OWi I: Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung, oder: Beschränkung noch nach rechtlichem Hinweis?

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Heute gibt es dann mal OWi-Entscheidungen. An der „Front“ ist es im Moment aber sehr ruhig, es gibt wenig Entscheidungen, über die man berichten kann.

Hier kommt dann als Opener der OLG Jena, Beschl. v. 02.09.2024 – 1 ORbs 371 SsBs 96/24 – zur Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid. Mit Bußgeldbescheid vom 06.07.2023 wurde dem Betroffenen vorgeworfen, auf der Bundesautobahn die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften um 46 km/h überschritten zu haben. Gegen ihn wurde deshalb eine Geldbuße von 320 Euro festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Der Bußgeldbescheid wurde am 12.07.2023 zugestellt. Hiergegen richtete sich der am selben Tage zunächst vollumfänglich erhobene Einspruch des Betroffenen.

Mit Verfügung vom 02.11.2023 wies das AG den Betroffenen nach Eingang der Akten bei Gericht darauf hin, dass wegen der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehungsweise unter Erhöhung der Geldbuße und unter Ausdehnung des Fahrverbots in Betracht komme. Auf die Terminsanberaumung vom 29.11.2023 hin beantragte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 24.02.2024 „namens und in Vollmacht des Betroffenen“, diesen vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden. Zudem werde der gegen den Bußgeldbescheid eingelegte Einspruch auf die Rechtsfolge beschränkt.

Mit Beschluss vom 26.02.2024 wies das AG den Betroffenen darauf hin, dass die Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nach dortiger Auffassung unwirksam sein dürfte. Die Schuldform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) sei so untrennbar mit der Rechtsfolge, namentlich dem Fahrverbot, verbunden, dass sie nicht unabhängig voneinander betrachtet werden könnten. Eine Rechtsmittelbeschränkung sei regelmäßig unwirksam, wenn anstelle der im Bußgeldbescheid angenommenen Fahrlässigkeit tatsächlich eine vorsätzliche Begehungsweise in Betracht komme. Wolle der Betroffene dem entgehen, müsse er den Einspruch in Gänze zurücknehmen.

Der Verteidiger ist dem entgegengetreten. Das AG verurteilte den Betroffenen dann dennoch  wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung um 46 km/h außerorts bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h zu einer Geldbuße von 640 Euro. Daneben verhängte es ein Fahrverbot für die Dauer von 2 Monaten.

Dagegen die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte. Das OLG hat das Urteil des AG im Schuldspruch aufgehoben und im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass gegen den Betroffenen wegen der im Bußgeldbescheid vom 06.07.2023 rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts eine Geldbuße von 320 Euro verhängt und ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet wird.

Das hat das OLG umfangreich begründet. Da die angeprochenen Fragen alle nicht neu sind, verweise ich wegen der Einzelheiten der Begründung auf den verlinkten Volltext und stelle hier nur die Leitsätze der OLG-Entscheidung ein, nämlich:

1. Die horizontale Beschränkung eines Einspruchs auf die Rechtsfolgen ist zulässig, soweit der Bußgeldbescheid die in § 66 OWiG niedergelegten Voraussetzungen erfüllt, die Erklärung des Betroffenen zweifelsfrei und unbedingt erfolgt, im Fall der Vertretung eine wirksame Ermächtigung zur Abgabe der Einspruchsbeschränkung vorlag und die Erklärung dem erkennenden Richter vor Erlass einer erstinstanzlichen Entscheidung vorliegt.

2. Ein etwaig erteilter richterlicher Hinweise betreffend die Schuldform (hier: mögliche Verurteilung wegen einer Vorsatz-Tat) steht dem nicht entgegen, selbst wenn der Bußgeldbescheid keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Schuldform enthält, die vorgesehene Rechtsfolge sich aber innerhalb des Regelrahmens der Bußgeldkatalogverordnung bewegte und die vorgeworfene Schuldform (hier: Fahrlässigkeit) hieraus abgeleitet werden kann.

Eins habe ich dann aber doch noch, nämlich << Werbemodus an>> den Hinweis auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, und auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl., 2025, die man hier bestellen bzw. vorbestellen kann. In beiden Werken sind die vom OLG angeprochenen Fragen behandelt. <<Werbemodus aus>>.

