Archiv der Kategorie: Verwaltungsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis nach „verweigerter“ MPU, oder: Verzicht auf die FE in der Probezeit

Bild von Wilfried Pohnke auf Pixabay

Und im zweiten Posting kommt dann hier der OVG Münster, Beschl. v. 31.08.2022 – 16 B 1583/21 – zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen nicht „befolgter“ Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung nach einem Verzicht auf die Fahrerlaubnis in der Probezeit.

Dazu folgende Leitsätze des OVG:

    1. Die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG ist nur dann möglich, wenn dem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe die Fahrerlaubnis zuvor entzogen worden ist. Auf Fälle eines vorherigen Verzichts der Fahrerlaubnis ist die Vorschrift weder im Wege einer erweiternden Auslegung noch im Wege der Analogie anwendbar.
    2. Ist in einer Gutachtenanordnung eine Rechtsgrundlage ausdrücklich genannt, ist für die Rechtmäßigkeit der Anordnung allein maßgeblich, ob die Voraussetzungen der genannten Rechtsgrundlage vorliegen.

Zweimal BayVGH zur Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: Diabeteserkrankung oder Drogenkonsum

Bild von Andreas Breitling auf Pixabay

Im „Kessel Buntes“ am Samstag zwei Postings mit verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis.

Hier zunächst zwei Entscheidungen des BayVGH, und zwar.

Bei medikamentöser Therapie eines Diabetes mellitus mit hohem Hypoglykämierisiko (z.B. Insulin) ist die Fahreignung nach den strengeren Anforderungen an das Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 zu bejahen bei guter Stoffwechselführung ohne schwere Unterzuckerung über drei Monate und ungestörter Hypoglykämiewahrnehmung. Schwere Unterzuckerung (Hypoglykämie) bedeutet dabei nach den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung die Notwendigkeit von Hilfe durch eine andere Person.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist bereits dann gerechtfertigt, wenn einmalig sogenannte harte Drogen (hier: Amphetamin) im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sind oder der Fahrerlaubnisinhaber die Einnahme solcher Substanzen eingeräumt hat.

Fahrtenbuch II: Unrichtige Angaben zum Fahrer, oder: Untauglicher Rettungsversuch

entnommen wikidmedia.org
Fotograf Faßbender, Julia

Und dann hier die zweite Entscheidung zum Fahrtenbuch, und zwar das VG Lüneburg, Urt. v. 17.10.2022 – 1 A 139/21 -, das zu einer Fahrtenbuchanordnung Stellung nimmt, wenn unrichtige Angaben zum Fahrer gemacht werden.

Gegen den Kläger ist die Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer von 6 Monaten angeordnet worden, Zugrunde lag eine mit dem Fahrzeug des Klägers innerhalb geschlossener Ortschaft begangene Geschwindigkeitsüberschreitung um 27 km/h. Daraufhin wurde ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet und der Kläger wurde als ermittelter Halter mit Schreiben vom 21.10.2019 als Beschuldigter angehört; der Anhörung beigefügt war ein Frontfoto des Fahrers. Hierauf teilte der Kläger am 28.10.2019 mit, nicht er sei am Tattag gefahren, sondern ein Herr H. I., wohnhaft in der J. in K.. Daraufhin wurde das gegen den Kläger eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt und ein Verfahren gegen den vom Kläger benannten Fahrer eingeleitet. In der Folge ging bei der Bußgeldstelle nach Aktenlage unter dem 30.10.2019 die Antwort eines Herrn H. I. ein, in welcher diesen den Verstoß zugab. Die Bußgeldbehörde der Freien und Hansestadt Bremen erließ in der Folge am 4.11.2019 einen Bußgeldbescheid gegen Herrn H. I.. Nachdem dieser das festgesetzte Bußgeld trotz Mahnung nicht beglichen hatte, leitete die Bußgeldbehörde Ermittlungsmaßnahmen ein. Im Rahmen der Ermittlungen wurde festgestellt, dass Herr H. I. an der vermeintlichen Wohnanschrift nicht wohnhaft war; eine Überprüfung beim Einwohnermeldeamt ergab zudem, dass dieser nicht mehr in L. gemeldet sei. Weitere Ermittlungen, u.a. der Polizei L., ergaben, dass es sich bei dem vom Kläger benannten Fahrer um eine Tarnpersonalie unter einer Tarnanschrift gehandelt hatte. Nach Angaben der Polizei L. war die Person laut Einwohnermeldeamtsauskunft nie in L. verzeichnet, auch in anderen Systemen ist die Person nicht bekannt. Daraufhin wurde das Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen Herrn H. I. eingestellt und die Akten wurden an den Beklagten zwecks Prüfung einer Fahrtenbuchanordnung abgegeben.

