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SV III: Vergütung für ein anthropologisches Gutachten, oder: Einzelfallabhängige Vergütung des Sachverständigen

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Und als dritte Entscheidung dann noch ein Beschluss zum Sachverständigen, und zwar zu einer Vergütungsfrage. Es geht in dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 14.08.2024 – 1 Ws 209/23 – um die Vergütung des Sachverständigen fü ein anthropologisches Vergleichsgutachten. Darum haben der Sachverständige und die Landeskasse gestritten. Die Höhe der Vergütung kann ja auch für den – verurteilten – Angeklagten, der die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, relevant werden.

Hier zunächst der Leitsatz der OLG Entscheidung, und zwar:

Anthropologische Vergleichsgutachten sind rechtlich weder einem der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 JVEG genannten Sachgebiete noch einer der in Teil 2 der Anlage 1 genannten Honorargruppen M1 bis M3 zuzuordnen. Die Vergütungsfestsetzung erfolgt anhand der im konkreten Einzelfall erbrachten sachverständigen Leistungen gemäß § 9 Abs. 2 JVEG.

Und zu § 9 Abs. 2 JVEG führt das OLG aus:

„2. Die Vergütungsfestsetzung richtet sich damit – wie von dem Landgericht grundsätzlich zutreffend angenommen – nach § 9 Abs. 2 JVEG. Das dem Landgericht danach eingeräumte Ermessen kann der Senat nur eingeschränkt überprüfen. Seiner Kontrolle unterliegt lediglich, ob die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung vorlagen, ob von dem Ermessen Gebrauch gemacht wurde, ob alle wesentlichen Tatsachen berücksichtigt und die gebotenen Grenzen eingehalten wurden(vgl. BGH, Urteil vom 13. April 1994, XII ZR 168/92).Dem Beschwerdegericht ist es insbesondere verwehrt, sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen des Tatrichters zu setzen (vgl. Bleutge in: BeckOK KostR, 44. Ed. 1. Januar 2024, JVEG § 4 Rn. 33; Binz in: Binz/Dorndörfer/Zimmermann, GKG, FamFG, JVEG, 5. Auflage, § 4 Rn. 17).

Vorliegend lässt sich dem angefochtenen Beschluss nicht entnehmen, ob das Landgericht von dem ihm zustehenden Ermessen Gebrauch gemacht hat. Vielmehr ist das Landgericht erkennbar davon ausgegangen, dass anthropologische Gutachten schematisch einer bestimmten Vergleichsgruppe zuzuordnen und aufgrund der von ihnen umfassten Tätigkeiten stets in Anlehnung an die Honorargruppe 16 der Anlage 1 zu § 9 JVEG zu vergüten seien. So befasst sich das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss nicht im Einzelnen mit den konkret vom Gutachter erbrachten Tätigkeiten und deren Umfang und Schwierigkeit, sondern ordnet anthropologische Gutachten allgemein einer bestehenden Honorargruppe zu. Die Kammer hat somit erkennbar verkannt, dass die Vergütung in dem konkreten Einzelfall nach billigem Ermessen zu erfolgen hat, wobei zwar die Vergleichbarkeit mit einem Sachgebiet als Kriterium heranzuziehen ist, jedoch abhängig von den Umständen des konkreten Einzelfalles zu bewerten ist, welche Vergütung angemessen ist.

Eine einheitliche Vergütung für anthropologische Sachverständigengutachten ist bereits deshalb nicht möglich, da diesen Begutachtungen keine standardisierten Untersuchungsmethoden zugrunde liegen (BGH, Urteil vom 15. Februar 2005, 1 StR 91/04, juris, Rn. 16; Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 5. Juli 2006, Ss 81/05, juris, Rn. 7; Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 2. März 2007, Ss (OWi) 4/07, juris, Rn. 5; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 16. Mai 2006, 1 Ss 106/06, juris, Rn. 15; Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 6. April 2010, 3 Ss OWi 378/10, juris, Rn. 12) und die von dem Sachverständigen zu erbringenden Leistungen von der jeweiligen Begutachtungsmaterie abhängen. Umfang und Schwierigkeit der anthropologischen Begutachtung können wesentlich voneinander abweichen und hiermit auch das für die Beantwortung der Gutachtenfrage im Einzelfall erforderliche Fachwissen. Es fehlt daher an der notwendigen Vergleichbarkeit der maßgeblichen Parameter, anhand derer diese in jedem Fall einem der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 JVEG bestimmten Sachgebiet oder einer der dort in Teil 2 der Anlage genannten Honorargruppen M1 bis M3 zugeordnet werden könnten. Dies zeigt sich auch bereits daran, dass im Gesetzgebungsverfahren des Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes kein gemeinsamer Markt für anthropologische Sachverständigengutachten gefunden werden konnte, anhand dessen die Ermittlung einer durchschnittlichen Preisgestaltung möglich gewesen wäre (vgl. BT-Drucks. 17/11471, S. 260, 355).

