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Unterbringung III: Neuregelung des § 64 StGB, oder: Neufälle/Altfälle – OLG Celle zum anwendbaren Recht

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Und als dritte Entscheidung zur Probelmati: Altes/Neues Recht bei der Unterbringung?, dann hier noch der OLG Celle, Beschl. v. 20.11.2023 – 2 Ws 317/23.

Der Verurteilte ist durch Urteil des LG Braunschweig vom 09.01.2023 wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen und unter Einbeziehung weiterer Strafen aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Nach Verbüßung von Untersuchungs- und Organisationshaft wurde der Verurteilte am 04.04.2023 im Maßregelvollzug in der Psychiatrischen Klinik L. aufgenommen.

Mit Beschluss vom 10.10.2023 hat die Strafvollstreckungskammer des LG Lüneburg die Unterbringung in der Entziehungsanstalt für erledigt erklärt, die Reststrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt, den Eintritt der Führungsaufsicht festgestellt und diese näher ausgestaltet. Zur Begründung hat das LG ausgeführt, der Überprüfung sei die seit dem 01.10.2023 geltende neue Rechtslage zugrundezulegen. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, den Beschwerdeführer durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen, seien angesichts der fehlenden Erreichbarkeit und der ablehnenden Haltung des Beschwerdeführers zu der ihm angebotenen Behandlung nicht gegeben.

Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde. die keinen Erfolg hatte. Das OLG führt zum anwendbaren Recht aus:

„Der Erörterung bedarf lediglich die Frage, welche Fassung des § 64 StGB der gem. § 67e Abs. 2 StGB durch das Landgericht zu treffenden Entscheidung zugrunde zu legen war.

Gem. § 67d Abs. 5 StGB hat das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt zu erklären, wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 StGB nicht mehr vorliegen.

Diese Vorschrift des § 64 StGB wurde durch das am 1. Oktober 2023 in Kraft getretene Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom 26.07.2023 (BGBl. I Nr. 203) neu gefasst. Während nach § 64 a. F. StGB eine Fortdauer der angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt „eine hinreichend konkrete Aussicht“ voraussetzte, den Verurteilten durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen, bedarf es nunmehr „tatsächlicher Anhaltspunkte“, aufgrund derer diese Erwartung gerechtfertigt ist.

Da die Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers gem. § 64 StGB bereits vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig wurde, stellt sich die Frage, ob sich die Frage der Fortdauer der Vollstreckung nach altem oder neuem Recht richtet.

Der Senat erachtet unter Berücksichtigung des Wortlautes der einschlägigen Vorschriften (vgl. im Folgenden die Ausführungen unter 1.), des gesetzgeberischen Willens und aufgrund systematischer Erwägungen (im Folgenden 2.) sowie nach Sinn und Zweck der Gesetzesänderung (3.) die Anwendung des § 64 StGB in der derzeit gültigen Fassung für angezeigt. Diesem Verständnis stehen auch weder das Rückwirkungsverbot (4.) noch unüberwindbare Schwierigkeiten bei der Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung gem. § 67e StGB entgegen (5.).

Im Einzelnen:

1. Durch das Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom 26. Juli 2023 wurde auch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch geändert und ein neuer Artikel 316o eingefügt. In Abs. 2 dieser Vorschrift wird für die Vollstreckung von vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig angeordneten Unterbringungen nach § 63 oder § 64 des Strafgesetzbuches § 67 StGB in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung für anwendbar erklärt.

Nach dem eindeutigen Wortlaut von Artikel 316o Abs. 2 EGStGB haben mithin – von Fragen der Reihenfolge der Vollstreckung gem. § 67 StGB abgesehen – die aktuell gültigen Vorschriften für die Vollstreckung von vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig angeordneten Unterbringungen nach § 63 oder § 64 Anwendung zu finden.