 

Zwang III: Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen, oder: Originale, Kopien und Kopierkosten

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Und als dritte und letzte Entscheidung dann hier der der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 01.08.2024 – 18 Qs 14/24 – zur Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme von (Original-) Geschäftsunterlagen und/oder der Erforderlichkeit der Herausgabe von Kopien an den Betroffenen sowie zum Ersatz von Kopierauslagen.

„Ein umfangreiches „Programm, was zur Folge hat, dass der LG-Beschluss mit rund 17 Seiten so lang geworden ist, dass man ihn hier nicht – auch nicht teilweise – einstellen kann. Daher stelle ich nur die (gerichtlichen) Leitsätze vor und verweise im Übrigen auf den verlinktenVolltext.

Die Leitsätze lauten:

1. In Fällen, in denen gefertigte Kopien oder eine elektronische Erfassung durch Einscannen im weiteren Verfahren nicht in gleicher Weise zu Beweiszwecken verwendet werden können wie die Originale, sind in Papierform aufgefundene (Original-) Unterlagen – insbesondere solche im Sinne der §§ 257 HGB, 140-148 AO – im Original zu beschlagnahmen.

2. Bei derartigen Unterlagen und der Prüfung einer Verdachtslage nach § 370 AO ist dieses bereits dann der Fall, wenn nur mittels der (Sach-) Gesamtheit derartiger Unterlagen und ihres – auch bildlichen – Zustandes überprüft werden kann, ob eine Befugnis zur Schätzung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO gegeben ist.

3. Dem Betroffenen ist dann die Möglichkeit einzuräumen, Kopien derartiger Unterlagen zu erhalten, wenn er diese für einen von ihm darzulegenden oder sonst allgemein nachvollziehbaren dringenden Zweck benötigt. Er hat nicht das Recht, pauschal die Fertigung und Herausgabe einer Kopie aller sichergestellter Unterlagen zu verlangen.

4. Die Fertigung von Ablichtungen durch die Ermittlungsbehörden kann und darf u. U. nicht kostenneutral für den Antragsteller erfolgen, wenn die hierfür geltenden gesetzlichen Regelungen, insbesondere der §§ 464a Abs. 1 Satz 2 StPO; 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, 3 Abs. 2 i. V. m. Nr. 9000 Kostenverzeichnis der Anlage 1 zum GKG, erfüllt sind.

Zwang II: Durchsuchung wegen Geldwäscheverdachts, oder: Nach wie vor: „doppelter Anfangsverdacht“?

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Und als zweite Zwangsmaßnahme kommt dann hier etwas zur Durchsuchung, und zwar der LG Saarbrücken, Beschl. v. 18.07.2024 – 13 Qs 19/24 – zur Durchsuchungsanordnung wegen des Vorwurfs der Geldwäsche.

Gegen den Beschuldigten wird ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche geführt. Am 24.08.2022 hatte eine Bank auffällige und ungewöhnliche Vorgänge auf dem Konto des Beschuldigten mit einer bestimmten der IBAN gemeldet. Dort gingen seit der Kontoeröffnung am 30.07.2022 und der Kündigung durch die Bank am 25.08.2022 eine Vielzahl von Überweisungsgutschriften von Privatpersonen ein, welche taggleich vom beschuldigten Kontoinhaber auf dessen Konto bei einem anderen Zahlungsdiensteanbieter sowie auf Konten anderer Privatpersonen weitertransferiert wurden. Auf dem Konto des Beschuldigten gingen im Zeitraum 16.03.2022 bis 15.10.2022 insgesamt Gutschriften in einer Höhe von 92.762,50 EUR ein, welche jeweils binnen weniger Minuten nach deren Eingang vollständig auf Konten bei  Kryptowährungsdienstleistern weitertransferiert wurden. Angesichts der Umstände, dass der Beschuldigte die Mittelherkunft gegenüber der Bank nicht erklären konnte, jedenfalls eine der überweisenden Privatpersonen ihrerseits wegen Betruges strafrechtlich in Erscheinung getreten war und sämtliche Geldeingänge auf seinem Konto zeitnah und vollständig vom Beschuldigten in den Bereich der Kryptowährung weitergeleitet wurden, hegten die Ermittlungsbehörden den Verdacht, dass die auf den Konten des Beschuldigten eingegangenen Gelder aus Straftaten stammten und der Beschuldigte dies wusste.

