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Eigene Sachkunde des Gerichts – so einfach ist das nicht

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In einem Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung ging es beim LG Hagen in der Berufung (auch) um die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten (§§ 20, 21 StGB). Das LG hatte einen dazu gestellten Beweisantrag nach § 244 Abs. 4 StPO abgelehnt. das hat der Angeklagte mit der Revision geltend gemacht und im OLG Hamm, Beschl. v. 22.10.2013 – 2 RVs 46/13 Recht bekommen. An sich eine m.E. ganz einfache Frage, die das OLG da entschieden hat. Das ergibt sich schon aus dem (amtlichen) Leitsatz der Entscheidung:

„Bei einer Blutalkoholkonzentration des Angeklagten von deutlich über 2 Promille zur Tatzeit, möglichem Medikamenteneinfluss und psychischen Auffälligkeiten vor, bei und unmittelbar nach der Tat, ist die Ablehnung eines auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Schuldunfähigkeit des Angeklagten gerichteten Beweisantrages wegen (angeblicher) eigener Sachkunde nach § 244 Abs. 4 StPO fehlerhaft.“

Ein Beweisantrag, der keiner (mehr) ist

© Corgarashu – Fotolia.com

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„Ein Beweisantrag, der keiner (mehr) ist“ – eine Überschrift zu diesem Posting, die wahrscheinlich auf den ersten Blick erstaunt. „Ein Beweisantrag, der keiner ist“, das hatten wir schon häufiger. Aber: „…. keiner (mehr) ist..“ Ein solches Posting hatte zumindest ich hier noch nicht. Grundlage für das Posting ist der KG, Beschl. v. 17.09.2013 – (4) 121 Ss 141/13 (175/13).

Da hatte der Verteidiger des Angeklagten in einem Verfahren wegen Körperverletzung  in der Berufungshauptverhandlung beim LG einen Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen gestellt. Die Vorsitzende hatte daraufhin mit dem Zeugen im Wege des Freibeweises telefoniert und das Ergebnis ihres Gesprächs – Beseitigung einer Unklarheit, die zu dem Beweisantrag geführt hatte – in der Hauptverhandlung mitgeteilt. Die im Anschluss daran hat sie dann die Verteidigung gefragt, ob an dem Antrag festgehalten werde. Die hatte der Verteidiger ohne nähere Erläuterung bejaht. Die Kammer lehnte daraufhin den Antrag auf Vernehmung des M. unter Bezugnahme auf § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ab.

Das KG hat dieses Vorgehen nicht beanstandet. Sein Beschluss ist mit folgenden Leitsätzen versehen:

  1. Ein Antrag kann die Eigenschaft eines nach § 244 Abs. 3 bis 6 StPO zu bescheidenden Beweisantrages verlieren, wenn der Antragsteller in Kenntnis der freibeweislichen Widerlegung der Beweisbehauptung an diesem festhält, ohne sich dazu zu verhalten, warum er (weiterhin) davon ausgehen kann, dass die förmliche Beweiserhebung zur Bestätigung der Beweisbehauptung führen wird.
  2. Die gilt jedenfalls dann, wenn die beantragte Beweiserhebung durch Vernehmung eines Zeugen der Beseitigung einer tatsächlichen Unklarheit – hier: der vom Antragsteller gesehenen Mehrdeutigkeit einer zuvor durch Verlesung zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemachten Urkunde durch Vernehmung des Urhebers der Urkunde – dient und im Freibeweisverfahren diese mögliche Unklarheit bereits beseitigt worden ist, weil der Zeuge, der kein unmittelbarer oder mittelbarer Tatzeuge ist, bei freibeweislicher Befragung aus eigener sicherer Erinnerung das Gegenteil der in die Beweisbehauptung gekleideten Vermutung des Antragstellers bekundet hat.
  3. Hat die Beweisbehauptung nach dem Ergebnis der freibeweislichen Befragung des Zeugen nicht mehr die Vermutung ihrer Richtigkeit für sich und wird sie vom Antragsteller aufs Geratewohl ins Blaue hinein oder gar wider besseres Wissen aufrecht erhalten, weil die Bestätigung der Beweisbehauptung aus der Sicht eines verständigen Antragstellers auf der Grundlage der von diesem nicht in Frage gestellten Tatsachen unwahrscheinlich geworden ist, handelt es sich um einen tatsächlich nicht zum Zwecke der Wahrheitsermittlung, sondern vielmehr nur noch aus Gründen sachwidriger Prozesstaktik gestellten, missbräuchlichen Scheinbeweisantrag.
  4. Das Gericht hat danach – nur noch – zu prüfen, ob es unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 Abs. 2 StPO) zu der beantragten Beweiserhebung gedrängt ist.