2. Diese Auslegung entspricht auch dem aus den Gesetzgebungsmaterialien ersichtlichen gesetzgeberischen Willen.

Dem Gesetzgeber war – wie aus der in Artikel 316o Abs. 2 EGStGB getroffenen Regelung deutlich wird – bewusst, dass sich infolge der Neufassung des § 64 StGB die Frage stellt, ob die Vollstreckung von vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig gewordenen Unterbringungen nach altem oder neuem Recht erfolgt und dass es einer expliziten Regelung bedarf, wenn das bisherige Recht im Rahmen der Vollstreckung Anwendung finden soll. Denn in den Gesetzgebungsmaterialien ist festgehalten, dass die in Artikel 316o Abs. 2 EGStGB neu eingeführte Regelung der Anwendbarkeit von § 67 StGB a.F. eine Abweichung von dem in § 2 Absatz 6 StGB enthaltenen Grundsatz, wonach bei Maßregeln der Besserung und Sicherung das zum Zeitpunkt der Entscheidung geltende Recht anwendbar ist, darstellt (BT-Drucksache 20/5913, S. 77).

Während § 67 StGB in der bis zum 1. Oktober 2023 geltenden Fassung für den Fall der Vollstreckung der Maßregel vor der Strafe die Möglichkeit einer Aussetzung der Maßregel nach Verbüßung der Hälfte der Strafe unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 zur Bewährung vorsah, ist nach der Neufassung dieser Vorschrift eine derart frühzeitige Entlassung zur Bewährung nur noch möglich, wenn die (deutlich strengeren) Voraussetzungen des § 57 Absatz 2 StGB entsprechend erfüllt sind.

Der Umstand, dass durch Art. 316o Abs. 2 EGStGB eine explizite Regelung der Fortgeltung alten Rechts allein für § 67 StGB und insbesondere für die dort geregelte Frage der frühst möglichen Aussetzung der Maßregel zur Bewährung getroffen wurde, lässt im Umkehrschluss den gesetzgeberischen Willen, dass sich die Vollstreckung von vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig gewordenen Unterbringungen nach neuem Recht richten muss, eindeutig erkennen.

Denn über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich – wie hier – nichts anderes bestimmt ist, gem. § 2 Abs. 6 StGB nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt. Nach dieser Vorschrift sind die Voraussetzungen der seit 1. Oktober 2023 geltenden Neufassung des § 64 StGB auch im Erkenntnisverfahren auf „Altfälle“ anzuwenden (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2023 – 5 StR 246/23 –, juris; BGH, Beschluss vom 4. Oktober 2023 – 6 StR 405/23 –, juris).

3. Dieses Verständnis entspricht auch dem Sinn und Zweck, der mit der Gesetzesänderung angestrebt wurde. Denn die Neufassung des § 64 StGB erfolgte insbesondere mit dem Ziel, die Maßregel wieder stärker auf die tatsächlich behandlungsbedürftigen Straftäter zu konzentrieren und so zur Entlastung der Entziehungsanstalten beizutragen (BT-Drucksache 20/5913, S. 77). Gerade die nach der alten Fassung des § 67 StGB vorgesehene, lediglich vom Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 abhängige Möglichkeit der Halbstrafenentlassung stellte zur Überzeugung des Gesetzgebers einen sachwidrigen Anreiz für eigentlich therapieunwillige Angeklagte mit hohen Begleitstrafen dar und führte zu einer Überbelegung der Maßregelvollzugskliniken mit „falschem Klientel“ (BT-Drucksache 20/5913, S. 77). Dem Ziel, die Überbelegung zu reduzieren, dient auch die Neufassung des § 64 StGB im Hinblick auf das Erfordernis der „tatsächlichen Anhaltspunkte“ (BT-Drucksache 20/5913, S. 48).

4. Ungeachtet des Umstandes, dass die h.M. in Rechtsprechung und Literatur von der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 6 StGB ausgeht und ein Eingreifen des Art. 103 Abs. 2 GG bei Maßregeln der Besserung und Sicherung von vornherein verneint (Dannecker/Schuhr in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 2 Zeitliche Geltung, Rn. 170 m.w.N.), steht auch das Rückwirkungsverbot einer Anwendung des neuen Rechts auf „Altfälle“ nicht entgegen.

