten hätten – wäre es zu einer Berufungshauptverhandlung gekommen – aus den Gründen des Beschlusses vom 24.04.2024 (Bl. 392 d.A.) freigesprochen werden müssen, woraufhin der Staatskasse neben den Verfahrenskosten auch die notwendigen Auslagen der Angeklagten aufzuerlegen gewesen wären. Da die Einstellung des Verfahrens nach § 206b StPO insofern den Freispruch ersetzt, erscheint es angezeigt, hier eine entsprechende Kostenentscheidung zu treffen.“

Auslagenerstattung: Zunächst Angehörigenschutz, oder: Wenn das Zeugnisverweigerungsrecht wegfällt

Schirm, Schutz

Die Flut von Entscheidungen, die sich mit der Auslagenerstattung befassen, wenn das Buß-geldverfahren eingestellt worden ist, reißt, wie man sieht, nicht ab. Das AG Landstuhl hat sich in seinem dazu ergangenen AG Landstuhl, Beschl. v. 11.07.2024 – 2 OWi 4211 Js 14253/23 – mit der Frage befasst, wie damit umzugehen ist, wenn der Betroffene zunächst berechtigt war, von seinem Zeugnisverweigerungsrecht zugunsten eine nahen Angehörigen Gebrauch zu machen, dieses Recht dann aber im Laufe des Verfahrens entfallen ist.

Dem Betroffenen war eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt worden. Das AG hat das Verfahren gem. § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt, weil es eine Ahndung nicht für geboten gehalten hat. Neben dem Betroffenen komme als Fahrzeugführer im Vorfallszeitpunkt auch dessen Bruder in Betracht, den das Gericht in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen habe. Dieser habe die Fahrereigenschaft eingeräumt. Das von dem Messgerät gefertigte Lichtbild sei für eine Identifizierung nur sehr eingeschränkt geeignet, sodass das Gericht zum Zwecke der Fahreridentifizierung auf sachverständige Hilfe angewiesen wäre. Die erwartbaren Kosten, die im Falle einer weiteren Sachverhaltsaufklärung anfielen, stünden außer Verhältnis zur Bedeutung des Tatvorwurfs. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass eine Ordnungswidrigkeit der vorgeworfenen Art nicht im Fahreignungsregister einzutragen wäre.

Die Kosten des Verfahrens hat der AG der Staatskasse auferlegt. Seine notwendigen Auslagen habe der Betroffene hingegen selbst zu tragen. Dazu führt das AG aus:

„Dieses Ergebnis rechtfertigt sich aus einer Heranziehung des Rechtsgedankens von § 109a Abs. 2 OWiG. Das Gericht hat dabei nicht verkannt, dass in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass der Schutz eines nahen Angehörigen vor der Verfolgung eine Benennung i.S.d. § 109a Abs. 2 OWiG unzumutbar machen kann. Keine Einigkeit herrscht indes hinsichtlich der Frage, ob die Unzumutbarkeit von Angaben, die einen nahen Angehörigen belasten, entfällt, sobald hinsichtlich des Angehörigen Verfolgungsverjährung eingetreten ist (in diesem Sinne OLG Köln, ZfS 1995, 350; AG Oberhausen, Beschl. v. 31.03.2011 — 23 OWi 3/11, BeckRS 2013, 19244; a.A. LG Zweibrücken, NZV 2007, 431 f.). Das Gericht bejaht diese Frage, denn der Eintritt der Verfolgungsverjährung gegen einen nahen Angehörigen hat den Entfall der Konfliktsituation zur Folge, in der sich ein Betroffener befindet und vor der er durch das Kriterium der Unzumutbarkeit geschützt werden soll, wenn er sich von einem gegen ihn bestehenden Verdacht nur dadurch befreien kann, dass er einen nahen Angehörigen als Täter benennt und diesen damit der Gefahr einer Verfolgung aussetzt. Dies zeigt insbesondere der Vergleich zu der Regelung in § 55 StPO, der eine vergleichbare Konfliktsituation zu Grunde liegt und im Rahmen derer anerkannt ist, dass ein Auskunftsverweigerungsrecht nicht mehr besteht, wenn gegen einen als Täter in Betracht kommenden Angehörigen auf Grund eingetretener Verfolgungsverjährung keine Verfolgungsgefahr mehr bestehen kann (BGH, NStZ 2010, 463 f.; 2017, 546 (547)). Nach Eintritt der Verfolgungsverjährung gegen den nahen Angehörigen besteht daher nach Auffassung des Gerichts keine Situation mehr, die dessen Benennung unzumutbar i.S.d. § 109a Abs. 2 OWiG machen würde.

