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Beweiswürdigung – es fehlte mal wieder das Basiswissen

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Gestern ist bereits über den OLG München, Beschl. v. 31.07.2012 – 5 Stt RR (I) 32/12 – berichtet worden, den der Kollege Sprafke gegen ein Urteil des LG Augsburg erstritten hat (vgl. hier der Beitrag des Kollegen: „Revision greift durch…„). Den Beschluss hat er mir dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt, so dass auch ich über ihn berichten kann.

  • Es geht um an sich ganz einfache Fragen der Beweiswürdigung, die das LG nicht beachtete hatte. Es sind zwei zentrale Punkte die das OLG angesprochen hat. Und zwar zunächst die Frage der Beweiswürdigung im Fall der Aufklärungshilfe, wenn der „Helfer“ § 31 BtMG in Anpruch nimmt bzw. zugebilligt bekommen hat. Da greift das OLG auf die insoweit maßgeblichen Grundsätze der Rechtsprechung zurück. Die besagen:  In einem Fall, in dem ein Angeklagter zwar nicht allein, aber doch überwiegend durch die Angaben eines anderen Tatbeteiligten überführt werden soll, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle entscheidungserheblichen Umstände erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und im Rahmen einer Gesamtwürdigung gewürdigt hat. Ein wesentlicher Gesichtspunkt hierbei ist, ob sich der tatbeteiligte Zeuge im Hinblick auf § 31 BtMG von seiner Aussage Vorteile versprochen hat. Liegt m.E. als offensichtlich auf der Hand und sollte von einer Berufungskammer auch beachtet werden.
  • Noch offensichtlicher ist m.E. der zweite Punkt, den das OLG moniert: Es vermisst die Auseinandersetzung mit der Einlassung des Angeklagten, der die Tat nicht nur pauschal bestritten hatte. Letzteres ist für die Vollständigkeit der Beweiswürdigung allein schon deshalb erforderlich, weil das Revisionsgericht sonst nicht prüfen kann, warum und wieso das Tatgericht der Einlassung des Angeklagten nicht gefolgt ist und ob die Gründe dafür stichhaltig sind.

Ich will an sich nicht schon wieder schreiben: Basiswissen, das fehlt, aber leider ist es so. 🙂

Urlaub des Angeklagten – Chancen für die Revision

Wenn ich Fortbildung bei Richtern machen würde, würde ich davor warnen, den Angeklagten unter Anwendung des § 231c StPO von der Anwesenheit in der Hauptverhandlung zu beurlauben. Denn mit der Vorschrift sind viele Risiken verbunden, die zu einem Erfolg der Revision führen können. Das macht der BGH, Beschl. v. 16.02.2012 – 3 StR 462/11 – anschaulich. Da hat es schon an der Grundvoraussetzung, nämlich der Anordnung/Beurlaubung durch einen ordnungsgermäßen Beschluss gefehlt.

a) Das Gericht kann, wenn die Hauptverhandlung gegen mehrere Angeklagte stattfindet, einem Angeklagten sowie seinem notwendigen Verteidiger auf Antrag gestatten, sich während einzelner Verhandlungsteile zu entfernen, wenn er von diesen nicht betroffen ist. In dem Beschluss sind die Verhand-lungsteile zu bezeichnen, für die die Erlaubnis gilt (§ 231c Satz 1 und 2 StPO).

b) Danach ist bereits dann rechtsfehlerhaft in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt worden (§ 338 Nr. 5 StPO), wenn die in dem Beschluss über die Befreiung festgelegte inhaltliche Begrenzung des Verhandlungsgegenstandes nicht eingehalten worden ist. So liegt es hier bezüglich der Sitzung vom 30. Mai 2011, in der über den im Beschluss bezeichneten Umfang hinaus zwei Verwertungswidersprüche entgegengenommen und beschieden worden sind.

