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Besetzungseinwand: Wie muss er abgefasst/formuliert sein, oder: Strenge Anforderungen

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Und dann habe ich als dritte „Besetzungsentscheidung“ des heutigen Tages den BGH, Beschl. v. 07.09.2016 – 1 StR 422/15 (siehe im Übrigen den BGH, Beschl. v. 08.02.2017 – 1 StR 493/16 und dazu Fassungslos, wenn ein Schwurgericht jahrelang keinen kammerinternen Geschäftsverteilungsplan hat, oder: Mia san mia? – und den BVerfG, BVerfG, Beschl. v. 16.01.2017 – 2 BvR 2011/16 und 2 BvR 2034/16 und dazu BVerfG: Nachträgliche Änderung des GVP – bei bereits anhängigen Verfahren nicht so einfach). An sich hätte der an den Anfang der Serie gehört, denn er behandelt die Frage, wie der in der Hauptverhandlung zu erhebende Besetzungseinwand (§ 222b StPO) auszusehen hat.

b) Die Verfahrensrüge, es liege ein absoluter Revisionsgrund im Sinne § 338 Nr. 1 StPO vor, ist bereits unzulässig. Die Besetzungsrüge ist präkludiert, denn der vor der erkennenden Strafkammer geltend gemachte Besetzungseinwand entsprach nicht der von § 222b Abs. 1 StPO vorgeschriebenen Form……

(2) Zwar haben Präklusionsvorschriften wegen ihrer einschneidenden Folgen einen strengen Ausnahmecharakter. Die Präklusionsregelung der § 338 Nr. 1, § 222b Abs. 1 StPO genügt indes den an sie zu stellenden verfassungs-rechtlichen Anforderungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. März 2003 – 2 BvR 1540/01, BVerfGK 1, 87).

(3) Mit Blick auf den Normzweck und im Sinne der Intentionen des Gesetzgebers werden unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Anforderungen hohe Anforderungen an den Inhalt des Besetzungseinwands gestellt. Die Begründungsanforderungen an den Besetzungseinwand entsprechen dabei nach den Vorstellungen des Gesetzgebers weitgehend den Rügeanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, wie schon die insoweit wortgleiche Formulierung zeigt (vgl. BT-Drucks. 8/976, S. 47; BGH, Beschluss vom 12. Januar 2016 – 3 StR 490/15, Rn. 11, NStZ-RR 2016, 120; Urteile vom 25. Oktober 2006 – 2 StR 104/06, NStZ 2007, 536 und vom 30. Juli 1998 – 5 StR 574/97, BGHSt 44, 161, 162; vgl. auch Arnoldi in MüKo-StPO, § 222b Rn. 13 und Britz in Radtke/Hohmann, StPO, § 222b Rn. 8 mwN). Es müssen ebenso wie bei der Verfahrensrüge der Revision (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) alle Tatsachen angeführt werden, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit der Zusammensetzung des Gerichts ergibt (vgl. Jäger in LR-StPO, 26. Aufl., § 222b Rn. 17). Fehlt die erforderliche umfassende Begründung, insbesondere ein hinreichend substantiierter Tatsachenvortrag, so ist der Besetzungseinwand nicht in der vorgeschriebenen Form geltend gemacht, mithin nicht zulässig erhoben worden (BGH aaO, BGHSt 44, 161, 162 und NStZ 2007, 536; BGH, Beschluss vom 1. September 2015 – 5 StR 349/15, NStZ-RR 2016, 54).“

Also: „Es müssen ebenso wie bei der Verfahrensrüge der Revision (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) alle Tatsachen angeführt werden, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit der Zusammensetzung des Gerichts ergibt“, heißt: Es muss alles auf den Tisch genau wie bei der Begründung der Verfahrensrüge. Um nichts anderes – vorgezogen – handelt es sich im Grunde ja auch.