Ob das so richtig und im Grunde die an sich in der Hauptverhandlung im Strengbeweisverfahren durchzuführende Beweiserhebung durch ein Freibeweisverfahren ersetzt werden konnte/durfte, erscheint mir zweifelhaft. Das KG umschifft das aber und lässt die Frage offen, indem es sich auf das Argument: Nach der Mitteilung der Vorsitzenden kein Beweisantrag i.e.S. mehr, zurückzieht.

„Bedeutungslos“? Ja, aber dann auch bitte konkret sagen, warum

© Thomas Becker - Fotolia.com

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Mal nicht Absprache, sondern klassisches Beweisantragsrecht behandelt der BGH, Beschl. v. 01.102.2013 – 3 StR 135/13 -, in dem der BGH die Ablehnung eines Beweisantrages des Angeklagten durch eine Strafkammer des LG Oldenburg in einem BtM-Verfahren als bedeutungslos als rechtsfehlerhaft rügt. Der Beschluss fasst die insoweit geltende Rechtsprechung des BGH noch einmal schön zusammen:

2. Diese Begründung trägt die Zurückweisung des Beweisantrags nicht.
Zwar ist es dem Tatgericht grundsätzlich nicht verwehrt, Indiz- oder Hilfstatsachen als für die Entscheidung bedeutungslos zu betrachten, wenn es aus diesen eine mögliche Schlussfolgerung, die der Antragsteller erstrebt, nicht ziehen will. Hierzu hat es die unter Beweis gestellte Tatsache so, als sei sie erwiesen, in das aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme erlangte Beweisergebnis einzustellen und im Wege einer prognostischen Betrachtung zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung – gegebenenfalls in Anwendung des Zweifelssatzes – in einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 220).
Der Beschluss, mit dem das Tatgericht die Erhebung eines Beweises wegen Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache ablehnt, hat zum einen den Antragsteller sowie die weiteren Prozessbeteiligten so weit über die Auffassung des Gerichts zu unterrichten, dass diese sich auf die neue Verfahrenslage ein-stellen und gegebenenfalls noch in der Hauptverhandlung das Gericht von der Erheblichkeit der Beweistatsache überzeugen oder aber neue Anträge mit demselben Beweisziel stellen können; zum anderen muss er dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob der Beweisantrag rechtsfehlerfrei zurückgewiesen worden ist und ob die Feststellungen und Erwägungen des Ablehnungsbeschlusses mit denjenigen des Urteils übereinstimmen. Deshalb ist mit konkreten Erwägungen zu begründen, warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen, denen das Tatgericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf seine Überzeugungsbildung ohne Einfluss geblieben ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 26. Januar 2000 – 3 StR 410/99, NStZ 2000, 267, 268; vom 7. April 2011 – 3 StR 497/10, NStZ 2011, 713, 714). Nach diesen Maßstäben erweist es sich in aller Regel als rechtsfehlerhaft, wenn die Ablehnung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit allein auf die inhaltsleere Aussage gestützt wird, die unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache lasse keinen zwingenden sondern lediglich einen möglichen Schluss zu, den das Gericht nicht ziehen wolle (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2006 – 4 StR 251/06, NStZ-RR 2007, 84, 85; LR/Becker, aaO, § 244 Rn. 225).

So verhält es sich hier. Die Strafkammer hat keine konkreten Erwägungen mitgeteilt, aufgrund derer sie das von ihr bisher gefundene Beweisergebnis – das Heroin stammte aus Österreich – durch die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht als erschüttert angesehen hat. In der pauschalen Begründung, weitere Beschaffungsmöglichkeiten des Mitangeklagten J. ließen keinen zwingenden Schluss darauf zu, dass das Heroin nicht doch – und damit unter Beteiligung des Angeklagten S. – in Österreich erworben worden sei, liegt – wie dargelegt – ein Rechtsfehler, der vorliegend umso schwerer wiegt, weil der Angeklagte erklärtermaßen mit seinem Beweisantrag nur Tatsachen aufzeigen wollte, die einen nach seinem Vortrag gleichwertigen möglichen Schluss auf ein anderes, für ihn günstigeres Geschehen – der Mitangeklagte habe die Betäubungsmittel allein in den Niederlanden erworben – erlauben sollten. ….“

Ablehnung eines Terminsverlegungsantrag – Richter befangen?

