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Vorweihnachtliches verkehrsrechtliches Potpourri: 4 x (Akten)Einsicht, 1 x Auswertung durch Private und 1 x Richtervorbehalt

© bluedesign - Fotolia.com

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Einige der Beschlüsse, die ich heute vorstelle, hängen schon länger in meinem Blogordner und warten auf die Veröffentlichung. Es ist immer wieder etwas dazwischen gekommen, aber heute „gehen sie dann raus“. Zumal ich sie nicht mit ins neue Jahr nehmen will.

Alle Entscheidungen haben einen verkehrsrechtlichen Bezug. Sie betreffen einerseits den „Jahresdauerbrenner“ Akteneinsicht/Einsicht in Messdaten, greifen noch einmal die Frage der Zulässigkeit der Auswertung von Messdaten durch Private auf und: Abgrundet wird das Ganze durch eine (weitere) Entscheidung zum Richtervorbehalt bei der Blutentnahme. Das ist eine Entscheidung des AG Zeitz, die zeigt: Das Thema hat zwar nicht mehr die Bedeutung wie noch vor einigen Jahren – die grundlegende Entscheidung des BVerfG liegt im nächsten Jahr ja auch schon 10 Jahre zurück – aber es gibt immer wieder Entscheidungen, die zeigen: Tot ist die Problematik doch nicht.

Und hier dann die Entscheidungen:

1. Akteneinsicht im Bußgeldverfahren bzw. Einsicht in Messunterlagen:

  • AG Bad Hersfeld, Beschl. v. 27.10.2016 – 78 OWi – 33 Js 5928/16, das unter Hinweis auf § 31 Abs. 2 Nr. 4 MEssEG dem Regierungspräsidium aufgegeben hat, „die Lebensakte/Geräteakte zum oben genannten Messgerät beizuziehen und dem Gericht vorzulegen. Sollte eine solche Akte, in welcher Eichunterlagen und Wartungen aufgenommen sind, nicht geführt werden oder nicht existent seien, ist hierzu eine dienstliche Stellungnahme abzugeben.“
  • AG Schwelm, Beschl. v. 22.11.2016 – 60 OWi 469 Js 768/15-520/15 –, wonach der Betroffene über seinen Verteidiger unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens und insbesondere dem Gedanken der „Waffengleichheit“ gegenüber der Bußgeldstelle ein Anrecht auf kostenfreie Zurverfügungstellung der digitalen Messdatei, des Passwortes sowie des zur Auswertung erforderlichen Tokens hat.
  • AG Velbert, Beschl. v. 17.11.2016 – 31 OWi 1003/16 [b], wonach die Ordnungsbehörde dem Betroffenen die Rohmessdaten in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen hat.
  • AG Trier, Beschl. v. 25.10.2016 – 35 OWi 780/16, wonach die Verwaltungsbehörde dem Verteidiger die digitalen Falldatensätze (PoliScan Speed, TUFF-Dateien) der Messerie des Betroffenen mit Token-Datei und Passwort sowie die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme rechtzeitig vor der Hauptverhandlung zur Verfügung zu stellen hat.

2. Auswertung der Messdaten durch Private

  • OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.08.2016 – 4 Ss 577/16 mit dem Leitsatz: „Im Bußgeldverfahren ist die Hinzuziehung privater Dienstleister auch im Rahmen der Verkehrsüberwachung und der Auswertung der dabei gewonnenen Daten zulässig, solange die Verwaltungsbehörde Herrin des Verfahrens bleibt. Ihr muss die Entscheidung verbleiben, wann, wo und wie die Verkehrsüberwachung durchgeführt wird, und sie muss gewährleisten, dass das Messverfahren und die Auswertung der dadurch gewonnenen Daten den rechtlichen Vorgaben entspricht.“ Haben wir so auch schon an anderer Stelle gelesen.

