BtM I: 5. Ss des BGH pampt zur „nicht geringen Menge“, oder: Gesetzesbegründung „verhallt“ beim BGH

© fpic – Fotolia.com

Heute gibt es BtM-Entscheidungen, die ich mit einem Paukenschlag aus Leipzig eröffne. Denn von dort kommt der BGH, Beschl. v. 23.04.2024 – 5 StR 153/24 – mit dem dann ein weiterer Senat des BGH zur „nicht geringen Menge“ nach dem Inkrafttreten des KCanG Stellung genommen hat. Über den BGH, Beschl. v. 18.04.2024 – 1 StR 106/24 hatte ich ja schon berichtet (siehe hier: KCanG III: „Nicht geringe Menge“ bleibt bei 7,5 g, oder: Auch beim BGH: Neuer Wein in alten Schläuchen) und auch hier: KCanG I: Peinlicher Lapsus (?) beim BGH zum KCanG, oder: Neufestsetzung JGG-Weisungen/Jugendstrafe).

Jetzt also das zweite Machwerk des BGH. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem das LG den Angeklagten u.a. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt hat. Nach den Feststellungen des LG hatte der der Angeklagte einen unbekannten Dritten bei dem gewinnbringenden Absatz von Cannabis unterstützt, indem er dieses für den Unbekannten lagerte und es nach dessen Anweisung an Abnehmer auslieferte. Zu diesem Zweck verwahrte er am etwa 88 Kilogramm Haschisch sowie rund 4 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von zusammen rund 28 Kilogramm THC in seiner Wohnung und weitere 150 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 25 Kilogramm THC in einem vor der Wohnung geparkten Fahrzeug. Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten hatte hinsichtlich der Strafausspruchs Erfolg. Zudem hat BGH denSchuldspruch dahin neu gefasst, „dass der Angeklagte der Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis in Tateinheit mit Besitz voninsgesamt mehr als 60 Gramm Cannabis schuldig ist.“

Zur Aufhebung des Strafausspruchs führt der BGH aus:

„3. Die gesetzliche Neuregelung zwingt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

a) Der Senat kann trotz des – angesichts der großen Cannabismenge – beachtlichen Schuldumfangs und der im Verhältnis dazu vergleichsweise milden Strafe, bei deren Zumessung das Landgericht die herabgesetzte Gefährlichkeit von Cannabis ausdrücklich in den Blick genommen hat („weiche Droge“), nicht ausschließen, dass es bei Anwendung der Strafrahmen des KCanG eine niedrigere Strafe gegen den Angeklagten verhängt hätte (§ 337 Abs. 1 StPO).

b) Die zum Strafausspruch gehörigen Feststellungen werden von der aufgrund der Gesetzesänderung notwendigen Aufhebung des Strafausspruchs nicht berührt und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um solche ergänzt werden, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.

4. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass hier die Anwendung des § 34 Abs. 3 Satz 1 KCanG in Betracht kommen könnte, weil sich die Tat nach den Feststellungen des Landgerichts auf eine nicht geringe Menge Cannabis bezieht und damit die Voraussetzungen des Regelbeispiels nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr.4 KCanG erfüllt sind.

Die nicht geringe Menge liegt auch für das KCanG bei einem Wirkstoffgehalt von 7,5 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC) in der Cannabismenge vor. Der Senat sieht keinen Anlass, den bislang unter der Geltung des BtMG für Cannabisprodukte anerkannten Grenzwert abweichend zu bestimmen (so bereits BGH, Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 – 5 Ws 19/24). Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

a) Den Begriff der nicht geringen Menge hat der Gesetzgeber für das KCanG unverändert dem BtMG entnommen. Beide Gesetze enthalten keine gesetzliche Definition dieses Mengenbegriffs. Für das BtMG hat sich durch gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für Auslegung und Anwendung dieses wertausfüllungsbedürftigen Begriffs ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2023 – 2 BvL 3/20a.).