Denn während die vom Gesetzgeber gem. Artikel 316o Abs. 2 EGStGB vorgenommene Durchbrechung des Grundsatzes aus § 2 Abs. 6 StGB erforderlich war, um denjenigen, der durch eine vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig angeordneten Unterbringung nach § 64 im Maßregelvollzug untergebracht ist, vor einem mit der Änderung des § 67 StGB einhergehenden Nachteil – namentlich der höheren Anforderungen unterliegenden Möglichkeit einer Halbstrafentlassung – zu bewahren, ist dies hinsichtlich der übrigen Neuregelungen durch das Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom 26. Juli 2023 nicht zwingend der Fall. Denn die Dauer der Unterbringung im Maßregelvollzug gem. § 64 StGB kann bei zugleich verhängter niedriger Begleitstrafe die Dauer der Inhaftierung im Strafvollzug deutlich übersteigen, so dass mit einer vorzeitigen Entlassung aus dem Maßregelvollzug gem. § 67d Abs. 5 i.V.m. § 64 S. 2 StGB in zahlreichen Fällen ein kürzerer Freiheitsentzug einhergehen kann.

5. Schließlich stehen der dargelegten Anwendbarkeit des § 64 StGB in der aktuellen Fassung auf die Vollstreckung von vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig angeordneten Unterbringungen in einer Entziehungsanstalt auch keine hiermit einhergehenden gravierenden Schwierigkeiten in der vollstreckungsrechtlichen Prüfung entgegen.

Zwar hat die Strafvollstreckungskammer gem. § 67e Abs. 1 StGB von Amts wegen nicht nur ein Prüfungsrecht; vielmehr ist sie von Amts wegen verpflichtet, allen Anhaltspunkten nachzugehen, die darauf hinweisen, dass die Erledigung einer Maßregel angezeigt ist, was grundsätzlich auch der Fall sein kann, wenn sich der Prüfungsmaßstab für die Zulässigkeit der weiteren Unterbringung vor Ablauf der Prüfungsfristen des § 67e StGB ändert (OLG Hamm, Beschluss vom 28. März 2019 – III-3 Ws 99/19 –, juris; Peglau in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage 2022, § 67e, Rn. 12, Fischer, StGB 70. Auflage 2023, § 67e, Rn. 2). Dies führt jedoch nicht zu einer Verpflichtung, nunmehr von Amts wegen die Fortdauer jeder vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig gewordenen Unterbringung gem. § 64 StGB zu prüfen. Denn Anhaltspunkte für eine Erledigung der Maßregel ergeben sich aus einer Gesetzesänderung erst dann, wenn Untergebrachter, Vollstreckungsbehörde oder Maßregelvollzugseinrichtung aufgrund der Gesetzesänderung zu der Einschätzung gelangen, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringung nicht mehr vorliegen, und dies der Strafvollstreckungskammer zur Kenntnis bringen. „

FAER meets VZR, oder: Keine Tilgungshemmung für „Altfälle“ durch FAER-Neueintragungen

FAERM.E. mehren sich die Entscheidungen, die sich mit den Auswirkungen der Punktereform 2014 befassen, und zwar nicht mehr nur im Verkehrsverwaltungsrecht, sondern zunehmend auch im OWi-Recht. Dabei geht es häufig um die Übergangsregelung des § 65 StVG n.F. Die spielte auch im OLG Bamberg, Beschl. v. 29.04.2016 – 2 Ss OWi 5/16 – eine Rolle. Das AG hatte gegen den Betroffenen wegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG ein Fahrverbot verhängt und die Regelgeldbuße erhöht. Dabei hatte es auf Voreintragungen des Betroffenen abgestellt, deren Rechtskraft vom 13.10.2012, 10.11.2012, 02.02.2013, 15.02.2013, 12.03.2013 und 26.04.2013 datierte. Danach gab es dann noch eine Bußgeldentscheidung vom 25.01.2015 – Rechtskraft eingetreten am 06.02.2015. Das AG war davon ausgegangen, dass durch die Eintragung Tilgungshemmung eingetreten ist. Das OLG Bamberg sagt: Nein. Begründung:

„cc) Jedoch kommt eine Tilgungshemmung durch die unter Nr. 7 erfasste (letzte) Bußgeldentscheidung vom 20.01.2015 vorliegend deshalb nicht in Betracht, weil § 29 VI 2 StVG a.F. lediglich auf vor dem 01.05.2014 erfolgte Eintragungen anwendbar ist (§ 65 III Nr. 2 1 StVG n.F.). Eine Eintragung der erst nach Inkrafttreten der Reform begangenen Tat vom 17.11.2014 konnte den Ablauf der Tilgungsfrist für die vom AG festgestellten Bußgeldentscheidungen Nrn. 1 bis 6 daher nach richtiger Ansicht nicht mehr hemmen (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker StVR 24. Aufl. § 4 StVG Rn. 11 i.V.m. § 29 StVG a.F. Rn. 1 i.V.m. § 29 StVG n.F. Rn. 3; Gübner VRR 2014, 89).

b) Die Einfügung des § 65 III Nr. 2 StVG durch das Änderungsgesetz vom 28.08.2013 zielt nämlich ausweislich der Gesetzesmaterialien darauf ab, die Weiterführung der Tilgungshemmung auf den bei Inkrafttreten der Reform vorhandenen Registerbestand und die bereits ausgelösten Ablaufhemmungen zu beschränken. Eintragungen nach Inkrafttreten der Reform sollen unabhängig von Tattag und Entscheidungsdatum keine Tilgungshemmung mehr auslösen können. Die abzuschaffende Tilgungshemmung soll damit bereits in der Übergangszeit so weit wie möglich reduziert werden (BTDrucks. 17/13452 S. 7; VkBl. 2013, 1155).

aa) Nach dem Wortlaut des § 65 III Nr. 2 StVG kann die Ablaufhemmung des § 29 VI 2 StVG a.F. nicht durch Entscheidungen ausgelöst werden, die ab Inkrafttreten des Änderungsgesetzes am 01.05.2014 im Fahreignungsregister (FAER) gespeichert werden. Allerdings fehlt eine ausdrückliche Bezugnahme auch auf die Ablaufhemmung nach § 29 VI 1 StVG a.F. Ob hierfür aber für den Gesetzgeber überhaupt Anlass bestand, nachdem § 29 VI 1 StVG a.F. nur nach altem Recht eingetragene Entscheidungen betrifft, wohingegen § 29 VI 2 StVG a.F. von einer „neuen“ Tat spricht, ist umstritten (bejahend und allein auf den Wortlaut abstellend jedenfalls Hentschel/König/Dauer StVR 43. Aufl. § 29 StVG Rn. 43). Nach Auffassung des Senats erweist sich indes für die Auslegung der Vorschrift der in den Gesetzesmaterialien niedergelegte Wille des Gesetzgebers als ausschlaggebend.

bb) Die Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers, wie er sich vorliegend eindeutig aus den Gesetzesmaterialien ergibt, ist als eine gegenüber den weiteren Methoden gleichrangige Auslegungsmethode auch dann anwendbar, wenn der Gesetzeswortlaut selbst keinen entsprechenden Hinweis auf den Willen des Gesetzgebers enthält. Dem gesetzgeberischen Willen ist insoweit im Rahmen der Auslegung umso größeres Gewicht beizumessen, wenn es sich – wie hier – um eine noch junge Norm handelt, da dies umso eher die Unterstellung ermöglicht, dass der Wille des Gesetzgebers bei deren Erlass auch zum Entscheidungszeitpunkt noch fortgelten soll (st.Rspr.; vgl. u.a. BGH, Urteil v. 28.08.2007 – 1 StR 268/07 = BGHSt 52, 31 = NJW 2008, 240 = StV 2008, 77 = JR 2008, 207 und Beschl. v. 02.04.2008 – 1 ARs 3/08 = JR 2008, 255 mit Anm. Kudlich; vgl. auch BGH, Urt. v. 18.01.2007 – 4 StR 394/06 = StV 2007, 186 = StraFo 2007, 167 = NStZ 2007, 332 = JR 2007, 379 m. Anm. Kudlich JR 2007, 381). Der BGH hat es jedenfalls dann für ohne weiteres zulässig gehalten, selbst bei abweichendem Wortlaut die Vorstellung des Gesetzgebers der Gesetzesauslegung zugrunde zu legen, wenn sich dies – wie im vorliegenden Fall – ausschließlich zu Gunsten des von einer Sanktion Betr. auswirkt. Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Auslegung einer strafrechtlichen Bestimmung danach nur zum Nachteil des von dieser Betr. (BGH a.a.O.; vgl. auch BGHSt 43, 237/238; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 59. Aufl. Einl. Rn. 194). Ein Grund dafür, bei der Auslegung bußgeldrechtlicher Vorschriften insoweit von anderen Maßstäben auszugehen, ist nicht ersichtlich.“

Ergebnis: Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs und Festsetzung der Regelgeldbuße von 125 €.

