Schlagwort-Archive: Anordnungsvoraussetzungen

Durchsuchung I: Das verfassungsrechtliche 1 x 1, oder: So bekämpft man „Clankriminalität“ nicht

Bild von Kate Stejskal auf Pixabay

Den Monat Mai beschließe ich dann mit einem EV-Tag, also mit Entscheidungen aus dem Ermittlungsverfahren, und zwar zur Durchsuchung.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 19.04.2023 – 2 BvR 2180/20. In ihm hat das BVerfG noch einmal/schon wieder zu den Voraussetzungen für die Anorndung einer Durchsuchungsmaßnahme Stellung genommen/nehmen müssen. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten (Alias-Name: M)  wegen des Verdachts der Geldwäsche und weiterer Delikte. Dieses Ermittlungsverfahren stand im Zusammenhang mit einem weiteren Ermittlungsverfahren gegen einen Beschuldigten K. wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs. K. soll im Rahmen seiner Tätigkeit als Pkw-Händler in zahlreichen Fällen dabei mitgewirkt haben, dass unter anderem gegenüber Versicherungen und Banken falsche Angaben für die Finanzierung hochpreisiger Fahrzeuge gemacht wurden, sodass er sich infolgedessen an den ausgezahlten Summen zu Unrecht bereichert haben soll. Aus den Ermittlungen ging hervor, dass K. und die genutzten Fahrzeuge Verbindungen ins kriminelle Milieu pp). aufweisen, darunter auch zum Beschuldigten. Der Beschuldigte soll einem örtlichen M.-Clan angehören und in zahlreiche polizeilich erfasste Vorgänge verwickelt sein, darunter in Ermittlungen wegen Verdachts des Kokainhandels, wegen Delikten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität und wegen Verdachts des Landfriedensbruchs. Soweit es den Beschuldigten angeht, betrifft die ihm angelastete Tatbeteiligung nur einen Teil der gegen K. erhobenen Vorwürfe. Diese stehen in Zusammenhang der Tätigkeit des K. als Geschäftsführer zweier Unternehmen, welche den Betrieb einer Lounge (im Folgenden: A. UG) und eines Handels für Kraftsportartikel (im Folgenden: B. UG) zum Gegenstand hatten.

Mit Beschluss vom 06.08.2020 hat das AG u.a. die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten angeordnet. Die Durchsuchung diente dem Zweck, Hinweise „auf die Nutzung und Beschaffung der Aliaspersonalie N.“, auf „Aufwendungen im Zusammenhang mit der A. UG sowie der B. UG“ sowie die Herkunft dieser Mittel, auf etwaige Absprachen zwischen den Beteiligten, sowie Dokumente, Mobiltelefone, Datenträger, Computer und sonstige Speichermedien aufzufinden. In Bezug auf diese Beweismittel ordnete das Gericht die Beschlagnahme an. Die Durchsuchung wurde am 12.08.2020 vollzogen. Die gegen die Durchsuchungsmaßnahme eingelegte Beschwerde hat das LG als unbegründet verworfen. Die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG als weitgehend begründet angesehen:

„b) Eine Wohnungsdurchsuchung wegen des Verdachts der Geldwäsche setzt nicht nur voraus, dass ein Anfangsverdacht für die Geldwäschehandlung, sondern gemäß der damals geltenden Fassung des Gesetzes auch für das Herrühren des Vermögensgegenstands aus einer bestimmten Katalogtat im Sinne des § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. vorliegt. Dass eine Vortat aus dem Katalog des § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. begangen wurde, war ein wesentliches Merkmal der Strafbarkeit der Geldwäsche (vgl. BVerfGK 8, 349 <353>). Nicht ausreichend für die Annahme eines Anfangsverdachts ist es demnach, wenn keine über bloße Vermutungen hinausgehenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Vortat bestehen. Auch Anhaltspunkte für die Annahme, das betroffene Geld oder der betroffene Vermögensgegenstand rührte aus irgendeiner Straftat her, genügen nicht, um Strafverfolgungsmaßnahmen auszulösen. Insofern ist die mögliche Katalogtat zu konkretisieren, auch wenn nicht erforderlich ist, dass die Geldwäschevortat bereits in ihren Einzelheiten bekannt ist. Das Stadium des Anfangsverdachts zeichnet sich gerade dadurch aus, dass weitere Ermittlungen gegebenenfalls in Form von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen nötig sind, weil die Tat in ihren Einzelheiten noch nicht aufgeklärt ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 31. Januar 2020 – 2 BvR 2992/14 -, Rn. 40 ff.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Mai 2020 – 2 BvQ 26/20 -, Rn. 32; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. März 2021 – 2 BvR 1746/18 -, Rn. 56 ff.).