Danach wird die nicht geringe Menge des jeweiligen Wirkstoffs stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Wirkungsintensität festgelegt. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten. Das Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials zu bemessen. Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. August 2023 – 3 StR 462/22, NJW 2023, 3248 f. mwN).

Für Cannabisprodukte hat der Bundesgerichtshof den Grenzwert der nicht geringen Menge nach dem BtMG ab einer Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC angenommen. Maßgebend hierfür waren folgende Erwägungen: Zu einer äußerst gefährlichen, gar tödlichen Dosis des Wirkstoffs durch die bisher bekannten Konsumformen von Cannabisprodukten waren keine Angaben möglich. Deswegen hat sich der Bundesgerichtshof an der durchschnittlichen Konsumeinheit für einen Rauschzustand orientiert und diese gestützt vor allem auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf 15 Milligramm THC festgelegt. Das Vielfache der so bestimmten Konsumeinheit hat er mit der Maßzahl 500 bestimmt. Hiermit sollte die wesentlich geringere Gefährlichkeit von Cannabisprodukten im Verhältnis zu Heroin abgebildet, aber auch – angesichts der gegenüber § 29 Abs. 1 BtMG deutlichen Verschärfung der Strafrahmen in § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG und insbesondere in § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG – den Unsicherheitsfaktoren bei der Bestimmung des THC-Gehalts einer durchschnittlichen Konsumeinheit Rechnung getragen werden. Auf dieser Grundlage errechnet sich die nicht geringe Menge als 500 Konsumeinheiten zu je 15 Milligramm, was 7,5 Gramm THC entspricht (BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8 ff.). Dies hat der Bundesgerichtshof unter ausführlicher Auseinandersetzung neuerer Erkenntnisse zur Gefährlichkeit von Cannabis insoweit bestätigt gesehen und am Grenzwert festgehalten (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95, BGHSt 42, 1 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 – 2 BvL 43/92, BVerfGE 90, 145). Dieser Grenzwert wird von der Rechtsprechung praktisch ausnahmslos zugrunde gelegt (so schon HansOLG Hamburg aaO); er ist allgemein als praktikabel anerkannt und akzeptiert worden (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95, BGHSt 42, 1, 11).

b) Der Senat sieht keinen Grund, den Grenzwert der nicht geringen Menge für das KCanG davon abweichend zu bestimmen.

aa) Der Gesetzgeber hat den seit Jahrzehnten etablierten Begriff der nicht geringen Menge, der durch die skizzierte gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung Konturierung erfahren hat und deshalb insbesondere auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gesetzesbestimmtheit genügt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2023 – 2 BvL 3/20a. Rn. 107), aus dem bisherigen BtMG unverändert in das KCanG übernommen. Diese Vorgehensweise legt nahe, dass er diesem Rechtsbegriff keine andere Bedeutung unterlegen und nicht zwei inhaltlich verschiedene Begriffe der nicht geringen Menge kreieren wollte. Hierzu passt, dass er für andere Begriffe, die auch im BtMG Verwendung finden, auf Definitionen nach dem BtMG zurückgegriffen hat, so zum Beispiel in § 1 Nr. 10 KCanG, und Straftatbestände denjenigen im BtMG nachgebildet hat, so zum Beispiel § 34 Abs. 4 Nr. 2 und 4 KCanG.