Der Betroffene hat seine Fahrereigenschaft im Rahmen einer Online-Anhörung am 16.05.2023 (BI. 62 d.A.) lediglich pauschal bestritten. Verfolgungsverjährung gegen den Bruder des Betroffenen ist gem. § 26 Abs. 3 Satz 1 Var. 1 StVG am 19.07.2023 eingetreten, die Abgabe des Verfahrens von der Verwaltungsbehörde an die Staatsanwaltschaft ist indes erst am 09.08.2023 erfolgt (BI. 106 d.A.). Der Betroffene hätte mithin ausreichende Gelegenheit gehabt, seinen Bruder noch im behördlichen Zwischenverfahren als möglichen weiteren Fahrzeugführer zu benennen, ohne diesen der Gefahr einer bußgeldrechtlichen Verfolgung auszusetzen.

Im vorliegenden Fall wäre die Benennung für das weitere Verfahren auch wesentlich gewesen. Denn ein rechtzeitiges Vorbringen des Umstands, dass der Bruder des Betroffenen ebenfalls als Fahrzeugführer in Betracht kommt, hätte bei der Bußgeldbehörde eine weitere Aufklärungspflicht ausgelöst und wäre potentiell geeignet gewesen, das anschließende gerichtliche Verfahren – und damit auch die hierdurch verursachten Auslagen des Betroffenen – zu vermeiden (BVerfG, NZV 2014, 95 (96); Thoma, in Göhler, OWiG, 19. Aufl. 2024, § 109a Rn. 10).“

Ich habe mit der Entscheidung Probleme, denn die vom AG getroffene Entscheidung ist m.E. aus verschiedenen Gründen nicht unbedenklich.

1. Man fragt sich zunächst, ob der Rückgriff des AG auf § 109a Abs. 2 OWiG überhaupt möglich ist. Denn § 109 a Abs. 2 OWiG ist dann nicht anwendbar, wenn die Verwaltungsbehörde bei der ihr obliegenden Sachaufklärung die entlastenden Umstände selbst hätte aufklären können, wie z. B. durch einen Fotovergleich (vgl. Göhler/Thoma, a.a.O.§ 109 a Rn 7 m.w.N.). Ist bzw. war der aber nicht möglich, hätte das Verfahren schon von der Verwaltungsbehörde eingestellt werden können/müssen und allein deshalb wären weitere Kosten, die erst durch die Abgabe an die Staatsanwaltschaft und die Vorlage bei Gericht entstanden sind, vermieden worden.

2. Hinzu kommt, dass fraglich ist, ob man § 109a OWiG, auf den das AG zur Stützung seiner Entscheidung verweist, überhaupt heranziehen kann. Die Vorschrift will Missbräuchen vorbeugen und ist deshalb nur in Fällen heranzuziehen, in denen nicht rechtzeitiges Vorbringen als missbräuchlich oder unlauter anzusehen ist. Es kommt darauf an, ob sich für das Verhalten des Betroffenen ein vernünftiger und billigenswerter Grund anführen lässt. Billigenswerter Grund für die Zurückhaltung des entlastenden Umstandes ist nach überwiegender Ansicht der Schutz eines nahen Angehörigen vor der Verfolgung. Der Betroffene hat demnach in zulässiger Weise seinen Bruder vor der Verfolgung geschützt und war m.E. nicht verpflichtet, nach Eintritt der Verjährung ihn als Fahrer zu benennen.

3. Und schließlich: Das AG hat dem Kosten seine notwendigen Kosten insgesamt auferlegt. Auch das erscheint bedenklich. Denn nach § 109 Abs. 2 OWiG kann nur „soweit“ von der Auferlegung auf die Staatskasse abgesehen werden, als Auslagen entstanden sind, „die er (der Betroffene) durch ein rechtzeitiges Vorbringen entlastender Umstände hätte vermeiden können“. Es kann also auch nur teilweise davon abgesehen werden, der Staatskasse notwendige Auslagen aufzulegen. Das bedeutet, dass man unterscheiden muss, welche notwendigen Auslagen bereits entstanden waren, als gegenüber dem Bruder des Betroffenen Verjährung eingetreten ist. Denn bis dahin musste der Betroffene auch nach der Ansicht des AG seinen Bruder nicht als Fahrer benennen. D.h., dass ggf. die Gebühren aus dem Vorverfahren, also Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG und die Verfahrensgebühr für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde (Nrn. 5101 ff. VV RVG) der Staatskasse aufzulegen gewesen wären, je nachdem wie sich das Verfahren gestaltet hat. Dazu schweigt das AG, wenn es diesen Umstand überhaupt gesehen hat, aber leider.