c) Dem Gewicht des Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entsprechend behält Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vor. Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Maßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220>; 96, 44 <51 f.>; 103, 142 <151>). Dazu muss der Beschluss den Tatvorwurf und die gesuchten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie dies nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Der Betroffene wird auf diese Weise zugleich in den Stand versetzt, die Durchsuchung zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen von vornherein entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220 f.>; 96, 44 <51 f.>; 103, 142 <151 f.>). In dem Beschluss muss zum Ausdruck kommen, dass der Ermittlungsrichter die Eingriffsvoraussetzungen selbstständig und eigenverantwortlich geprüft hat (vgl. BVerfGE 103, 142 <151 f.>). Dazu ist zu verlangen, dass ein dem Beschuldigten angelastetes Verhalten geschildert wird, das den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes, die die Strafbarkeit des zu subsumierenden Verhaltens kennzeichnen, müssen benannt werden (vgl. BVerfGK 8, 349 <353>; 9, 149 <153>; 18, 414 <418>; 19, 148 <153>).

Mängel bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs und der zu suchenden Beweismittel können im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden. Die Funktion des Richtervorbehalts, eine vorbeugende Kontrolle der Durchsuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz zu gewährleisten, würde andernfalls unterlaufen (vgl. BVerfGK 5, 84 <88>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03, 2 BvR 2104/03 -, juris, Rn. 4; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juni 2018 – 2 BvR 1260/16 -, juris, Rn. 29). Defizite in der Begründung des zugrundeliegenden Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme können hingegen im Beschwerdeverfahren nachgebessert werden (vgl. BVerfGE 115, 166 <197>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03, 2 BvR 2104/03 -, juris, Rn. 5).

2. Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen sind mit den aufgeführten verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht vereinbar.

a) Soweit die Fachgerichte den Durchsuchungsbeschluss auf den Tatverdacht einer Geldwäsche gemäß § 261 Abs. 1 StGB a.F. gestützt haben, reichen die zugrundeliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte nicht über vage Anknüpfungen und bloße Vermutungen hinaus.

aa) Der Beschluss des Amtsgerichts enthält kaum aussagekräftige Ausführungen zur Herkunft der verschleierten Vermögenswerte, was auch das Landgericht in der Beschwerdeentscheidung erkannt hat. Der Durchsuchungsbeschluss deutet lediglich an, dass der Verdacht einer Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO bestehen konnte. Nähere Anhaltspunkte zu den betroffenen Steuerarten, dem Veranlagungszeitraum und den pflichtwidrig unterlassenen oder falsch abgegebenen Steuererklärungen oder Voranmeldungen hat das Amtsgericht nicht geschildert. Die Ausführungen des Amtsgerichts waren daher für die Verdachtsannahme einer Steuerhinterziehung als Geldwäschevortat (vgl. § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Buchstabe b StGB a.F.) nicht tragfähig (vgl. BVerfGK 8, 349 <354>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03, 2 BvR 2104/03 -, juris, Rn. 6; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. April 2017 – 2 BvR 2551/12 -, Rn. 22 ff.).

bb) Soweit das Landgericht zum Verdacht einer Geldwäschevortat ergänzend ausgeführt und unter anderem auf „Gewaltkriminalität“ verwiesen hat, handelt es sich dabei ebenfalls um eine nicht hinreichend konkretisierte Verdachtsannahme. Welche vom Katalog des § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. erfassten Straftatbestände mit diesem Begriff gemeint sein sollen, bleibt völlig offen.

cc) Zureichende Anhaltspunkte für die Verdachtsannahme eines Handeltreibens mit Betäubungsmitteln als Geldwäschevortat gemäß § 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB a.F. in Verbindung mit § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG sind nicht ersichtlich. Den polizeilichen Ermittlungen zum Hintergrund des Beschwerdeführers ist lediglich zu entnehmen, dass gegen diesen zahlreiche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln geführt wurden. Die Ermittlungsakte teilt jedoch nicht mit, welche Anhaltspunkte dafür ausschlaggebend waren, dass die Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Den pauschalen Angaben kann nicht entnommen werden, ob die vermuteten Betäubungsmitteldelikte überhaupt im Zusammenhang mit den hier interessierenden, nicht nachvollziehbaren Transaktionen um die A. UG und die B. UG standen. Ob die erwähnten Ermittlungsverfahren bereits abgeschlossen oder zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung des Durchsuchungsbeschlusses noch angedauert haben, bleibt ebenfalls im Dunkeln. Die Annahme, dass der Beschwerdeführer sich an etwaigen Betäubungsmitteldelikten beteiligt und die Erlöse aus diesen Taten dem Vermögen der A. UG und der B. UG zugeführt haben soll, erschöpft sich insofern in einer nicht näher begründeten Vermutung. Ob die Fachgerichte – etwa durch entsprechende Nachfrage bei den Ermittlungsbehörden – konkretere Erkenntnisse hätten erlangen können, spielt dabei keine Rolle. Denn maßgeblich für die verfassungsgerichtliche Prüfung sind allein die objektiv dokumentierten Erkenntnisse in der Ermittlungsakte. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer öffentlich als führendes Mitglied eines Familienclans auftritt – nicht zuletzt ersichtlich an der Nutzung eines Aliasnamens, der die Familienzugehörigkeit eindeutig klarstellen soll – und sich offenbar mit den kriminellen Tätigkeiten des Clans identifiziert, kann für sich genommen eine Verdachtsannahme nicht tragfähig begründen.

