Corona I: Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, oder: Der Anstifter kann nicht Verteidiger sein

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Und dann im „Kessel Buntes“ seit längerem mal wieder etwas zu Corona (und was [noch] damit zu tun hat. Eine Entscheidung stammt aus dem Strafrecht, eine aus dem Zivilrecht.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 06.06.2024 – 2 ARs 85/24. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen eines Verteidigerausschlusses (§§ 138a StPO ff.). Das OLG hat den Rechtsanwalt in einem Strafverfahren gemäß § 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO von der Mitwirkung ausgeschlossen. Seine hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde war unbegründet.

Folgender Sachverhalt:

„Das Landgericht Dresden führt gegen die Angeklagte Dr. Wi.  ein Strafverfahren unter anderem wegen des Vorwurfs des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse gemäß § 278 Abs. 1 StGB in einer Vielzahl von Fällen. In den Fällen III.66, III.67, III.72 und III.73 der Anklage der Staatsanwaltschaft Dresden vom 29. Juni 2023 soll die Angeklagte unter anderem dem Beschwerdeführer, einem Rechtsanwalt, im Rahmen ihrer Berufsausübung als praktizierende Ärztin zwischen dem 16. Januar 2022 und dem 8. Februar 2022 an insgesamt vier Tagen ärztlich bescheinigt haben, er sei mittels eines Antigen-Schnelltestes negativ auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus getestet worden, obwohl sie selbst die Testungen an diesen Tagen weder vorgenommen noch überwacht habe.

Der Beschwerdeführer hat sich im Verlauf des Verfahrens als Wahlverteidiger der Angeklagten legitimiert. Auf entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Oberlandesgericht Dresden den Beschwerdeführer nach Vorlage durch das Landgericht Dresden und aufgrund durchgeführter mündlicher Verhandlung mit Beschluss vom 10. November 2023 gemäß § 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO als Verteidiger ausgeschlossen, da dieser der Beteiligung an Straftaten der Angeklagten hinreichend verdächtig sei.“

In der Sache führt das BGH aus:

„2. Auch in der Sache ist der Ausschluss des Beschwerdeführers als Verteidiger in dem gegen die Angeklagte geführten Strafverfahren zu Recht erfolgt.

Die Voraussetzungen des § 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO liegen vor. Demnach ist ein Verteidiger von der Mitwirkung in einem Verfahren auszuschließen, wenn er dringend oder in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Grade verdächtig ist, dass er an der Tat, die den Gegenstand der Untersuchung bildet, beteiligt ist. Erforderlich, aber auch ausreichend ist insoweit der hinreichende Tatverdacht im Sinne der §§ 203, 170 Abs. 1 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. März 1989 – 2 ARs 54/89, BGHSt 36, 133; vom 18. April 2018 – 2 ARs 542/17, juris Rn. 12 mwN). Dabei wird vorausgesetzt, dass der Tatvorwurf zwar nicht restlos bis in alle Einzelheiten geklärt ist, die verfügbaren Aufklärungsmöglichkeiten und Erkenntnisquellen aber im Wesentlichen ausgeschöpft sind (sog. Anklagereife, vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 1989 – 2 ARs 54/89, juris Rn. 19). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.

a) Das Oberlandesgericht Dresden hat umfassend gewürdigt und begründet, warum sich in tatsächlicher Hinsicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wird nachweisen lassen, der Beschwerdeführer habe bei der Angeklagten ärztliche Atteste über negative Testungen auf das SARS-CoV-2-Virus angefordert, die diese sodann ausstellte, ohne den Test selbst durchgeführt oder überwacht zu haben.

b) Der demnach überwiegend wahrscheinlich feststellbare Sachverhalt erweist sich in rechtlicher Hinsicht für den Beschwerdeführer zumindest als Anstiftung zum Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 Abs. 1, § 26 StGB) in vier Fällen. Sollte die Angeklagte dem Beschwerdeführer zugleich eine Testdokumentation im Sinne des § 22 Abs. 4c Satz 1 IfSG ausgestellt haben, stünde die Anstiftung zur unrichtigen Dokumentation der Überwachung einer Testung (§ 75a Abs. 1 Nr. 1 IfSG in der Fassung vom 22. November 2021, § 26 StGB) jeweils in Tateinheit dazu.

