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Pflichti XII: Aus dem Verfahren – Beschwer, Rechtliches Gehör und Anrechnung beim Teilfreispruch

Machen wir heute einen „Pflichtverteidigertag“. Nach dem Hinweis auf vier Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen (vgl. hier das Posting zur Munition im Beiordnungskampf) folgen daher nun einige Entscheidungen zu verfahrensrechtlichen Fragen in Zusammenhang mit der Pflichtverteidigerbestellung, die sich in der letzten Zeit bei mir angesammelt haben. Das sind:

  • noch einmal der KG, Beschl. v. 31.03.2014 – 4 Ws 27/14 – zur fortdauernden Beschwer durch Ablehnung einer Pflichtverteidigerbestellung auch bei (nicht rechtskräftigem) Abschluss des Berufungsverfahrens mit dem Leitsatz: „Der (nicht rechtskräftige) Abschluss des Verfahrens in der Berufungsinstanz steht der Zulässigkeit der Beschwerde gegen eine im Berufungsverfahren erfolgte Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht entgegen.“, durch den sich das KG von früherer (eigener) Rechtsprechung abgrenzt,
  • der OLG Braunschweig, Beschl. v. 26.05.2014 und 1 Ws 144/14, 1 Ws 146/14, zum Umfang der Anrechnung der Pflichtverteidigergebühr auf den Kostenerstattungsanspruch nach Teilfreispruch mit dem Leitsatz: „Der Anspruch eines teilweise Freigesprochenen auf Ersatz seiner notwendigen Auslagen (Wahlverteidigergebühren) ist trotz des Teilfreispruchs um die gesamte, von der Staatskasse ausgezahlte Pflichtverteidigergebühr zu kürzen.“, der der inzwischen h.M. in dieser Frage folgt.

Schön ist es in Spanien – aber eben nicht überall

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Schön ist es in Spanien, aber eben nicht an allen Stellen (wie in anderen Ländern auch). An manchen Stellen ist/war es in Spanien aber so „unschön“, dass ein dort verbrachter Tag wie zwei „Lebenstage“ zählt. Mit dem Maßstab wird dort erlittene Auslieferungshaft dann auf Freiheitsstrafe angerechnet. Es geht dabei um die Haftanstalt Carabanchel in Madrid. Dort waren die hygienischen Umstände sowie die Umstände der Ernährung und der Unterbringung jedenfalls in den 1980-er Jahre so, dass dort vollzogene Auslieferungshaft zwei Tagen Freiheitsstrafe entspricht. Den Anrechnungsmaßstab wendet auch der OLG Hamm, Beschl. v. 27. 1. 2014 – 1 Ws 600/13 – an.

Übrigens eines ganz interessante Fallgestaltung. Es geht nämlich nicht um die Anrechnung in einem Urteil, sondern um die Anrechnung im Verfahren zur Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und der Mindestverbüßungsdauer. Das LG sagt dazu: Hat der Tatrichter die gebotene höhere Anrechnung vom im Ausland anlässlich des Verfahrens erlittener Haft unterlassen, so kann diese Anrechnung im Verfahren zur Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und der Mindestverbüßungsdauer in Altfällen von der Strafvollstreckungskammer nachgeholt werden.

Keine Regel ohne Ausnahme: Nicht immer Anrechnung von Zahlungen

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Jedem Verteidiger ist 56f Abs. 3 Satzu 2 StGB bekannt. Bei der Vorschrift handelt es sich um die Vorschrift, die die Anrechnung von Zahlungen bei Bewährungswiderruf regelt. Und: In der Praxis geht man auch von einem Automatismus aus: Nämlich, dass Zahlungen die während der Bewährungszeit erbracht worden sind, dann auf die ggf. nach einem Widerruf zu vollstreckende Strafe angerechnet werden. Nur – wie immer: Keine Regel ohne Ausnahme. Denn nach allgemeiner Meinung in der Rechtsprechung entspricht die Anrechnung erbrachter Leistungen nach § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB regelmäßig der Billigkeit, es gilt aber eine Ausnahme bei besonderen Umständen, wie z.B. einem besonders krassen bewährungswidrigen Verhalten. Damit hat sich vor kurzem der KG, Beschl. v. 26.06.2013 – 2 Ws 303/13 – befasst.

Der Verurteilte war 2009 u.a. wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Hehlerei zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung auf drei Jahre verurteilt worden. Ihm war aufgegeben worden ab Rechtskraft des Urteils einen Betrag von 1.000 € Euro in monatlichen Raten zu je 100 € zu zahlen. Diese Auflage erfüllte der Verurteilte vollständig.