Die ist dann getroffen worden. Hiergegen richtet sich die Klage, die keinen Erfolg hatte. Ich weise hier nur auf die Ausführungen des VG zu den unrichtigen Fahrerangaben hin:

„Die Feststellung des Fahrzeugführers nach der Geschwindigkeitsüberschreitung vom E. war unmöglich im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO.

Die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ist nicht möglich, wenn die zuständige Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen traf. Es kommt mithin darauf an, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen veranlasst, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die Fahrerfeststellung unmöglich war, ist der Eintritt der Verfolgungsverjährung der Ordnungswidrigkeit. Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde können sich an dem Verhalten und den Erklärungen des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (vgl. dazu u.a. BVerwG, Urt. v. 17.12.1982 – 7 C 3.80 -, juris Rn. 7, Beschl. v. 21.10.1987 – 7 B 162.87 -, juris Rn. 5; Nds. OVG, Beschl. v. 14.1.2019 – 12 ME 170/18 -, juris Rn. 17, Beschl. v. 1.2.2013 – 12 LA 122/12 -, juris Rn. 7, Beschl. v. 7.6.2010 – 12 ME 44/10 -, juris Rn. 5). An einer hinreichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters daran, den Fahrzeugführer zu bezeichnen, fehlt es regelmäßig bereits dann, wenn der Fahrzeughalter den Anhörungsbogen der Bußgeldstelle nicht zurücksendet oder keine weiteren Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer macht. Die Bußgeldbehörde kann daher in aller Regel davon ausgehen, dass weitere Ermittlungen zeitaufwendig wären und kaum Aussicht auf Erfolg bieten würden, und mit dieser Begründung auf weitere Ermittlungsversuche verzichten. Ihr werden weitere Ermittlungsversuche, die über die Anhörung des Fahrzeughalters hinausgehen, grundsätzlich nicht zugemutet (Kammerurt. v. 21.8.2019 – 1 A 181/18 -, juris Rn. 17 f.; Nds. OVG, Beschl. v. 1.2.2013 – 12 LA 122/12 -, juris Rn. 7, Beschl. v. 7.6.2010 – 12 ME 44/10 -, juris Rn. 8, Beschl. v. 6.4.2010 – 12 ME 47/10 -, juris Rn. 5, jeweils m.w.N.). Weitere Ermittlungen zum Fahrzeugführer sind in diesen Fällen nur ausnahmsweise erforderlich, nämlich dann, wenn sich im Einzelfall besondere Anzeichen ergeben haben, die auf die Person des Fahrers hindeuten. Zur Anwendung bestimmter Ermittlungsmethoden ist die Behörde allerdings keinesfalls verpflichtet (vgl. VGH BW, Beschl. v. 29.1.2008 – 10 S 129/08 -, juris Rn. 4; Nds. OVG, Beschl. v. 31.10.2006 – 12 LA 463/05 -, juris Rn. 4).