© Aleksandar Radovanov – Fotolia.com

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Sicherlich nicht so häufig, aber es gibt auch im Zivilrecht (begründete) Ablehnungen wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 42 ZPO). Dazu verweise ich auf den OLG Hamm, Beschl. v. 19.07.2013 -Az.: 32 W 10/13 – der sich mit der Besorgnis der Befangenheit eines Richters wegen Ablehnung einer Terminsverlegung in den Sommerferien befasst. Dazu das OLG:

„Für die Verlegung des für den 22.07.2013 anberaumten Verhandlungstermins bestehen offensichtlich erhebliche Gründe. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten ist urlaubsabwesend (vgl. hierzu OLG Frankfurt am Main NJW 2008, 1328, 1329 [OLG Frankfurt am Main 14.01.2008 – 9 W 32/07]). Dem Antrag der Beklagten auf Terminsverlegung wäre bereits nach § 227 Abs. 3 Satz 1 ZPO stattzugeben gewesen, nachdem der Beklagtenvertreter binnen Wochenfrist nach Zugang der Ladung die Terminsverlegung beantragt hat. und ein Ausnahmefall nach § 227 Abs. 3 Satz 2 ZPO nicht vorliegt. Zwar ist gemäß § 227 Abs. 3 Satz 3 ZPO dem Verlegungsantrag nicht zu entsprechen, wenn das Verfahren besonderer Beschleunigung bedarf. Besonderer Beschleunigung bedarf ein Verfahren dann, wenn die Umstände des jeweiligen Rechtsstreits eine über das ohnehin schon gebotene Maß der Prozessförderung durch Gericht und Parteien hinausgehende Verfahrensbeschleunigung verlangen, etwa wenn ein Verfahren bereits verschleppt wurde (BGH NJW 2010, 2440, 2441 [BGH 07.06.2010 – II ZR 233/09], Tz. 10). Derartige gewichtige Gründe sind aber weder vom Landgericht in der angefochtenen Entscheidung angeführt noch sonst ersichtlich. Das Landgericht verweist lediglich auf die bisherige Verfahrensdauer von mehr als einem Jahr und die in der Vergangenheit von den Parteien angebrachten Terminsverlegungsanträge und sieht vor diesem Hintergrund in einer erneuten Verlegung auf einen Terminstag im November 2013 – dem frühest möglichen neuen Termin – eine zunehmende Härte für die Klägerin. Diese Gesichtspunkte betreffen lediglich das ohnehin schon gebotene Maß der Prozessförderung, ohne dass im Einzelfall Umstände dargetan sind, die eine Verfahrensbeschleunigung erfordern.

Zwar sind unbeabsichtigt unterlaufene Fehler in der Rechtsanwendung grundsätzlich nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, da das Ablehnungsverfahren nicht dazu dient, richterliche Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (Musielak/Heinrich, ZPO, 10. Aufl, § 42, Rn. 10). Im Streitfall hat sich jedoch für die Beklagte der Eindruck einer sachwidrigen Benachteiligung aufgedrängt. Dies folgt einerseits aus dem Umstand, dass im Fortsetzungstermin am 22.07.2013 neben einer nochmaligen umfangreichen Erörterung eine Beweisaufnahme stattfinden soll, so dass der Verlegungsantrag der Beklagten angesichts der urlaubsbedingten Abwesenheit ihres Prozessbevollmächtigten nicht ohne weiteres mit der Begründung hätte verweigert werden dürfen. einer der Sozii des verhinderten Prozessbevollmächtigten könne die Vertretung übernehmen (vgl. hierzu OLG Frankfurt am Main, a. a. O.).

