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„Alles Quark“ und „Schrott“ – darf der Vorsitzende sich so zum Angeklagten äußern?

Der BGH, Urt. v. 20.04.2011 – 2 StR 639/10 verhält sich u.a. zu einer Verfahrensrüge, mit der die unzulässige Ablehnung eines Ablehnungsantrags in der Hauptverhandlung gerügt worden ist. Schade, die Rüge ist vom BGH als unzulässig angesehen worden, und zwar mit folgende Begründung:

Die hiergegen gerichtete Verfahrensrüge genügt nicht den Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss, durch den das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen worden ist, stellt einen Teil der Revision dar. Sie muss deshalb in der Form des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO begründet werden (vgl. BGHSt 21, 334, 340). Der Zulässigkeit der Rüge steht es deshalb entgegen, dass der Beschwerdeführer den jeweiligen Zusammenhang der beanstandeten Äußerungen des abgelehnten Vorsitzenden mit bestimmten Einzelheiten seiner Einlassung in der Hauptverhandlung nicht erläutert hat. Nur im Zusammenhang mit dem konkreten Anlass der Äußerungen des Vorsitzenden kann beurteilt werden, ob sich daraus ein vernünftiger Grund für die Besorgnis der Befangenheit ergibt (vgl. BGH NStZ 2000, 325 f.).“

Schade, denn ich hätte gerne mal konkret gewusst, was der BGH zu dem mit dem Ablehnungsgesuch vorgetragenen Verhalten des Vorsitzenden in der Sache meint. Der Rüge lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Zu Beginn des zweiten Verhandlungstages gab der Verteidiger des Angeklagten W. für diesen eine Einlassung ab. Nachdem eine Zeugin vernommen wurde, bestätigte der Angeklagte W. die Richtigkeit der Angaben seines Verteidigers und äußerte sich ergänzend. Der Verteidiger bat um eine Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Anbringung eines Ablehnungsgesuchs gegen den Vorsitzenden. Dieser verwies den Verteidiger darauf, dass er ohne Rechtsverlust dazu am Ende des Verhandlungstages Gelegenheit erhalte. Es folgten weitere Beweiserhebungen. Schließlich stellte der Verteidiger das Ablehnungsgesuch, wonach der Vorsitzende während der Vernehmung des Angeklagten W. geäußert hatte: „Ihre Aussage stimmt nicht.“ „Was Sie sagen, ist nicht richtig.“ „Alles Quark“ und „Schrott“. Die Abgabe der Äußerungen hat der abgelehnte Richter bestätigt und dazu dienstlich erklärt, durch seine offenen Worte habe er dem Angeklagten W. Gelegenheit gegeben, „eine offensichtlich falsche Darstellung zu korrigieren oder eine zunächst einmal wenig plausible Erklärung zu erläutern“. Die Strafkammer hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen.“

Sind das noch „offene Worte“ oder ist das mehr? Der BGH scheint es nicht grundsätzlich als unzulässig anzusehen, wenn sich der Vorsitzende so zur Einlassung des Angeklagten äußert. Denn dann käme es auf den „Zusammenhang mit dem konkreten Anlass der Äußerungen des Vorsitzenden“, den der BGH zur Begründung der Verfahrensrüge vermisst, nicht an. M.E. ist/war das aber mehr als „offene Worte“.

PKH abgelehnt – kein Rechtsmittel.

Ja, richtig gelesen, PKH. Und das im Strafverfahren? Ja, auch das ist richtig, wenn es nämlich u.a. um den Nebenkläger und seinen Adhäsionsantrag geht. Wird dafür keine PKH bewilligt, gibt es dagegen kein Rechtsmittel, sagt das OLG Brandenburg, Beschl. v.  20.10.2010 – 1 Ws 167/10. Begründet wird das wie folgt:

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe im Adhäsionsverfahren richtet sich gemäß § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO nach den entsprechenden Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (§§ 114 ff. ZPO). Hiervon nicht erfasst sind jedoch die Bestimmungen des § 127Abs. 2, 3 ZPO über Rechtsmittel. Denn insoweit enthält § 404 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 StPO für das Strafverfahren eine abschließende Sonderregelung, nach welcher die in Prozesskostenhilfesachen ergehenden Entscheidungen nicht anfechtbar sind (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2007, 254 m.w.N., OLG Düsseldorf JurBüro 1990, 908, KG Berlin, Beschluss vom 26.10.2010 – 4 Ws 146/07 -). Diese Regelung gilt sowohl hinsichtlich einer Rechtsmittelbefugnis der Staatskasse (OLG Düsseldorf a.a.O.) wie auch hinsichtlich des vorliegenden Rechtsmittels der Antragstellerin. Aus dem systematischen Zusammenhang zwischen § 404 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 StPO und § 406a Abs. 1 StPO wird nämlich die gesetzgeberische Grundentscheidung deutlich, die Rechtsmittelbefugnisse in Adhäsionssachen zu begrenzen, um das Strafverfahren nicht durch Beschwerdeverfahren über die Prozesskostenhilfe zu belasten und zu verzögern. Die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe unterliegt mithin keiner Anfechtung. (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O. unter Hinweis auf BT-Drucks. 10/5305, S. 16).“

Das gilt dann konsequenterweise auch für den Angeklagten, wenn man davon ausgeht, dass die Bestellung seines Pflichtverteidigers sich nicht automatisch auf das Adhäsionsverfahren erstreckt, sondern der Pflichtverteidiger insoweit im Wege der PKH bestellt werden muss.

Die schwangere Verteidigerin und (nun) das LG Bonn – oder „Arroganz der Macht“?

Die Geschichte „Die schwangere Verteidigerin und das AG Bonn“ hat nun ein (unrühmliches) Ende beim LG Bonn gefunden. Dieses hat in LG Bonn, Beschl. v. 19.04.2011 – 22 Qs 31/11 die Beschwerde der Kollegin gegen die Ablehnung ihres Terminsverlegungsantrags durch das AG Bonn zurückgewiesen, um nicht zu sagen: Abgebügelt. Die Beschwerde sei unzulässig, jedenfalls sei die Ablehnung des Terminsverlegungsantrages der Kollegin nicht so „evident fehlerhaft“, dass das zum Erfolg der Beschwerde = zur Terminsverlegung führe.

Wenn man es liest, dann hat man schon den Eindruck, dass der Kommentar des Kollegen Melchior zur Entscheidung des AG „ekelhafte richterliche Arroganz“ nicht so ganz von der Hand zu weisen ist. Das „ekelhaft“ ist vielleicht ein bißchen dick, aber m.E. schon berechtigt ist der darin liegende Vorwurf der „Arroganz der Macht“. Denn im Beschluss setzt man sich wieder nicht konkret mit der Frage auseinander, dass die Kollegin eine Verschiebung um etwas einen Monat erbeten hatte. Er lässt m.E. auch nicht erkennen, ob man sich eigentlich der Schwierirgkeiten bewusst ist, die in solchen Situationen außerhalb des öffentlichen Dienstes bestehen. Dafür wird aber mit „denkbar“, also mit Vermutungen und Annahmen, argumentiert, wenn es heißt:

Abschließend entscheiden braucht die Kammer diese Frage jedoch nicht, da es an einer solchen evidenten Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung fehlt und zudem die Nachteile für den Betroffenen nicht von erheblichem Gewicht sind. Aus der vom Amtsgericht gegebenen Begründung für die Nichtverlegung des Termins ergibt sich, dass von einer Verlegung des Hauptverhandlungstermins deshalb abgelehnt wurde, weil für eine absehbare Zeit nicht sichergestellt sei, dass die Verteidigerin für einen Termin zur Verfügung stehe. Dies ist nicht falsch: Die Verteidigerin kann naturgemäß nur den errechneten Entbindungstermin angeben, der tatsächliche Entbindungstermin kann aber unter Umstän­den deutlich später liegen. Zudem ist es denkbar, dass es bei der Geburt zu Komplikationen kommt und/ oder zu gesundheitlichen Problemen beim Kind oder der Verteidigerin, welche letztendlich — eventuell kumuliert — die Teilnah­me an einem Hauptverhandlungstermin auch einige Wochen nach dem avisier­ten Termin nicht zulassen. Vor diesem Hintergrund besteht ein grundsätzlich anerkennenswertes Interesse des Amtsgerichts daran, den Termin bestehen zu lassen, um das bereits lange andauernde Verfahren, in dem es zudem um kei­ne besonders gewichtige Verkehrsordnungswidrigkeit geht und zudem die Ver­tretung durch einen anderen Verteidiger möglich ist, zeitnah abschließen zu können.“