bb) Weder der Schutzzweck des KCanG im Allgemeinen noch der Regelungen, die eine nicht geringe Menge zur Voraussetzung haben, rechtfertigen eine abweichende Bestimmung. Ausweislich der Gesetzesbegründung zielt das KCanG darauf ab, zu einem „verbesserten Gesundheitsschutz beizutragen, die cannabisbezogene Aufklärung und Prävention zu stärken, den illegalen Markt für Cannabis einzudämmen sowie den Kinder- und Jugendschutz zu stärken. Zum Schutz von Konsumentinnen und Konsumenten soll die Qualität von Konsumcannabis kontrolliert und die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert werden“ (BT-Drucks. 20/8704, S. 68). Zur strafschärfenden Berücksichtigung des Handels mit einer nicht geringen Menge Cannabis wird ausgeführt, hierdurch werde insbesondere gefördert, „dass Cannabis in einem nicht geringen Ausmaß illegal in den Verkehr kommt bzw. in ihm bleibt“ (BT-Drucks. 20/8704, S. 132). Gemessen an diesen Schutzzwecken wäre nicht einsichtig, die nicht geringe Menge anders als in Abhängigkeit von der Gefährlichkeit zu bestimmen. Diese hängt maßgeblich vom Wirkstoffgehalt ab (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8, 10). Wohl auch deswegen hat der Gesetzgeber mit Blick auf die inzwischen hohen Wirkstoffgehalte jedenfalls bei Cannabisblüten und Haschisch (vgl. auch Patzak/Dahlenburg, NStZ 2022, 146, 149) bestimmt, dass der Wirkstoffgehalt bei Abgabe von Cannabis innerhalb von Anbauvereinigungen an unter Einundzwanzigjährige auf zehn Prozent begrenzt ist (§ 19 3 Satz 3 KCanG).

cc) Muss es danach bei einer an der Gefährlichkeit orientierten Festsetzung eines Grenzwerts des Wirkstoffs THC bleiben, so fehlt es an belastbaren Belegen für eine geänderte Beurteilung der Anknüpfungstatsachen für diese Mengenbestimmung. Weder zur durchschnittlichen Konsumeinheit noch zur Gefährlichkeit in Abgrenzung zu anderen Stoffen gibt es wissenschaftlich fundierte abweichende Erkenntnisse. Auch die Gesetzesbegründung vermittelt solche nicht; vielmehr werden darin die nach wie vor bestehenden gesundheitlichen Risiken aufgezeigt (BT-Drucks. 20/8704, S. 68).

dd) Zwar lässt sich der Gesetzesbegründung entnehmen, dass aufgrund einer „geänderten Risikobewertung“ ein konkreter Wert von der Rechtsprechung zu entwickeln sein werde, man „im Lichte der legalisierten Mengen“ an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten“ könne und „der Grenzwert deutlich höher liegen“ müsse „als in der Vergangenheit“ (BT-Drucks. 20/8704, S. 132). Dies verhallt schon deswegen, weil sich dem Gesetz selbst keine Abstriche von dem durch die Rechtsprechung konturierten Begriff der nicht geringen Menge entnehmen lassen. Dem hierzu legitimierten Gesetzgeber wäre es unbenommen gewesen, einen deutlich höheren Grenzwert, etwa als Vielfaches des nach der Methode der Rechtsprechung gewonnenen Werts, oder zumindest einen Weg zur Bestimmung eines anders als bisher zu ermittelnden Grenzwerts gesetzlich festzuschreiben. All dies hat er nicht getan, sondern sich auf die Verwendung eines im BtMG etablierten Rechtsbegriffs beschränkt.

Darüber hinaus steht die „geänderte Risikobewertung“ hermeneutisch für sich; weder im Gesetzestext noch in dessen Begründung findet sich eine solche Bewertung im Sinne einer Abstufung der Gefährlichkeit von Cannabis etwa im Verhältnis zur bisherigen Bewertung durch die Rechtsprechung. Letztere stellt vor allem auf das Verhältnis von Cannabis zu den Stoffen ab, die weiterhin dem BtMG unterliegen. Die Rechtsprechung hat aber seit nunmehr fast 40 Jahren Cannabisprodukten eine vergleichsweise geringe Gefährlichkeit im Verhältnis zu anderen Betäubungsmitteln bescheinigt und dies bei der Bestimmung des Grenzwerts ausdrücklich berücksichtigt (vgl. BGH, Urteile vom 8. November 2016 – 1 StR 492/15 Rn. 29; vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8, 12 f.).