aa) Nach § 278 StGB in der seit dem 24. November 2021 geltenden Fassung macht sich strafbar, wer zur Täuschung im Rechtsverkehr als Arzt oder andere approbierte Medizinalperson ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen ausstellt. Die Vorschrift soll die Beweiskraft ärztlicher Zeugnisse sichern und setzt grundsätzlich die Feststellung des Gesundheitszustands aufgrund einer Untersuchung voraus (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2006 – 2 StR 384/06, NStZ-RR 2007, 343). Auch die ärztliche Testdokumentation nach § 22 Abs. 4c und 4d IfSG in der hier maßgeblichen Fassung vom 10. Dezember 2021, bei der es sich um ein Gesundheitszeugnis im Sinne des § 278 StGB handelt, setzt die Durchführung oder Überwachung der Testung in Bezug auf einen negativen Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 im Beisein der dazu befugten Person voraus. Soweit der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und anderer Vorschriften vom 18. März 2022 (BGBl. I, S. 466) § 22a Abs. 3 IfSG dahin gefasst hat, die Testung müsse „vor Ort unter Aufsicht […] stattgefunden“ haben, ist den Gesetzesmaterialien zu entnehmen, dass die Aufnahme der Worte „vor Ort“ in den Gesetzestext allein aus Gründen der Klarstellung vorgenommen wurde (BT-Drucks. 20/958, S. 17). In Bezug auf das zu den einzelnen Tatzeitpunkten weiterbestehende Infektionsgeschehen konnten Testnachweise bzw. -dokumentationen, die auf einer Diagnostik durch Antigen-Schnelltestungen beruhten, als Teil der Bekämpfungsstrategie nur dann wirken, wenn die sachgerechte Durchführung der Tests durch echte Kontrollmöglichkeiten gewährleistet wurde. Dies galt unabhängig davon, ob es sich bei den von der Angeklagten ausgestellten Attesten um Testdokumentationen im Sinne des § 22 Abs. 4c, 4d IfSG oder um Testnachweise im Sinne des § 2 Nr. 7c) COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung in der Fassung vom 14. Januar 2022 handelte.

bb) Die dem Beschwerdeführer auf seine Veranlassung erteilten ärztlichen Bescheinigungen der Angeklagten genügten dem nicht. Insbesondere lag entgegen der in der Beschwerdebegründung vertretenen Auffassung in der zwischen der Angeklagten und dem Beschwerdeführer verabredeten Vorgehensweise keine Überwachung der Testung durch die Angeklagte.

Der Beschwerdeführer hat angeführt, er habe sich vor Ausstellung der ärztlichen Atteste jeweils selbst mittels eines Antigen-Schnelltests auf eine Infektion getestet und ein Foto der entsprechenden Testkassette sodann über Messengerdienste an die Angeklagte übersandt. Dies hat er im Beschwerdeverfahren zum Teil durch Vorlage entsprechender Screenshots belegt. Das schlichte Übersenden eines Lichtbildes einer Testkassette stellt bereits nach allgemeinen Verständnis keinen wirksamen Kontrollmechanismus und damit keine Überwachung eines Tests dar. Eine Überwachung, die dem Regelungszweck der genannten Vorschriften gerecht werden soll, erfordert, dass der die negative Testung Bestätigende sich auf Basis einer verlässlichen Grundlage von der sachgerechten Durchführung der Testung überzeugt. Dazu gehört auch die Prüfung, wann der Test durchgeführt wurde und ob diejenige Person, die getestet wurde, mit derjenigen Person, für die das Attest ausgestellt wird, identisch ist. Allein anhand eines übersendeten Lichtbildes von einer Testkassette war dies nicht möglich. Die Angeklagte konnte nicht überprüfen, wann oder von wem oder in welcher Weise der Test durchgeführt wurde. Daran ändert auch der durch den Beschwerdeführer dargelegte Umstand, die Angeklagte habe ihm zuvor ausführlich erläutert, wie eine Selbsttestung vorzunehmen sei, nichts. Dies würde der Angeklagten allenfalls die Möglichkeit gegeben haben zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer generell in der Lage war, Selbsttestungen fehlerfrei vorzunehmen. Konkret bezogen auf die verfahrensgegenständlichen Testnachweise fehlte es aber an jeglicher Kontrollmöglichkeit. Die ärztliche Gewähr für die Verlässlichkeit des Testergebnisses, die die Angeklagte mit ihren Attesten bescheinigte und deren Schutz § 278 Abs. 1 StGB dient (vgl. Spickhoff/Schuhr, Medizinrecht, 4. Aufl., § 278 StGB Rn. 1), konnte sie damit nicht bieten.

