Coronaschutz, Werkstattrisiko und Überwachung, oder: 33 EUR sind für Coronaschutzmaßnahmen genug

Bild von Alexandra_Koch auf Pixabay

Und dann eine Nachlese zu Coronaschutzmaßnahmen mit dem BGH, Urt. v. BGH, Urt. v. 23.o4.2024 – VI ZR 348/21.

Der Kläger hatte nach einem Verkehrsunfall sein Fahrzeug in einer Fachwerkstatt reparieren und hat die dafür angefallene Rechnung nach eigenen Angaben vollständig bezahlt. Das SV-Gutachten wie auch die Reparaturrechnung wiesen als ein Teil der Reparaturkosten sog. Corona-Schutzmaßnahmen in Höhe von 157,99 EUR brutto aus, über die Erstattungsfähigkeit die Parteien gestritten haben.

Das LG hat in der I. Instanz die Höhe der als erforderlich anzusetzenden Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen mit 33,16 EUR bemessen und ein Ausfall- bzw. Überwachungsverschulden des Geschädigten bei der Beauftragung einer Werkstatt mit deutlich darüber liegenden Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen von 157 EUR bejaht. Dabei ist es davon ausgegangen, dass das Desinfizieren von Kontaktflächen innerhalb und außerhalb des Fahrzeuges keine besonderen Fähigkeiten voraussetzen würde und von Aushilfskräften erledigt werden könnte. Deshalb wurde für die Bestimmung der dabei anfallenden Aufwendungen der niedrigste Arbeitslohn in der betroffenen Fachwerkstatt angesetzt und als Zeiteinheit lediglich einen einzigen Arbeitswert (1 AW) bemessen. Diesem hinzu kam für den Materialeinsatz 1,16 EUR brutto für Desinfektionsmittel, Reinigungstücher und Einmalhandschuhe, woraus sich der Betrag in Höhe von  33,16 EUR ergeben hat.

Diese Höhe der als erstattungsfähig anzusetzenden Aufwendungen für Corona-Schutzmaßnahmen hat der BGH im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens bei der Bestimmung der Schadenshöhe nach § 287 ZPO ausdrücklich gebilligt und zugleich darauf hingewiesen, dass in dem vorliegenden Fall zwar die Grundsätze des Werkstattrisikos eingreifen würden, in diesem Einzelfall aber dem Geschädigten sowohl ein Ausfall- als auch ein Überwachungsverschulden wegen der viel zu hoch angesetzten Desinfektionskosten durch die Werkstatt treffen würde.

Dazu passen etwa folgende Leitsätze:

1. Die Grundsätze des Werkstattrisikos können zu Gunsten des Geschädigten auch bei einer Reparatur eingreifen, wenn es um die Durchführung von Corona-Schutzmaßnahmen geht, die grundsätzlich eine erstattungsfähige zurechenbare Schadenspoistion darstellen.

2. Der Geschädigte muss dessen ungeachtet den Nachweis führen, dass er wirtschaftlich vorgegangen ist und bei der Beauftragung- und Überwachung des Reparaturbetriebes den Interessen des Schädigers an der Geringhaltung des Herstellungsaufwandes Rechnung getragen hat.

3. Deshalb trifft den Geschädigten die Obliegenheit zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle der von der Werkstatt geforderten bzw. später berechneten Preise, wobei insbesondere bei Kosten des alltäglichen Lebens wie etwa bei Corona-Schutzmaßnahmen während der Pandemie ohne weiteres vom Geschädigten selber gut beurteilt werden können.

4. Ein solches Auswahl- bzw. Überwachungsverschulden ist zu bejahen und der in Rechnung gestellte Betrag für Corona-Schutzmaßnahmen nicht als erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB anzusehen, wenn für diese Tätigkeit 157,99 EUR abgerechnet werden.

5. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter im Rahmen seines Ermessens bei einer Schadenschätzung nach § 287 ZPO Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen mit 33,18 EUR als erforderlich erachtet.  