b) Die Durchsuchungsanordnung wird auch den Anforderungen an die Begrenzungsfunktion nicht gerecht.

aa) Im Hinblick auf den Tatvorwurf der Geldwäsche beschreibt der Beschluss im Kern den Vorwurf, dass der Beschwerdeführer Vermögenswerte in die bezeichneten Unternehmen eingebracht und verschleiert haben soll, die ihrerseits aus mutmaßlich kriminellen Handlungen herrühren. Als Vortat wird lediglich eine etwaige Steuerhinterziehung angedeutet. Die vom Landgericht erwähnte „Gewaltkriminalität“ und das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln findet in dem amtsgerichtlichen Beschluss keine Erwähnung. Für die Mess- und Kontrollierbarkeit der Vollziehung der Durchsuchung macht es dabei einen entscheidenden Unterschied, worauf sich der Verdacht des Herrührens der verschleierten Vermögenswerte konkret bezieht. Die Angabe der Geldwäschevortat wäre insofern für die mit dem Vollzug der Durchsuchungsanordnung betrauten Beamten ein wesentlicher Anhaltspunkt gewesen, nach welchen konkreten Beweismitteln zu suchen ist. Ohne eine nähere Angabe und Eingrenzung der in Betracht kommenden Geldwäschevortaten bestand die Gefahr einer uferlosen Ausforschung des Beschwerdeführers.

bb) Im Hinblick auf den Tatverdacht einer mittelbaren Falschbeurkundung und einer Urkundenfälschung hat das Amtsgericht zwar ein Verhalten erwähnt, welches die Verwirklichung der benannten Straftatbestände andeutet. Eine solch pauschale und vage Darstellung des Tatvorwurfs genügt den verfassungsrechtlich gebotenen Anforderungen an die Begrenzung einer Durchsuchungsanordnung jedoch nicht. So enthält der Beschluss keine Umschreibung wesentlicher tatbestandlicher Voraussetzungen der erwähnten Straftatbestände. In Bezug auf den Tatverdacht einer Urkundenfälschung fehlt es an einer für den Tatbestand des § 267 Abs. 1 StGB geforderten Schilderung, welches konkrete Dokument im vorliegenden Fall unecht oder verfälscht gewesen und worin die konkrete Tathandlung des Beschwerdeführers zu sehen sein soll. Der im Raum stehende Verdacht, dass falsche Ausweisdokumente verwendet worden sein sollen, findet im amtsgerichtlichen Beschluss keine Erwähnung. Was den Tatvorwurf einer mittelbaren Falschbeurkundung gemäß § 271 Abs. 1 StGB betrifft, enthält der amtsgerichtliche Beschluss keinerlei Ausführungen dazu, welche Urkunde, welches Buch oder welches Register betroffen gewesen ist und welche konkrete Tathandlung des Beschwerdeführers die falsche Beurkundung bewirkt haben soll. Die aufgeführten Mängel führen dazu, dass die Durchsuchungsanordnung insoweit nicht mehr mess- und kontrollierbar ist.“

Der Beschluss enthält keine neuen Aussagen des BVerfG zu den Voraussetzungen für die Anordnung einer Durchsuchung. Das hat man alles schon einmal/mehrmals gelesen.Das ist das 1 x 1 der Durchsuchung.

Man fragt sich allerdings, warum hier das AG und auch das LG diese Vorgaben des BVerfG nicht umgesetzt und bei Erlass der Durchsuchungsmaßnahme beachtet haben, mal wieder. Hier hat man den Eindruck, dass offenbar die (vermutete) Zugehörigkeit des Beschuldigten zu einem Clan der (wahre) Grund für die Durchsuchungsmaßnahme gewesen ist. Das reicht aber nun mal nicht aus. Das BVerfG will mehr als nur vage Vermutungen lesen, nämlich konkrete Anhaltspunkte. Die Mühe, diese zu finden und aufzulisten, müssen sich die Ermittlungsbehörden schon machen, wenn man die „Clankriminalität“ – was man sich ja auf die Fahnen geschrieben hat – erfolgreich bekämpfen will. Wenn man es nicht beachtet, erhält man eben eine verfassungsgerichtliche Klatsche und landet dann – so wie hier – in der Presse (vgl. z.B. hier  der Beitrag aus dem Focus). Kein Ruhmesblatt.

