Archiv der Kategorie: Verwaltungsrecht

StPO II: Das Kollegialverhältnis bei einem kleinen AG, oder: Wenn niemand für eine Entscheidung mehr bleibt

Bild von MasterTux auf Pixabay

Als zweite Entscheidung dann ein Beschluss aus einem familiengerichtlichen Verfahren, also keine StPO 🙂 . Die im OLG Nürnberg, Beschl. v. 16.03.2022 – 7 AR 165/22 – angesprochenen Fragen zum Kollegialverhältnis können aber auch in Strafverfahren Bedeutung erlangen.

Bem Beschluss liegt ein Scheidungsverfahren zugrunde liegt. In dem ist die Antragsgegnerin Richterin am Amtsgericht in T und mit dem Antragsteller verheiratet. Der letzte gemeinsame Aufenthalt des Ehepaares war in der Gemeinde , die zum Bezirk des Amtsgerichts T gehört. Die Antragsgegnerin lebt dort weiterhin zusammen mit den beiden minderjährigen Kindern.

Das Amtsgericht T ist das kleinste Amtsgericht im Bezirk des Oberlandesgerichts Nürnberg. Es sind dort einschließlich des Direktors sowie des Richters am Amtsgerichts als ständiger Vertreter des Direktors insgesamt fünf Richterinnen und Richter beschäftigt.

Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten hat der Antragsteller beim Amtsgericht T einen Scheidungsantrag einreichen lassen. Dieser wurde der Antragsgegnerin zugestellt. Nacheinander haben die weiteren vier Richter des Amtsgerichts T eine Selbstanzeige gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, § 48 ZPO abgegeben. Der RiAG, der als Letzter die Anzeige nach § 113 Abs. 1 FamFG, § 48 ZPO abgegeben hat, hat das Verfahren dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgelegt.

Das OLG bestimmt das zuständige Gericht – insoweit bitte selbst lesen – und führt zu den Selbstanzeigen aus:

„2. Sämtliche Selbstanzeigen sind begründet.

Ebenso wie ein Ablehnungsgesuch eines Beteiligten ist die Selbstanzeige dann begründet, wenn Umstände, die die Besorgnis der Befangenheit begründen, vorliegen. Die Besorgnis der Befangenheit ist dann zu bejahen, wenn Gründe gegeben sind, die geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dafür ist erforderlich, aber auch ausreichend, das Vorliegen eines Sachverhaltes, der vom Standpunkt eines vernünftigen Dritten aus bei Betrachtung und Würdigung aller Umstände berechtigten Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters gibt (Zöller-Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 42 Rn 9 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei braucht nicht auf die in den Selbstanzeigen jeweils geschilderten persönlichen Beziehungen zwischen der Antragsgegnerin und dem jeweiligen Richter eingegangen werden; denn die berechtigte Besorgnis der Befangenheit besteht im vorliegenden Fall bereits aufgrund des Kollegialverhältnisses zwischen der Antragsgegnerin und den die Selbstanzeigen erstattenden Richtern. Grundsätzlich reicht das bloße Kollegialverhältnis zwischen einem Richter und einem Verfahrensbeteiligten zwar nicht für die Begründung der Befangenheit aus. Etwas anderes gilt jedoch innerhalb eines kleinen Gerichts wie es das Amtsgericht T ist, da bei einem kleinen Gericht eine sehr enge berufliche Zusammenarbeit zwischen allen Richtern des Gerichts naheliegt (BGH NJW-RR 2022, 284; BGH NJW 1957, 1400; Zöller-Vollkommer aaO § 42 Rn 12a m.w.N.; Wieczorek/Schütze-Niemann, ZPO, 3. Aufl., § 42 Rn 16).“

Wenn eine (Rechtsmittel)Frist an Heiligabend endet, oder: Ist der 24. Dezember ein allgemeiner Feiertag?