3. Richtervorbehalt bei der Blutentnahme

  • AG Zeitz, Beschl. v. 27.06.2016 13 OWi 560 Js 212512/15, in dem das AG von einer Verletzung des Richtervorbehalts (§ 81a Abs. 2 StPO) ausgeht und ein Beweisverwertungsverbor annimmt, wenn die Polizei nicht ernsthaft versucht, den Bereitschaftsrichter zu erreichen:„Danach muss davon ausgegangen werden, dass es gar keinen ernsthaften Versuch gegeben hat, einen Bereitschaftsrichter zu erreichen. Dabei wäre es nach Auffassung des Gerichts durchaus legitim gewesen, wenn der Versuch durch Polizisten direkt und ohne Einschaltung eines Staatsanwalts erfolgt wäre. Das Gericht hält aber die Schlussfolgerung der seinerzeit zuständigen Bereitschaftsrichterin für zwingend, „dass ein solches Telefonat nicht erfolgt sei oder eine falsche Telefonnummer gewählt worden sei.“

    Ginge man davon aus, dass ein Telefonat gar nicht erfolgt sei, wäre die bewusste Umgehung des für die Blutentnahme vorgesehenen Richtervorbehalts offenkundig. Dafür, dass es sich so verhalten hat, spricht der noch am Ereignistag gefertigte Vermerk Bl.4 über die Anordnung der Blutprobenentnahme, in dem sich kein Wort über einen Versuch findet, einen Bereitschaftsrichter zu erreichen.

    Geht man von der Alternative des Wählens einer falschen Telefonnummer aus, ist die bewusste Umgehung des für die Blutentnahme vorgesehenen Richtervorbehalts nicht ganz so offensichtlich, aber ebenso gegeben.

    Wer – wie ein Polizist – weiß, dass ein anderer, den er erreichen will, – wie ein Bereitschaftsrichter bis 21 Uhr – erreichbar sein muss, überprüft normalerweise, wenn er diesen nicht erreicht, die Richtigkeit der gewählten Telefonnummer und wählt auch dann, wenn sie richtig ist, nach einigen Minuten erneut, da der gewünschte Gesprächspartner an der Annahme des Telefonats etwa durch das Aufsuchen einer Toilette kurzfristig gehindert sein kann. Nichts davon ist dokumentiert.“

So das war das Potpourri: Das Posting hat im Blogordner etwas Luft gebracht. Dank an den Kollegen Gratz, dass ich mir einen Teil der Entscheidungen zur Akteneinsicht aus seinem Blog „klauen“ durfte.

„Wunder gibt es immer wieder“, oder: Der Pflichtverteidiger im Adhäsionsverfahren

© ProMotion - Fotolia.com

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Es war Katja Ebstein, die in den 70-iger Jahren den Song „Wunder gibt es immer wieder“ gesungen hat. Nun gestern war ich es – zumindest im übertragenen Sinn -, als ich von der Kollegin Mehner-Heurs aus Schwelm den AG Schwelm, Beschl. v. 23.12.2015 – 50 Ds 500 Js 454/14 – übersandt bekommen habe. Es ging dabei um die Frage des Umfangs der Pflichtverteidigerbestellung, nämlich darum, ob die sich auch ohne weiteres auf die Tätigkeiten im Adhäsionsverfahren erstreckt. Und damit darum, ob für den Pflichtverteidiger auch die Gebühr Nr. 4143 VV RVG angefallen ist. Die Frage ist in Rechtsprechung und Literatur höchst streitig, die Mehrheit der OLG lehnt die automatische  Erstreckung ab. Dazu gibt es ellenlange OLG-Beschlüsse, die m.E. falsch sind. Das AG Schwelm braucht da nicht so viel Platz, um es anders, aber damit auch richtig zu machen. Es führt recht kurz und zackig aus:

„Die Bestellung zum Verteidiger gemäß § 140 StPO ist umfassend. Sie erfasst insbesondere auch die Verteidigung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren (so auch OLG Rostock, Beschl. v. 15. 6. 2011 —1 Ws 166111; OLG Dresden. Beschl. v. 13. 6. 2007 —1 Ws 155/06; OLG Köln, Beschl. v. 29. 6. 2005 —2 Ws 254/05; OLG Hamm, Beschl, v. 31. 5. 2001 — Sbd 6-87/01, OLG Schleswig, NStZ 1998, NStZ 1998. 101; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 140 Rdnr. 5).

Es sind keine entgegenstehenden Rechtsnormen erkennbar. Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung aus den §§ 404, 397a und 406g StPO Anleihen genommen werden, werden diese durch verschiedene Obergerichte unterschiedlich ausgelegt (vgl. Darstellung in OLG Hamm, Beschluss vom 08.11.2012 — 111-3 Ws 139/12). Insoweit kann eine eindeutige Regelung nicht angenommen werden, aus der sich ergibt, dass sich eine Pflichtverteidigerbestellung ohne weitere Erklärung nicht auf das Adhäsionsverfahren bezieht.