Schließlich lässt auch die in der Begründung angesprochene Orientierung an den legalisierten Besitzmengen außer Acht, dass andere Umgangsformen, wie das Handeltreiben mit Cannabis, ohne Einschränkung strafbar sind.

ee) Sollte die „geänderte Risikobewertung“ nicht auf die Gefährlichkeit von Cannabis bezogen sein, sondern den Strategiewechsel umschreiben, mit dem durch eine Teillegalisierung trotz erkannter Gefährlichkeit ein „verantwortungsvoller Umgang“ mit Cannabis erleichtert werden soll (BT-Drucks. 20/8704, S. 68), führte dies zu keinem anderen Ergebnis. Anders als dem Gesetzgeber, der infolge dieser Neubewertung die Strafrahmen bereits reduziert hat und dem es ohne Weiteres möglich gewesen wäre, ein Vielfaches der bisherigen nicht geringen Menge als Grenzwert festzuschreiben, kommt der Rechtsprechung eine solche wertende Bestimmung nicht zu (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95, BGHSt 42, 1, 2). Denn es fehlt hierfür sowohl an Anhaltspunkten im Gesetz, die eine solche Handhabung vorgeben könnten, als auch an gefestigten höchstrichterlichen Vorgaben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2023 – 2 BvL 3/20a.). Danach müsste die nicht geringe Menge, losgelöst von üblichen Auslegungsmethoden frei rechtschöpfend bestimmt werden, was sich verbietet.“

Wenn man es gelesen hat, muss man erst mal Luft holen und fragt sich, ob das alles so sein kann. Man will es nicht glauben.

Aber wenn ich schon lese: „Die gesetzliche Neuregelung zwingt zur Aufhebung des Strafausspruchs.“, ahne, nein besser: weiß ich, was mich erwartet: Eine Entscheidung, der man deutlich anmerkt, dass den Herren und Damen in den roten Roben des 5. Strafsenats des BGH (ich schreibe bewusst nicht: des BGH) die gesetzlichen Neuregelungen und die Intention des Gesetzgebers nicht passen. Das kann ich nachvollziehen, man muss das ja alles nicht mögen. Aber so kann man m.E. mit dem Gesetzgeber auch nicht umgehen. Letztlich ist das der zweite pampige Affront vom BGH gegenüber dem Gesetzgeber. Der wird sich sehr freuen, wenn er liest: „Zwar lässt sich der Gesetzesbegründung entnehmen, dass aufgrund einer „geänderten Risikobewertung“ ein konkreter Wert von der Rechtsprechung zu entwickeln sein werde, man „im Lichte der legalisierten Mengen“ an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten“ könne und „der Grenzwert deutlich höher liegen“ müsse „als in der Vergangenheit“ (BT-Drucks. 20/8704, S. 132). Dies verhallt schon deswegen, weil sich dem Gesetz selbst keine Abstriche von dem durch die Rechtsprechung konturierten Begriff der nicht geringen Menge entnehmen lassen. Dem hierzu legitimierten Gesetzgeber wäre es unbenommen gewesen, einen deutlich höheren Grenzwert, etwa als Vielfaches des nach der Methode der Rechtsprechung gewonnenen Werts, oder zumindest einen Weg zur Bestimmung eines anders als bisher zu ermittelnden Grenzwerts gesetzlich festzuschreiben. All dies hat er nicht getan, sondern sich auf die Verwendung eines im BtMG etablierten Rechtsbegriffs beschränkt.“  Man fragt sich: Warum so viel Worte? Schreibt doch gleich: Der Gesetzgeber und seine Intention interessieren uns nicht, „mia san mia“.