Täteridentifizierung und kein Ende, oder: Das KG zeigt, worauf es ankommt

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Die Täteridentifizierung im Bußgeldverfahren anhand eines von dem Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes war erst gestern Gegenstand eines Postings hier im Blog. Da ging es um den OLG Bamberg, Beschl. v. 06.02.2017 – 3 Ss OWi 156/17 -, der die Rechtsprechung des OLG Bamberg aus der letzten Zeit (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 14. 11. 2016 – 3 Ss OWi 1164/16 und dazu: Täteridentifizierung, oder: Mainstream vom OLG Bamberg)  „fortsetzt“ (vgl. zum Beschl. v. 06.02.2017 Nochmals: Täteridentifizierung, oder: Wie muss die Lichtbildbezugnahme aussehen?). Im Anschluss/als Reaktion auf das Posting hat mit der Kollege Fricke vom AG Tiergarten den KG, Beschl. v. 13.02.2017 – 3 Ws (B) 23/17 – 122 Ss 9/17 – übersandt. Denn stelle ich dann heute hier gleich vor. Er behandelt zwar nicht die Frage der ordnungsgemäßen Bezugnahme i.S. des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, stellt aber noch einmal sehr schön vor/zusammen, worauf es ankommt:

„a) Der bloße Hinweis auf die „Inaugenscheinnahme der Tatfotos“ war vorliegend – weder für sich genommen noch in der Gesamtschau – ausreichend, um die gericht­liche Überzeugungsbildung zu begründen. Im Fall der Identifizierung eines Betroffe­nen als Täter müssen die Urteilsgründe so abgefasst sein, dass dem Rechtsbe­schwerdegericht die Prüfung möglich ist, ob ein im Rahmen einer Geschwindigkeits­messung gefertigtes Lichtbild überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Ausreichend ist es hierfür, dass in den Urteilsgründen auf das sich in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug genommen wird, wodurch das Foto zum Bestandteil der Urteilsgründe wird und vom Rechtsbeschwerdegericht dann zur Prüfung der Frage, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist, selbst in Augenschein genommen werden kann. Macht der Tatrichter von dieser Möglichkeit Gebrauch und ist das Foto zur Identifizie­rung uneingeschränkt geeignet, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich (vgl. BGHSt 41, 376, juris Rn. 21 ff.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Juli 2013 – IV-3 RBs 67/13 –, juris Rn. 3 und VRS 112, 43; OLG Hamm, Beschlüsse vom 21. August 2007 – 3 Ss­OWi 464/07 – und 26. November 2007 – 2 Ss OWi 757/07 –, juris Rn. 5). Die Bezug­nahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO muss deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht sein. Alleine der Hinweis, das Lichtbild sei in Augenschein genommen und mit dem Betroffenen verglichen worden, genügt den Anforderungen nicht (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Köln NJW 2004, 3274; OLG Hamm NStZ-RR 1998, 238). Dadurch wird lediglich der Beweiserhebungsvorgang beschrieben, nicht aber der Wil­le zum Ausdruck gebracht, das Foto zum Bestandteil der Urteilsurkunde zu machen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Juli 2013 a.a.O.). Sieht der Tatrichter von der erleichternden Verweisung auf das in Augenschein genommene Foto nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG ab, so müssen die Urteilsgründe durch Ausführungen zur Bildqualität (insbesondere zur Bildschärfe) und durch eine Be­schreibung der abgebildeten Person oder mehrerer charakteristischer Identifizie­rungsmerkmale dem Rechtsmittelgericht in gleicher Weise wie durch das Betrachten des Belegfotos die Prüfung eröffnen, ob das Lichtbild zur Identifizierung des Fahrers geeignet ist (vgl. BGH a.a.O., juris Rn. 26; Senat, VRS 111, 145, VRS 114, 38 und Beschluss vom 13. September 2012 – 3 Ws (B) 512/12 –; OLG Bamberg NZV 2008, 211). Das Erfordernis, die Bildqualität darzulegen, ist aber kein Selbstzweck. Es soll dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung ermöglichen, ob das (seiner Be­trachtung entzogene) Foto zur Identifizierung generell geeignet ist. Diesen Anforde­rungen ist Rechnung getragen, wenn das Urteil darlegt, dass ein hinzugezogener anthropologischer Sachverständiger das Tatfoto für aussagekräftig gehalten hat und das Urteil alle vom Sachverständigen für relevant gehaltenen Besonderheiten dar­stellt, so dass das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehen kann, dass das Amtsge­richt das Lichtbild als geeignete Grundlage dafür gesehen hat, den Fahrer zu identifi­zieren (Senat, Beschluss vom 25. November 2016 – 3 Ws (B) 587/16 –).