Vielmehr muss aufgrund des Charakters der Pflichtverteidigerbestellung, die schon wegen des Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes und dem Grund für die Existenz dieser Norm, umfassend ausgestaltet sein muss, angenommen werden, dass gerade auch das Adhäsionsverfahren von der Bestellung erfasst ist. Soweit dies in Beschlüssen ausdrücklich festgestellt wird, dient dies lediglich der Klarstellung.“

Also: Geht doch 🙂 . Ich bin allerdings mal gespannt, ob die Staatskasse – wenn sie denn ein Rechtsmittel hat – es hinnimmt. Im Zweifel wahrscheinlich nicht.

„Munition“ für die Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – immer wieder Kampf um Eichschein, Bedienungsanleitung u.a.

Der Kollege Melchior berichtet gerade (vgl. hier) über ein Akteneinsichtsgesuch, bei dem ihm der Eichschein nicht übersandt worden ist mit der Begründung (in Bayern), dass der nicht Bestandteil der Akten sei und nur auf gerichtliche Anforderung übersandt werde. Der Kollege Voigt berichtet in einem Kommentar dazu, dass es in NRW etwa heißt, „haben wir nicht, gibt es also auch nicht, im Übrigen sind die Beamten geschult“.

Der dauernde Kampf um diese oder andere Unterlagen erstaunt mich dann doch immer wieder. Schließlich geht es bei der Frage der Akteneinsicht – auch des Umfangs – um das rechtliche Gehör. Wie soll eigentlich der Betroffene die Ordnunsgemäßheit einer Messung überprüfen, wenn er nicht alle Unterlagen kennt, die dafür von Bedeutung sind. Und dazu gehören m.E. Eichschein usw. Auch das Argument: Urheberrecht des Verfassers der Bedienungsanleitung zieht m.E. nicht. Der Anspruch auf rechtliches Gehör geht m.E. vor. M.E. muss sich der Verteidiger auch nicht damit zufrieden geben, dass die Behörde sagt: War geeicht und die Beamten sind geschult. Das ist m.E. nichts anderes als „Parteivortrag“.

In dem Kampf 🙂 muss man gut gerüstet sein. Dazu gehört die entsprechende Rechtsprechung der AG, die sich m.E. auf dem richtigen Weg befinden und dem Verteidiger ein Akteneinsichstrecht in all die Unterlagen einräumen, die auch einem Sachverständigen für ein Gutachten zur Verfügung gestellt werden müssen. Das sind:

Jeweils für Bedienungsanleitung bzw. Messfilm oder Messfoto

über AG Erfurt und AG Schwelm haben wir ja auch hier schon berichtet.

Die Bedienungsanleitung für das Dräger-Gerät findet sich im Internet unter: http://www.draeger.com/DE/de/products/alcohol_drug_detection/evidential/cdi_alcotest_7110_evidential.jsp

Für die sog. Lebensakte ist ganz interessant:

Ach so: Und dann muss man natürlich, wenn man Munition für die Rechtsbeschwerde haben will, mit der Problematik auch verfahrensrechtlich richtig umgehen. Im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde natürlich Antrag nach § 62 OWiG, zu allem anderen: Fortsetzung folgt :-).

Der Kampf um die Bedienungsanleitung zum Messgerät im OWi-Verfahren, und täglich grüßt das Murmeltier

Jeder Verteidiger kennt es: Er muss im straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren schon um die Bedienungsanleitung zu Messgeräten kämpfen. Die Verwaltungsbehörde will sich häufig nicht freiwillig herausgeben; noch schlimmer/hartnäckiger ist man, wenn es um die sog. Lebensakte geht. Die kennt man nicht, die gibt es nicht.

M.E. falsch, da sowohl Bedienungsanleitung als auch Lebensakte zur Akte gehören bzw. insoweit zumindest ein Akteneinsichtsrecht besteht. Das hat für die Bedienungsanleitung jetzt auch das AG Schwelm ( Beschl. v.  13.04. 2010 – 64 OWi 18/10 [b]) zutreffend bejaht, für die Lebensakte allerdings unter Hinweis auf Göhler verneint. Das überzeugt mich jedoch nicht, denn der Hinweis auf Göhler ist doch kein Argument; Göhler ist doch kein Gesetz, sondern nichts anderes als ein Kommentar. Ich kann nur hoffen, dass die Verteidiger nicht müde werden und in diesen Fragen hart(näckig) bleiben. Steter Tropfen höhlt den Stein.