Soweit anthropologische Vergleichsgutachten der Identifikation von Personen dienen sollen, können diese Identitätsgutachten erhebliche Unterschiede zueinander aufweisen und deshalb nicht pauschal derselben Honorargruppe zugeordnet werden. Für die Beurteilung der Identitätswahrscheinlichkeit kommt es maßgeblich auf die Feststellung und den Abgleich individueller Merkmale eines Menschen an. Die Beurteilung dieser individuellen Merkmale unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls machen es erforderlich, dass der Sachverständige Fachkenntnisse aus dem Bereich der Biologie oder Medizin aufweist und zur Geltung bringen kann. Es kann im Einzelfall auch von Bedeutung sein, wie sich individuelle phänotypische Einzelmerkmale im Rahmen einer körperlichen Bewegung oder durch Einsatz äußerer Einwirkungen, wie etwa durch Masken oder maskenähnliche Objekte oder auch durch medizinische Veränderungen im Erscheinungsbild, verändern oder wie diese bewusst verfremdet oder entstellt werden können (OLG Frankfurt, Beschluss vom 9. Februar 2024, 2 Ws 40/23, juris, Rn. 15).

Im Wesentlichen kommt es für den Umfang, die Schwierigkeit und auch das erforderliche Fachwissen darauf an, was für ein Bilddokument vorliegt und ob es sich um ein Einzelbild, eine Bilderreihenfolge oder eine Videodatei handelt sowie auch maßgeblich auf die Qualität der Bilder und welche individuellen Merkmale auf diesen überhaupt mit welcher Sicherheit zu erkennen sind. Dies zeigt sich bereits daran, dass ein anthropologisches Gutachten in Ordnungswidrigkeitenverfahren zumeist lediglich einen Abgleich eines Lichtbildes und der hierauf erkennbaren individuellen Merkmale mit denjenigen einer bestimmten Person erfordert, während beispielsweise in dem vorliegenden Verfahren eine Videoaufnahme mit verschiedenen Einzelbildern auszuwerten und die dort aus verschiedenen Perspektiven erkennbaren individuellen Merkmale der abgebildeten Person mit denjenigen des Beschuldigten zu vergleichen waren.

Letztendlich obliegt es damit dem zur Entscheidung berufenen Gericht, die für die sachverständige Begutachtung angemessene Vergütung anhand der für diese in dem konkreten Einzelfall erforderlichen Tätigkeiten, des Umfang und der Schwierigkeit der Begutachtung unter wertendem Vergleich mit den für die Zuordnung zu einem der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 JVEG bestimmten Sachgebiet oder auch die Eingruppierung in eine der in Teil 2 der genannten Anlage bestimmten Honorargruppe (M1 bis M3) maßgeblichen Anforderungen festzusetzen. So kann es sachgerecht sein, die Leistungen des anthropologischen Sachverständigen in einer einfachen Sache der Honorargruppe M1 und in einem umfangreichen Verfahren der Honorargruppe M3 zuzuordnen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 9. Februar 2024, 2 Ws 40/23, juris, Rn. 16). Ebenso sind Fälle denkbar, in denen eine Zuordnung zu einem der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 JVEG genannten Sachgebieten, und hier voraussichtlich dem Sachgebiet 16 (grafisches Gewerbe), gerechtfertigt sein kann, weil der Sachverständige Leistungen erbracht hat, die sich nicht in reiner Bildbearbeitung erschöpfen, sondern hinsichtlich der Komplexität und des Umfangs eine Vergleichbarkeit mit den u. a. von dem Begriff des grafischen Gewerbes erfassten Leistungen der Bildverarbeitung, des Designs, verschiedener Drucktechniken sowie Reproduktionen zu begründen vermag.