Vorliegend erfolgt weder eine Bezugnahme im Sinne von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG in den Urteilsgründen noch die dann erforderliche ausführli­che Beschreibung der Qualität der Lichtbilder und der abgebildeten Person oder mehrerer ihrer charakteristischen Identifizierungsmerkmale. Ob und inwieweit das vom Amtsgericht zum Vergleich herangezogene Lichtbild bzw. die herangezogenen Lichtbilder zur Identifizierung geeignet sind, kann somit anhand der Urteilsfeststel­lungen durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht geprüft werden.

Soweit das Gericht darauf abstellt, es habe seine Überzeugung von der Fahrerei­genschaft des Betroffenen auf einen visuellen Vergleich des Tatfotos mit dem Be­troffenen in der Hauptverhandlung gestützt, so stellen die diesbezüglichen Ausfüh­rungen, weder für sich genommen noch in der Gesamtschau, eine ausreichende Be­gründung dar. Weil das Gericht in den Urteilsgründen von einer erleichternden Ver­weisung auf das Beweisfoto abgesehen hat, hätte die Beschreibung des Fotos und des Vergleichs der Abbildung mit dem Betroffenen im oben genannten Sinne ent­sprechend ausführlich erfolgen müssen. Dies ist jedoch nicht geschehen. Das Ge­richt führt aus, dass insbesondere für eine Übereinstimmung des Fahrers auf dem Tatfoto mit dem Betroffenen spreche, „dass sowohl das linke Ohr des Fahrers als auch das linke Ohr des Betroffenen oben nicht oval verlaufen, sondern jeweils eine deutliche, gleich verlaufende Einkerbung“ aufzeigten. Sowohl der Betroffene als auch der Fahrer auf dem Tatfoto, würden darüber hinaus eine „ähnlich hohe Stirn und ei­nen übereinstimmenden Haaransatz“ aufweisen. Auch sei „der Verlauf der oberen Augenbrauenform beim Betroffenen und beim Fahrer auf dem Fahrerfoto aus Sicht des Gerichts identisch“. Einzig mit der geschilderten Einkerbung am linken Ohr hat das Gericht eine charakteristische Eigenart entsprechend dem oben genannten Maßstab beschrieben. Die ferner vom Gericht erkannten Übereinstimmungen im Be­reich der Stirnpartie, des Haaransatzes und des Verlaufs der Augenbrauen sind zu allgemein ausgeführt, um die visuell erkannte Ähnlichkeit für das Rechtsmittelgericht nachvollziehbar erscheinen zu lassen.“

Auch das, was das KG dann zum anthropologischen Sachverständigengutachten ausführt ist lesenswert.

„Du musst mehr tun“, oder: Dienstrechtliche Ermahnung eines Richters als versuchte Nötigung durch die Präsidentin?

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So, der letzte Arbeitstag der Vorkarnevalswoche ist eingeläutet. Aber bevor es dann ggf. hoch her geht, muss noch ein wenig getan werden. Und dazu stelle ich den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.01.2017 – 2 Ws 336/16. Mit ihm wird ein weiteres Verfahren abgeschlossen, mit dem sich der RiOLG Thomas Schulte-Kellinghaus gegen eine Ermahnung „seiner“ Präsidentin gewendet hatte, die ihn 2012 dazu aufgefordert hatte, seine Erledigungszahlen zu verbessern. Da hatte es dienstrechtliche Verfahren gegeben und eben auch ein Strafverfahren gegen die Präsidentin. Das hatte der ermahnte Richter „eingeleitet“. Er warf seiner Dienstherrin versuchte Nötigung vor (sehr schön dargestellt alles hier bei LTO).