Denkbar ist alles/vieles und mit der Begründung kann man jeden Terminsverlegungsantrag zurückweisen. Kein Wort zur obergerichtlichen Rechtsprechung, die die Frage bei dem vergleichbaren Fall der Erkrankung und auch sonst bei Verhinderung des Verteidigers in einigen Fällen anders gesehen hat. Ich bin gespannt, was das OLG Köln demnächst dazu sagen wird. Denn was bleibt denn jetzt noch anders, als den Betroffenen für die HV vorzubereiten, dort einen Aussetzungsantrag zu stellen, um dann dessen zu erwartende Ablehnung in der HV mit der Rechtsbeschwerde zu rügen.

Abschließend: Wenn man den Beschluss des AG Bonn und auch jetzt den des LG Bonn liest, fragt man sich: Was hätte man sich eigentlich damit vergeben, wenn man dem Antrag des Betroffenen gefolgt wäre?

Und: Die Kollegin befindet sich seit Samstag stationär im Krankenhaus, weil Wehen künstlich eingeleitet werden. Anhaltspunkte für weitere Komplikationen  sind derzeit nicht bekannt, so dass man jedenfalls derzeit davon ausgehen muss, dass ihr  eine Terminwahrnehmung in vier bis sechs Wochen möglich sein dürfte. Es ist allerdings naturgemäß nicht damit zu rechnen, dass sie am kommenden Montag in dieser Angelegenheit einen Termin wahrnehmen kann.

Die schwangere Verteidigerin und das AG Bonn

Da war ich ja dann doch mal wieder erstaunt, als ich den Beschl. des AG Bonn v. 14.03.2011 – 804 OWi-665 Js 923/10-356/10 zum Lesen bekam, weil die Verteidigerin in der Sache eine Frage hatte. Hintergrund der Sache, in der während des Verfahrens ein Richterwechsel stattgefunden hat, bereits einmal eine HV stattgefunden hat und nun noch ein Sachverständigengutachten eingeholt worden ist: Die Kollegin/Verteidigerin ist schwanger und entbindet voraussichtlich am 30.04.2011. Sie ist für den 04.05.2011 als Verteidigerin zu der neuen Hauptverhandlung geladen. Sie hat um Terminsverlegung gebeten und gebeten den HV-Termin um rund vier Wochen zu verlegen. Das AG lehnt ab und begründet seine Entscheidung wie folgt:

„Ein Anspruch auf die Verlegung eines Termins besteht nicht. Die Entscheidung steht vielmehr im Ermessen des Gerichts. Denn die Terminsbestimmung ist Sache des Vorsitzenden und steht in seinem Ermessen. Dabei ist im Rahmen des Ermessens den Belangen der Beteiligten unter Berücksichtigung des Gebots der Verfahrensbeschleunigung Rechnung zu tragen. Diese Grundsätze gelten auch für Terminsverlegungsanträge.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wird der Termin vorliegend nicht verlegt. Die Verteidigerin gibt an, voraussichtlich am 30.04.2011 zu entbinden. Vor diesem Hintergrund ist sie nachvollziehbar an der Terminswahmehmung gehindert. Allerdings wird sich wegen des Mutterschutzes auch zu einem späteren Termin in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung stehen. Deshalb wird sich der Betroffene ohnehin nach einer bzw. einem anderen Verteidiger umsehen müssen bzw. auf Verteidigung verzichten müssen. Es handelt sich nicht um einen Fall notwendiger Verteidigung sondern um eine Verkehrsordnungswidrigkeit. Das Vertrauensverhältnis zwischen Wahlverteidiger und Mandant hat seine Grenze dort, wo ansonsten ein Verfahren auf unbestimmte Zeit vertagt werden müsste. Dies ist vorliegend der Fall. Es ist nicht möglich, die Terminierung bis auf die nicht absehbare Zeit des Endes des Mutterschutzes zurückzustellen, zumal etwaige Komplikationen im Verlauf der Entbindung auch eine Terminierung nach Ablauf der Mindestfrist nicht sicherstellen.“