© by-studio – Fotolia.com

Heute dann im Kessel Buntes zunächst eine E ntscheidung aus einem familienrechtlichen Verfahren. Keine Angst, es ist kein Familienrecht i.e.S., sondern die Entscheidung beantwortet eine Frage, die in allen Verfahren eine Rolle spielen kann. Nämlich die Frage: Ist der 24.12. – also Heiligabend – ein (allgemeiner) Feiertag, mit der Folge, dass eine Frist, die an sich am 24.12. endet, z.B. nach § 43 Abs. 2 StPO erst am nächsten Werktag endet, also frühestens am 27.12.?

Das OLG Frankfurt am Main hat diese Frage im OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 17.03.2022 – 5 UF 184/21 – verneint:

„Vorliegend erfolgte die Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses ausweislich des zur Akte gelangten Empfangsbekenntnisses am 24.11.2021. Die Beschwerdefrist endete daher, wie sich aus § 16 Abs. 2 FamFG, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB ergibt, mit Ablauf des 24.12.2021, einem Freitag.

Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht der Umstand, dass das Fristende auf Heiligabend fiel. Nach § 222 Abs. 2 ZPO endet zwar eine Frist erst mit dem Ablauf des nächsten Werktags, wenn das Fristende auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend fällt. Bei Heiligabend handelt es sich jedoch nach § 1 HFeiertagsG v. 29.12.1971 nicht um einen allgemeinen Feiertag. Die in vielen Branchen verbreitete, allerdings nicht gesetzlich fundierte Praxis, diesen Tag als arbeitsfrei zu behandeln, führt angesichts des eindeutigen Wortlauts der Norm nicht zu einer Gleichstellung mit einem gesetzlichen Feiertag oder einem Samstag. Etwas anderes hätte der Gesetzgeber klarstellen müssen, was unterblieben ist, so dass auch für eine Analogie kein Raum ist (Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Auflage 2022, § 222 Rn. 1; vgl. unter Bezugnahme auf andere Landesgesetze: VGH Mannheim, Beschluss vom 07.02.2022, Az. A 3 S 3934/21, zit. n. juris; OVG Hamburg NJW 1993, 1941; zu § 193 BGB vgl. OLG Celle NJW-RR 1996, 372).

Bei Eingang der Beschwerdeschrift beim Amtsgericht Offenbach am Main als dem Ausgangsgericht der angefochtenen Entscheidung am 27.12.2021 war die Frist zur Einlegung der Beschwerde damit bereits abgelaufen.“

Maßgeblicher Zeitpunkt Punktestandberechnung, oder: Entziehung der Fahrerlaubnis

© Gina Sanders – Fotolia.com

Und als zweite Entscheidung dann noch der VG Düsseldorf, Beschl. v. 11.03.2022 – 6 L 247/22 – mit folgendem Sachverhalt:

Das Kraftfahrtbundesamt teilt der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass gegen den Fahrerlaubnisinahber/Antragsteller einige Verkehrsverstöße rechtskräftig geahndet worden sind. Auf dieser Grundlage ermittelt das VG dann unterschiedliche Punktestände für den Zeitpunkt Kenntnisstand der Behörde bei Ermahnung am 03.08.2020, bei Verwarnung am 11.05.2021 und für den Zeitpunkt Ausstellung der Ordnungsverfügung am 24.01.2022.

Die Ermahnung vom 03.08.2020 wurde dem Antragsteller laut Zustellungsurkunde am 06.08. 2020 zugestellt. Die Verwarnung vom 11.05.2021 wurde ihm am 14.05.2021 zugestellt.