Hinzu kommt, dass der abgelehnte Richter einen zunächst für den 12.11.2012 anberaumten Verhandlungsantrag auf Antrag der Klägervertreter wegen einer Terminskollision auf den 11.03.2013 verlegt hat, ohne auf die Notwendigkeit der Vertretung durch ein anderes Mitglied der Sozietät zu verweisen, während er den Verlegungsantrag der Beklagten zurückgewiesen, obwohl dieser einen Termin betrifft, der in einen Zeitraum fällt, in dem im Grundsatz nach § 277 Abs. 3 Satz 1 ZPO auch einem ohne Angabe von Gründen gestellten Terminsverlegungsantrag hätte stattgegeben werden müssen.“

Rechtskenntnisse erleichtern die Pflichtverteidigerbestellung; oder: Die fehlende fachliche Eignung des Verteidigers

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Nur selten habe ich bisher Beschlüsse gesehen, in denen die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger aus fachlichen Gründen abgelehnt worden ist. In der Praxis werden solche Beschlüsse sicherlich auch die Ausnahme sein. Daher ist der KG, Beschl. v. 29.07.2013 – 2 Ws 369/13 – 141 AR 390/13 -, der sich mit den Fragen befasst, eine „kleine“ Besonderheit (vom Umfang her mit 16 Seiten allerdings nicht klein).  Ergangen in einer Unterbringungssache und: Das KG wählt m.E. mehr als deutliche Worte, wenn es ausführt: 

„a) Rechtsgrundlage für die Bestellung und die Auswahl des Pflichtverteidigers bilden §§ 141, 142 StPO. Diese gelten für das Vollstreckungsverfahren gleichermaßen. Nach § 142 Abs. 1 StPO hat der Vorsitzende – nicht wie vorliegend geschehen die Kammer – über die Bestellung eines Verteidigers zu entscheiden. Dabei soll nach § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO der Vorsitzende dem Angeklagten den Verteidiger seiner Wahl beiordnen, wenn nicht ein wichtiger Grund entgegensteht.

Die Bestellung ist dagegen abzulehnen, wenn sich der von dem Angeklagten gewünschte Verteidiger als ungeeignet erweist und damit der ordnungsgemäße Verfahrensablauf ernsthaft gefährdet ist (vgl. Kammergericht, Beschluss vom 9. Februar 2011 – 4 Ws 16/11 – mit weiteren Nachw.). Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Vorsitzende zu prüfen hat, ob das Vorgehen des Verteidigers sachlich im wohlverstandenen Interesse des Angeklagten liegt (vgl. Meyer-Goßner § 143 Rdn. 4 mit weiteren Nachw.). Der Pflichtverteidiger ist in der Art und Weise der Führung der Verteidigung ebenso frei wie der gewählte Verteidiger. Als ein neben dem Gericht und der Staatsanwaltschaft gleichberechtigtes Organ der Rechtspflege untersteht er grundsätzlich nicht der Kontrolle und Bewertung seiner Tätigkeit durch das Gericht. Hiernach rechtfertigt nicht schon jedes objektiv unzweckmäßige oder prozessordnungswidrige Verhalten des Verteidigers, das den Fortgang des Strafverfahrens beeinträchtigt oder sogar zeitweise hemmt, die Ablehnung seiner Bestellung als Pflichtverteidiger. Es muss sich vielmehr um ein Fehlverhalten des Verteidigers von besonderem Gewicht handeln (vgl. Kammergericht, Beschluss vom 28. November 2008 – (3) 1 HEs 78/08 (18/08), 3 Ws 379/08 –).

 b) So eng die Gründe, die Bestellung eines bezeichneten Wahlverteidigers abzulehnen, auch grundsätzlich sein mögen, so eindeutig sind sie hier gegeben.

aa) Maßgebliche Zweifel an der fachlichen Eignung des Verteidigers begründet schon dessen rechtliches Vorgehen. Es kann dabei offen bleiben, ob die in vielfacher Hinsicht rechtlich fehlerhafte Wahrnehmung seines Mandats darauf beruht, dass er nicht über die notwendigen Rechtskenntnisse verfügt, nicht willens oder aber nicht der Lage ist, vorhandene Kenntnisse sachgerecht einzusetzen…“

Die Einzelheiten erspare ich mir hier. Wer es nachlesen will und erfahren will, worauf der KG-Senat seine Ablehnung stützt: Ab ca. Seite 9 des Beschlusses wird es „interessant“.