Nach ergebnisloser Überwachung der Telekommunikation des Beschuldigten im Zeitraum 22.03.2023 bis 31.05.2023 erließ das AG einen Beschluss, der die Durchsuchung der Wohnung und Geschäftsräume, Nebenräume, Garagen und PKWs des Beschuldigten sowie dessen Person anordnete. Der Beschluss wurde am 21.02.2024 vollzogen. Der Beschuldigte händigte sein Mobiltelefon, ein Smartphone Apple iPhone 14 pro max, freiwillig aus, welches sodann von den Beamten vor Ort sichergestellt wurde.

Mit Schriftsatz vom 23.02.2024 legte der Beschuldigte über seinen Verteidiger Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss und die Beschlagnahme sämtlicher Gegenstände ein und beantragte, den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss aufzuheben und die sichergestellten Gegenstände herauszugeben. Das LG hat die Beschwerde des Beschuldigten, soweit sie die Durchsuchungsanordnung selbst betrifft, als zulässig und begründet angesehen. es führt u.a. aus:

„2. Die im Übrigen zulässige Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung ist begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung nach §§ 102, 105 StPO lagen zum Zeitpunkts ihres Erlasses nicht vor.

Es bestand kein auf konkreten Tatsachen beruhender Verdacht einer Straftat nach § 261 Abs. 1 S. 1 StGB.

a) Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfährt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz, in den mit einer Durchsuchung schwerwiegend eingegriffen wird. Zur Rechtfertigung dieses Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung zum Zwecke der Strafverfolgung ist daher der Verdacht erforderlich, dass eine Straftat begangen wurde. Dieser Anfangsverdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht aus. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht finden lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.8.2014 – 2 BvR 969/14 m.w.N.).

Eine Wohnungsdurchsuchung wegen des Verdachts der Geldwäsche setzt zudem voraus, dass ein Anfangsverdacht nicht nur für die Geldwäschehandlung vorliegt, sondern auch für das Herrühren des Vermögensgegenstands aus einer Vortat gegeben ist (sog. „doppelter Anfangsverdacht“, vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.1.2020 – 2 BvR 2992/14). Dass eine Vortat begangen wurde, ist ein wesentliches Merkmal der Strafbarkeit der Geldwäsche. Erst die Vortat versieht das Geld oder den sonstigen Gegenstand, mit dem der Geldwäschetäter umgeht, mit dem Makel, der einer neutralen, sozialtypischen Handlung wie beispielsweise einer Geldzahlung das Unwerturteil der Strafbarkeit zuweist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. 7. 2006 – 2 BvR 950/05). Nicht ausreichend für die Annahme eines Anfangsverdachts ist es demnach, wenn keine über bloße Vermutungen hinausgehende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Vortat bestehen (BVerfG, Beschl. v. 19.4.2023 – 2 BvR 2180/20BKR 2023, 723).

Aus dem Umstand, dass der Wortlaut des § 261 Abs. 1 StGB in seiner seit dem 18. März 2021 geltenden Fassung – anders als zum Zeitpunkt der vorgenannten Entscheidung – keine bestimmte Katalogtat als Vortat mehr erfordert, sondern lediglich irgendeine rechtswidrige Vortat verlangt (sog. „all-crimes“-Modell), ergibt sich nach Auffassung der Kammer nichts Anderes. Mit dem Verzicht auf einen selektiven Vortatenkatalog sollte zwar die Beweisführung in Bezug auf die Vortat erleichtert werden (Herzog/El-Ghazi in Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 6. Auflage 2024, Rn.109). Aus der Gesetzbegründung ergibt sich aber auch, dass insbesondere Feststellungen, die sich nur auf ein Fehlen von ausreichendem, legalem Einkommen beziehen, für die Konkretisierung einer Vortat nicht ausreichen sollen (BT-Drs. 19/24180, S. 29,30). Eine Beweiserleichterung gegenüber den allgemeinen Beweisgrundsätzen im Strafverfahren ist mit dem Wechsel zum „all-crimes“- Ansatz nicht verbunden (El-Ghazi in: Herzog, Geldwäschegesetz, 5. Auflage 2023, StGB § 261, Rn. 59).