Etwas beruhigt bin ich, wenn man das Gemunkel hört, dass der 6. Strafsenat des BGH die Frage der „nicht geringen Menge“ wohl dem Großen Senat vorlegen will. Das wäre eine zu begrüßende Entwicklung. Allerdings dürfte das dann wohl nur wegen „grundsätzlicher Bedeutung“ gehen Denn wir haben es sowohl beim 1. als auch beim 5. Strafsenat nur mit nicht tragende Erwägungen und/oder  Segelanweisungen zu tun und dürften keine Divergenz begründen (dazu hier bei de legibus-blog: Der Bundesgerichtshof hat keinen Grenzwert für THC „festgesetzt”). Allerdings setzt auch die grundsätzliche Bedeutung eine Entscheidungserheblichkeit beim vorlegenden Senat voraus. Ich hoffe, dass das „Vorlagegerücht“ stimmt und der 6. Strafsenat (oder auch ein anderer) nur auf den richtigen Fall wartet.

Im Übrigen: Man muss sich dann im Grunde auch die Frage stellen: Hätte der 5. Strafsenat nach seinem eigenen Ansatz den Regelbeispieltatbestand nicht als verfassungswidrig ansehen müssen mit der Folge der Vorlage an das BVerfG? Denn wenn es einen solchen Dissens zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung über die Auslegung des Tatbestandsmerkmals gibt, ist der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG nicht mehr gewahrt, oder? Nun ja, aber solche Fragen sind in der Beratung dann wohl „verhallt.“

Die Knallgeräusche, die man nach der Veröffentlichung gehört hat, waren übrigens die Sektkorken, die beim KG und beim OLG Hamburg geflogen sind.

Revision III: Mal wieder die klassische „Inbegriffsrüge“, oder: Ist deren Begründung denn so schwer?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und zum Tagesschluss dann noch der BGH, Beschl. v. 06.12.2023 – 5 StR 271/23. Er behandelt ein „klassiches Problem“, nämlich die ausreichende Begründung der sog. Inbegriffsrüge. Hier hat es (mal wiederI nicht gepasst.

„1. Die Rüge, das Landgericht habe gegen § 261 StPO verstoßen, indem es eine in der Hauptverhandlung nicht in Augenschein genommene Skizze einer Zeugin bei der Überprüfung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage herangezogen habe, ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil die Revision verschweigt, dass die Skizze der Zeugin bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung vorgehalten wurde und die Zeugin sich dazu erklärt hat. Denn zur ordnungsgemäßen Begründung einer Inbegriffsrüge ist darzutun, dass das Beweismittel weder ausweislich des Sitzungsprotokolls noch in sonst zulässiger Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist, etwa durch – nicht protokollierungsbedürftigen – Vorhalt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – 4 StR 569/15 Rn. 13; Beschluss vom 21. Dezember 1998 – 3 StR 437/98, NStZ-RR 1999, 107, 108; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2005 – 2 BvR 656/99, 657/99 und 683/99, BVerfGE 112, 185). Etwas anderes gilt regelmäßig nur, wenn – etwa bei der wörtlichen Zitierung einer mehrseitigen Urkunde in den Urteilsgründen – ausgeschlossen werden kann, dass die Urkunden durch Vorhalt eingeführt worden waren (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 2017 – 3 StR 424/16, NStZ 2017, 722, 723).

