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Amtsrichter bezeichnet den Betroffenen als „Pisser“, oder: Was der Dienstherr macht(e) erfährt man nicht

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung dann hier das VG Köln, Urt. v. 11.11.2022 -13 K 1628/20, das mir der Kollege Riemer aus Brühl zugeschickt hat. War gestern schon versehentlich online gegangen.

Vorab: Man sieht am Urteilsdatum – 11.11.2022 – in Köln wird auch an Weiberfastnacht [ich werde darauf hingewiesen: Sessionseröffnung] 🙂 (ernsthaft) gearbeitet. 🙂

Ergangen ist dieses Urteil in einem Verfahren, das der Kollege gegen das Land NRW geführt hat. Ausgangspunkt für die Klage war ein Vorfall aus Herbst 2019. Da hatte – so wurde damals jedenfalls in der Presse berichtet – ein Kölner Amtsrichter einen U21-Nationalspieler vom FC Köln als „Pisser“ bezeichnet (vgl. hier den Bericht im Express).

Was wegen dieser Geschichte von der Justiz unternommen worden ist, ist nicht bekannt geworden; auf Strafanzeige hatte der Spieler war wohl verzichtet worden. Dieses hat er vom Präsidenten des AG Köln – ja, das ist der mit der Strafanzeige gegen mich wegen des Verstoßes gegen § 353d StGB – in Erfahrung bringen wollen und dort nachgefragt, welche Aufsichtsmaßnahme gegen den Richter veranlasst wurde. Der hat keine  konkrete Auskunft über dienstrechtlichen Konsequenzen der Äußerung erteilen wollen, sondern sich darauf zurückgezogen, dass „das Erforderliche“ veranlasst worden sei.

Der Kollege hat dann beim VG Köln auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes NRW Klage erhoben. (Leider) erfolglos:

„1. Es spricht schon vieles dafür, dass der Anwendungsbereich des Informationsfrei-heitsgesetzes Nordrhein-Westfalen nicht eröffnet ist. Denn in der Regelung des § 87 Abs. 2 Satz 1 LBG NRW, der nach § 2 Abs. 2 LRiStaG auf Richter Anwendung findet, besteht eine spezielle Vorschrift, die nach § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW dem IFG NRW vorgeht. In § 87 Abs. 2 Satz 1 LBG ist eine besondere Rechtsvorschrift zu sehen, die die Auskunftserteilung im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW regelt. Nach § 87 Abs. 2 Satz 1 LBG NRW dürfen Auskünfte aus Personalakten an nicht betroffene Per­sonen nur mit Einwilligung des Richters erteilt werden, es sei denn, dass die Abwehr einer erheblichen Beeinträchtigung des Gemeinwohls oder der Schutz berechtigter, hö­herrangiger Interessen der nicht betroffenen Person die Auskunftserteilung zwingend erfordert. Bei dem Informationszugangsbegehren des Klägers handelt es sich um eine solche Auskunft aus der Personalakte. Denn gegebenenfalls wegen des in Rede ste­henden Vorfalls in der Hauptverhandlung verhängte (disziplinarische) Maßnahmen wer­den in der Personalakte aufgeführt.