Durchsuchung I: Anforderungen an Durchsuchungsanordnung, oder: Konkreter Verdacht reicht

© dedMazay – Fotolia.com

In die 36. KW. starte ich mit zwei Entscheidungen zur Durchsuchung.

Die erste kommt von „ganz oben“, nämlich vom BGH. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. . 26.06.2019 – StB 10/19. Ergangen ist er in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Gründung einer und der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung. Der BGH hat die vom Ermittlungsrichter des BGH angeordnete Durchsuchung als rechtmäßig angesehen:

„1. Die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung (§§ 102, 105 StPO) waren im Zeitpunkt, in dem der Beschluss erlassen wurde, gegeben. Hierzu gilt:

a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05, NJW 2007, 1443; BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08, NStZ-RR 2009, 142, 143; vom 12. August 2015 – StB 8/15, NStZ 2016, 370 f.). Ein solcher ausreichend konkreter Verdacht kann auch dann allein durch die Angaben eines Zeugen begründet werden, wenn weitere Ermittlungen den Tatverdacht weder erhärten noch entkräften konnten, zumal die Durchsuchung in einem frühen Stadium eines Ermittlungsverfahrens gerade auch dazu dienen kann, die Qualität der Angaben eines Zeugen zu überprüfen und neben der Belastung auch zur Entlastung des Beschuldigten beitragen kann.

b) Gemessen an diesen Maßstäben lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses sachlich zureichende Gründe für die Anordnung der Durchsuchung vor. Insbesondere konnte der Tatverdacht auf die Angaben des Anzeigeerstatters gestützt werden. Im Einzelnen:

aa) Der Zeuge F. hat sich eigeninitiativ am 21. November 2017 an die Verfassungsschutzbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen gewandt und mitgeteilt, im Laufe des Oktober 2017 den Betroffenen zufällig in Fr. auf einem Stadtfest getroffen zu haben, bei dem dieser geäußert habe, er wolle ein Gewehr erwerben, mit dem man auch nachts weit schießen könne, denn er wolle Politiker liquidieren. Insbesondere habe der Betroffene, um ein starkes Zeichen zu setzen, einen Anschlag auf den Bundespräsidenten und dessen Familie ins Auge gefasst. Er habe eine ausländerfeindliche Gesinnung und eine Affinität zum Nationalsozialismus. Der Betroffene wisse, dass der Anzeigeerstatter nebenberuflich als Büchsenmacher tätig und als solcher in der Lage sei, Scharfschützengewehre zu bauen. Auf den Hinweis, die Herstellung der von dem Betroffenen gewünschten Waffe verursache Kosten in Höhe von ca. 25.000 €, habe dieser erwidert, er zähle zu seinem Umfeld Personen, die ein solches „Projekt“ finanziell unterstützen würden, Geld spiele daher keine Rolle. In seinen polizeilichen Vernehmungen vom 22. November 2017 und 1. Dezember 2017 hat der Anzeigeerstatter den Kern seiner Angaben wiederholt und ergänzend ausgeführt, zu dem zufälligen Zusammentreffen mit ihm sei es anlässlich eines Festes, das er zusammen mit seiner Freundin besucht habe, unweit der Wohnung des Betroffenen gekommen. Als „Gegenleistung“ für seine Informationen hat der Zeuge u.a. die Einstellung eines gegen ihn wegen des Verdachts von Verstößen gegen das Waffengesetz geführten Strafverfahrens verlangt.

Nachdem die Lebensgefährtin des Anzeigeerstatters in ihrer Vernehmung vom 11. Dezember 2017 einen gemeinsamen Aufenthalt in Fr. anlässlich eines Volksfestes in Abrede gestellt, aber einen Cafe-Besuch im Oktober 2017 erinnert hatte, hat der Zeuge den Ermittlungsbehörden noch am selben Tag schriftlich sinngemäß mitgeteilt, es sei möglich, dass das Gespräch mit dem Betroffenen bereits am 24. September 2017 stattgefunden habe. An diesem Tag habe er sich mit seiner Freundin in Fr. zum Kaffeetrinken getroffen. Zur Bestätigung hat der Anzeigeerstatter einen Auszug aus der über den Messengerdienst „WhatsApp“ mit seiner Partnerin geführten Kommunikation vom 24. September 2017 vorgelegt.