Die StA hatte die Einleitung eines Strafverfahrens abgelehnt. Dagegen dann der Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172 StPO) des ermahnten Kollegen, den das OLG in dem o.a. Beschluss beschieden hat. Und – wie m.E. nicht anders zu erwarten: Der Antrag scheitert an der ([zu] hohen) Zulässigkeitshürde für diese Anträge. Dazu der Leitsatz des OLG – Rest gebe ich zum Selbststudium:

„Sieht ein Richter in einem – grundsätzlich zulässigen – Vorhalt und einer Ermahnung nach § 26 Abs. 2 DRiG eine versuchte Nötigung durch den Dienstvorgesetzten, umfasst die Darlegungsobliegenheit des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO auch die Mitteilung der in einem Widerspruchsbescheid enthaltenen Erwägungen des Dienstvorgesetzten sowie dessen Vorbringen in einem anschließenden gerichtlichen dienstrechtlichen Verfahren.“

Und das war es dann. Die dienstrechtlichen Verfahren sind allerdings noch nicht rechtskräftig.

Vollmacht zur Vertretung in der Hauptverhandlung, oder: Was will das OLG?

Nach dem Posting zum AG Mettmann, Beschl. v. 25.01.2017 – 32 OWI 174/16 (vgl. dazu: (Keine) Verjährungsunterbrechung, oder: Bloß keine Vollmacht vorlegen) eine weitere Entscheidung mit einer Vollmachtsproblematik, und zwar der OLG Hamm, Beschl. v. 24.11.2016 – 5 RVs 82/16 und 5 Ws 360/16. Er behandelt noch einmal die Frage der Vertretung des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung und/oder die der Anforderungen an die schriftliche Verteidigervollmacht bei Nichterscheinen des Angeklagten.

Es geht in dem Beschluss um die Verwerfung der Berufung des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO. Der Angeklagte hatte dagegen u.a. Revision eingelegt – den Wiedereinsetzungsantrag lassen wir mal außen vor – und mit der Verfahrensrüge geltend gemacht, dass § 329 StPO verletzt worden sei. Das hatte beim OLG keinen Erfolg:

„Mit der Revision wird zwar eine Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO gerügt und insoweit beanstandet, dass der abwesende Angeklagte durch einen mit schriftlicher Vertretungsvollmacht ausgestatteten und vertretungsbereiten Verteidiger vertreten gewesen sei. Jedoch ist die Rüge insoweit nicht in der von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO geforderten Form ausgeführt und daher unzulässig (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 21.11.2013 – III – 5 RVs 95/13 – m.w.N.). Danach muss eine Verfahrensrüge so ausgeführt werden, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Revisionsrechtfertigungsschrift prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen. Da sich die Rüge dagegen richtet, das Berufungsgericht habe die Berufung des Angeklagten verworfen, obwohl ein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht in der Berufungsverhandlung erschienen sei, hätte es des Vortrages bedurft, dass eine solche schriftliche Vollmacht für den Verteidiger in der vorliegenden Strafsache erteilt worden sei. Dies ist nicht der Fall. Der Angeklagte trägt in der Revisionsbegründung lediglich vor, dass sein Verteidiger in der Berufungsverhandlung die schriftliche Vollmacht zu den Akten gereicht habe. Nach dem Vortrag des Angeklagten lautet der Wortlaut der Vollmacht auszugweise: „… wird hiermit in der Strafsache gegen L Prozessvollmacht erteilt …“ (Bl. 210 d. A.). Damit wird zwar deutlich, dass sich die Vollmacht auf eine bestimmte Angelegenheit beziehen soll, offen bleibt aber bereits, auf welche Strafsache, so dass die Rüge nicht in der gebotenen Form ausgeführt und daher unzulässig ist.“

Tja, das war es dann – das Wiedereinsetzungsgesuch hatte nämlich auch keinen Erfolg. Allerdings weiß ich nicht so recht, wie ich mit dem Beschluss umgehen soll. M.E. überspannt das OLG die Anforderungen, zumindest dann, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass noch weitere Starfsachen gegen den Beschuldigten laufen. Und was bitte schön möchte das OLG: Nur den Vortrag, dass die vorliegende/vorgelegte Vollmacht in der anhängigen Strafsache erteilt worden ist – das liegt m.E. durch die Bezugnahme auf den Auffindeort auf der Hand? Oder will man noch weitere Erläuterungen wie Aktenzeichen – war das bei Erteilung der Vollmacht denn überhaupt shcon bekannt? – oder den Verfahrensgegenstand?