Mit Schreiben vom 11.01.2022 gab der Antragsgegner dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer Woche. Mit Schreiben vom 18.01.2022 nahm der Antragsteller Stellung und führte im Wesentlichen aus, dass er den Punktestand von acht Punkten angesichts der Punktereduzierung von zwei Punkten am 03.08.2020 und der Tilgung eines Punktes mit Wirkung zum 24.01.2021 nicht nachvollziehen könne. Zudem sei er weder ermahnt noch verwarnt worden. Der Antragsgegner antwortete, dass für die Punkteberechnung maßgeblich auf den Zeitpunkt der Begehung der letzten Tat am 29.01.2020 abzustellen sei. Die Ermahnung und die Verwarnung seien dem Antragsteller nach Aktenlage zugestellt worden. Er habe keinen Ermessensspielraum und sei an die rechtskräftigen Entscheidungen gebunden.

Der Antragsgegner entzog dem Antragsteller dann mit Ordnungsverfügung vom 24.01.2022 die Fahrerlaubnis und forderte ihn auf, den Führerschein unverzüglich, spätestens drei Tage nach Zustellung der Verfügung abzugeben und ordnete die sofortige Vollziehung der Herausgabe des Führerscheins an. Der Antragsteller hat gegen die Ordnungsverfügung Klage erhoben (6 K 1231/22), über die das VG noch nicht entschieden hat. Er hat zugleich den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.

Der hatte Erfolg. Das VG hat die aufschiebende Wirkung angeordnet, weil nach seiner Meinung die Klage auch Erfolg haben wird. Hier die Leitsätze der Entscheidung:

    1. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehungsverfügung ist ihr Wirksamwerden (§ 43 VwVfG), nicht ihre Abfassung durch die Behörde.
    2. Werden Punkte nach der Abfassung der Entziehungsverfügung, aber vor ihrem Wirksamwerden gelöscht, kann sich das auf die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung auswirken. Denn die Löschung begründet ein absolutes Verwertungsverbot (§ 29 Abs. 7 Satz 1 StVG), das das Tattagprinzip überlagert.
    3. Wurden nach dem Tattagprinzip acht Punkte erreicht, ist die Entziehungsverfügung rechtswidrig, wenn ein Punkt während ihres Postlaufs an den Fahrerlaubnisinhaber gelöscht wird.

Fahrtenbuchauflage trotz Einräumen des Verstoßes?, oder: Wenn Ausweisfoto und Lichtbild nicht passen

© euthymia – Fotolia.com

Im „Kessel Buntes“ dann heute zwei verwaltungsrechtliche Entscheidungen.

Den Opener mache ich mit dem VG Mainz, Beschl. v. 02.03.2022 – 3 L 68/22.MZ – zu der interessanten Frage: Kann das Führen eines Fahrtenbuchs auch dann angeordnet werden, wenn der Halter eines Kraftfahrzeugs angegeben hat, den Verkehrsverstoß selbst begangen zu haben? Das VG Mainz sagt ja.

Ich mache es mir mit der Entscheidung einfach und stelle hier dann mal nur die PM des VG Mainz ein. Die Einzelheiten ergeben sich aus dem verlinkten Volltext. In der PM heißt es u.a.:

„Mit dem Fahrzeug des Antragstellers wurde die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb einer Ortschaft um (bereinigt) 28 km/h überschritten. Der Antragsteller sandte den ihm dazu von der Bußgeldbehörde zugeleiteten Anhörungsbogen mit der Angabe zurück „Ich gebe die Zuwiderhandlung zu“. Der nachfolgende Abgleich des Fahrerfotos mit dem bei der Meldebehörde betreffend den Antragsteller hinterlegten Ausweisfoto ließ die Bußgeldbehörde jedoch mit Blick auf das abweichende äußere Erscheinungsbild der beiden abgebildeten Personen zu der Überzeugung gelangen, dass der Antragsteller bei der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht der Fahrer des Kraftfahrzeugs gewesen sein könne. Unter Hinweis auf die Zweifel an der Täterschaft des Antragstellers schrieb die Bußgeldstelle diesen mehrfach mit der Bitte um Benennung des Fahrers an; eine inhaltliche Äußerung unterblieb. Eine Nachfrage bei der Meldebehörde ergab schließlich, dass lediglich die Ehefrau des Antragstellers unter dessen Anschrift gemeldet ist. Das Bußgeldverfahren wurde daraufhin eingestellt. Der Antragsgegner ordnete in der Folge gegenüber dem Antragsteller das Führen eines Fahrtenbuchs für das Tatfahrzeug für die Dauer von 12 Monaten mit Sofortvollzug an. Dagegen wandte sich der Antragsteller mit einem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs an das Verwaltungsgericht. Er machte im Wesentlichen geltend, er habe die Tatbegehung schriftlich eingeräumt, so dass ihm kein Fehlverhalten vorzuwerfen sei, das die Verhängung eines Fahrtenbuchs rechtfertige; der von der Bußgeldstelle vermuteten Fahrerschaft seines Sohnes sei hingegen nicht nachgegangen worden. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag ab.