Die weiteren verdeckt durchgeführten Ermittlungen (Erhebung retrograder Verkehrsdaten nach § 100g StPO, Telefonüberwachungsmaßnahmen, Observationsmaßnahmen) haben keinen Beweis für das durch den Zeugen behauptete Vorhaben des Betroffenen ergeben, dieses jedoch auch nicht widerlegt. Das in der Anzeigeerstattung geschilderte Randgeschehen ist indes zumindest teilweise bestätigt worden. So ergibt sich aus den durch den Zeugen F. übergebenen Protokollen seines Chatverkehrs mit dem Betroffenen, des- sen Profilinformationen bei „WhatsApp“ und nachrichtendienstlichen Erkenntnissen seine ausländerfeindliche Gesinnung. Zudem haben die Ermittlungen des Generalbundesanwalts ergeben, dass der Anzeigeerstatter, der zeitweise als Büchsenmacher tätig war, aufgrund seiner Kenntnisse und Geschäftsbeziehungen in der Lage gewesen wäre, die durch den Betroffenen angefragte Waffe nebst Zubehör zu beschaffen und entsprechend etwaigen Kundenwünschen zu modifizieren.

Bei dieser Beweislage bestand mit Blick auf das zu Tage getretene Eigeninteresse des Zeugen an der Anzeigeerstattung, dessen Aussageverhalten und dem im Kerngeschehen detailarmen Inhalt seiner Angaben zwar Anlass dafür, die Glaubhaftigkeit der Aussage kritisch zu hinterfragen. Indes handelte es sich gerade vor dem Hintergrund, dass zumindest das mitgeteilte Randgeschehen in den weiteren Ermittlungen Bestätigung fand, nicht um eine augenscheinliche Falschbelastung, so dass Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben des Anzeigeerstatters nicht dazu führten, dass ihnen keinerlei Beweiswert mehr zukam. Eine weitergehende individuelle Glaubhaftigkeitsanalyse war in diesem Stadium des Verfahrens zudem weder rechtlich geboten noch tatsächlich möglich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2018 – StB 43-44/18, juris Rn. 33; vom 22. Februar 2018 – StB 29/17, juris Rn. 28). Die angeordnete Durchsuchungsmaßnahme, die gerade auch dazu diente, die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen zu verifizieren, konnte daher auf die Aussage des Anzeigeerstatters gestützt werden.

bb) Unter Zugrundelegung der Angaben des Zeugen F. lagen auch noch zureichende Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Betroffene mit weiteren noch unbekannten Personen zu einer terroristischen Vereinigung im Sinne des § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB zusammenschloss, um Tötungsdelikte zu begehen und sich später an dieser mitgliedschaftlich beteiligte. Angesichts des von dem Anzeigeerstatter bekundeten Unvermögens des Betroffenen, mit der bestellten Waffe selbst umzugehen, und seines Hinweises auf Personen, die den Kauf der Waffe finanzieren würden, lag jedenfalls ein Anfangsverdacht für das Bestehen eines auf Dauer angelegten, organisierten Zusammenschlusses von mehr als zwei Personen vor, der mit der beabsichtigten Ermordung des Bundespräsidenten und gegebenenfalls weiterer Politiker, womit ein politisches Fanal gesetzt werden sollte, ein übergeordnetes Ziel verfolgte und darauf ausgerichtet war, Straftaten im Sinne von § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB zu begehen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die zutreffenden, ausführlichen Erwägungen des angefochtenen Beschlusses vom 13. Dezember 2017 Bezug genommen.

2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit war gewahrt. Die Durchsuchungsanordnung war geeignet, zur Klärung des Tatverdachts beizutragen. Gegenüber der Durchsuchung stand auch kein gleichwirksames milderes Mittel zur Verfügung. Schließlich stand die Anordnung der Durchsuchung in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des bestehenden Tatverdachts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 2014 – 2 BvR 9/10, NJW 2014, 2265 Rn. 17 mwN). Dem Betroffenen lag der Verdacht eines Verbrechens der Gründung und mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) zur Last. Der gegen ihn gerichtete Tatverdacht ergab sich nicht lediglich aus vagen Indizien, sondern der Aussage eines über die strafrechtlichen Konsequenzen einer falschen Verdächtigung belehrten Zeugen. Der Wahrheitsgehalt dieser Zeugenaussage war zum Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Entscheidung durch die weiteren Ermittlungen weder bestätigt noch widerlegt. Auch unter Berücksichtigung des mit der Anordnung der Durchsuchung regelmäßig verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die durch das Grundrecht aus Art. 13 GG geschützte Lebenssphäre des Betroffenen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. November 1981 – 2 BvR 1118/80, BVerfGE 59, 95, 97; vom 13. Mai 2014 – 2 BvR 9/10, NJW 2014, 2265 Rn. 16/17) ist die Verhältnismäßigkeit der Anordnung nicht zweifelhaft.2

Mir geht es ein wenig weit, was der BGH da ausführt. Denn nach der Rechtsprechung des BVerfG darf die Durchsuchung gerade nicht zur Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdacht führen (vgl. die Nachweise bei Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, Rn 1588), sondern sie setzt den Tatverdacht bereits voraus. Das hilft m.E. auch nicht, wenn der BGH ausführt, die Durchsuchung könne gerade auch dazu dienen, die Qualität der Angaben eine Zeugen zu überprüfen und neben der Belastung auch zur Entlastung des Beschuldigten beitragen.