Eine vergleichbare Ausnahme ergibt sich hier nicht daraus, dass der Inhalt einer Skizze – wie das Aussehen eines Lichtbildes – nicht durch formfreien Vorhalt in die Beweisaufnahme eingeführt werden könnte. Die Annahme der Revision, die Inaugenscheinnahme sei „zwingend“, wenn der Inhalt des Augenscheinsobjekts, hier die Aussagekraft der Skizze, bewertet werden solle, trifft jedenfalls im vorliegenden Fall nicht zu: Maßgebliches Beweismittel zur Beurteilung der Qualität der Skizze ist die Zeugin selbst, die bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung angegeben hat, die Skizze sei offenbar ungenau. Ausweislich der von der Revision vorgelegten polizeilichen Aussage der Zeugin hatte sie zudem bereits bei Anfertigung der Skizze bekundet, dass in der eigentlichen Tatsituation „irgendetwas passiert“ sein müsse, was sie aber nicht mitbekommen habe, sie insbesondere erst in der Vernehmung erfahren habe, dass ein Messer im Spiel war; entsprechend hat sie in der Hauptverhandlung bekundet. Angesichts dessen ist der durch die Aussage der Zeugin ermöglichte Schluss der Strafkammer, die Skizze stehe der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin zum Ort des eigentlichen Tatkerngeschehens nicht entgegen, auch ohne Kenntnis der Skizze im Detail ohne Weiteres nachvollziehbar.“

Ich vestehe es nicht, denn das steht nun wirklich in jedem halbwegs brauchbaren Revisionshandbuch, so z.B. auch in <<Werbemodus aus>>Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, das es nun bald in der 3. Auflage geben wird. Vorbestellungen sind hier möglich. <<Werbemodus aus>>.

Revision II: Öffentlichkeits- und Verlesungsrüge, oder: Ist die Verfahrensrüge ausreichend begründet?

Bild von Arek Socha auf Pixabay

Und dann geht es weiter mit Entscheidungen zur Verfahrensrüge, und zwar mit zwei BGH-Beschlüssen, und zwar:

mit dem BGH, Beschl. v. 01.08.2023 – 4 StR 88/23 – „Öffenlichkeitsrüge“:

„b) Die Revision, die sich nicht dagegen wendet, dass dem Ausschluss der Öffentlichkeit entgegen § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG kein Gerichtsbeschluss zugrunde lag, rügt als Verstoß gegen § 169 Abs. 1, § 171b GVG in Verbindung mit § 338 Nr. 6 StPO, dass vor den ergänzenden Angaben des Angeklagten zur Sache die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht wiederhergestellt worden war. Sie macht geltend, der Angeklagte habe nicht nur eine Erklärung im Sinne des § 257 Abs. 1 StPO zur vorangegangenen Beweiserhebung, sondern eine Einlassung zur Sache abgegeben. Daher habe die Öffentlichkeit vor seiner Äußerung wiederhergestellt werden müssen.

2. Die Rüge ist bereits unzulässig, denn der Vortrag des Beschwerdeführers zu ihrer Begründung genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Er enthält nicht sämtliche Tatsachen, deren es zur Prüfung des behaupteten Verfahrensverstoßes bedürfte.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs umfasst ein Ausschluss der Öffentlichkeit, der sich auf einen bestimmten Verfahrensvorgang beschränkt, auch weitere Verfahrensvorgänge, die mit diesem in enger Verbindung stehen oder sich aus ihm entwickeln und die daher zu demselben Verfahrensabschnitt gehören (vgl. nur BGH, Urteil vom 22. März 2023 – 1 StR 243/22 Rn. 9; Beschluss vom 17. November 2020 – 4 StR 223/20 Rn. 4; jew. mwN). Infolgedessen muss zur Begründung der Rüge eines zu weit erstreckten Ausschlusses der Öffentlichkeit nicht nur vorgetragen werden, welche Verfahrensvorgänge während seiner Dauer, also in nichtöffentlicher Hauptverhandlung, ausgeführt wurden, sondern diese müssen dabei auch so genau bezeichnet werden, dass dem Revisionsgericht die Nachprüfung ihres etwaigen Zusammenhangs mit dem den Öffentlichkeitsausschluss gebietenden Verfahrensvorgang möglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – 1 StR 78/14 Rn. 12 [insoweit in NStZ 2015, 226 nicht abgedruckt]).