Einem Fahrzeughalter könne das Führen eines Fahrtenbuches aufgegeben werden, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer erheblichen Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften (bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung) nicht möglich gewesen sei. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. Die Bußgeldbehörde habe trotz aller angemessenen und zumutbaren Maßnahmen den Fahrzeugführer bei dem in Rede stehenden Verkehrsverstoß nicht ermitteln können. Der Antragsteller sei der ihn als Halter eines Kraftfahrzeugs treffenden Obliegenheit, an der Aufklärung des mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes (soweit zumutbar und möglich) mitzuwirken, nicht nachgekommen. Er habe – angesichts des evidenten Abweichens des Ausweisfotos des Antragstellers von dem anlässlich des Verkehrsverstoß erstellten Lichtbild des Fahrzeugführers – unrichtige Angaben gemacht, die geeignet gewesen seien, die Ermittlung des Täters zu verhindern. Dadurch noch verbliebene Ermittlungsansätze der Bußgeldbehörde seien ohne Erfolg gewesen. Insbesondere habe der Antragsteller auch auf Vorhalt, dass sein Tatbekenntnis nicht mit dem Fahrerfoto in Einklang zu bringen sei, keine weiteren Angaben gemacht. Nur mit dem Fahrerfoto allein sei es der Behörde unter dem Gesichtspunkt eines sachgerechten, erfolgversprechenden Aufwands jedoch nicht möglich gewesen, den Täter zu ermitteln. Die danach zulässige Fahrtenbuchauflage habe – wie generell – keine strafende, sondern eine präventive Funktion: Sie stelle eine der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dienende Maßnahme der Gefahrenabwehr dar, mit der dafür Sorge getragen werden solle, dass künftige Feststellungen eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften unter erleichterten Bedingungen möglich seien. „

Extra!!: Nichtvorlage der schriftlichen Vollmacht, oder: Begründete Zweifel und ausreichende Vorlagefrist?

© AKS- Fotolia.com

Und dann am Freitagnachmittag etwas außer der Reihe, also nichts zu Gebühren 🙂 , sondern Vollmachtsfrage. Behandelt wird sie in einem BVerfG-Beschluss, auf den ich gerade gestoßen bin. Kleines Schmankerl am Freitag…. 🙂

Die Entscheidung ist in einem verwaltungsrechtlichen Verfahren ergangen, hat aber m.E. darüber hinaus Bedeutung. Denn es geht mal wieder um die Vollmachtsvorlage des Rechtsanwalts.