Straßenverkehrsgefährdung/Fahren ohne Fahrerlaubnis, oder: Warum schweigt das OLG München?

FragezeichenDer Kollege Florian C.A. Alte aus Anzing hat mir den OLG München, Beschl. v. 04.10.2016 – 4 OLG 15 Ss 456/16 – übersandt. Problematik des Beschlusses: Ist die vom Angeklagten, der vom Amtsgericht wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB) in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) verurteilt worden ist, erklärte Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß wirksam oder nicht. Voraussetzung dafür ist, dass vom AG ausreichende tatsächliche Feststellungen getroffen worden sind, um den Rechtsfolgenausspruch zu tragen. Das hat das OLG verneint:

„Insbesondere zu den Verkehrsdelikten hat der Senat in ständiger Rechtsprechung, an der jedenfalls derzeit festzuhalten ist, erkannt, dass der Tatrichter sich nicht auf Feststellungen beschränken darf, die nur die reine tatbestandsmäßige Schuldform betreffen. Vielmehr ist der Tatrichter wegen der Bedeutung für die Rechtsfolgen gehalten, Feststellungen auch zur Motivation der Tat, den konkreten Verkehrsverhältnissen bei Tatbegehung, insbesondere zu möglichen Gefährdungen anderer Straßenverkehrsteilnehmer, und zum Anlass der Tat zu treffen. Beschränkt sich das Erstgericht auf die Feststellungen allein zur Schuldform und unterlässt es die weiteren Feststellungen, ist eine Beschränkung des Rechtsmittels nach § 318 StPO unwirksam und der Berufungsrichter gehalten, den Sachverhalt unter Beachtung der revisionsrechtlichen Vorgaben vollumfänglich festzustellen. (OLG München aaO).

Die vom Amtsgericht Ebersberg getroffenen und unter 1. dieses Beschlusses ausgewiesenen Feststellungen betreffen weitestgehend nur die reine Schuldform. Das Urteil des ersten Rechtszugs teilt nichts zur gefahrenen Fahrstrecke, zum Anlass der Fahrt und zur tatsächlichen Geschwindigkeit des Kfz mit. Nach Ansicht des Senats wären derartige Feststellungen notwendig, um den Anforderungen an einen alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte abwägenden Rechtsfolgenausspruch gerecht zu werden. Mithin war das Urteil lückenhaft und einer Beschränkung der Berufung nach § 318 StPO nicht zugänglich. Das hat die Berufungskammer verkannt.“

Was den Kollegen erstaunt hat und was auch schon ein wenig ungewöhnlich ist: Im Beschluss des OLG München kein Hinweis auf den OLG Nürnberg, Beschl. v. 21. 10. 2015 – 1 OLG 2 Ss 182/15., mit dem das OLG Nürnberg dem BGH vorgelegt hat, um die umstrittene Frage des Umfangs der tatsächlichen Feststellungen – beim Fahren ohne Fahrerlaubnis – klären zu lassen (vgl. dazu Das OLG Nürnberg traut sich: BGH-Vorlage zum Fahren ohne Fahrerlaubnis). Nun, ich denke, dass das OLG München die Entscheidung aus Nürnberg nicht übersehen hat, sondern das Schweigen daran liegt, dass es bei dem OLG Nürnberg-Beschluss nur um eine Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ging, im Fall des OLG München aber auch eine fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) ausgeurteilt worden ist. Ich meine, da kann man schon unterschiedlicher Auffassung hinsichtlich des Umfangs der Feststellungen sein. Und immerhin schreibt der Senat ja: „….. in ständiger Rechtsprechung, an der jedenfalls derzeit festzuhalten ist, ..“.

Schauen wir mal, was passiert, wenn der BGH entschieden hat. Ggf. werden sich die Tatgerichte dann umtun müssen.