Da das Landgericht diese Einzelfallabhängigkeit der angemessenen Vergütung verkannt hat und sich dem angefochtenen Beschluss nicht entnehmen lässt, dass es sich dem ihm insoweit zukommenden Ermessen bewusst war, liegt ein einen Verfahrensfehler begründender Ermessensnichtgebrauch vor, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache zwingt.“

SV II: Reststrafaussetzung zur Bewährung durch StVK , oder: Mündliche Anhörung des SV erforderlich?

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Im zweiten Posting etwas zum Sachverständigen im Verfahren betreffend die Strafaussetzung zur Bewährung, und zwar den OLG Celle, Beschl. v. 29.04.2024 – 1 Ws 126/24.

Der Verurteilte wurde am 13.06.2022 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zwei Drittel der Strafe waren am 06.042024 vollstreckt, die Endstrafe ist auf den 07.042025 notiert. Die StVK hat zur Prüfung einer Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB ein Sachverständigengutachten eines Diplom-Psychologen eingeholt. Dieser hat – im Gegensatz zur Stellungnahme der JVA – eine vorzeitige Entlassung des Verurteilten im Ergebnis befürwortet. Zur mündlichen Anhörung des Verurteilten am 03.04.2024 wurde der Sachverständige zunächst geladen, nach Verzicht der Verteidigerin auf seine mündliche Anhörung aber wieder abgeladen. Im Anhörungstermin hat auch der Verurteilte selbst darauf verzichtet, den Sachverständigen mündlich zu hören.

Die StVK hat dann die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

„Die gemäß §§ 454 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 311 StPO zulässige sofortige Beschwerde hat – jedenfalls vorläufig – Erfolg.

1. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer war bereits deswegen aufzuheben, weil sie an einem wesentlichen Verfahrensfehler leidet. Denn die Strafvollstreckungskammer hat zu Unrecht von einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen abgesehen.

a) Gemäß § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO ist im Falle der Einholung eines Prognosegutachtens vor einer Entscheidung über die Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung der Sachverständige mündlich anhören. Von der Anhörung darf gemäß § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO nur abgesehen werden, wenn sowohl der Verurteilte und sein Verteidiger als auch die Staatsanwaltschaft darauf verzichten.

b) Die Voraussetzungen des § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO lagen nicht vor, weil die Staatsanwaltschaft nicht auf die Sachverständigenanhörung verzichtet hat.

Die Strafvollstreckungskammer hat in ihrer Verfügung vom 6. Februar 2024, mit der die Akten der Staatsanwaltschaft zur Kenntnisnahme vom Gutachten übersandt wurden, auch nach einem Verzicht auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen gefragt. Zu dieser Frage hat sich die Staatsanwaltschaft aber weder in ihrer Rücksendeverfügung vom 13. Februar 2024, mit der sie auf ihre frühere Stellungnahme Bezug nahm, noch später geäußert.

Ein konkludenter Verzicht der Staatsanwaltschaft liegt ebenfalls nicht vor. Das bloße Schweigen auf eine Zuschrift des Gerichts genügt für die Annahme eines Verzichts nicht, denn der Verzicht auf die mündliche Anhörung muss eindeutig erklärt werden (OLG Braunschweig, Beschluss vom 5. Oktober 2023 – 1 Ws 206/23 –, Rn. 9, juris, m. w. N.). Auch dem Umstand, dass die Staatsanwaltschaft nicht am Anhörungstermin teilgenommen hat, kann jedenfalls unter den vorliegenden Umständen eine solche eindeutige Erklärung nicht entnommen werden, weil der Staatsanwaltschaft aufgrund der Ladungsverfügung vom 27. Februar 2024 keine Terminsnachricht übersandt und sie auch über die spätere Abladung des Sachverständigen nicht informiert wurde.

c) Darüber hinaus begegnet das Absehen von einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen im vorliegenden Fall auch unter dem Gesichtspunkt der gerichtlichen Aufklärungspflicht durchgreifenden Bedenken.