Entscheidungen/Nachlese/Neues aus dem Bundesrat, oder: Kinderporno, KCanG und Video in der ZPO

Bild von Thomas Ulrich auf Pixabay

Und dann hier mal wieder etwas aus Berlin, und zwar zur gestrigen Bundesratssitzung. Ich will auf drei Punkte aus der umfangreichen Tagesordnung hinweisen. Quelle sind die PM des Bundesrates.

Zunächst: Der Bundesrat hat die Strafmaß-Änderung bei Kinderpornographie gebilligt. Angepasst wird die Mindeststrafe, „um mehr Flexibilität in der Strafverfolgung zu ermöglichen und das Strafmaß besser der Schwere des individuellen Falls anzupassen. Für das Verbreiten kinderpornographischer Inhalte ist nun eine Mindeststrafe von sechs Monaten, für den Besitz und Abruf von drei Monaten Freiheitsstrafe vorgesehen. Die Höchststrafe von zehn Jahren bleibt unangetastet. Dazu gehört diese: Beschlussdrucksache: Gesetz zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 StGB – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte.

Und dann: Der Bundesrat hat Änderungen am Konsumcannabisgesetz gebilligt, die den Länder u.a. mehr Flexibilität im Umgang mit Großanbauflächen für Cannabis zu erhalten. Das Gesetz soll es den Behörden ermöglichen, Anbauvereinigungen die erforderliche Erlaubnis zu verweigern, wenn sich deren Anbauflächen im gleichen Gebäude oder Objekt wie Anbauflächen anderer Vereinigungen oder in unmittelbarer Nähe zu solchen befinden. So sollen kommerzielle „Plantagen“ für Cannabis ausgeschlossen werden, da diese dem Zweck des Eigenanbaus zum Eigenkonsum durch die aktive Mitarbeit der Mitglieder einer Anbauvereinigung entgegenstünden. Dazu gehört Beschlussdrucksache: Gesetz zur Änderung des Konsumcannabisgesetzes und des Medizinal-Cannabisgesetzes.

Und: Hinzuweisen ist noch auf den Beschluss, wonach – nach der Einigung im Vermittlungssausschuss –  gegen den weiteren Ausbau der Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und an den Fachgerichtsbarkeiten kein Einspruch eingelegt werden soll. Das betrifft aber nur die Zivilgerichtsbarkeit. Die Entscheidung zum Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz hat man am 12.06.2024 vertagt

 

Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das mit den Gebühren für den Vergleich beim TOA?

© AllebaziB – Fotolia

Und dann hier die Gebührenfrage, und zwar:

„Sehr geehrter Herr Burhoff,

auch ich habe da mal eine Frage zur privilegierten Nebenklage und Täter-Opfer-Ausgleich.

Der Verteidiger und ich als Nebenkläger, haben uns über einen Täter-Opfer-Ausgleich außerhalb der Hauptverhandlung besprochen und in der HV einen Vergleich gerichtlich protokollieren lassen.

Ich habe keinen Adhäsionsantrag gestellt, es wurde kein Adhäsionsverfahren durchgeführt. Und ich habe für meine Mandantin auch keinen PKH-Antrag gestellt.

Eine Erstreckung auf den TOA hatte ich nicht beantragt.

Wie bereits in der Vergangenheit unbeanstandet, habe ich danach einen Gebührenfestsetzungsantrag auch zum TOA (Nr. 4143 VV RVG) gestellt.

Der Rechtspfleger will nun ablehnen. da meinerseits kein PKH-Antrag gestellt worden war und sich meine Tätigkeit auch nicht auf den TOA erstreckt und bittet um Stellungnahme.
Bisher hatte ich da keine Schwierigkeiten … Was ist nun richtig?“

Terminsvertreter des Pflichtverteidigers für einen Tag, oder: OLG Hamm ändert LG Essen unrichtig ab

daumen

Und dann noch nochmal etwas zu den Gebühren des Terminsvertreters des Pflichtverteidiger. Folgender Sachverhalt in Kürze: Die Kollegin ist durch Beschluss der Vorsitzenden einer großen Strafkammer des LG Essen vom 03.03.2022 in einem dort anhängigen Strafverfahren gegen u.a. den Angeklagten als Terminsvertreterin für den Pflichtverteidiger dieses Angeklagten, Rechtsanwalt R. für den ersten Hauptverhandlungstag beigeordnet worden. Der erste Hauptverhandlungstermin fand am 07.03.2022 statt und dauerte dreißig Minuten, es wurde im Wesentlichen die Anklageschrift verlesen. Eine Einlassung des Angeklagten erfolgte zunächst nicht.