b) Hieran fehlt es vorliegend.“

und der BGH, Beschl. v. 19.1.2023 – 4 StR 325/23 – zur „Verlesungsrüge“

„Nachdem sich die Angeklagte, ihr Verteidiger und der Vertreter der Staatsanwaltschaft damit einverstanden erklärt hatten, erließ die Strafkammer in der Hauptverhandlung einen Beschluss, wonach insgesamt 24 im Einzelnen bezeichnete ärztliche Berichte gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO verlesen werden sollten. Eine nähere Begründung enthielt der Beschluss nicht. Die Schriftstücke wurden schließlich im Wege des Selbstleseverfahrens (§ 249 Abs. 2 StPO) in die Hauptverhandlung eingeführt.
b) Die Rüge wurde schon nicht zulässig erhoben. Wie sich bereits aus dem Vorbringen in der Revisionsbegründung und ergänzend auch aus den Urteilsgründen ergibt, wurden mehrere derjenigen Ärztinnen und Ärzten, die aus den Schriftstücken als deren Verfasser hervorgehen, in der Hauptverhandlung als Zeugen gehört. In Bezug auf die hiervon betroffenen ärztlichen Berichte handelte es sich daher nicht um eine die Vernehmung der Auskunftsperson ersetzende, sondern vielmehr um eine vernehmungsergänzende Verlesung (hierzu etwa BGH, Beschluss vom 8. Februar 2018 – 3 StR 400/17 Rn. 18 mwN), die auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 251 StPO statthaft ist (Kreicker in MüKo-StPO, 2. Aufl., § 251 Rn. 6). Angesichts dessen hätte es zur Wahrung der sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Voraussetzungen der Darlegung bedurft, in Bezug auf welche konkreten ärztlichen Berichte es sich überhaupt um eine vernehmungsersetzende Verlesung im Sinne von § 250 Satz 2, § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO handelte (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2022 – 5 StR 542/20 Rn. 32 mwN).“

Revision I: Der Belehrungsfehler in der Revision, oder: Ausreichende Begründung der Verfahrensrüge?

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Und am heutigen sonnigen Dienstag gibt es dann etwas zu Revisionsrügen – also Verfahrensrügen.

Ich beginne mit zwei Entscheidungen zur Verfahrensrüge bei Belherungsfehlern.

Die Verfahrensrüge, mit der die Revision eine Verwertung der Angaben des Beschwerdeführers im Zuge seiner ersten polizeilichen Vernehmung beanstandet, weil der Angeklagte zuvor „nicht gesetzesgerecht“ gemäß „§ 163a Abs. 4 Satz 1“ in Verbindung mit § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt worden sei, bleibt ohne Erfolg. Das Revisionsvorbringen genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Dabei kann dahinstehen, ob die Rüge – wie der Generalbundesanwalt meint – schon deshalb unzulässig ist, weil die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommene Bild- und Tonaufzeichnung der Vernehmung mittels eines körpernah getragenen Aufnahmegeräts („Bodycam“) nicht vorgelegt worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2018 – 4 StR 58/18; vom 21. September 2022 – 6 StR 160/22, NStZ 2023, 758). Der Beschwerdeführer durfte sich jedenfalls nicht auf die auszugsweise Mitteilung der transkribierten Audiospur beschränken, zumal sich aus ihr Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angeklagte nicht nur in der durch den Transkriptionsauszug belegten Art und Weise, sondern bereits zuvor belehrt worden war („Das habe ich dir vorhin schon mal gesagt.“). Dem Senat ist es daher verwehrt, die Rechtmäßigkeit der Beschuldigtenbelehrung umfassend zu beurteilen und gegebenenfalls weitergehend zu prüfen, ob aus dem Verfahrensfehler im konkreten Fall ein Beweisverwertungsverbot folgt.“

b) Zu der Beanstandung, eine ohne Belehrung nach § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO gemachte Aussage sei verwertet worden, gehört die Mitteilung der Umstände, aus denen die Belehrungspflicht folgte, demgemäß also auch, dass gegen den Angeklagten im Zeitpunkt des Erscheinens der Polizeibeamten überhaupt ein Anfangsverdacht bestanden hatte (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 13. September 2021 – 202 StRR 105/21 –, juris Rn. 9). Die Pflicht zur Belehrung einer Person als Beschuldigten nach § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO wird nämlich erst dann ausgelöst, wenn sich der Verdacht gegen sie so verdichtet hat, dass sie ernstlich als Täter einer Straftat in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 2017 – 1 StR 186/17 –, juris).