Die Frage, was man (noch) tun könne, hatte die Kollegin schon selbst beantwortet: Sie hat Beschwerde eingelegt. Das wird dann als zulässig angesehen, wenn die Ablehnung des Terminsverlegungsantrags rechtswidrig ist. Davon wird man hier m.E. ausgehen können. Denn: Kein Wort zu dem Antrag, um rund vier Wochen zu verlegen – also nicht auf absehbare Zeit. Es muss also nicht auf unbestimmte Zeit vertagt werden. Und: Nach der OLG-Rechtsprechung hat der Betroffene auch in OWi-Sachen grds. einen Anspruch auf Verteidigung durch seinen Anwalt des Vertrauens. Auch damit setzt sich das AG nicht auseinander.

Ich bin gespannt, wie das LG entscheiden wird.

//Edit vom 26.04.2011: siehe hier.

Echternacher Springprozession, oder: Wer A sagt muss auch B sagen

Ein interessanter Sachverhalt und eine dazu passende (zutreffende) Begründung in KG, Beschl. v. 25.10.2010 – 3 Ws (B) 582/10 – 2 Ss 335/10:

Auf Anregung des Betroffenen, dem vorgeworfen wird, er habe mit der von ihm geführten Taxe auf der BAB 111 im Tunnel Tegel neben einer Nothaltebucht angehalten und sei sodann ein Stück zurückgefahren, um einen Fahrgast, der mit seinem Pkw wegen Treibstoffmangels liegen geblieben war, mit einem Ersatzkanister aussteigen zu lassen, hatte der Tatrichter veranlasst, dass der Polizeibeamte B. zu seiner Vernehmung am 26. August 2010 die zum Tatzeitpunkt gespeicherte Aufzeichnung der Überwachungskamera des Tunnels Tegels mitbringt, weil sie den verfahrensgegenständlichen Geschehensablauf dokumentiert habe. Die von diesem mitgebrachte DVD wurde nach der Vernehmung des Zeugen versucht, auf dem gerichtseigenen Wiedergabegerät abzuspielen. Da dies nicht gelangt, beantragte der Betroffene „eine abspielbare DVD und/oder Videoaufzeichnung… zu beschaffen und in einem neuen Termin als Beweismittel abzuspielen, so wie schon im heutigen Termin am 26.08.2010 beabsichtigt“. Diesen Antrag hat der Tatrichter nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG abgelehnt und in den Urteilsgründen u.a. ausgeführt, die Zeugen hätten bestätigt, „dass die DVD insgesamt auch nicht sehr viel hergebe, sehe man davon ab, dass deutlich sei, dass der Betroffene mit seiner Taxe auf der Autobahn gehalten habe.“ Darüber hinaus habe sich nach den in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen ergeben, dass die – auch den Zeugen bekannte – DVD den rückwärtigen Fahrvorgang der Taxe nicht etwa deshalb nicht deutlich zeige, weil dieser nicht stattgefunden habe, sondern weil die Aufnahme in technischer Hinsicht dafür nichts hergebe und die Aufnahme nicht hinreichend klar und deutlich wäre. Das Beweismittel in Form der DVD sei daher „völlig ungeeignet“.

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