Brandaktuell: KG zur Anwendung der Rechtsprechung des EGMR zur Sicherungsverwahrung

Brandaktuell ist die Entscheidung des KG, Beschl. v. 03.03.2011 – 2 Ws 642/10 die mir ein Kollege heute zur Verfügung gestellt hat. Sie behandelt die Anwendung der Entscheidung des EGMR v. 17.09.2009 zur Sicherungsverwahrung.

Hier die Leitsätze:

Das Urteil des EGMR vom 17. Dezember 2009 – 19359/04 – gibt Anlaß, die mehr als zehn Jahre dauernde (erste) Sicherungsverwahrung in allen „Altfällen“ für erledigt zu erklären.

So zu entscheiden sind die Oberlandesgerichte durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs und mehrerer Oberlandesgerichte gehindert.

Gleichwohl wären eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht unzulässig und eine Vorlage an den BGH derzeit untunlich.

So lange müssen die vom 5. Strafsenat des BGH in seinen Entscheidungen vom 21. Juli 2010 – 5 StR 60/10 – (BGHR StGB § 66b Abs. 1 Satz 2 Voraussetzungen 4 = NJW 2010, 3315) und vom 9. November 2010 (Anfragebeschluß, NJW 2011, 240) aufgestellten Maßstäbe berücksichtigt werden, bis der letztere durch einen Vorlagebeschluß bestätigt worden ist und der Große Senat für Strafsachen darüber entschieden hat, oder – wenn dies früher geschieht – das Bundesverfassungsgericht über die ihm vorliegenden und am 8. Februar 2011 in mündlicher Verhandlung beratenen Verfassungsbeschwerden befunden hat.

Das führt in den Fällen, in denen von dem Untergebrachten infolge seines Hanges aktuell erhebliche Straftaten mit schwerer körperlicher oder seelischer Schädigung der Opfer zu erwarten sind und auch eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung nicht in Betracht kommt, dazu, daß über die sofortige Beschwerde derzeit nicht entschieden werden kann.

Immer die anderen? Aber: So einfach wie sich Frau Leutheusser-Schnarrenberger das (vielleicht) gedacht hat, läuft es nicht…

…mit der Umsetzung der Entscheidung des EGMR v. 17.12.2009 und der (neuen) Divergenzvorlage nach § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG an den BGH in den Fragen der Anwendung dieser Entscheidung auf Altfälle.

Nachdem schon das OLG Hamm in seinem Beschl. v. 22.07.2010 – III 4 Ws 180/10 in einem obiter dictum eine (potenzielle) Vorlagepflicht nach der neuen Regelung, die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht in Kraft getreten war, (vorsorglich) verneint hat, hat diese jetzt das OLG Karlsruhe, was dieses gerade in einer PM mitteilt, in seinem Beschl. v. 04.08.2010 – 2 Ws 227/10 ausdrücklich verneint; die Begründung entspricht der des OLG Hamm.

In der PM heißt es:

„Vorlage an den Bundesgerichtshof nicht zulässig

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erneut entschieden, dass sich die gegen einen Sicherungsverwahrten vor dem 31.01.1998 angeordnete, bereits mehr als zehn Jahre vollzogene Sicherungsverwahrung erledigt hat.

Einer sofortigen Beschwerde des Sicherungsverwahrten gegen die Fortdauer der Maßregel hat der 2. Strafsenat jetzt stattgegeben und das Eintreten von Führungsaufsicht festgestellt. Die Begründung für die Unzulässigkeit der weiteren Vollstreckung der Sicherungsverwahrung deckt sich mit den Gründen in zwei am 15.07.2010 entschiedenen Fällen (vgl. hierzu die Presseerklärung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 15.07.2010, eingestellt ins Internet unter www.olg-karlsruhe.de). Trotz dieser von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte abweichenden Entscheidung sei die Sache nicht dem Bundesgerichtshof vorzulegen.