DNA-Feststellung, oder: Zur Negativprognose muss man was schreiben

entnommen open clipart.org

Und als Entscheidung des Tages – als zweites Posting – dann der LG Hannover, Beschl. v. 12.06.2019 – 33 Qs 38/19– zur sog. DNA-Feststellung. Um den bzw. um die Art der Einstellung hatte es in der vergangenen Woche in der FB-Gruppe „Strafverteidiger“ Aufruhr gegeben, weil ein Kollege die Präsentation der Entscheidung durch den Kollegen Nordmann aus Hannover, der den Beschluss eingestellt hatte, nicht „schön“ genug = lesbar fand.

Hier daher dann der Beschluss, den nun hoffentlich alle lesen können 🙂 :

Zum Hintergrund der Entscheidung: Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Beschuldigten sowie einen Mittäter Anklage wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit bewaffnetem Handeltreiben von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vor dem Amtsgericht Hannover — Schöffengericht — erhoben. Da der Beschuldigte der Entnahme einer DNA-Probe nicht zugestimmt hatte, hat die Staatsanwaltschaft beantragt, die Entnahme einer Speichelprobe sowie deren molekular-genetische Untersuchung gemäß §§ 81g, 81a StPO anzuordnen. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das AG Hannover gemäß §§ 81a Abs. 1, Abs. 2, 81g Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4 StPO und § 8 Abs. 6 BKAG angeordnet, dass dem Betroffenen Körperzellen entnommen und zur Feststellung der DNA-Identifizierungsmuster sowie des Geschlechts molekulargenetisch untersucht werden dürfen.

Dagegen hat der Beschuldigte Beschwerde eingelegt, die beim LG Erfolg hatte:

„Der nach § 81g Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 StPO erforderliche Tatverdacht liegt vor. Die An-ordnung einer DNA-Identitätsfeststellung setzt lediglich voraus, dass der Betroffene einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist, wobei es auf den Verdachtsgrad nicht ankommt, so dass auch einfacher Tatverdacht (Anfangsverdacht) ausreicht. Diese Verdachtslage muss zum Zeitpunkt der Anordnung der Entnahme und der Untersuchungsanordnung nach § 81f bestehen (KK-StPO/Hadamitzky, 8. Aufl. 2019, StPO § 81g Rn. 4a, 5).

Es fehlt jedoch an der erforderlichen Negativprognose, wonach wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder auf Grund sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme bestehen muss, dass gegen ihn künftig erneut ein (oder mehrere) Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung, wegen Verbrechen oder Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder wegen mehrerer sonstiger Straftaten im Sinne von Abs. 1 S. 2 zu führen sind. Für die Begründung der für die Anordnung erforderlichen Wiederholungsgefahr reicht es nicht aus, dass der angefochtene Beschluss insoweit allein auf die Schwere der begangenen Straftat verweist, die auf „ein hohes Maß an krimineller Energie“ hindeute. Auf den konkreten Einzelfall bezogene Umstände zu Art und Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Betroffenen oder sonstige Erkenntnisse, die die Annahme der Gefahr von erheblichen Straftaten des Betroffenen in der Zukunft tragen könnten und durch das Gericht festzustellen sind (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 62 Auflage, § 81g Rn. 10a), werden nicht mitgeteilt. Solche sind derzeit auch nicht ersichtlich, insbesondere ist der Beschuldigte nicht vorbestraft. Insofern reicht allein das Vorliegen einer bloß abstrakten Wahrscheinlichkeit eines künftigen Strafverfahrens – insbesondere vor dem Hintergrund, dass durch die Anordnung in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG eingegriffen wird – für die Anordnung einer Maßnahme nach § 81g Abs. 1 StPO nicht aus. Eine andere Entscheidung könnte sich daher erst nach Abschluss des Strafverfahrens ergeben.“

M.E. Munition gegen den Anordnungsautomatismus, der vielfach gegeben ist.