Auch nach neuer Rechtslage ist es daher für die Einleitung von Ermittlungsmaßnahmen nicht ausreichend, wenn lediglich ungesicherte Anhaltspunkte dafür vorliegen, das betroffene Geld stamme aus irgendeiner Straftat (Hiéramente, jurisPR-StrafR 9/2021 Anm. zu BVerfG, Beschluss v. 03.03.2021 – 2 BvR 1746/18; a.A. LG Saarbrücken, Beschluss v. 04.08.1997 – 8 Qs 72/97 – zur alten Rechtslage). Für diese Ansicht spricht auch, dass die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Zwangsmaßnahme durch den Ermittlungsrichter nur dann sinnvoll möglich ist, wenn die betreffende Vortat jedenfalls in ihren wesentlichen Konturen bekannt ist. Darüber hinaus wird die Begrenzungsfunktion einer Durchsuchungsanordnung aufgelöst, wenn in Ermangelung eines konkreten tatsachenbasierten Tatvorwurfs der äußere Rahmen einer Durchsuchung fehlt und damit eine grenzenlose Ausforschung des Adressaten ermöglicht wird (Anm. Neumann zu BVerfG, Beschl. v. 19.4.2023 – 2 BvR 2180/20).

Daher können auch nach neuem Recht die auf der Grundlage des Geldwäschegesetzes (GwG) erfolgten Meldungen alleine nicht ausreichen, um einen Anfangsverdacht einer Vortat der Geldwäsche zu begründen. Nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 GwG hat der Verpflichtete der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen bereits dann Meldung zu machen, wenn Tatsachen vorliegen, die darauf hindeuten, dass ein Vermögensgegenstand, der mit einer Geschäftsbeziehung, einem Maklergeschäft oder einer Transaktion im Zusammenhang steht, aus einer strafbaren Handlung stammt, die eine Vortat der Geldwäsche darstellen könnte. Hiermit ist allenfalls eine kursorische Prüfung verbunden, ob überhaupt eine Geldwäsche vorliegen kann (Erbs/Kohlhaas/Häberle, 251. EL März 2024, GwG § 43 Rn. 3; BVerfG, Beschluss v. 31.01.2020 – 2 BvR 2992/14). Eine Durchsuchung darf aber gerade nicht dazu dienen, diejenigen Tatsachen erst zu ermitteln, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erforderlich sind (BVerfG, Beschl. v. 03.07. 2006 – 2 BvR 2030/04; Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Urteil. v. 21.06.2024 – Lv 3/23).

b) Ausweislich der Ermittlungsvermerke vom 10.10.2022, Bl. 333 d.A. und 07.06.2023, Bl 364 d.A., liegen über die in den Meldungen der Banken enthaltenen Informationen (unbekannte Mittelherkunft der eingezahlten Gelder; keine Einnahmen aus legaler Tätigkeit; Durchlaufcharakter des Kontos; Kontakt mit bereits gemeldeten Kunden) hinaus keine weiteren Anhaltspunkte vor, die auf eine Vortat hindeuten. Die Herkunft der Gelder bleibt daher letztlich ungeklärt. Es kann folglich auch nicht beurteilt werden, ob sie aus einer Straftat stammen oder die dem Beschuldigten zur Last gelegte Handlung eine Straftat möglicherweise erst vorbereiten soll oder sich gar als strafrechtlich neutral erweist. Aus der Verschleierungshandlung allein auf die Annahme einer bereits begangenen Straftat zu schließen, lässt in diesem Zusammenhang mögliches strafloses Alternativverhalten unberücksichtigt und widerspricht somit den oben dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Anfangsverdacht als Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 13 Abs. 1 GG. Dies gilt vorliegend umso mehr, nachdem die bereits durchgeführte Überwachung der Telekommunikation keinerlei weitere Hinweise auf mögliche Vortaten ergeben hat.“

Zwang I: Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen?, oder: Verhältnismäßigkeit von Beugehaft

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Und weiter geht es in der 39 KW. mit StPO-Entscheidungen. Alle drei vorgestellten Entscheidungen haben Zwangsmaßnahmen zum Gegenstand.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 21.08.2024 – StB 39/24 – zur Anordnung von Beugehaft zur Erlangung einer Aussage eines Zeugen, der sich auf ein Auskunftsverweigerungsrecht aus § 55 StPO beruft.

Ergangen ist der Beschluss in einem am OLG Stuttgart anhängigen Verfahren, in dem dem  Angeklagten die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland vorgeworfen worden ist. Im Hauptverhandlungstermin am 11.06.2024 wurde der Zeuge A.     vernommen. Er war am 18.12.2023 wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland verurteilt worden; diese Entscheidung war zwischenzeitlich in Rechtskraft erwachsen. Nach der Vernehmung zur Person machte der Zeuge – entgegen dem Hinweis des Vorsitzenden des Staatsschutzsenats – geltend, ihm stehe ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu, und verweigerte Angaben zur Sache.