Die Kollegin hat dann beantragt, ihre Gebühren festzusetzen. Sie hat Festsetzung der Grundgebühr Nr. 4101, VV RVG, der Verfahrensgebühr Nr. 4113 VV RVG, der Terminsgebühr Nr. 4115 VV RVG, der Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG sowie von Fahrtkosten, Tage- und Abwesenheitsgelder sowie USt beantragt.

Das LG hat die dann auch festgesetzt im LG Essen, Beschl. v. 06.07.2023 – 27 KLs 43/21, der folgenden Leitsatz hat:

    1. Der nur für einen Termin als Terminsvertreter beigeordnete Rechtsanwalt rechnet nach Teil Abschnitt 1 VV RVG ab.
    2. Der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin, einen Haftprüfungstermin oder den Termin zur Haftbefehlseröffnung als Verteidiger des Beschuldigten/Angeklagten bestellt worden ist, beschränkt sich nicht auf die Terminsgebühr, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände.

Es kommt dann natürlich das, was zu erwarten war, nämlich das Rechtsmittel des Bezirksrevisors. Und dann kommt das OLG Hamm in seiner überbordenden Weisheit und hebt im OLG Hamm, Beschl. v. 30.10.2024 – III-5 Ws 273/23 – die Entscheidung des LG auf und sagt:

Für den „Terminsvertreter“ des Pflichtverteidigers entsteht nur die Terminsgebühr. Grund-, Verfahrensgebühr und Auslagenpauschale entstehen nicht.

Ich fasse die Begründung des Beschlusses des Einzelrichters (!) mal zusammen. Sie lautet. Vertretung ist bei der Pflichtverteidigung zulässig und der Vertreter verdient dann nur die Terminsgebühr. Wer mehr von der falschen Begründung lesen will, der mag das im verlinkten Volltext tun.

Anzumerken ist dazu Folgendes:

Der Entscheidung ist zu widersprechen.

1. Zu widersprechen ist schon der Auffassung des Einzelrichters, dass wegen der ständigen Rechtsprechung des OLG Hamm eine Übertragung auf den und durch den Senat nicht erforderlich sei. Es ist ja schön, wenn das OLG die Frage offenbar schon häufiger entschieden hat. Nur: Die Beschlüsse sind alle unveröffentlicht, hängen also irgendwo beim OLG Hamm im „stillen Kämmerlein“. Man fragt sich., warum man diese Entscheidungen in einer Frage, die ja nun die Rechtsprechung schon seit langem immer wieder beschäftigt nicht, nicht nach außen kund tut. Vielleicht waren die Beschlüsse ja überzeugend, jedenfalls hätten sie zur Diskussion beitragen könne?