Das VG hat eine Klage abgewiesen. Der Kläger hat danach wegen/gegen einen nicht beachteten Terminsverlegungsantrag in einer persönlich verfassten Erklärung Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt und darin angegeben, sein – namentlich benannter – Rechtsanwalt habe schon „Einspruch“ gegen das „Versäumnisurteil“ eingelegt. Tatsächlich beantragte dieser dann am 12.11.2020 beim OVG Magdeburg die Zulassung der Berufung. Am 20.11.2020 setzte das OVG eine Frist von einer Woche zur Vorlage einer schriftlichen Vollmacht. Am 01.12.2020 telefonierte die Geschäftsstelle mit dem Bevollmächtigten. Dabei gab dieser an, dass das Schriftstück noch auf dem Postweg zu ihm sei und er es unverzüglich weiterleiten werde. Gleiches teilte er mit Schriftsatz vom 02.12.2020 dem OVG mit. Die Vollmacht erreicht ihn schließlich am 08.12.2020 und wurde  von dem Rechtsanwalt direkt weitergeleitet. Das OVG hatte aber bereits am 03.12.2020 die Berufung wegen der fehlenden Vollmacht als unzulässig verworfen. Die Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Das BVerfG hat im BVerfG, Beschl. v. 18.02.2022 – 1 BvR 305/21 – den Verwerfungsbeschluss aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Begründung – in Kurzform: So geht es nicht. Begründung in Langform:

„In Anwendung dieser Maßstäbe verstößt der angegriffene Beschluss gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Ein hinreichender Anlass, den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung zu verwerfen, geht aus den Beschlussgründen nicht hervor und ist auch ansonsten nicht erkennbar. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass hier die Zweifel an der Bevollmächtigung des auftretenden Rechtsanwalts berechtigt waren, die aber Voraussetzung dafür sind, einen Mangel der Vollmacht ausnahmsweise von Amts wegen zu berücksichtigen (aa). Jedenfalls hätte das Oberverwaltungsgericht den Antrag auf Zulassung der Berufung unter den hier gegebenen Umständen nicht aufgrund des Fehlens einer Vollmacht verwerfen dürfen (bb).

aa) Während der Mangel einer nach § 67 Abs. 4 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 VwGO erforderlichen schriftlichen Vollmacht durch andere Beteiligte in jeder Lage geltend gemacht werden kann, hat ihn das Gericht grundsätzlich nur dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter auftritt (§ 67 Abs. 6 Satz 3 und 4 VwGO). Auch wenn wie hier ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter auftritt, kommt aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Prüfung von Amts wegen dann in Betracht, wenn die Art und Weise der Prozessführung beziehungsweise sonstige besondere Umstände dem Gericht dazu berechtigten Anlass geben. Dies wurde etwa bejaht, wenn der auftretende Rechtsanwalt trotz gerichtlicher Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist nicht nur versäumt, die Vollmacht nachzureichen, sondern zudem den angeblich vertretenen Kläger nicht ordnungsgemäß bezeichnet (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2011 – 8 A 1/10 -, juris, Rn. 16; Urteil vom 15. August 2019 – 1 A 2/19 -, juris, Rn. 16). Auch in weiteren Entscheidungen wird auf eine fehlende Nachreichung der Vollmacht abgestellt, wobei aber immer weitere Umstände angeführt sind, die jeweils gegen das Bestehen der Bevollmächtigung sprachen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 1996 – 4 A 38/95 -, juris, Rn. 8; Urteil vom 22. Januar 1985 – 9 C 105/84 -, juris, Rn. 3 und 9 ff.; vgl. zu ernsthaftem Zweifel als Voraussetzung für eine gerichtliche Prüfung und Berücksichtigung eines Mangels der Vollmacht zudem BSG, Beschluss vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 188/15 B -, juris, Rn. 11; BGH, Urteil vom 5. April 2001 – IX ZR 309/00 -, juris, Rn. 11). Allein durch die Nichtvorlage nach Aufforderung wird hingegen das dem Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege ausweislich des § 67 Abs. 6 Satz 4 VwGO beigemessene besondere Vertrauen nicht erschüttert. Angesichts der ausdrücklichen gesetzlichen Möglichkeit zur Nachreichung der Vollmacht nach § 67 Abs. 6 Satz 1 VwGO stellt ein solches Verhalten – zumal zum Zeitpunkt der Erhebung des Rechtsmittels – keine besonders ungewöhnliche Prozesssituation dar. Auf die ausbleibende Nachreichung kann allenfalls nach ? Zweifel verfestigender ? mehrmaliger vergeblicher Erinnerung und Fristsetzung maßgeblich abgestellt werden (vgl. OVG der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 9. März 2021 – 1 D 343/20 -, juris, Rn. 7).