Die Pflicht zur bestmöglichen Aufklärung des Sachverhalts kann auch in Fällen, in denen der Sachverständige nicht gemäß § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO mündlich zu hören ist, seine mündliche Anhörung erfordern (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 04.08.2015 – 1 Ws 319/15, beck-online). Denn die Anhörung dient nicht nur der Verwirklichung rechtlichen Gehörs, sondern soll vor allem die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vorbereiten und ihre materielle Richtigkeit gewährleisten (vgl. OLG Braunschweig, a. a. O.). Die mündliche Erörterung eines solchen Gutachtens in Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten gibt diesen Gelegenheit, das Sachverständigengutachten eingehend zu diskutieren, das Votum des Sachverständigen zu hinterfragen und zu dem Gutachten Stellung zu nehmen (OLG Braunschweig a. a. O.).

Angesichts der grundlegenden unterschiedlichen Prognosebeurteilungen der Justizvollzugsanstalt einerseits und des Sachverständigen andererseits wäre eine solche eingehende Erörterung des Gutachtens – unter Mitwirkung der Vollzugsanstalt (§ 454 Abs. 3 Satz 3 StPO) – im vorliegenden Fall geboten gewesen, nachdem die Justizvollzugsanstalt nach Vorlage seines Gutachtens noch eine ausführliche Stellungnahme abgegeben und darin ihre bisherige Beurteilung bekräftigt und vertiefend begründet hat.“

SV I: Sachverständigengutachten im Urteil, oder: Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

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Und heute dann drei Entscheidungen zum Sachverständigen bzw. zu Sachverständigenfragen.

Ich beginne mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 02.09.2024 – 1 ORs 24/24. Der verhält sich zur Unterbringung nach § 64 StGB nach neuem Recht. Insoweit hier nur mein Leitsatz:

Für die festzustellende Erfolgsaussicht nach § 64 Satz 2 StGB n.F. ist es nunmehr erforderlich, dass der Behandlungserfolg „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten“ ist. Die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose sind „moderat angehoben“ worden, indem nunmehr eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ gegeben sein muss; im Übrigen bleibt es dabei, dass die Beurteilung der Erfolgsaussicht im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände vorzunehmen ist.

Und zu der Sarstellung eines Sachverständigengutachtens im Urteil bekräftigt das OLG noch einmal die ständigen Rechtsprechung der Obergerichte in der Frage, nämlich:

Den Ausführungen des Landgerichts lässt sich indes die gebotene Auseinandersetzung mit den festgestellten prognoseungünstigen wie auch prognosegünstigen Faktoren nicht entnehmen.

„Das Landgericht hat insoweit der „grundsätzlich vorhandenen Therapiewilligkeit des Angeklagten“ als (einzigem) prognosegünstigen Umstand „insbesondere die zahlreichen erfolglosen Therapieversuche in den letzten Jahren“ sowie den Umstand, dass „selbst im hochstrukturierten Setting der stationären Therapie kein konkreter Behandlungserfolg habe erzielt werden können“ als gegen eine günstige Behandlungsprognose sprechenden Umstände gegenübergestellt. Im Übrigen hat die Kammer zu der fehlenden Erfolgsaussicht (nur) ausgeführt, dass nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, denen sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung anschließe, keine tatsächlich begründete Erwartung eines Behandlungserfolgs einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gern. § 64 StGB bestehe (UA S. 16). Schließt sich der Tatrichter – wie hier – den Ausführungen eines Sachverständigen an, müssen dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017, 4 StR 595/16, juris, Rn. 8; vom 28. Januar 2016, 3 StR 521/15, juris, Rn. 4.; vom 27. Januar 2016, 2 StR 314/15, juris, Rn. 6; vom 17. Juni 2014, 4 StR 171/14, juris, Rn. 7). Daran fehlt es hier.“

 

 

Befangen II: „Alter Wein in neuen Schläuchen“, oder: Bereits beschiedener Vortrag führt zur Unzulässigkeit

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Im zweiten Posting komme ich dann noch einmal auf den BGH, Beschl. v. 26.06.2024 – StB 35/24 – zurück. Über den hatte ich schon einmal wegen der vom BGH in der Entscheidung angesprochenen Pflichtverteidigungsfrage berichtet (vgl. Pflichti I: Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung, oder: Voraussetzungen für einen Sicherungsverteidiger).