Immer wieder: Auslagenerstattung nach Einstellung, oder: Einstellung wegen Verjährung

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Immer wieder müssen sich die Gerichte mit der Frage der Auslagenerstattung nach Einstellung des Verfahrens befassen. So jetzt auch noch einmal das LG Lüneburg, im LG Lüneburg, Beschl. v. 22.07.2024 – 111 Qs 46/24, in dem das LG eine Ergänzung in der amtsgerichtlichen Entscheidung vorgenommen hat.

Folgender Sachverhalt: Gegen die Beschuldigte war als Gesellschafterin einer GbR nach einer Steuerprüfung vom 12.03.2019 wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung für die Jahre 2015 – 2017 ein Strafverfahren durch das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen eingeleitet und am 13.03.2019 die Bekanntgabe hierüber angeordnet worden. Die Beschuldigte wurde mit Schreiben vom 21.02.2020, ihr zugestellt am 26.02.2020 über die Einleitung des Strafverfahrens unterrichtet. Am 13.04.2023 wurde sie wegen einer Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a StPO angeschrieben.

Daraufhin meldete sich Rechtsanwalt R 1 unter dem 24.04.2023 als Verteidiger und beantragte in der Folgezeit mit mehreren Schreiben Fristverlängerung zur Stellungnahme, die ihm antragsgemäß bis zum 30.06.2023 gewährt wurde. Eine Stellungnahme ging nicht ein. Mit Schreiben vom 5.02.2024 wurde die Beschuldigte erneut wegen einer Zustimmung zu einer Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a StPO angeschrieben, was einen weiteren Fristverlängerungsantrag zur Stellungnahme bis zum 11.03.2024 zur Folge hatte, der nicht gewährt wurde. Mit Abschlussvermerk vom 28.02.2024 hat das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen das Verfahren an die Staatsanwaltschaft zwecks Antrag auf Erlass eines Strafbefehls unter Hinweis auf die am 14.3.2024 eintretende Verjährung abgegeben. Die Staatsanwaltschaft leitete die Akten erst am 13.03.2024 an das AG weiter. Trotz des Vermerks EILT SEHR! SOFORT! auf der Übersendungsverfügung lagen die Akten erst am 15.03.2024 der zuständigen Richterin vor, die den Strafbefehl antragsgemäß erließ. Hiergegen wendete sich die Beschuldigte fristgerecht mit ihrem Einspruch vom 6.04.2024 durch den nunmehr mandatierten Rechtsanwalt R 2, der beantragte, das Verfahren wegen Verjährung einzustellen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass Anordnung und Bekanntgabe betreffend die Einleitung des Strafverfahrens eine Einheit bilden, weshalb die Verjährung letztmalig am 12.03.2019 unterbrochen wurde und am 12.03.2024 endete.

Das Verfahren wurde mit Beschluss des AG vom 040.7.2024 wegen des Verfahrenshindernisses der Verjährung gemäß § 206a StPO „auf Kosten der Staatskasse“ eingestellt. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschuldigte mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 07.07.2024 und legt sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung ein, weil der Beschluss sich nicht zu den notwendigen Auslagen der Beschuldigten verhält. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen, weil ein hinreichender oder erheblicher Tatverdacht gegen die Beschuldigte fortbestehe, weshalb das Gericht gemäß § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO davon absehen könne, die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Der Ergänzungsantrag hatte Erfolg:

„Zwar kann das Gericht gemäß § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn der Beschuldigte wegen einer Straftat nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Bei der Ausübung des dadurch eröffneten Ermessens über eine Kosten- und Auslagenentscheidung zum Nachteil des Angeklagten ist aber dem Ausnahmecharakter von § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO grundsätzlich Rechnung zu tragen. War das Verfahrenshindernis bei Klageerhebung (der ein Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gleichsteht) bereits eingetreten, soll es deshalb bei der regelmäßigen Kostenfolge nach § 467 Abs. 1 StPO bleiben, es sei denn, eine solche Lösung erscheine grob unbillig, etwa weil der Eintritt des Verfahrenshindernisses auf ein vorwerfbares Verhalten des Angeklagten zurückzuführen ist. Tritt das Verfahrenshindernis erst im Laufe des Verfahrens ein, werden die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse seit der Entstehung des Hindernisses aufgebürdet. Im Rahmen der Ermessenentscheidung kann darüber hinaus Berücksichtigung finden, ob das Verfahrenshindernis von vornherein erkennbar war, oder ob es als Ergebnis einer langwierigen Aufklärung des Sachverhaltes erst später zutage trat. Zu beachten ist dabei stets, dass nach der Intention des Gesetzgebers die Möglichkeit der vom Regelfall abweichenden Kostenentscheidung nur für seltene Ausnahmefälle eröffnet sein sollte (OLG Celle, StraFo 2013, 5667, vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 67. Aufl., StPO Rn. 18 zu § 467 StPO).