c) Für die Begründung der Rüge ist damit unerlässlich, den Inhalt der nach Auffassung des Beschwerdeführers zu Unrecht verwerteten Aussage vollständig und genau wiederzugeben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 1995 – 4 StR 77/95 –, juris Rn. 8; Gericke a.a.O. Rn. 43).

d) Diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung hier nicht. …..

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Welche Gebühren entstehen bei Mandatsanbahnung?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

Am Freitag hatte ich gefragt/zur Diskussion gestellt: Ich habe da mal eine Frage: Welche Gebühren entstehen bei Mandatsanbahnung?

Dazu ist ein wenig hin und her diskutiert worden:

Antwort 1:

Habe ich noch nie abgerechnet. Manchmal ergibt sich halt nichts. Ich finde, das gehört halt zum Anwaltsservice… bin aber gespannt, was die anderen so antworten werden.

Antwort 2:

Nach Gesetz gibt es dafür nichts. Daher künftig unbedingt mit den Angehörigen eine Vergütungsvereinbarung zum Zwecke der Mandatsanbahnung abschließen. Hier bietet sich beispielsweise eine Pauschale von 500,- EUR an, wenn die JVA um die Ecke ist……

Detlef Burhoff

Vielleicht erläutern Sie bitte mal, was Sinn des Besuches ist/war. Sicherlich doch nicht nur „Händchen halten“?

Antwort 4:

Nach meinem Dafürhalten ist auch das schon „Betreiben des Geschäfts“ im Sinne einer Verfahrensgebühr, auch wenn der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit erst absolut minimal war. Immerhin müssen auch dafür schon ein paar Informationen aufgenommen, eine Akte angelegt und etwas geschrieben etc. werden. Also sollte eine Verfahrensgebühr entsprechend dem jeweiligen Verfahrensstadium angefallen sein, wenn auch weit unter der Mittelgebühr.

Selbst wenn man noch keinen Kontakt zum eigentlichen Mandanten hatte, gilt, dass der Auftraggeber nicht zwingend mit dem „Nutznießer“ identisch sein muss, dann ist es halt ein Vertrag zu Gunsten Dritter. Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch, selbst wenn ein anderer tanzt.

Detlef Burhoff

An Antwort 4: Das, was Sie schreiben ist betreffend den Abgeltungsbereich der VG richtig. Nur:

Zunächst müssen wir doch mal wissen, was überhaupt getan werden sollte. Handelte es sich tatsächlich um ein geplantes Anbahnungsgespräch, dann sind wir ggf. in Teil 4 VV.

Aber: Das Mandat ist doch gar nicht zustande gekommen, so dass dann Teil 4 Abschnitt 1 VV fraglich ist, denn die dort geregelten Gebühren gelten nur für den Verteidiger. Und wenn Teil 4 VV dann nicht nur die jeweilige VG sondern auch die GG.

Wenn nicht Teil 4 Abschnitt 1, dann ggf. Teil 4 Abschnitt 3 VV.

Daher zur Sicherheit meine Frage an den Fragesteller, was denn genau besprochen werden sollte. Die wird sicherlich noch beantwortet. …… „

Die Frage ist dann leider nicht beantwortet worden, so dass die Frage ein wenig in der Luft hängt. Es bleibt daher nur: Zur Sicherheit eine VV oder ggf. die Gebühr nach § 34 RVG. Muss man dann sehen. VV dürfte das Sicherste sein.