In einem beim LG Stade anhängigen Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern hat an der Berufungshauptverhandlung eine Schöffin teilgenommen, die Mitglied bei Wildwasser e.V. und dort früher auch im Vorstand tätig war. Der Angeklagte hat darauf einen Ablehnungsantrag gestützt und dessen Zurückweisung dann mit der Revision geltend gemacht. Das OLG Celle sagt im OLG Celle, Beschl. v. 02.06,.2014 – 31 Ss 22/14: Allein die Mitgliedschaft einer Schöffin bei „Wildwassser e.V.“ begründet auch dann nicht die Besorgnis der Befangenheit, wenn dem Angeklagten sexueller Missbrauch von Kindern zur Last gelegt wird. Aus der Begründung:
b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die unter dem Namen „Wildwasser e.V.“ regional operierenden Vereine, durch „- vermeintlich – professionell ausgebildete Fachfrauen“ tätig werden, die „auf der Grundlage eines feministisch-parteilichen Konzepts“ arbeiten. Soweit die Revision aus diesem Grundkonzept und den Äußerungen der Schöffin gegenüber dem H. Abendblatt die Sorge ableitet, dass die Schöffin sich auch bei Ausübung ihres Richteramtes nicht von dem „Prinzip feministischer Parteilichkeit“ lösen könne, vermag ihr der Senat nicht zu folgen.
Aus den von der Revision zitierten Quellen ergibt sich, dass das vorgenannte Konzept die konkrete Tätigkeit der Beraterinnen des Vereins im Umgang mit den einzelnen Betroffenen prägt. Die Schöffin selbst war nach ihrer dienstlichen Stellungnahme aber zu keinem Zeitpunkt Beraterin oder sonst in die konkrete Bearbeitung einzelner Beratungsfälle eingebunden, sondern hatte als Vorstandsmitglied lediglich organisatorische Aufgaben wie Spendenbeschaffung und Aufarbeitung einer Ausstellung; zum Zeitpunkt der Verhandlung in vorliegender Sache war sie noch „passives“ Mitglied des Vereins. Soweit die Revision geltend macht, aus dem Titel der Ausstellung „Trau dich – trau dir und deinen Gefühlen“ habe sich auch für die Schöffin deutlich ergeben, dass „Ausgangspunkt für die Zuschreibung der Opferrolle durch Wildwasser nicht von den betreuten Personen wahrgenommene Tatsachen, sondern Befindlichkeiten“ seien, lässt sie außer Acht, dass es sich bei der Ausstellung ausweislich des der Revisionsbegründung beigefügten Artikels aus der R. Rundschau um eine Präventionsausstellung handelte, sie also ersichtlich den Zweck hatte, Menschen davor zu bewahren, überhaupt in die Opferrolle zu geraten. Im Übrigen gehören zu den Tatsachen auch innere Tatsachen (vgl. Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. § 112 Rn. 22).
Es ist zwar davon auszugehen, dass die Schöffin das Grundkonzept der Beratungstätigkeit des Vereins kennt und befürwortet. Angesichts des Umstandes, dass die Schöffin als Mitglied des Vorstands und erst recht zuletzt als lediglich passives Mitglied nicht mit konkreten Beratungsfällen befasst war, konnte der Angeklagte bei verständiger Betrachtung indes nicht den weitergehenden Schluss ziehen, die Schöffin könne nicht zwischen dem Arbeitskonzept der Beraterinnen des Vereins und ihren eigenen Pflichten als Schöffin differenzieren und werde nicht unvoreingenommen entscheiden.
c) Diese Besorgnis lässt sich auch nicht aus den Äußerungen der Schöffin gegenüber dem H. Abendblatt ableiten. Aus ihnen kann bei verständiger Würdigung nicht geschlossen werden, dass die Schöffin männliche Angeklagte nur als Täter wahrnehme. Die Passage lautet:
„Die Beteiligung von Nichtjuristen an der Rechtsprechung sollte den Einfluss der Obrigkeit verringern; die Schöffen wirkten als Vermittler zwischen Justiz und Bevölkerung. Das sei auch heute noch eine spannende und wichtige Aufgabe, findet P. H., auf die sie sich jedes Mal aufs Neue unvoreingenommen und aufmerksam einlasse. „Zum einen, weil man das dem Angeklagten einfach schuldig ist. Zum anderen, weil es auch gar nicht anders geht. Wenn ich ins Gericht fahre, weiß ich nämlich nichts über das Verfahren, an dem ich als Schöffin beteiligt bin. Was anliegt, wird uns erst fünf Minuten vor Verhandlungsbeginn gesagt, damit wir mit einem unverfälschten neutralen Blickt Tat und Täter beurteilen können.“
Diese Passage lässt im Zusammenhang gelesen keinen Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Schöffin aufkommen. Allein das Abstellen auf die – ersichtlich laienhaft verwendeten – Worte „Tat und Täter“ kommt nicht in Betracht; denn so isoliert betrachtet würde der letzte Satz schon für sich genommen, aber erst Recht in der Zusammenschau mit dem Rest der Passage keinen Sinn ergeben. Wenn die Schöffin mit den Worten „Tat und Täter“ tatsächlich eine für künftige Verfahren bereits vorgefasste Überzeugung von der Schuld eines jeden männlichen Angeklagten zum Ausdruck gebracht hätte, so wäre nicht ersichtlich, was mit dem „unverfälschten neutralen Blick“ gemeint sein sollte, den sie direkt davor erwähnt hat, und worin die Unvoreingenommenheit bestehen sollte, die zuvor in dem in indirekter Rede wiedergegebenen Satz von ihr bekundet worden ist. Auch wäre nicht nachvollziehbar, was sie „dem Angeklagten einfach schuldig“ sein sollte, wenn nicht die zuvor erwähnte Unvoreingenommenheit. Da der Satz in dem von der Revision vertretenen Verständnis auch bedeuten würde, dass die Schöffin in allen Verfahren gegen männliche Angeklagte, also auch solchen, die keine Sexualstraftaten betreffen, voreingenommen ist, wäre zudem ein Zusammenhang mit ihrer Mitgliedschaft im Verein „Wildwasser“ nicht erkennbar.“