Zu einer Übertragung auf den Senat hätte m.E. auf vor allem deshalb Anlass bestanden, weil die Frage, ob der Terminsvertreter des Pflichtverteidigers nur die Terminsgebühr verdient oder auch die Grund- und Verfahrensgebühr ja inzwischen von zahlreichen Gerichten anders gesehen wird als vom OLG Hamm (vgl. nur OLG Bamberg, NStZ-RR 2011, 223 [Ls.]; OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.2.2024 – 1 Ws 13/24 (S), AGS 2024, 171; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.10.2008 – 1 Ws 318/08; OLG Jena, JurBüro 2011, 478; Beschl. v. 14.4.2021 – (S) AR 62/20, AGS 2021, 394 = JurBüro 2021, 576; OLG Karlsruhe, StraFo 2008, 349 = NJW 2008, 2935 = RVGreport 2009, 19 = StRR 2009, 119; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, AGS 2023, 164 = NStZ-RR 2023, 159; OLG Köln, RVGreport 2010, 462 = AGS 2011, 286; OLG München, NStZ-RR 2009, 32 = StRR 2009, 120 = RVGreport 2009, 227; OLG München, RVGreport 2016, 145 = AGS 2014, 174 = Rpfleger 2014, 445; OLG Nürnberg, RVGreport 2016, 105 = StraFo 2015, 39 = AGS 2015, 29; OLG Schleswig SchlHA 2010, 269 [Dö/Dr]). Insbesondere die gut begründete Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 9.2.203 (a.a.O.) hätte dem OLG Hamm Anlass sein sollen, sich noch einmal näher mit der streitigen Frage auseinander zu setzen. Aber die wird noch nicht einmal erwähnt. Das lässt – zumindest bei mir – den Eindruck entstehen, es hier mit einer Entscheidung zu tun zu haben, die in die Rubrik: „Das haben wir immer schon so gemacht.“ einzuordnen ist.

2. In der Sache ist dem OLG ebenfalls zu widersprechen. Die Entscheidung steht und fällt mit der Frage, ob die Ansicht des OLG, eine „Vertretung“ i.e.S. des Pflichtverteidigers sei zulässig. Das ist m.E. nicht der Fall. Denn die Beiordnung des Pflichtverteidigers ist auf seine Person beschränkt; sie ist höchst persönlich (so auch Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 142 Rn 15; Hillenbrand in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 3636 f., jeweils m.w.N.; BGHSt 59, 284 = NJW 2014, 3320 m. Anm. Barton StRR 2015, 62; BGH NStZ 2012, 276; OLG Saarbrücken, RVGreport 2015, 64 = StRR 2015, 117). Soweit einige Gerichte (OLG Celle RVGreport 2009, 226; OLG Koblenz JurBüro 2013, 84 = RVGreport 2013, 17; LG Potsdam JurBüro 2011, 417 = AGS 2012, 65; LG Saarbrücken, Beschl. v. 30.6.2014 – 2 KLs 2/13) anderer Ansicht sind, ist das m.E. seit BGHSt 59, 284 nicht mehr haltbar.

3. Im Übrigen: Zu der Frage, dass nicht nur die Terminsgebühr, sondern auch Grundgebühr und Verfahrensgebühr anfallen, ist schon viel geschrieben worden. Das muss man hier nicht wiederholen. Ich verweise dazu auf den o.a. Beschluss des OLG Karlsruhe und auf Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 2101 ff.). In dem Zusammenhang liegt der Hinweis des OLG auf die (geringe) Dauer des Hauptverhandlungstermins an dieser Stelle neben der Sache.

Zu der Frage, warum die Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG nicht entstanden ist, enthält der Beschluss des OLG kein Wort der Begründung. Die dürfte hier aber entstanden sein, da sich aus dem Beschluss ergibt, dass die Pflichtverteidigerin auch telefoniert hat. Das reicht aber für das Entstehen der Nr. 7002 VV RVG aus (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 7002 VV Rn 1 m.w.N.).

4. Für den Verteidiger lässt sich aus der Entscheidung ableiten, dass er in diesen Fällen sehr sorgfältig prüfen sollte/muss, welche Entscheidungen ergehen. Ggf. muss gegen einen Beschluss, der einen Antrag nicht voll ausschöpft, so wie hier, da Bestellung als „weiterer Pflichtverteidiger„ beantragt war, sofortige Beschwerde (§ 142 Abs. 7 StPO) eingelegt oder auf Klarstellung gedrängt werden, dass man nicht von einer Vertretung i.e.S. (vgl. auch § 5 RVG) ausgeht.“

Pflichtverteidigerbestellung „für den heutigen Termin“, oder: Alle Gebühren, auch die Nr. 4142 VV RVG