Für berechtigte Zweifel an der Bevollmächtigung bieten die vom Oberverwaltungsgericht angeführten Gründe danach, auch in ihrer Zusammenschau, keinerlei Anlass. Der Verweis darauf, dass eine Vollmacht schon in der Vorinstanz nicht vorgelegt worden sei, genügt hier schon deshalb nicht, weil in der dem Oberverwaltungsgericht vorliegenden Akte des erstinstanzlichen Verfahrens mit der durch den Beschwerdeführer persönlich eingelegten Dienstaufsichtsbeschwerde Anhaltspunkte dafür zu finden sind, dass der auftretende Rechtsanwalt jedenfalls damals bevollmächtigt war. Darüber hinaus ergibt sich hieraus unmissverständlich, dass der Beschwerdeführer gegen das erstinstanzliche Urteil vorgehen wollte und dass er dies gerade durch seinen Prozessbevollmächtigten tun wollte. Überhaupt nicht nachvollziehbar ist vor diesem Hintergrund auch, warum die Beantragung der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hier auf einen Abbruch des Kontakts des Bevollmächtigten zum Beschwerdeführer hindeuten sollte. Daran änderte auch nichts, wenn der Bevollmächtigte auf die gerichtliche Erinnerung an die Erfüllung der Eingangsverfügung hin, bei seiner noch am selben Tag telefonisch und am Folgetag schriftsätzlich erfolgten Ankündigung, die schriftliche Vollmacht bald zu übersenden, die Umstände für die Verspätung ? was der Beschwerdeführer bestreitet ? nicht benannt haben sollte.

bb) Selbst wenn die Verwerfung nicht bereits mangels nachvollziehbarer Zweifel an der Bevollmächtigung gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verstoßen würde, wäre eine Verwerfung aufgrund des Fehlens einer Vollmacht hier nicht mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar gewesen. Hätten berechtigte Zweifel an der Bevollmächtigung bestanden, wäre dem (angeblich) Bevollmächtigten zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes eine angemessene Zeitspanne einzuräumen gewesen, innerhalb derer er die Vollmacht nachzureichen hat. Dem wurde die vom Oberverwaltungsgericht gesetzte Wochenfrist hier nicht gerecht. Unabhängig davon, ob eine Wochenfrist für die Nachreichung der Vollmacht nach § 67 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO grundsätzlich ausreichen könnte, widersprach eine solche Begrenzung jedenfalls vorliegend einer an der Effektivität des Rechtsschutzes orientierten Rechtsanwendung, weil keinerlei Umstände ersichtlich sind, die im konkreten Fall eine derart kurze Frist für die – gesetzlich ausdrücklich in § 67 Abs. 6 Satz 2 VwGO vorgesehene – Nachreichung erfordert haben könnte. So ist etwa ein generell für kurze Fristen streitender besonderer Eil- beziehungsweise Beschleunigungsbedarf weder durch das Oberverwaltungsgericht benannt noch in der Sache ersichtlich, zumal noch nicht einmal die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung abgelaufen war.

Der angegriffene Beschluss ist auch nicht deswegen mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar, weil das Oberverwaltungsgericht nach Ablauf der von ihm gesetzten Wochenfrist noch eine weitere Woche bis zu seiner Entscheidung zuwartete, denn das Gericht stellt allein auf den Fristablauf ab, nicht nicht aber darauf, dass ein weiterer Zeitraum verstrichen ist.“

Kann man doch im „Vollmachtsstreit“, der ja gerade in Straf- und Bußgeldsachen immer noch häufig ist, mit argumentieren.