Allerdings trat am 30.07.2010 die neu eingeführte Vorschrift des § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG in Kraft, nach der ein Oberlandesgericht, das bei der Beschwerdeentscheidung über die Frage der Erledigung der Sicherungsverwahrung oder die Zulässigkeit ihrer weiteren Vollstreckung von einer nach dem 01.01.2010 ergangenen Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs abweichen will, die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen hat. Der 2. Strafsenat hatte daher im Hinblick auf bereits im Jahre 2010 ergangene, von der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Karlsruhe abweichende Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte zu prüfen, ob nach der neuen Vorschrift eine Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof geboten war.

Dies hat der 2. Strafsenat verneint. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Vorlage unzulässig, wenn der Bundesgerichtshof dieselbe Rechtsfrage bereits entschieden hat und das Oberlandesgericht ebenso entscheiden will. In einem solchen Fall sind nur die Oberlandesgerichte, die ihrerseits von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs abweichen wollen, zur Vorlage verpflichtet. Vorliegend hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB mit Beschluss vom 12.05.2010 (4 StR 577/09) unter Berücksichtigung des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 ebenso ausgelegt wie der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts in seiner jetzigen Entscheidung. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat ausdrücklich klargestellt, dass Art. 7 EMRK eine andere Regelung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB darstellt, so dass für Entscheidungen über die Sicherungsverwahrung das Tatzeitrecht maßgeblich ist. Auch wenn es dort um die Frage der Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung ging, während das Oberlandesgericht über die Frage eines Rückwirkungsverbots im Zusammenhang mit dem nachträglichen Entfallen der Zehnjahresfrist des § 67 d Abs. 1 StGB in der bis zum 30.01.1998 geltenden Fassung zu befinden hatte, habe der Bundesgerichtshof dieselbe Rechtsfrage bereits entschieden. Denn sowohl in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen wie auch in dem dem Oberlandesgericht Karlsruhe vorliegenden Fall gehe es um die Frage, ob die Sicherungsverwahrung in ihrer konkreten Ausgestaltung in der Auslegung durch den EGMR als Strafe zu werten und deshalb Art. 7 EMRK für diese Maßregel als andere gesetzliche Regelung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB anzusehen ist, die ein Rückwirkungsverbot begründet. Angesichts der Ähnlichkeit der Fallgestaltungen könne diese Frage nur einheitlich beantwortet werden, zumal der 4. Senat des Bundesgerichtshofs die Rechtsfrage aufgrund einer Entscheidung des EGMR entschieden habe, die die dem Oberlandesgericht vorliegende Fallkonstellation betraf.“

Tja, vorlegen müssen dann die OLG, die es anders sehen als der BGH und/oder OLG Hamm und OLG Karlsruhe. Und: Frau Bundesjeustizministerin: Es wird kein Weg an einer gesetzlichen Umsetzung der Vorgaben des EGMR vorbeigehen. Die OLG werden dir die Kartoffeln in der Frage nicht aus dem Feuer holen.

OLG Köln: Keine Aufhebung der Sicherungsverwahrung in einem Altfall

Mit Beschl. v. 14.07.2010 – 2 Ws 428/10 hat das OLG Köln zur Anwendung der Entscheidung des EGMR v. 17.12.2009 auf Altfälle Stellung genommen. Es sieht die Frage anders, als z.B. das OLG Hamm (vgl. dazu den gerade geposteten Beschl. v. 22.07.2010 – 4 Ws 180/10 m.w.N.)

Das OLG Köln meint: Das Urteil des EGMR stehe der Anordnung der Fortdauer einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung durch die Vollstreckungsgerichte nicht entgegen. Durch Auslegung des geltenden Rechts könne dem Urteil keine Geltung verschafft werden, da die einfachgesetzlichen Regelungen ein derartiges Vorgehen eindeutig zulassen. Für eine Transformierung des Urteils in innerstaatliches Recht bedürfe es eines Eingreifens durch den Gesetzgeber. Dass der nichts tut bzw. noch nichts getan hat, hat ja auch das OLG Hamm beanstandet