cc) Die Aufforderung des Beschwerdeführers, ihm in den oben genannten vier Fällen ein negatives Testergebnis zu bescheinigen, stellt jeweils ein Bestimmen im Sinne des § 26 StGB dar. Nach derzeitigem Sachstand ist auch im Sinne eines hinreichenden Tatverdachtes von einem doppelten Anstiftervorsatz auszugehen. Jedenfalls nach Aktenlage liegt es nicht nahe, dass der Beschwerdeführer als Rechtsanwalt das von ihm beschriebene Prozedere als hinreichende Grundlage für die Ausstellung eines ärztlichen Attestes angesehen hat.“

Ich habe da mal eine Frage: Kann man die Ladezeit für ein E-Auto als Reisezeit abrechnen?

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Ich hatte ja schon in der vergangenen Woche etwas aus dem Rechtspflegerforum eingestellt. Das mache ich heute, da die Beiträge derzeit aus gegebenem Anlass vorbereitet sind, noch einmal.

Ich bin beim Stöbern auf folgende interessante Frage gestoßen:

„Ich habe hier jemanden, der die Ladezeit für ein Elektroauto als notwendige Reisezeit zum Termin abrechnen will. Ich bin nicht sicher, ob das unter Privatvergnügen fällt oder wegen der gewünschten Umstellung auf E-Mobilität tatsächlich als dem Verfahren zuzuordnender Zeitaufwand zu gelten hat. In Literatur und Rechtsprechung habe ich nichts gefunden. Hat jemand von Euch dazu eine Meinung?“

„Richtige“ Kostenentscheidung in der Berufung?, oder: Kostenteilung nach Teilerfolg?

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem BayObLG, Beschl. v. 03.07.2024 – 204 StRR 201/24 – aus Bayern. Sie befasst sich mit der Frage der „richtigen“ Kostenentscheidung im Berufungsverfahren. Die Frage, ob im strafverfahrensrechtlichen Berufungsverfahren ggf. zugunsten des Angeklagten die „richtige“ Kostenentscheidung ergangen ist, spielt ja für eine sich daran anschließende mögliche Teilerstattung der notwendigen Auslagen des Angeklagten aus der Staatskasse eine erhebliche Rolle.

Folgender Sachverhalt: Das AG hatte den Angeklagten mit Urteil vom 11.07.2023 wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 35 EUR verurteilt. Das LG hat mit Urteil vom 11.10.2023 auf die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hin das Urteil des AG insoweit abgeändert, als der Angeklagte wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 EUR – unter Bewilligung einer Ratenzahlung – verurteilt wurde. Die weitergehenden Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten hat es als unbegründet verworfen. In Ziffer 4 des Tenors hat das LG entschieden, dass der Angeklagte die Kosten des Berufungsverfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen habe. Die durch die Berufung der Staatsanwaltschaft entstandenen ausscheidbaren Kosten und ausscheidbaren Auslagen des Angeklagten sind der Staatskasse auferlegt worden.