Nachdem die Festsetzung von Ordnungsmitteln keine Änderung des Aussageverhaltens bewirkt hatte, hat das OLG noch am Tag der Vernehmung auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft mit dem angefochtenen Beschluss gegen den Zeugen Beugehaft von zunächst einer Woche sowie ihre sofortige Vollstreckung angeordnet und ihm die durch seine Weigerung verursachten Kosten auferlegt. Sodann ist der Zeuge in Haft genommen worden. Er hat gegen die Entscheidung – einschließlich „der Aufbürdung von Kosten“ – „sofortige Beschwerde“ erhoben. Mit Beschluss vom 14.06.2024 hat der Staatsschutzsenat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen.

Im Hauptverhandlungstermin zur Fortsetzung der Vernehmung am 18.06.2024 hat der Zeuge weiterhin keine Angaben zur Sache gemacht. Das OLG hat daraufhin die angeordnete Beugehaft unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten aufgehoben. Anschließend hat der Zeuge erklärt, dass sich die Beschwerde gegen die Anordnung der Beugehaft „erledigt haben dürfte“, und die Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses beantragt.

Der BGH hat die nunmehr auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung und Vollstreckung der Beugehaft gerichtete Beschwerde verworfen. Er macht in dem Beschluss zunächst umfnagreiche Ausführungen dazu, dass dem Zeugen ein Verweigerungsrecht aus 3 55 StPO nicht zusteht. Insoweit ordne ich das Selbstleseverfahren an. Zur Beugehaft führt er dann aus:

„b) Auch im Übrigen war die Anordnung und Vollstreckung der Beugehaft rechtmäßig.

aa) Die Maßnahme gemäß § 70 Abs. 2 StPO steht – anders als diejenigen nach § 70 Abs. 1 StPO – im gerichtlichen Ermessen. Dabei sind die Pflicht zur Sachaufklärung sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (s. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2012 – StB 20/11, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 8 Rn. 9).

bb) Der angefochtene Beschluss war wie schon die Vernehmung des Zeugen von der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) gedeckt.

(1) Die Erforschung des wahren Sachverhalts ist das zentrale Anliegen des Strafprozesses. Die Aufklärungspflicht begründet deshalb für die Verfahrensbeteiligten einen unverzichtbaren Anspruch darauf, dass die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen sowie alle tauglichen und erlaubten Beweismittel erstreckt wird, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1983 – GSSt 1/83, BGHSt 32, 115, 122 f.). Sie kann das Tatgericht nach den Umständen des Falls sogar verpflichten, gegen einen Zeugen, der ohne gesetzlichen Grund die Aussage verweigert, die in der Strafprozessordnung vorgesehenen Zwangs­mittel festzusetzen und zu vollstrecken (vgl. BGH, Urteil vom 15. Ju­li 1998 – 2 StR 173/98, NStZ 1999, 46; Beschluss vom 10. Januar 2012 – StB 20/11, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 8 Rn. 15).

Welche Beweiserhebungen in der Hauptverhandlung geboten sind, unterliegt dabei in erster Linie der Beurteilung des erkennenden Gerichts, zumal die Aufklärungspflicht in einer Wechselbeziehung mit der tatrichterlichen Überzeugung steht (vgl. LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 46 mwN).

(2) Gemessen an diesen Maßstäben ist das Vorgehen des Oberlandesgerichts frei von Bedenken. Insbesondere hat sich der Staatsschutzsenat – entgegen der in der Beschwerderechtfertigung geäußerten Ansicht – nicht von vorneherein mit der Verlesung der Gründe des gegen den Zeugen ergangenen rechtskräftigen Urteils sowie der Vernehmung von Ermittlungspersonen begnügen müssen. Denn das Tatgericht ist nicht gehindert, sondern vielfach, wenn nicht gar in der Regel gehalten, sich um ein sachnäheres Beweismittel zu bemühen, selbst wenn es ohne die Beweiserhebung aufgrund bereits genutzter sachfernerer Beweismittel die (unter Vorbehalt stehende) Überzeugung vom Tatvorwurf gewonnen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – 2 BvR 659/12, NStZ-RR 2013, 115 f.; BGH, Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 92/03, NStZ 2004, 50; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 66 mwN); im Anschluss an die Rechtskraft des gegen den Zeugen ergangenen Urteils hat das Oberlandesgericht dementsprechend dessen Einvernahme in der Hauptverhandlung betrieben. Darüber hinaus hätten konkretisierende Angaben des Beschwerdeführers zur Stellung und Tätigkeit des Angeklagten im Komitee M.         ohne Weiteres Bedeutung für die Strafzumessung gewinnen können.