Hier geht es jetzt um ein Ablehungsgesuch des Angeklagten. Dem wird der Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung als Rädelsführer in Tateinheit mit Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gemacht. Ein erstes Ablehnungsgesuch des Angeklagten vom 01.03.2024 anlässlich der Zwölfmonatshaftprüfung durch den BGH (AK 23/24) hatte der Angeklagte damit begründet, ihm sei in zwei vorangegangenen Haftfortdauerentscheidungen des Senats zu Unrecht angelastet worden, er habe die Erstürmung des Reichstagsgebäudes durch eine Zahlung von 50.000 EUR fördern wollen oder gefördert. Dieses Gesuch hat der BGH durch Beschluss vom 18.03.2024 als unbegründet zurückgewiesen.

Nun hat er im Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidudng des OLG Frankfurt am Main, die Bestellung seines Pflichtverteidigers wegen eines zerstörten Vertrauensverhältnisse aufzuheben, den VorRiBGH sowie zwei RiBGH wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat er erneut ausgeführt, im Beschluss des BGH vom 20.03.2024 über die Fortdauer der Untersuchungshaft gegen den Beschwerdeführer (AK 23/24) werde ihm zu Unrecht angelastet, er habe die Erstürmung des Reichstagsgebäudes durch eine Zahlung von 50.000 EUR fördern wollen. Dass der Senat seine früheren Haftentscheidungen nicht korrigieren wolle, rechtfertige bei dem ihm die Besorgnis der Befangenheit der Richter.

Der BGH hat die Ablehnungsgesuche als unzulässig verworfen.

„1. a) Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet; ein solcher Fall steht dem gänzlichen Fehlen einer Begründung nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO gleich (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 3. Juni 2019 – 2 BvR 910/10, juris Rn. 10; vom 27. April 2007 – 2 BvR 1674/06, BVerfGK 11, 62, 73; BGH, Beschlüsse vom 31. Oktober 2023 – StB 30/23, juris Rn. 9 mwN; vom 24. Februar 2022 – RiZ 2/16, juris Rn. 2 ff.; vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 15; vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, NStZ 2014, 725, 726 f.; vom 15. November 2012 – 3 StR 239/12, juris Rn. 5; vom 1. Februar 2005 – 4 StR 486/04, NStZ-RR 2005, 173, 174).

Bei der Prüfung, ob die für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gegebene Begründung in dem genannten Sinne völlig ungeeignet ist, muss allerdings Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in den Blick genommen werden, weil von der richterlichen Beurteilung des Ablehnungsgesuchs als zulässig oder unzulässig die Zusammensetzung der Richterbank abhängt: Während im Regelfall des Verfahrens nach § 27 StPO der abgelehnte Richter nicht mitwirkt (§ 27 Abs. 1 aE StPO), scheidet er im Fall der Verwerfung als unzulässig nicht aus (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO). Die Vorschrift des § 26a StPO ist deshalb eng auszulegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2005 – 2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01, NJW 2005, 3410, 3412; BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, NStZ 2014, 725, 726 f.). Eine Begründung ist danach insbesondere dann nicht völlig ungeeignet, wenn der abgelehnte Richter zur Prüfung des Ablehnungsgesuchs sein eigenes Verhalten beurteilen und somit eine Entscheidung in eigener Sache treffen muss (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2006 – 3 StR 429/05, NStZ 2006, 644, 645 mwN; vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, NStZ 2014, 725, 726 f.).

b) Ungeachtet dessen, ob oder gegebenenfalls inwieweit es zutrifft, dass der Angeklagte nicht an den Planungen zur Erstürmung des Reichstagsgebäudes beteiligt war (vgl. Beschluss des Senats vom 20. März 2024 – AK 23/24), liegt gemessen an den obigen Maßstäben eine völlig ungeeignete Begründung des Ablehnungsgesuchs vor. Der Beschwerdeführer hat vorgebracht, er halte die Haftfortdauerentscheidungen des Senats für falsch, an denen die abgelehnten Mitglieder mitgewirkt haben. Dieser Einwand ist – auch bei Anlegen eines strengen Maßstabes und zugleich wohlwollender Auslegung des Vorbringens des Beschwerdeführers – zur Begründung eines Ablehnungsgesuchs im vorliegenden Verfahren offensichtlich ungeeignet. Dies ergibt sich schon daraus, dass sich der Beschwerdeführer der Sache nach allein gegen die von den abgelehnten Richtern in den Entscheidungen vorgenommene Bewertung der Ermittlungsergebnisse und des hierauf beruhenden dringenden Tatverdachts wendet. Damit liefe das Verfahren der Richterablehnung der Sache nach auf eine Fehlerkontrolle hinaus, wozu es indes nicht dient (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 2019 – 2 BvR 910/10, juris Rn. 15; BGH, Beschluss vom 24. Februar 2022 – RiZ 2/16, juris Rn. 10 mwN).

2. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer lediglich ein im wesentlichen gleichlautendes Vorbringen wiederholt hat, über das der Senat in dem Verfahren AK 23/24 mit Beschluss vom 18. März 2024 bereits in der Sache entschieden hatte. Bringt ein Ablehnungsgesuch bereits beschiedenen Vortrag erneut vor, ist es schon aus diesem Grund offensichtlich unzulässig. Die Entscheidung hängt dann nur noch von einer formalen Prüfung ab, die kein erneutes Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erfordert (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. Oktober 2021 – 1 BvR 854/21, BVerfGE 159, 147, 148; vom 20. Dezember 2021 – 1 BvR 1170/21, juris Rn. 9; BGH, Beschlüsse vom 24. Februar 2022 – RiZ 2/16, juris Rn. 7; vom 25. Juni 2020 – 4 StR 654/19, juris Rn. 2; vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 12).

3. Einer dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richter hat es bei dem Vorgehen nach § 26a StPO nicht bedurft. Denn sie sind gemäß § 26a Abs. 2 Satz 1 StPO bei der Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 2019 – 2 BvR 910/10, juris Rn. 16 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 26 Rn. 14).“

Befangen I: Wenn der Vorsitzende den Verteidiger linkt, oder: Absprachewidriges Vorgehen ==> Befangenheit

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Heute hier dann drei Entscheidungen zur Besorgnis der Befangenheit.

Den Start macht der BGH, Beschl. v. 04.06.2024 – 2 StR 51/23.

Folgender Sachverhalt: Das LG Bonn hat die beiden Angeklagten wegen versuchten und vollendeten Eingehungsbetrugs zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. von zwei Jahren und zehn Monaten. Während der Hauptverhandlung hatte sich ergeben, dass weitere Verhandlungstage notwendig sein würden. Der Verteidiger des einen Angeklagten hatte aber bereits einen knapp dreiwöchigen Auslandsurlaub gebucht. Er verabredete mit der Vorsitzenden, dass er während seiner Ferien eine Vertretung zur Wahrnehmung sog. Schiebetermine  schicken werde. Die Beteiligten waren sich darüber einig, dass keine Verfahrenshandlungen vorgenommen würden, die die Anwesenheit des eingearbeiteten Verteidigers erforderlich machen würden. Während seines Urlaubs setzte die Vorsitzende den Angeklagten aber – entgegen der Absprache – eine Frist zur Stellung weiterer Beweisanträge (§ 244 Abs. 6 StPO), die noch vor Rückkehr des Verteidigers ablief. Auch das Plädoyer der Staatsanwaltschaft sollte noch vor seiner Rückkehr gehalten werden.

Daraufhin lehnten beide Angeklagten die Vorsitzende Richterin wegen Befangenheit ab, da sie sich nicht an die Absprache gehalten hatte. Die Strafkammer wies beide Anträge zurück und hat verurteilt.

Der BGH hat das Urteil auf Urteil die Verfahrensrüge des Angeklagten mit dem urlaubenden Verteidig, der einen Verstoß gegen §§ 24 Abs. 1, 28 Abs. 2 Satz 2, § 338 Nr. 3 StPO geltend gemacht hatte, aufgehobem. .

Mich wundert die Aufhebung nicht, denn das Verhalten der Vorsitzenden begründet m.E. ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit. Ich verweise wegen der Einzelheiten auf den verlinkten Volltext, und zwar ab Seite 8.

Hier nur der Leitsatz, nämlich:

Haben sich der Vorsitzende und der Verteidiger darauf geeinigt, dass während des Urlaubs nur Schiebetermine stattfinden, ist die Annahme der Besorgnis der Befangenheit begründet, wenn der Vorsitzende dennoch die Frist für abschließende Beweisanträge in den Zeitraum während des Urlaubs des Verteidigers legt und/oder auch das Plädoyer der Staatsanwaltschaft in dem Zeitraum stattfinden lässt.