Einziehung III: Arrest in das gesamte Vermögen, oder: Verhältnismäßigkeit

© Alex White – Fotolia.de

Schon etwas länger schlummert in meinem Blogordner der OLG Bamberg, Beschl. v. 19.03.2018 – 1 Ws 111/18, den mir die Kollegin Waterstradt aus Aschaffenburg geschickt hat. Heute passt die Entscheidung ganz gut. Es geht zwar zunächst noch nicht um Einziehung, aber um die Verhältnismäßigkeit eines Arrestes in das gesamte Vermögen eines Beschuldigten. Dazu das OLG:

„Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NStZ 2006, 639, beck-online; noch auf der Grundlage des früheren Rechtszustands, aber wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung für das unverändert gebliebene grundrechtliche Spannungsverhältnis zwischen staatlichem Eingriff und bürgerlichen Grundrechten weiterhin zutreffend) ist der Vermögensarrest als staatlicher Zugriff auf das Vermögen am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen. Er erlaubt zwar nicht die endgültige Entziehung des Eigentums, beschränkt aber die Nutzungs- und Verfügungsmöglichkeiten in einschneidender Weise. An seine Zumutbarkeit und an das Verfahren seiner Anordnung sind besondere Anforderungen zu stellen. Zu berücksichtigen ist, dass das möglicherweise strafbar erlangte Vermögen oder sein Wertersatz zu einem Zeit-punkt sichergestellt wird, in dem lediglich ein Tatverdacht besteht und noch nicht über die Straf-barkeit entschieden worden ist. Das Eigentumsgrundrecht verlangt in diesen Fällen eine Abwägung des Sicherstellungsinteresses des Staates mit der Eigentumsposition des Betroffenen.

Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt eine Wechselbeziehung zwischen dem Gewicht des Eingriffs und den Anforderungen an seine Anordnung. Je intensiver der Staat mit Sicherungsmaßnahmen in den vermögensrechtlichen Freiheitsbereich eingreift, desto höher sind die Anforderungen an die Rechtfertigung dieses Eingriffs. Wird durch die Sicherungsmaßnahme nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Betroffenen entzogen, so fordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine besonders sorgfältige Prüfung und eine eingehende Darlegung der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Anordnung.

Der Gewährleistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 GG wird bei der Arrestanordnung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren durch die Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens gesichert. Zur Gewährleistung des Eigentumsrechts sieht die Strafprozessordnung einen grundsätzlichen Richtervorbehalt vor (§ 111j StPO). Nicht nur die entsprechenden Normen des Prozessrechts, sondern auch der Schutz des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG verlangen vom Ermittlungsrichter und dem Rechtsmittelgericht, dass sie die tatsächlichen Grundlagen einer Arrestanordnung selbst ermitteln und ihre rechtliche Auffassung unabhängig von der Exekutive gewinnen und begründen. Eine Bindung der Gerichte an die im Verfahren der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen wird dadurch ausgeschlossen. Vielmehr müssen die eigene richterliche Prüfung der Voraussetzungen des Eingriffs und die umfassende Abwägung zur Feststellung seiner Angemessenheit mit auf den Einzelfall bezogenen Ausführungen dargelegt werden. Schematisch vorgenommene Anordnungen oder formelhafte Bemerkungen in den Beschlussgründen vertragen sich mit dieser Aufgabe nicht. Wird im Wege vorläufiger Sicherungsmaßnahmen das gesamte oder nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Betroffenen entzogen, fordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht lediglich eine Vermutung hinsichtlich der Höhe erlangten Vermögens, vielmehr bedarf dies einer besonders sorgfältigen Prüfung und einer eingehenden Darlegung der dabei maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen in der Anordnung, damit der Betroffene dagegen Rechtsschutz suchen kann.

Angesichts der Höhe des Arrestbetrags und der sonst bekannt gewordenen wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten ist davon auszugehen, dass hier der Arrest das gesamte derzeitige Vermögen des Beschuldigten umfasst. Praktisch sieht es so aus, dass der Beschuldigte als einzigen bedeutsamen Vermögensgegenstand die Ansprüche aus seinem Arbeitsverhältnis hat, die in Vollzug des Arrests gepfändet wurden und den Beschuldigten somit auf den pfändungsfreien Teil seines Arbeitseinkommens zurückfallen lassen.