Nach Maßgabe dessen war es der Verfolgungsbehörde i.S.d. § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich, den Fahrzeugführer festzustellen. Sie traf alle nach den Umständen des Einzelfalles angemessenen und zumutbaren Ermittlungsmaßnahmen. Sie übersandte dem Kläger unter dem 21. Oktober 2019 einen Anhörungsbogen. Soweit der Kläger den Zugang des Anhörungsbogens bestreitet, ist dies als Schutzbehauptung zu werten, denn er selbst hat auf den Anhörungsbogen reagiert und als Fahrer einen Herrn H. I. benannt (vgl. Beiakte Bl. 17). Der Kläger hat hierdurch indes nicht hinreichend an der Feststellung des verantwortlichen Fahrers mitgewirkt, denn er hat augenscheinlich unrichtige Angaben zum Fahrer gemacht. Die Ermittlungen der Bußgeldstelle der Freien und Hansestadt B-Stadt sowie der Polizei L. haben nach Aktenlage ergeben, dass der vom Kläger benannte Fahrer nicht existiert. Bei dem vom Kläger benannten Fahrer handelt es sich nach den Ermittlungen der Behörden um eine Tarnpersonalie; auch bei der vom Kläger angegebenen Anschrift handelt es sich um eine Tarnanschrift. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner eingehenden Erörterung, dass ein Fahrzeughalter seinen Mitwirkungspflichten bei der Fahrerermittlung nach einem begangenen Verkehrsverstoß nicht genügt, wenn er falsche Angaben tätig oder gar eine Person als Fahrer angibt, die nicht existent ist (vgl. hierzu u.a. auch OVG Berl.-Bbg., Beschl. v. 28.7.2011 – OVG 1 N 58.11 – juris; OVG NRW, Beschl. v. 11.10.2007 – 8 B 1042/07 -, juris). Aus diesem Grund bestand kein Anlass der Behörde, weitere Ermittlungsmaßnahmen zur Fahrerfeststellung zu veranlassen.

……“

Den Rest aus der „schulmäßig“ begründeten Entscheidung bitte selbst lesen.

Fahrtenbuch I: (Schlechte) Qualität des Fahrerfotos, oder: Mitwirkung des Halters an der Fahrerermittlung

© euthymia – Fotolia.com

Heute stelle ich im „Kessel Buntes“ dann mal wieder zwei Entscheidungen zum Fahrtenbuch (§ 31a StVZO) vor. Ich beginne mit dem OVG Saarland, Beschl. v. 24.08.2022 – 1 B 67/22 – mit folgendem Sachverhalt:

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO. Das VG hat den Antrag der Antragstellerin auf einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Bescheid der Verwaltungsbehörde, mit dem ihr unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgegeben wordne ist, für ihr Fahrzeug für 18 Monate ein Fahrtenbuch zu führen, zurückgewiesen. Zugrunde lag der Anordnung eine Geschwindigkeitsüberschreitung mit dem Pkw der Antragstellerin. Die Antragstellerin hat dann zwar den ihr übersandten Anhörungsbogen  beantwortet, jedoch nicht angegeben, wer das Fahrzeug geführt hat. Sie hat dazu nur ausgeführt, der PKW stehe „regelmäßig ihrem Ehemann zur Verfügung“. Ihr im Bußgeldverfahren als Betroffener angehörter Ehemann berief sich auf sein Schweigerecht und hat unter Verweis auf die schlechte Qualität des anlässlich der Geschwindigkeitsübertretung angefertigten Fahrerfotos angeregt, das Verfahren einzustellen. Der Ermittlungsdienst der Verwaltungsbehörde hat die Wohnanschrift der Antragstellerin in der Folge mehrfach angefahren. Bei einer Gelegenheit dieser Besuche wurde der Ehemann angetroffen. Er hat angegeben, er wisse nicht, wer das Fahrzeug zur Tatzeit geführt habe; es werde auch in der Firma der Antragstellerin eingesetzt; auf dem Messbild erkenne er niemanden. Die Antragstellerin hatte auf Vorlage des Messbildes erklärt, den Fahrer nicht identifizieren zu können.