Am 11.10.2023 haben der Angeklagte und sein Verteidiger gegen die Kostenentscheidung des Berufungsurteils sofortige Beschwerde und gegen das Berufungsurteil Revision eingelegt. Der Verteidiger hat mit Schreiben vom 17.10.2023 die Revision und mit Schreiben vom 02.01.2024 die Kostenbeschwerde begründet. Mit Beschluss vom 06.05.2024 hat das BayObLG gemäß Antrag der Generalstaatsanwaltschaft die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des LG gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Mit Schreiben seines Verteidigers vom 12.05.2024 rügt der Angeklagte eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs, weil sich der Senat in seinem Beschluss vom 06.05.2024 nicht mit der gegen die Kostenentscheidung des LG eingelegten sofortigen Beschwerde auseinandergesetzt habe. Die Anhörungsrüge hatte beim BayObLG Erfolg, die Kostenbeschwerde des Angeklagten war aber nur teilweise erfolgreich.

Das BayObLG hat das umfassend begründet. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext. Hier gibt es nur die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Der Strafsenat bleibt für die Entscheidung über die Kostenbeschwerde auch nach Abschluss des Revisionsverfahrens jedenfalls dann zuständig, wenn er die Kostenbeschwerde bei der Revisionsentscheidung übersehen hat und der Angeklagte die Anhörungsrüge gem. § 33a Satz 1 StPO innerhalb der Frist des § 356a Satz 2 StPO erhoben hat.

  2. Der Angeklagte hat nicht die vollen im Berufungsverfahren angefallenen Gerichtskosten und notwendigen Auslagen zu tragen, wenn das Berufungsgericht unter Verwerfung der weitergehenden Berufung des Angeklagten den erstinstanzlichen Schuldspruch von Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen auf fahrlässigen Vollrausch geändert und die erstinstanzlich verhängte Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 35 € auf 60 Tagessätze zu je 40 € ermäßigt sowie eine Ratenzahlung bewilligt hat.

  3. Im Rahmen des § 473 Abs. 4 StPO, einer Regelung mit Ausnahmecharakter, ist nicht allein entscheidend, ob der Angeklagte die angefochtene Entscheidung hingenommen hätte, wenn sie entsprechend der neuen Entscheidung gelautet hätte, sondern wesentlich auch das Maß des erreichten Teilerfolges.

Beseitigung einer gesetzwidrigen Entscheidung, oder: Wer die Musik bestellt, muss sie bezahlen

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Heute in der „Gebührenecke“ zwei kostenrechtliche Entscheidungen.

Die erste kommt mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 25.06.2024 – 3 Ws 204/24 – vom OLG Hamm, das in dem Beschluss zu der Frage Stellung nimmt, wer bei Beseitigung einer gesetzwidrigen Entscheidung die Kosten und Auslagen trägt.

Das AG hatte den Verurteilten am 06.11.2013, rechtskräftig seit dem 22.12.2014, wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Nachdem aus dieser Verurteilung bereits zwei Drittel der Strafe vollstreckt wurden, hat das AG mit Beschluss vom 31.03 2022, rechtskräftig seit dem 13.04.2022, u.a. den Strafrest gemäß § 36 Abs. 1 BtMG zur Bewährung ausgesetzt, nachdem der Verurteilte eine Therapie regulär beendet hatte, und die Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt.

Mit Verfügung vom 25. 03.2024 hat die Staatsanwaltschaft beantragt, „die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit zu erlassen“. Mit Beschluss vom 12.04.2024 hat die StVG „die Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts pp. vom 06.11.2013 nach Ablauf der Bewährungszeit gemäß § 56g StGB erlassen“. Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft am 22.04.2024 „zuungunsten“ des Verurteilten sofortige Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, die Bewährungszeit laufe noch bis zum 12.04.2025.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Das OLG hat den Straferlassbeschluss aufgehoben, weil die Voraussetzungen des § 56g Abs. 1 StGB nicht erfüllt waren. Denn ein Straferlass kann erst nach Ablauf der Bewährungszeit erfolgen. Hier lief die Bewährungszeit aber noch bis zum 12.04.2025. Allerdings sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Beschwerdeverfahrens der Staatskasse auferlegt worden. Zur Begründung der Kosten- und Auslagenentscheidung führt das OLG aus:

„Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V. mit § 473 Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. September 1999 – 1 Ws 701/99NStZ-RR 2000, 223 m.w.N., Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, § 473 Rdnr. 17 m.w.N.). Denn trotz des entgegenstehenden Wortlauts hat die Staatsanwaltschaft Essen die sofortige Beschwerde nach Auffassung des Senats im Ergebnis nicht zuungunsten des Verurteilten eingelegt, sondern in erster Linie unter Wahrnehmung ihrer Aufgabe, gerichtliche Entscheidungen mit dem Gesetz in Einklang zu bringen, zumal sie für die fehlerhafte Entscheidung aufgrund ihres verfrühten Antrags vom 25. März 2024 „mitverantwortlich“ ist. Insoweit gilt, dass der Verurteilte nicht mit Kosten und Auslagen belastet werden darf, die nur dadurch entstanden sind, dass eine auf einem Irrtum des Gerichts beruhende gesetzwidrige Entscheidung beseitigt wird (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.).“

M.E. zutreffend. Letztlich ist das eine konsequente Anwendung des Verursacherprinzips. Denn die Staatsanwaltschaft und ihr folgend die Strafvollstreckungskammer hatten den gesetzwidrigen Zustand, der durch die Entscheidung des OLG beseitigt worden ist, verursacht.

Verkehrsrecht III: Zeitablauf nach FE-Entziehung, oder: Zwei Jahre und ein Monat unvertretbar

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Und dann zum Schluss noch etwas zur (vorläufigen) Entziehung der Fahrerlaubnis

Gegen den Angeschuldigten ist ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung anhängig. In dem ist die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden. Das AG hat jetzt im AG Bad Homburg, Beschl. v. 12.08.2024 – 7a Ds 117/24 – aufgehoben. Grund: Unverhältnismäßig:

„Die Beschwerde des Verteidigers vom 23. Juni 2024 (BI. 264 ff. d.A.) war, nachdem nunmehr Anklage erhoben worden ist, umzudeuten in einen Antrag auf Aufhebung der Maßnahme nach § 111a StPO.

Dem zulässigen Antrag des Verteidigers auf Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis war stattzugeben. Zwar liegt nach Aktenlage nach wie vor der von § 111a Abs. 1 StPO geforderte dringende Tatverdacht hinsichtlich der fahrlässigen Tötung bzw. der Gefährdung des Straßenverkehrs vor. Jedoch gebieten der Beschleunigungsgrundsatz sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis.

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist wie alle strafprozessualen Zwangsmaßnahmen verfassungsrechtlichen Schranken unterworfen, die sich besonders im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und in dem Beschleunigungsgebot konkretisieren. Die Belastung aus einem Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich eines Beschuldigten muss in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen stehen. Dieses Übermaßverbot kann im Einzelfall nicht nur der Anordnung und Vollziehung, sondern auch der Fortdauer einer strafprozessualen Maßnahme zeitliche Grenzen setzen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2005 — Az. 2 Ws 15/05 mwN).

Diese zeitliche Grenze ist im vorliegenden Fall nunmehr erreicht.

Zwischen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis vom 6. Juli 2022 und dem heutigen Tag liegen zwei Jahre und ein Monat. Der zeitliche Abstand zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ist mittlerweile derart groß, dass unter Berücksichtigung der übrigen Umstände des Einzelfalls eine Fortdauer der vorläufigen Fahrererlaubnisentziehung nicht mehr vertretbar erscheint. Hierbei wurde maßgeblich berücksichtigt, dass der Angeschuldigte zwischenzeitlich weder strafrechtlich- noch straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist und er in der Zeit vom 12. Dezember 2022 bis 17. April 2023 an einer verkehrspsychologischen Intensivmaßnahme beim TÜV teilgenommen hat.

Angesichts dieser Umstände ist trotz des fortbestehenden Vorliegens eines von § 111a StPO geforderten dringenden Tatverdachts die Aufhebung des Beschlusses über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis geboten.“