© Gina Sanders – Fotolia.de

Den Gebührenfreitag beginne ich heute mit dem LG Bad Kreuznach, Beschl. v. 12.05.2024 – 2 Qs 12/24. Der Sachverhalt ist wie üblich: Der Rechtsanwalt wird dem Beschuldigten „für den heutigen Termin“ als Pflichtverteidiger beigeordnet. Der macht dann später alle Gebühren geltend, also Grund-, Verfahrens-, Terminsgebühr und auch die Nr. 4142 VV RVG. Das LG setzt die dann im Beschwerdeverfahren fest:

„Die auf den Vorführtermin am 21.12.2022 beschränkte Beiordnung des Rechtsanwalts Pp. war – nach der seit dem 13.12.2019 geltenden Rechtslage – rechtswidrig, weil §§ 140 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 143 StPO eine Pflichtverteidigerbestellung für das gesamte Verfahren vorsehen, die mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens oder durch Aufhebung mit gesondertem Beschluss endet. Dabei sieht § 143 Abs. 2 Satz 4 StPO ausdrücklich für die Fälle des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vor, dass eine Aufhebung erfolgen soll, falls der Beschuldigte auf freien Fuß gesetzt wird – was hier nicht der Fall war. Auch war Rechtsanwalt Pp. nicht lediglich Terminsvertreter des verhinderten Rechtsanwalts Pp1. , was eine zeitlich befristete Bestellung gerechtfertigt hätte. Denn Rechtsanwalt Pp1. war in der Sache noch nicht tätig und vom Gericht zum Zeitpunkt des Vorführtermins am 21.12.2022 noch nicht beigeordnet worden, sodass der damalige Beschuldigte bei dem Vorführtermin am 21.12.2022 noch keinen (Pflicht-)Verteidiger hatte.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass der in Bezug auf die zeitliche Begrenzung der Beiordnung rechtswidrige Beschluss des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 21.12.2022, weil er nicht mit der sofortigen Beschwerde gemäß § 142 Abs. 7 StPO angefochten worden ist, mit seinem rechtswidrigen Inhalt Bestand hatte, ändert dies nichts daran, dass Rechtsanwalt Pp. die Gebühren eines Pflichtverteidigers vollumfänglich geltend machen kann. Denn auch der Pflichtverteidiger, der nur für einen Tag bzw. Termin bestellt ist, ist für diesen begrenzten Zeitraum umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut. Daher kommt auch im Hinblick auf die zeitliche Begrenzung der Beiordnung eine gebührenrechtliche Einstufung der Tätigkeit als bloße Einzeltätigkeit nach der Nr. 4301 Ziffer 4 VV RVG nicht in Betracht (vgl. LG Magdeburg, Beschluss vom 16. Juli 2021 – 21 Qs 53/21 –, juris, Rn. 45; a.A. OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.01.2023 – 4 Ws 13/23, juris, Rn 13 f.). Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn – wie vorliegend – dem Beschuldigten zum Zeitpunkt des Vorführtermins noch kein anderer Pflichtverteidiger bestellt worden ist und daher der – nach den obigen Darlegungen wenn auch rechtswidrig – lediglich für den Vorführtermin bestellte Pflichtverteidiger nicht lediglich als Terminsvertreter eines verhinderten anderen Pflichtverteidigers agiert, sondern ihm vielmehr in diesem Verfahrensabschnitt die eigenverantwortliche, umfassende Wahrnehmung der Rechte des Beschuldigten obliegt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09.02.2023 – 2 Ws 13/23 -, juris, Rn. 9 ff. selbst für den Fall der Bestellung eines „weiteren“ Pflichtverteidigers „für den Termin zur Haftbefehlseröffnung“ bei Verhinderung eines zu diesem Zeitpunkt bereits bestellten anderen Pflichtverteidigers).