c) Zudem war der Angeklagte von diesem Verhandlungsteil, der in seiner Abwesenheit stattgefunden hat, betroffen. Anders wäre es nur gewesen, wenn ausgeschlossen werden könnte, dass die während seiner Abwesenheit behandelten Verfahrensfragen auch nur mittelbar die gegen ihn erhobenen Vorwürfe berührten und damit auch nur potentiellen Einfluss auf Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch gegen den Angeklagten hatten (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2009 – 4 StR 609/08, NStZ 2009, 400). Dies ist nicht möglich. Die Anträge dienten dem Ziel, die Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung nicht in die Hauptverhandlung einzuführen. Diese waren aber erkennbar nicht nur geeignet, die die Tatvorwürfe des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln bestreiten-den Mitangeklagten zu belasten. Die Art und das Ergebnis von deren Verteidigungsbemühungen konnten vielmehr durchaus Bedeutung auch für den Angeklagten gewinnen, obwohl sich dieser zum Anklagevorwurf geständig eingelassen und die Mitangeklagten belastet hatte. Der Inhalt der Telekommunikation konnte dazu dienen, seine Darstellung des Tatgeschehens zu bestätigen, was für die Glaubhaftigkeit seiner Einlassung und für die gerichtliche Entscheidung darüber von Bedeutung hätte sein können, ob er damit Aufklärungshilfe im Sinne von § 31 BtMG geleistet hatte.

Entlassung des Zeugen – nur in Anwesenheit des Angeklagten

§ 247 StPO, der die Entfernung des Angeklagten während der Vernehmung von Zeugen regelt, ist eine für die Gerichte „gefahrenträchtige“ Vorschrift, bei der es häufig zu Fehlern kommt. Das zeigen die große Zahl von Revisionen, die auf einen Verstoß gegen § 247 StPO – in der Revision ist dann der § 338 Nr. 5 StPO zu rügen – gestützt werden und die auch Erfolg haben.

So gerade wieder durch den BGH- Urt. v. 01.12.2012 – 3 StR 318/11. Entschieden worden war über die Entlassung einer Zeugin in Abwesenheit des Angeklagten. Dazu der 3. Strafsenat:

Nach der durch den Großen Senat für Strafsachen (BGH, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87) bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Beschluss vom 26. September 2006 – 4 StR 353/06, NStZ 2007, 352, 353) gehört die Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen nicht mehr zu seiner Vernehmung im Sinne des § 247 StPO, sondern bildet einen selbständigen Verfahrensabschnitt und regelmäßig einen „wesentlichen Teil“ der Hauptverhandlung. Der Angeklagte, dessen Entfernung aus dem Sitzungssaal für die Dauer der Vernehmung der Zeugin K. angeordnet war, musste daher zur Verhandlung über die Entlassung der Zeugin wieder zugelassen werden. Dies ist hier ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht geschehen. Zwar wurde der Angeklagte zuvor in Abwesenheit der Zeugin über den wesentlichen Inhalt von deren Aussage unterrichtet. Dass er im Rahmen der Unterrichtung auf Fragen an die Zeugin verzichtet und sich mit ihrer Entlassung einverstanden erklärt hat, ist indes nicht ersichtlich. Der Angeklagte wurde nach dem unwidersprochenen Sachvortrag der Revision vielmehr weder gefragt, ob er noch Fragen an die Zeugin stellen wolle, noch hat er von sich aus erklärt, keine Fragen mehr stellen zu wollen (dazu BGH, Großer Senat, aaO.; Urteil vom 8. April 1998 – 3 StR 463/97 – und Beschluss vom 19. August 1998 – 3 StR 290/98, BGHR StPO § 247 Abwesenheit 18, 19; Beschluss vom 30. März 2000 – 4 StR 80/00, NStZ 2000, 440). Im Anschluss daran wurde der Angeklagte wieder aus dem Sitzungssaal entfernt. Der im Protokoll enthaltene Vermerk, die Entlassung der Zeugin sei „im allseitigen Einverständnis“ geschehen, kann deshalb das Einverständnis des (abwesenden) Angeklagten nicht belegen. Das Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensmangel wird gemäß § 338 Nr. 5 StPO gesetzlich vermutet. Dass sich der Verfahrensverstoß vorliegend ausnahmsweise denkgesetzlich im Urteil nicht ausgewirkt haben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 – 4 StR 131/06, NStZ 2006, 713), ist nicht zu erkennen.“

Ist die Entlassungsverhandlung ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung?