Das VG hat den Antrag zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde, der eine eidesstattliche Versicherung des Ehemanns beigefügt wurde, er habe das Fahrzeug geführt, hat das OVG zurückgewiesen.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Die Feststellung des Fahrzeugführers ist auch dann „nicht möglich“ im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO, wenn die Ermittlungen zwar auf einen bestimmten Täter hindeuten, die Bußgeldbehörde jedoch bei objektiver Würdigung der Umstände des Einzelfalls keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft des Verdächtigen gewinnen konnte.
  2. Mit Blick auf die von der Fahrzeughalterin zu fordernde Mitwirkung bei der Ermittlung des verantwortlichen Fahrers kommt dem Einwand, die schlechte Qualität des Messfotos mache es ihr unmöglich, die Person des Fahrers zu identifizieren, regelmäßig keine rechtliche Relevanz zu.

 

Corona II. Sitzungspolizeiliche „Corona-Anordnung“, oder: Es gilt die 3-G Regel und das Maskengebot

Bild von Wilfried Pohnke auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung kommt hier dann der VGH Mannheim, Beschl. v. 01.08.2022 – 2 S 437/22 – zur sitzungspolizeilichen Anordnung wegen Corona. Gestritten wird um die sitzungspolizeiliche Anordnung einer Einzelrichterin einer Kammer des VG Freibur. Die hatte

„auf der Grundlage von § 176 Abs. 1 GVG Folgendes bestimmt:

1. 3-G Regel: Die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ist für gegen COVID-19 geimpfte oder von COVID-19 genesene Personen gestattet.

Nicht immunisierten Personen ist die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nur nach Vorlage eines auf sie ausgestellten Antigen- oder PCR-Testnachweises mit negativem Ergebnis gestattet. Die zugrundeliegende Testung darf im Falle eines Antigen-Schnelltests maximal 24 Stunden, im Falle eines PCR-Tests maximal 48 Stunden zurückliegen. Ein Testnachweis ist ein Nachweis über einen Test, der von einem der folgenden Leistungserbringer vorgenommen oder überwacht wurde.

Zur Vornahme oder Überwachung des Tests sind berechtigt:

• die zuständigen Stellen des öffentlichen Gesundheitsdienstes und die von ihnen betriebenen Testzentren,

• die von diesen Stellen als weitere Leistungserbringer beauftragten Dritten und

• Arztpraxen, Zahnarztpraxen, Apotheken, medizinische Labore, Rettungs- und Hilfsorganisationen, und die von den Kassenärztlichen Vereinigungen betriebenen Testzentren.

Der Impf-, Genesenen- oder Testnachweis ist zur Kontrolle bereitzuhalten.

2. Abstandsgebot…

3. Mund-Nasen-Schutz

Die Beteiligten und ihre Bevollmächtigten sowie Zeugen, Sachverständige und Dolmetscher und die als Teil der Öffentlichkeit an der mündlichen Verhandlung teilnehmenden Personen haben im Gerichtssaal einen Atemschutz, welcher die Anforderungen der Standards FFP2 (DIN EN 149:2001), KN95, N95 oder eines vergleichbaren Standards erfüllt, zu tragen.“

Gegen diese Anordnung hatte der Kläger, der Rechtsanwalt ist und sich in dem Verfahren vor dem VG, in dem er sich gegen die Zahlung eines Rundfunkbeitrags wandte und die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für eine Zweitwohnung rückwirkend ab 01.01.2013 begehrte, Beschwerde eingelegt. Ohne Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Ein Rechtsbehelf gegen eine auf § 176 GVG gestützte sitzungspolizeiliche Anordnung ist grundsätzlich nicht statthaft.

2. Eine Ausnahme gilt, wenn der sitzungspolizeilichen Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommt und Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von einer sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden.

3. Es ist nicht zu beansatnden, wenn ein Gericht eine Testung von Verfahrensbeteiligten zumindest mit einem Antigen- oder PCR-Test für geeignet hält/hielt, um das Risiko einer Ansteckung mit dem Corona-Virus SARS-Cov-2 während der mündlichen Verhandlung zu reduzieren.

Die Entscheidung/Grundsätze gelten nicht nur im Verwaltungsgerichtsverfahren, sondern auch im Straf- und/oder Zivilverfahren.