Den hieraus erwachsenden Anforderungen, so wie sie vorstehend dargestellt sind, wird die angefochtene Entscheidung in Verbindung mit der vorangegangenen amtsgerichtlichen Entscheidung und der Nichtabhilfeentscheidung gerecht. Auch der Senat ist der Auffassung, dass die hier vorgenommene Schadensberechnung jedenfalls im gegenwärtigen Ermittlungsstadium hinreichend konkret und realistisch ist, weil sie auf konkreten Aussagen von Zeugen beruht, die mit den Vor-gängen, die der Berechnung zugrunde liegen,, unmittelbar befasst waren, und darüber hinaus keine Bedenken gegen deren Glaubwürdigkeit ersichtlich sind….“

 

Vorführung, oder: Nur die „Befürchtung“ des Nichterscheinens reicht nicht

© gunnar3000 – Fotolia.com

Ich bin mit einem Haft-Posting angefangen und will die Thematik dann heute fortsetzen. Die zweite Entscheidung kommt allerdings nicht vom BGH, sondern aus der Instanz. Es ist der LG Magdeburg, Beschl. v. 03.05.2018 – 25 Qs 35/18. Es geht um die Vorführung des Angeklagten zum Hauptverhandlungstermin auf der Grundlage folgenden Verfahrensablaufs:

„Mit Verfügung vom 22. November 2017 beraumte das Amtsgericht einen Hauptverhandlungstermin zum 13. Dezember 2017 an. Gemäß Verfügung des Vorsitzenden vom 22. November 2017 war der auf freiem Fuß befindliche Beschwerdeführer gegen Zustellungsurkunde zu laden.

Noch am selben Tage ordnete das Amtsgericht auch die polizeiliche Vorführung des Angeklagten zum Hauptverhandlungstermin am 13. Dezember 2017 an.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 5. Dezember 2017 beantragte der Beschwerdeführer, den Termin zur Hauptverhandlung am 13. Dezember 2017 auf einen anderen Terminstag zu verlegen, weil der Angeklagte – gemäß beigefügter ärztlicher Bescheinigung – nicht reise- und verhandlungsfähig sei.

Das Amtsgericht wies den Aussetzungsantrag durch Verfügung vom 07. Dezember 2017 mit der Begründung zurück, die ärztliche Bescheinigung attestiere lediglich eine Reiseunfähigkeit für Fahrten von mehr als 45 Minuten.

Gegen diesen Beschluss erhob der Beschwerdeführer mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. Dezember 2017 Beschwerde und beantragte erneut die Aussetzung der Hauptverhandlung. Auf die Anfrage des Amtsgerichts Aschersleben vom 12. Dezember 2017 teilte der behandelnde Arzt dem Amtsgericht mit, der Beschwerdeführer sei zwar in seiner Beweglichkeit eingeschränkt, es sei ihm jedoch auf jeden Fall möglich, eine Reise nach Aschersleben vorzunehmen. Eine Hauptverhandlung mit einer entsprechenden Pause sei ebenfalls möglich.

Hieraufhin teilte das Amtsgericht dem Verteidiger des Beschwerdeführers am 13. Dezember 2017 unter Beifügung einer Ablichtung der Mitteilung des behandelnden Arztes mit, die Hauptverhandlung werde stattfinden, und ordnete erneut die Vorführung des Beschwerdeführers an.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 13. Dezember 2017 beantragte der Beschwerdeführer die Aussetzung der Hauptverhandlung und erhob zugleich Beschwerde gegen die angeordnete Vorführung

Das Amtsgericht wies den Aussetzungsantrag des Verteidigers mit Beschluss vom 13. Dezember 2017 erneut zurück, woraufhin der Beschwerdeführer den zuständigen Richter mit anwaltlichem Schriftsatz vom 13. Dezember 2017 wegen der Besorgnis der Befangenheit ablehnte.

Das Ablehnungsgesuch des Angeklagten vom 13. Dezember 2017 wies das Amtsgericht Direktor des Amtsgerichts – Aschersleben mit Beschluss vom 26. Februar 2018 als unbegründet zurück.

Hieraufhin beraumte das Amtsgericht mit Verfügung vom 28. Februar 2018 einen Hauptverhandlungstermin auf den 5. April 2018, 9.30 Uhr, an. Auch zu diesem Hauptverhandlungstermin wurde die Ladung des auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten gegen Zustellungsurkunde angeordnet.

Am 3. April 2018 ordnete das Amtsgericht abermals die Vorführung des Angeklagten an. Eine Begründung hierzu wurde nicht mitgeteilt.

Der Angeklagte wurde sodann zur Hauptverhandlung am 5. April 2018 vorgeführt. Das Verfahren wurde gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.“

Das LG stellt nachträglich – zutreffend- die Rechtswidrigkeit der Vorführungsanordnung fest:

„Gemäß § 230 Abs. 2 StPO ist die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen, wenn der Angeklagte ohne genügende Entschuldigung zum Hauptverhandlungstermin ausgeblieben ist.

Allein die Befürchtung, so wie offensichtlich vom Amtsgericht in dieser Sache angenommen, der Angeklagte werde zum Hauptverhandlungstermin nicht erscheinen, berechtigt nicht zur Anordnung der Vorführung gemäß § 230 Abs. 2 StPO.“