Rechtsanwalt Pp. stehen mithin im Hinblick auf seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger des damaligen Beschuldigten Pp. die in seinem Antrag vom 24.02.2023 geltend gemachte Grundgebühr mit Haftzuschlag (Vorbemerkung 4, Ziffer 4 VV RVG) nach der Nr. 4101 VV RVG in Höhe von 216,00 Euro, Verfahrensgebühr mit Haftzuschlag (Vorbemerkung 4 Ziffer 4 VV RVG) nach der Nr. 4105 VV RVG in Höhe von 177,00 Euro sowie Terminsgebühr mit Haftzuschlag (Vor-bemerkung 4 Ziffer 4 VV RVG) nach der Nr. 4103 VV RVG in Höhe von 183,00 Euro zu.

Darüber hinaus kann er auch eine 1,0 Verfahrensgebühr nach der Nr. 4142 VV RVG in Höhe von 166,00 Euro beanspruchen. Nach dem Inhalt des gegen den damaligen Beschuldigten Pp. erlassenen Haftbefehls des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 16.12.2022 soll der damalige Beschuldigte zusammen mit seiner Frau pp. durch die gegenständliche Betrugstat insgesamt 1.790,00 Euro (600 Euro + 400 Euro + 790 Euro) vereinnahmt haben. Hin-sichtlich jenes Gesamtbetrages kam bereits zum damaligen Zeitpunkt eine Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB als Tatertrag in Betracht. Rechtsanwalt Pp. hat den damaligen Beschuldigten nach den Ausführungen in seinem Schriftsatz vom 24.02.2023 bereits vor dem Vorführtermin unter anderem auch hinsichtlich der drohenden Einziehung beraten. Durch jene beratende Tätigkeit im Ermittlungsverfahren hinsichtlich der in Betracht kommenden Einziehung ist die 1,0 Verfahrensgebühr nach der Nr. 4142 VV RVG bereits angefallen (vgl. Knaudt, in: BeckOK zum RVG, Stand: 01.03.2024, RVG VV 4142, Rn. 9 f.). Die Bemessung der Gebührenhöhe richtet sich nach § 13 Abs. 1 RVG. Der Gegenstandswert hinsichtlich der Einziehung beläuft sich auf 1.790,00 Euro, womit nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 RVG eine Gebühr in Höhe von 166,00 Euro (49,00 Euro + 39,00 Euro + 39,00 Euro + 39,00 Euro) entstanden ist.
Schließlich steht Rechtsanwalt Pp. auch das in seinem Antrag geltend gemachte Abwesenheitsgeld bei einer Geschäftsreise von nicht mehr als vier Stunden nach der Nr. 7005 Ziffer 1.) VV RVG in Höhe von 30,00 Euro zu.

Hingegen kann Rechtsanwalt Pp. die ebenfalls geltend gemachte Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach der Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro vorliegend nicht beanspruchen. Voraussetzung für die Festsetzung der Pauschale ist, dass überhaupt entsprechende Entgelte angefallen sind, was bei einer mündlichen Beratung bzw. Besprechung nicht der Fall ist. Dies ist vom Rechtsanwalt im Rahmen der Vergütungsfestsetzung – zum Beispiel durch Vorlage eines entsprechenden Schreibens – nachzuweisen. Soweit die Entgelte lediglich im Rahmen der Geltendmachung der Vergütung entstehen, können sie nicht abgerechnet werden (vgl. LG Frankenthal, Beschluss vom 27. April 2023 – 1 Qs 76/23 –, juris, Rn. 14; K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt, in: BeckOK zum RVG, Stand: 01.03.2024, RVG VV 7002, Rn. 2 f.). Da sich weder aus dem Vorbringen von Rechtsanwalt Pp. im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens noch aus der Akte im Übrigen ergibt, dass Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen tatsächlich angefallen sind, war die Pauschale nach der Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro nicht festzusetzen.“

M.E. zutreffend, und zwar auch wegen der Nr. 4142 VV RVG. Bedenken habe ich wegen der Nr. 7002 VV RVG. Die dürfte allein schon durch den Anruf beim Pflichtverteidiger entstanden sein.

Das LG hat die weitere Beschwerde zum OLG zugelassen. Ich bin gespannt, was das OLG Koblenz dazu sagt.