In der Folgezeit ist er insgesamt noch zwei Mal erneut straffällig geworden. Zahlungsauflagen aus den Verurteilungen hat er erfüllt. Im Januar 2013 hat ihn dann das LG Neuruppin  wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Wegen dieser Verurteilung wird widerrufen, und zwar ohne eine Anrechnungsentscheidung nach § 56f Abs. 3 StGB. Dagegen das zugunsten (!!!) eingelegte Rechtsmittel der StA. Das KG gibt aber der StVK Recht:

Die Entscheidung über die Anrechnung steht – sowohl hinsichtlich des Ob als auch hinsichtlich des Maßstabes (vgl. Hubrach a.a.O., § 56f StGB Rdn. 54; Lackner/Kühl, StGB 27. Aufl., § 56f Rdn. 14) – im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (§ 56f Abs. 3 Satz 2 StGB). Jedoch entspricht die Anrechnung im Falle des Widerrufs (erst recht in den Fällen des § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB; vgl. BGHSt 36, 378; 33, 326; BayObLG JR 1981, 514 mit Anm. Bloy; OLG Karlsruhe Justiz 1988, 74) regelmäßig der Billigkeit; denn der Genugtuungszweck der Auflagenerfüllung wird bei einem späteren Widerruf der Strafaussetzung bereits durch die Strafvollstreckung erfüllt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 17. Januar 2002 – 5 Ws 795/01 – juris und vom 30. Mai 2000 – 5 Ws 394/00 – juris; Hubrach a.a.O., § 56f StGB Rdn. 55; Schall in SK-StGB, § 56f Rdn. 48; Stree/Kinzig a.a.O., § 56f StGB Rdn. 19). Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn besondere Umstände entgegenstehen, namentlich die Erfüllung der Bewährungsauflage mit Geldern aus neuen Straftaten (vgl. Lackner/Kühl a.a.O.; Schall a.a.O.; Fischer, § 56f StGB Rdn. 18; Stree/Kinzig a.a.O.; Hubrach a.a.O.), der – auch relativ – geringe Umfang der Bewährungsleistungen (vgl. OLG Bamberg MDR 1973, 154; Stree/Kinzig a.a.O.; Hubrach a.a.O.) oder ein besonders krasses bewährungswidriges Verhalten (vgl. – auch zu den anderen genannten Ausnahmefällen – Senat, Beschlüsse vom 29. Juni 2000 – 5 Ws 465/00 – und 22. Juli 1992 – 5 Ws 228/92 –).

Ein derartiger Ausnahmefall ist hier nach den Gesamtumständen gegeben. Der Verurteilte hat zwar die beiden ihm erteilten Geldauflagen jeweils fristgerecht erfüllt und sich insoweit bewährungskonform verhalten. Konkrete Hinweise auf eine deliktische Herkunft des gezahlten Geldes sind nicht gegeben, mag diese auch hinsichtlich der zur Erfüllung der zweiten Auflage geleisteten Zahlungen, die im Tatzeitraum des Betäubungsmittelhandels aufgenommen wurden, nahe liegen. Die Anrechnung entspricht jedoch deshalb nicht der Billigkeit, weil die Anlasstat ein besonders krasses bewährungswidriges Verhalten des Verurteilten darstellt. Bei dem bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge handelt es sich um ein Verbrechen, das im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht ist und im konkreten Fall mit einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten geahndet wurde. Der bereits zweimal einschlägig vorbestrafte Beschwerdegegner betrieb den verfahrensgegenständlichen Drogentransport zur Gewinnerzielung, ohne selbst drogenabhängig zu sein, und hatte eine zentrale Rolle in der Organisationsstruktur der Bande inne. Hinzu kommt, dass der Beschwerdegegner während der laufenden Bewährung bereits zuvor zwei – wenn auch für sich genommen nicht schwerwiegende – Straftaten begangen hatte, aufgrund deren die Bewährungszeit verlängert worden war. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass die geleisteten Zahlungen, die lediglich eine Anrechnung im Umfang von etwa 30 Tagen rechtfertigen würden, im Verhältnis zu der zu verbüßenden Freiheitsstrafe gering sind.“

Und damit sind die Zahlungen endgültig weg.

 

„Wie gewonnen, so zerronnen?“ – die Anrechnung der Pflichtverteidigergebühren nach Freispruch

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Und dann schieben wir gleich noch eine weitere gebührenrechtliche Entscheidung hinterher, nämlich den OLG Köln, Beschl. v. 04.02.2012 – 2 Ws 837/12. Der setzt sich mit der Frage des Umfangs der Anrechnung der Pflichtverteidigergebühren auf die Wahlanwaltsvergütung nach teilweisem Freispruch auseinander. Das OLG Köln ist der Auffassung, dass der Anspruch des gerichtlich bestellten Verteidigers gegen den Beschuldigten auf Zahlung der Wahlverteidigergebühren nach teilweisem Freispruch oder sonstigem teilweisen Obsiegens des Beschuldigten nicht nur in Höhe des darauf entfallenden Anteils entfällt, sondern in Höhe der gesamten gezahlten Pflichtverteidigergebühren. Die Frage ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Das OLG hat sich der wohl h.M. angeschlossen, die übrigens auch von Volpert in Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl. 2012, vertreten wird, und hat damit seine frühere Rechtsprechung aufgegeben:

„Zur Frage des Umfangs der Anrechnung der Pflichtverteidigergebühren werden zwei unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Die eine Auffassung hält die vollständige Anrechnung für geboten und begründet dies mit dem Wortlaut des § 52 Abs. 1 S.2 RVG, der – ebenso wenig wie die Vorgängerregelung in § 100 BRAGO – nicht danach unterscheidet, ob die Landeskasse Pflichtverteidigergebühren gezahlt hat, die auf den Verfahrensteil entfallen, für den dem Beschuldigten ein Erstattungsanspruch zusteht. Auch sonst knüpften die Gebührentatbestände an das Verfahren im jeweiligen Rechtszug insgesamt an und nicht an einzelne Tatvorwürfe oder an abstrakte Kostenquoten.

Es werde lediglich das ansonsten durch Aufrechnung der Staatskasse mit Verfahrenskosten erzielbare Ergebnis vorweggenommen. (so : OLGe Düsseldorf, Beschluss vom 24.02.2010 – III-1 Ws 700/09-; Hamburg, Beschluss vom 03.09.2007 – 2 Ws 194/07 -, zitiert bei juris; Frankfurt in NStZ-RR 2008,264; zum Recht der BRAGO: OLGe Hamburg, Rpfleger 1999,413; Saarbrücken Rpfleger 2000, 564; weitere Nachweise bei Burhoff-Volpert, Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., § 52 RVG Randn. 58).

Die gegenteilige Auffassung hält die vollständige Anrechnung der Pflichtverteidigergebühren für ungerechtfertigt, weil so der Erstattungsanspruch eines teilweise freigesprochenen Angeklagten häufig ins Leere gehe, was mit dem sich aus § 465 Abs. 2 StPO ergebenden Grundgedanken unvereinbar sei, dass der Angeklagte kostenmäßig so zu stellen sei, wie er gestanden hätte, wenn allein die zur Verurteilung führende Tat Gegenstand des Verfahrens gewesen wäre ( vgl. OLGe Celle NJW 2004,2396; Oldenburg StraFo 2007,127; Düsseldorf – 3. Strafsenat – NStZ-RR 1999,64 ).

Der Senat, der die Streitfrage bisher nicht zu entscheiden hatte, schließt sich der zuerst genannten Auffassung an. Soweit er in einer älteren Entscheidung zum Recht der BRAGO eine andere Ansicht vertreten hat (SenE vom 10.05.1994 – 2 Ws 84/94 ), hält er hieran nicht fest. Dem Einwand der Gegenmeinung, die volle Anrechnung der Pflichtverteidigergebühren würde in Teilfreispruchfällen den Erstattungsanspruch des Angeklagten gegen die Staatskasse unterlaufen, ist zum einen entgegenzuhalten, dass die gesetzliche Verrechnungsbestimmung des § 52 Abs. 1 S.2 RVG lediglich ein Ergebnis vorwegnimmt, das andernfalls durch Aufrechnung eintreten würde. Das Argument, der Erstattungsanspruch laufe bei voller Anrechnung der Pflichtverteidigergebühren ins Leere, greift zu kurz, da der Verurteilte infolge der Anrechnung von den Pflichtverteidigergebühren entlastet wird, die er der Staatskasse gem. Nr. 9007 KV – Anl. 1 zu § 3 Abs. 2 zum GKG – als Kosten des für das Verfahren gerichtlich bestellten Verteidigers schuldet. Dass der rechtsunkundige Laie die Rechtslage nicht nachvollziehen kann (so OLG Oldenburg StraFo 2007,127), ist kein tragfähiges Gegenargument.

Zum anderen kann die Anwendung der Differenztheorie bei Teilfreisprüchen auch in anderen Fällen zum vollständigen Entfallen des Kostenerstattungsanspruchs führen, so etwa wenn ausscheidbare Mehrkosten für den Freispruchfall nicht feststellbar sind (zu einem solchen Fall s. Senat, Beschluss vom 04.01.2013 – 2 Ws 859/12).“

Deutschland : Schweden – 1 : 1 ?.

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Bei der Überschrift handelt es sich nicht um die Vorhersage des Ergebnisses des WM-Qualifikationsspiels im Fußball vom 16.10.2012 in Berlin – wir wollen ja nicht unken :-).

Bei der Überschrift handelt es sich vielmehr um den Anrechnungsmaßstab von in Schweden erlittener Auslieferungshaft auf eine dann später in Deutschland verhängte Freiheitsstrafe. Die rechnet der BGH mit 1 : 1 an. So gefunden im BGH, Beschl. v. 14.08.2012 – 3 StR 242/12. Für einen anderen Maßstab bestehen – so der BGH – weder Anhaltspunkte noch hatte der Angeklagte dazu etwas vorgetragen.