Nach diesen Grundsätzen hat die Landeskasse die notwendigen Auslagen der Beschuldigten zu tragen. Die zeitliche Verzögerung, die im Wesentlichen zur Verjährung beigetragen hat, beruhte darauf, dass das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen das Verfahren nach Ablauf der zuletzt gewährten Stellungnahmefrist für den Verteidiger am 30.06.2023 bis zum 05.02.2024 nicht weiter gefördert hat, obwohl es zu dem Zeitpunkt keine Veranlassung mehr für weitere Ermittlungen sah. Das Verfahrenshindernis war bereits zu diesem Zeitpunkt erkennbar und seit dem 28.02.2024 auch aktenkundig gemacht. Dass die Strafverfolgungsbehörden die Verjährung aufgrund der internen Abläufe nicht mehr rechtzeitig unterbrechen konnten, kann der Beschuldigten nicht angelastet werden.“

Eine zutreffende Entscheidung, die ohne viele Worte noch einmal den Grundsatz der Auslagenerstattung nach Einstellung des Verfahrens betont, nämlich: In der Regel sind die dem Beschuldigten entstandenen Auslagen nach § 467 Abs. 1 StPO zu erstatten, es sei denn eine Ausnahme – hier wäre es ggf. § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO gewesen – greift.

Auslagenerstattung II: Einstellung des OWi-Verfahrens, oder: Begründungsmangel und Ermessen

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Und dann der LG Bückeburg, Beschl. v. 07.06.2024 – 4 Qs 46/24. In dem Beschluss geht es um die Auslagenerstattung nach Einstellung wegen Verjährung. Alles wie gehabt – Dauerbrenner eben 🙂 :

„Der angefochtene Beschluss weist zunächst einen formalen Mangel auf. Die zur Begründung der Auslagenentscheidung angeführte Bezugnahme auf die Gesetzesbestimmung des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO genügt nicht dem Begründungserfordernis des § 34 StPO.

Gemäß § 34 StPO sind die durch ein Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen mit Gründen zu versehen. Dieser Begründungszwang dient dem Zweck, den Anfechtungsberechtigten in die Lage zu versetzen, eine sachgemäße Entscheidung über die Einlegung des Rechtsmittels zu treffen, d. h. festzustellen, welche Gründe bzw. zu seinem Nachteil angenommene Tatsachen das erkennende Gericht verwendet hat und welcher Vortrag in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in der Rechtsmittelinstanz noch angebracht werden kann. Ferner dient die Begründung dem Rechtsmittelgericht als Grundlage für seine Entscheidung (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 60 m.w. N.). Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Beschluss, der sich zu den Gründen der streitgegenständlichen Auslagenentscheidung in der bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlautes erschöpft, nicht.

Der aufgezeigte Begründungsmangel könnte es grundsätzlich rechtfertigen, die Sache nach Aufhebung des Beschlusses an das Amtsgericht zurückzuverweisen (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Saarbrücken BeckRS 2015, 12793). Allerdings kann die Kammer vorliegend, da die Sache einfach liegt und sich die maßgeblichen Tatsachen aus dem Akteninhalt zweifelsfrei ergeben, selbst entscheiden.

II.

Der Landeskasse sind gemäß § 46 Abs. 1 OWG i.V.m. § 467 Abs. 1 Var. 3 StPO nicht nur die Kosten des Verfahrens, sondern auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen aufzuerlegen. Soweit das Amtsgericht demgegenüber seine abweichende Auslagenentscheidung auf die Ausnahmeregelung des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO gestützt hat, vermag die Kammer diesen Erwägungen nicht zu folgen.

Gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO kann bei Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses davon abgesehen werden, die notwendigen Auslagen eines Betroffenen der Landeskasse aufzuerlegen, wenn er nur wegen des Verfahrenshindernisses nicht verurteilt wird. Dies erfordert eine zweistufige Prüfung. Zunächst ist ein Verdachtsgrad zu erörtern, bei welchem davon ausgegangen werden kann, dass eine Verurteilung nur aufgrund des Verfahrenshindernisses nicht erfolgt ist. In einem zweiten Schritt hat das Tatgericht sein Ermessen dahingehend auszuüben, ob eine Kosten- und Auslagenentscheidung zum Nachteil des Angeklagten ergehen kann (vgl. OLG Celle NStZ-RR 2015, 30).

1. Zwar geht die Kammer wie auch das Amtsgericht, welches hierzu gleichwohl keinerlei begründenden Ausführungen getätigt hat, davon aus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO gegeben sind.

Nach dem Gesetzeswortlaut muss das Verfahrenshindernis die alleinige Ursache der Einstellung gewesen sein. Erst dadurch wird das Ermessen des Gerichts im Rahmen der Auslagenentscheidung eröffnet (vgl. OLG Celle a.a.O.). Nach überwiegender Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, kommt eine Versagung der Auslagenerstattung schon dann in Betracht, wenn zur Zeit der Feststellung des Verfahrenshindernisses ein zumindest hinreichender Tatverdacht besteht und keine Umstände vorliegen, die bei Fortgang des Verfahrens eine Konkretisierung des Tatverdachts bis zur Feststellung der Schuld in Frage stellen (vgl. OLG Celle a.a.O.).

Der Sachverhalt erfüllt die an eine solche Verdachtslage zu stellenden Anforderungen.

Der Beschwerdeführer hat den Verkehrsverstoß im Anhörungsbogen eingeräumt (BI. 12 d. A.). Unerheblich ist, dass nach Aktenlage — der verfahrensgegenständliche Unfall hat sich auf einem Tankstellengelände ereignet — nicht von einem Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO, sondern nur von einem solchen gegen die sich aus § 1 Abs. 2 StVO ergebende allgemeine Rücksichtnahmepflicht auszugehen sein dürfte (vgl. OLG Dresden NZV 2007, 152), da auch dieser Verstoß bußgeldbewehrt ist.

2. Im Rahmen der sodann auf Rechtsfolgenseite zu treffenden Ermessensentscheidung kommt jedoch ein anderes Ergebnis als die Überbürdung auch der Auslagen des Betroffenen auf die Landeskasse nicht in Betracht.

Bei der Ausübung des Ermessens ist dem Ausnahmecharakter von § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO Rechnung zu tragen, der es mit sich bringt, dass besondere Umstände vorliegen müssen, die die Belastung der Landeskasse mit den Auslagen des Betroffenen als unbillig erscheinen lassen (vgl. BVerfG NJW 2017, 2459; BGH NStZ-RR 2018, 294; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 467 Rn. 18 m.w.N.). Die voraussichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers kommt hierbei, da sie als tatbestandliche Voraussetzung die Ermessensentscheidung erst eröffnet, ebenso wenig als maßgeblicher Gesichtspunkt in Betracht wie die dem Verfahren zugrundeliegende Tat (vgl. BGH a.a.O.; OLG Celle a.a.O.). Gegen eine Auslagenerstattung durch die Landeskasse kann insbesondere sprechen, dass das Verfahrenshindernis durch den Betroffenen herbeigeführt worden ist oder sonst auf einem vorwerfbaren prozessualen Fehlverhalten beruht (vgl. BGH a.a.O.; KK-StPO/Grieg, 9. Aufl. 2023, § 467 Rn. 10b; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 467 Rn. 18).

Daran gemessen sind besondere Gründe für ein Absehen von der Auslagenüberbürdung auf die Landeskasse nicht auszumachen, wobei insbesondere der Eintritt der Verfolgungsverjährung in keiner Weise aus der Sphäre des sich ordnungsgemäß und sachlich verteidigenden Betroffenen herrührt, sondern — worauf die Staatsanwaltschaft zu Recht hingewiesen hat — ausschließlich auf den Umstand zurückzuführen ist, dass die Akte (ohne aktenkundig gemachte Gründe) vom 5. Oktober 2023 bis zum 11. April 2024 und damit mehr als sechs Monate unbearbeitet beim Amtsgericht vorgelegen hat (vgl. zu ähnlichen Fallgestaltungen: LG Neuruppin BeckRS 2020, 49267; LG Krefeld BeckRS 2018, 15871).“