cc) Die angefochtene Entscheidung wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Da das Gesetz keine speziellen materiellen Voraussetzungen zum Schutz des Freiheitsgrundrechts vorsieht, hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip besondere Relevanz. Danach muss die Beugehaft nach den Umständen des Falls unerlässlich sein und darf zur Bedeutung nicht außer Verhältnis stehen, welche der Strafsache als solcher sowie der Aussage für den Ausgang des Verfahrens zukommt (s. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2007 – 2 BvR 26/07, BVerfGK 10, 216, 225; BGH, Beschlüsse vom 4. August 2009 – StB 32/09, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 7 Rn. 7; vom 10. Januar 2012 – StB 20/11, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 8 Rn. 9).

Das Oberlandesgericht hat zu Recht angenommen, dass eine Aussage des Zeugen zur Sache ohne Beugehaft nicht zu erlangen war. Gemäß den aufgezeigten Maßstäben hat es zudem – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers – zutreffend auf das Gewicht der dem Angeklagten angelasteten Straftat abgestellt. Überdies hat es davon ausgehen dürfen, dass trotz fortgeschrittener Beweisaufnahme Angaben des Zeugen den Ausgang des Strafverfahrens noch beeinflussen können (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2009 – StB 32/09, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 7 Rn. 9). Nach der maßgeblichen Ex-ante-Sicht genügt es hierfür grundsätzlich, dass die Nutzung des sachnäheren Beweismittels das bisher gewonnene Beweisergebnis voraussichtlich untermauern wird. Wie ausgeführt (s. oben bb] [2]), waren auch für den Strafausspruch bedeutsame Erkenntnisse zu erwarten. Da die Beweisaufnahme vor dem Abschluss stand, hat der Staatsschutzsenat ferner die sofortige Vollstreckung als erforderlich erachten dürfen (zur Zuständigkeit vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 1989 – I BGs 100/89, BGHSt 36, 155, 156 f.). Schließlich zeigt sich die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeits- und des Beschleunigungsgrundsatzes daran, dass das Oberlandesgericht die Beugehaft umgehend aufgehoben hat, nachdem es im nächsten Vernehmungstermin die Überzeugung gewonnen hatte, der Zeuge werde trotz weiteren Beugehaftvollzugs auf absehbare Zeit zur Sache nicht aussagen.

Darauf, ob der Angeklagte auch ohne die Aussage des Beschwerdeführers dem Anklagevorwurf entsprechend verurteilt worden ist, kommt es deshalb nicht ausschlaggebend an.“

Ganz interessant für die Praxis, denn wann liest man schon mal so ausführlich vom BGH zur Beugehaft.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das mit dem Gegenstandswert bei Cannabis?

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Und dann die Lösung für die Frage vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das mit dem Gegenstandswert bei Cannabis?

Eine Kollegin hatte den Fragesteller auf den BGH, Beschl. v. 05.07 – 3 StR 201/23 – hingewiesen. Und ich hatte wie folgt geantwortet:

„Vorab: Da haben Sie dann aber wahrscheinlich doch eine ganze Menge Geld verschenkt 🙂 .

Zur Nr. 4142 VV RVG gibt es einen Beitrag von mir in AGS 2024, 193 und zu den Gegenstandswerten in AGS 2024, 243. Beide stehen im Volltext auf meiner HP.

Zu den Gegenstandswerten bei Cannabis: Die o.a. Entscheidung des BGH überrascht mich nicht so sehr. Denn die eingezogenen Marihuanapflanzen waren „zur Gewinnung von Rauschgift zum gewinnbringenden Weiterverkauf“ bestimmt. Das ist nach wie vor verboten. Von daher liegt die Entscheidung auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung zum Gegenstandswert bei BtM.

Interessant wird es erst, wenn Tätigkeiten im Hinblick auf den „legalen Teil“ erbrachr worden, also z.B. beraten, ob und was und wieviel eingezogen werden kann. Da wird man dann die Frage des Gegenstandswertes neu diskutieren müssen. Dazu haben wir demnächst einen Beitrag im StRR. Auch die AGS wird berichten. Dazu gibt es bislang keine Rechtsprechung. Dazu gilt dann nur: Nur ein Versuch macht kluch.

Über den o.a. Beschluss habe ich inzwischen auch berichtet, und zwar hier: Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV und Gegenstandswert II, oder: Eingezogene Marihuanapflanzen und KCanG.