Die Voraussetzungen einer Auskunftserteilung liegen nicht vor. Nach dem Aktenver­merk im Verwaltungsvorgang des Präsidenten des Amtsgerichts Köln hat der betroffene Richter keine Einwilligung zur Erteilung der Auskunft erteilt. Der Richter wurde vor der Abfassung des Bescheides vom 14. Februar 2020 fernmündlich dazu befragt, ob er in die Offenbarung einwillige, was er verneinte. Über das Telefonat wurde ein Aktenver­merk gefertigt. An der Richtigkeit dieses Aktenvermerks zu zweifeln, besteht für die Kammer kein Anlass; das Bestreiten des Klägers mit Nichtwissen ist in diesem Zusam­menhang zu pauschal. Die weiteren Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Aus­kunftserteilung nach § 87 Abs. 2 Satz 1 LBG NRW liegen nicht vor; dafür ist seitens des Klägers nichts dargetan. Insbesondere ist das wissenschaftliche Interesse des Klägers kein Umstand, der als Schutz berechtigter, höherrangiger Interessen der nicht betroffe­nen Person die Auskunftserteilung zwingend erfordert. Zwar mögen im Einzelfall For­schungsinteressen ein berechtigtes Interesse an einer Auskunft aus Personalakten dar­stellen. In aller Regel überwiegt ein Forschungsinteresse jedoch nicht das grundrecht­lich durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG geschützte informationelle Selbstbe­stimmungsrecht des Richters im Hinblick auf die in den Personalakten erfassten Daten jedenfalls nicht per se. Denn der Persönlichkeitsschutz im Personalaktenrecht genießt einen hohen Stellwert, wie sich auch § 5 Abs. 2 IFG (Bund) ergibt, der Auskünfte aus Personalakten dem Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes faktisch entzieht. Im konkreten Fall tritt hinzu, dass es sich bei den dienstaufsichtsrecht-lichen Maßnahmen um besonders sensible Daten handelt. Dem – im Grundsatz durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützten – Forschungsinteresse des Klägers kann auch kein be­sonderes Gewicht beigemessen werden. Denn es ist bereits unklar, welchen wissen­schaftlichen Mehrwert der Kläger von der Kenntnis der konkreten Maßnahme erwartet. So bleibt sein Vortrag, er wolle das Dienstrecht der Richter und Staatsanwälte mit dem Standesrecht der Rechtsanwälte vergleichen, mehr als vage. Insofern dürfte der in der Auskunftsverweigerung liegende Eingriff in Art. 5 Abs. 3 GG – wenn überhaupt – gering­fügig sein, wohingegen die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrecht des betroffenen Richters angesichts der Sensibilität der Daten aus der Personalakte intensiv ausfiele.

2. Ist das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen anwendbar, folgt dennoch kein Anspruch aus §§ 4, 5 IFG NRW. Denn dem Informationszugang des Klägers steht der Ausschlussgrund des Schutzes personenbezogener Daten nach § 9 Abs. 1 und 2 IFG NRW entgegen.

Nach § 9 Abs. 1 IFG NRW ist der Antrag auf Informationszugang abzulehnen, wenn durch Bekanntwerden der Information personenbezogene Daten offenbart werden, es sei denn, es greift einer der unter § 9 Abs. 1 lit. a) bis e) IFG NRW aufgeführten Aus­nahmegründe oder aber es liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 IFG NRW vor.

Die Vorschrift des § 9 IFG NRW dient dem Schutz des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung, die vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfasst wird,

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 6. Mai 2015 – 8 A 1943/13, juris Rn. 91.

Die vom Kläger begehrten Informationen stellen personenbezogene Daten im Sinne des § 9 Abs. 1 IFG NRW dar. Wegen des Begriffs der personenbezogenen Daten, der im IFG NRW nicht definiert wird, ist nunmehr auf die Definition in Art. 4 Nr. 1 der Daten-schutzgrundverordnung zurückzugreifen. Danach sind „personenbezogene Daten“ alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden „betroffene Person“) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann. Darunter fallen alle Informationen, die sich auf eine einzelne, natürliche Person beziehen oder geeignet sind und einen Bezug zu ihr herzustellen. Der Begriff der personenbezogenen Daten ist damit außerordentlich weit zu verstehen,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Februar 2019 – 15 E 1026/18 -, juris Rn. 29.

Bei der Information, welche dienstliche Maßnahme wegen des beschriebenen Sachver­halts ergriffen wurde, handelt es sich um eine Einzelangabe über persönliche bzw. sachliche Verhältnisse des Richters. Der Richter ist, obgleich Amtsträger, weiterhin Träger von Grundrechten. Insbesondere betreffen ihn etwaige dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen auch in seinen persönlichen Rechten. Insoweit ist er als natürliche Person im Sinne der datenschutzrechtlichen Regelungen anzusehen.

Die Ausnahmetatbestände des § 9 Abs. 1 Buchstaben a) bis e) IFG NRW sind nicht erfüllt…..“.

Der Kollege Riemer fragt sich übrigens, was denn wohl passiert, wenn gegen ein Angeklagter oder gar ein Rechtsanwalt einen Richter als „Pisser“ bezeichnen würde.Ich kann es mir vorstellen.

Das VG hat leider die Berufung nicht zugelassen. Es wäre schön zu erfahren, was das OVG von der Sache hält. Aber ich kann es mir vorstellen. 🙂