Im Zusammenhang mit der der (zeitweisen) Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung (§ 247 StPO) kommt es häufig zu Verfahrensfehlern, die u.a. darauf beruhen, dass in Abwesenheit des Angeklagten außerhalb der Zeugenvernehmung liegende Teile der Hauptverhandlung durchgeführt werden, an denen der Angeklagte dann nicht teilnimmt. Die Rüge in der Revision läuft dann über § 338 Nr. 5 StPO.

In dem Zusammenhang spielt die Frage, was ein „wesentlicher Teil der Hauptverhandlung“ ist, eine wesentliche Rolle. Dazu gibt es eine umfangreiche BGH-Rechtsprechung – bis hin zu Entscheidungen des Großen Senats für Strafsachen. Zuletzt im BGH, Urt. v. 09.02.0211 – 5 StR 387/10, in dem der 5. Strafsenat dargelegt hat, ob und wann die sog. Entlassungsverhandlung „wesentlicher Teil der Hauptverhandlung“ ist. Dort heißt es:

Nach ständiger Rechtsprechung bestimmt sich die Frage der Wesentlichkeit eines Verfahrensteils nach dem Zweck der jeweils betroffenen Vorschriften sowie danach, in welchem Umfang deren sachliche Bedeutung betroffen sein kann; die Entlassungsverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten ist danach grundsätzlich als wesentlich anzusehen, weil der von der Entlassungsverhandlung ausgeschlossene Angeklagte unmittelbar nach der Zeugenvernehmung keine Fragen oder Anträge stellen kann, die den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen vermögen (vgl. BGH – GS – aaO S. 2452 mwN). Diese Gedanken treffen jedoch ersichtlich nicht zu, wenn der die Vernehmung über eine Bild-Ton-Übertragung zeitgleich mitverfolgende Angeklagte nach ausdrücklicher Befragung des Vorsitzenden von seinem Fragerecht keinen Gebrauch machen will. Es wäre bloße Förmelei, wenn ihm – gegebenenfalls nach vorheriger Entfernung des Opferzeugen aus dem Gerichtssaal – in Anwesenheit ein weiteres Mal Fragen anheimgegeben werden müssten (vgl. zur Ersetzung der Unterrichtungspflicht nach § 247 Satz 4 StPO durch Bild-Ton-Übertragung auch BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 268/06, BGHSt 51, 180; ferner zum Frageverzicht in solchen Fällen BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 5 StR 482/10).

Augenscheinseinnahme geht nicht ohne der Angeklagten

In Zusammenhang mit der Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung nach § 247 StPO werden in der Praxis häufig Fehler gemacht. Das merkt man deutlich daran, dass Aufhebungen von landgerichtlichen Entscheidungen durch den BGH häufig auf gerade diesen Fehlern beruhen. Ein Klassiker ist die Entfernung des Angeklagten und die dann in seiner Abwesenheit durchgeführte Vernehmung des Zeugen, bei dem diesen dann ein Lichtbild gezeigt wird, das in Augenschein genommen wird.

Zu der Problematik hat jetzt vor kurzem noch einmal der BGH in seinem Beschl. v. 05.10.2010 – 1 StR 264/10 Stellung genommen. Danach gilt: Wird in einem Strafverfahren der Angeklagte vor Vernehmung eines Zeugen aus dem Sitzungszimmer entfernt und dann dem Zeugen ein Lichtbild zur Augenscheinseinnahme vorgelegt, zu dem dieser Aussagen macht, so ist dieses Lichtbild dem Angeklagten innerhalb der Verhandlung ebenfalls vorzulegen. Die Nichtvorlage des Lichtbildes begründet einen absoluten Revisionsgrund. Denn die Augenscheinseinnahme ist vom restriktiv auszulegenden Begriff der Vernehmung nicht umfasst, so dass bei Nichtvorlage des Bildes ein Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt wurde.

Muss man als Verteidiger drauf achten und dann ggf. die Rüge nach § 338 Nr. 5 StPO erheben.