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StPO III: Zusage der Verfahrenseinstellung durch StA, oder: Bindungswirkung?

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Und dann als dritte Entscheidung dann noch der BGH, Beschl. v. 13.12.2022 – 1 StR 380/22 – zur Bindungswirkung einer Verfahrenseinstellung gem. § 154 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaf.

Dazu der BGH:

„1. Die – zulässige – Verfahrensrüge, das Landgericht habe dadurch gegen seine Pflicht zur Wahrheitserforschung verstoßen, dass es den Zeugen Rechtsanwalt T. in Anwesenheit der Staatsanwälte R. und S. als Sitzungsvertreter sowie anschließend diese zu demselben Beweisthema, der behaupteten staatsanwaltschaftlichen Zusage der Nichtwiederaufnahme des – mit Abschlussverfügung vor Anklageerhebung im ersten Rechtsgang nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellten – Verfahrens bezüglich acht hier streitgegenständlicher bzw. der Nichtverfolgung zum Zeitpunkt der Gespräche (9. und 26. Juli 2019) bekannter weiterer ebenfalls hier geahndeter drei Steuerstraftaten, vernommen hat (§ 244 Abs. 2, § 58 Abs. 1 StPO; vgl. dazu BGH, Urteil vom 15. April 1987 – 2 StR 697/86 Rn. 18-22), ist unter einem weiteren Gesichtspunkt unbegründet:

Einer solchen staatsanwaltschaftlichen Zusicherung kommt von vornherein nicht die Bindungswirkung einer gerichtlichen Verständigung (§ 257c StPO) zu (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 79; vgl. auch BT-Drucks. 16/12310 S. 13). Durch das „Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren“ vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353) ist das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. April 1990 – 3 StR 254/88 (BGHSt 37, 10, 13 f.), wonach die staatsanwaltschaftliche Zusage, das Verfahren bezüglich einer Straftat einzustellen bzw. diese nicht zu verfolgen, einen Vertrauenstatbestand als gewichtigen Strafmilderungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) begründen könne, insoweit überholt (vgl. BVerfGE aaO). Bereits sein vormaliger Verteidiger, der mittlerweile verstorbene Rechtsanwalt H., wies den Angeklagten in seiner E-Mail vom 1. August 2019 (Revisionsbegründung S. 47) auf diesen Gesichtspunkt mit den Worten hin: „Eine rechtliche Bindung ergibt sich hieraus für die Staatsanwaltschaft, hierüber haben wir eingehend gesprochen, allerdings nicht. Die Festschreibung dieser Äußerung ist aber gleichwohl sinnvoll, weil sich hieraus eine psychologische Bindung ergibt.“

Das Urteil des Senats vom 11. November 2020 – 1 StR 328/19 – im ersten Rechtsgang gab wegen der gewichtigen Teilaufhebung einen sachlichen Anlass (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2022 – 2 BvR 1110/21 Rn. 50; BGH, Beschluss vom 30. April 2009 – 1 StR 745/08, BGHSt 45, 1 Rn. 15), neben den rechtskräftig gewordenen neun Einzelstrafen die (gleichgelagerten) Ertragsteuerhinterziehungsfälle wiederaufzunehmen bzw. zu verfolgen.

Ohnehin hat das Landgericht eine etwaige – freilich mit der E-Mail vom 1. August 2019 nicht zu vereinbarende – vorübergehende „Erwartung“ des Angeklagten, wegen der verfahrensgegenständlichen elf Steuerstraftaten nicht verfolgt zu werden, strafmildernd berücksichtigt (UA S. 67); nach alledem ist der Gesichtspunkt eines Vertrauensschutzes jedenfalls nicht rechtsfehlerhaft zu Lasten des Angeklagten in der Strafzumessung gewürdigt worden.

Eine Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft erzeugt keinen Vertrauenstatbestand derart, dass diese einer späteren Strafverfolgung bezüglich der hiervon umfassten Taten grundsätzlich entgegensteht. Auch erzeugt dieser Umstand bei einer späteren diesbezüglichen Verurteilung keinen gewichtigen Strafmilderungsgrund. Gleichwohl bedarf die spätere Strafverfolgung der von der Einstellung zuvor erfassten Taten eines hinreichend sachlichen Anlasses, der darin liegen kann, dass die Taten, im Hinblick auf deren Verurteilung die Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO erfolgte, nicht zur (rechtskräftigen) Verurteilung gelangen.“

StPO II: Die Vorbefassung als Ablehnungsgrund, oder: Meist reicht das nicht für „Besorgnis der Befangenheit“

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Die zweite StPO-Entscheidung stammt auch vom BGH. Der hat im BGH, Beschl. v. 31.01.2023 – 4 StR 67/22 – noch einmal zur Befangenheit bei sog. Vorbefassung Stellung genommen, und zwar.

„1. Die Rüge einer Verletzung der „Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Artikel 6 Abs. 1 MRK, § 24 StPO“ durch die Verwerfung eines Befangenheitsgesuchs betreffend die beisitzende Richterin Dr. T. ist unbegründet.

a) Der Beanstandung liegt der folgende Verfahrensablauf zugrunde:

Vor dem zugrunde liegenden Verfahren hatte die beisitzende Richterin Dr. T. bereits an der Hauptverhandlung gegen die gesondert verfolgten A. A. und M. Al. teilgenommen. Unter ihrer Mitwirkung wurde A. A. schließlich mit Urteil des Landgerichts Dortmund vom 9. Oktober 2019 wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. M. Al. wurde der Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringe Menge in zwei Fällen schuldig gesprochen und deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen handelten die beiden als Mitglieder einer Bande, deren Chef der jetzt Angeklagte – gleichrangig mit einer weiteren gesondert verfolgten Person – gewesen war. Die damals abgeurteilten fünf Taten des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge entsprechen den im angefochtenen Urteil als Fälle Nr. 1 bis 3, 6 und 7 festgestellten Tatgeschehen.

Im vorliegenden Verfahren lehnte der Angeklagte die beisitzende Richterin aufgrund ihrer Vorbefassung mit dem Prozessgegenstand wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Richterin habe durch ihre Mitwirkung an dem Urteil vom 9. Oktober 2019 zum Ausdruck gebracht, bereits von seiner Schuld überzeugt zu sein. Die Strafkammer wies das Befangenheitsgesuch mit Beschluss vom 16. April 2020 als unbegründet zurück. Die Hauptverhandlung wurde im weiteren Verlauf insgesamt zweimal ausgesetzt. Im Rahmen des dritten Durchgangs, der zur Verkündung des angefochtenen Urteils führte, nahm der Angeklagte in dem Termin vom 27. April 2021 nochmals „Bezug“ auf das frühere Ablehnungsgesuch und regte zugleich eine Selbstanzeige der beisitzenden Richterin nach § 30 StPO an.

b) Die Rüge ist zulässig erhoben. Es bedarf keiner Entscheidung, ob das Vorbringen des Angeklagten in dem Hauptverhandlungstermin vom 27. April 2021 als erneutes Ablehnungsgesuch zu werten ist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wirkt die Verwerfung eines Ablehnungsantrags auch nach einer erfolgten Aussetzung in der späteren Hauptverhandlung fort (BGH, Beschluss vom 24. März 1982 – 2 StR 105/82, BGHSt 31, 15 f.; vgl. demgegenüber – nicht tragend – BGH, Beschluss vom 26. Januar 2006 – 5 StR 500/05, NJW 2006, 854).

c) Die von der Revision vorgetragenen Tatsachen, auf deren Grundlage der Senat nach Beschwerdegrundsätzen zu prüfen hat, ob das Ablehnungsgesuch zu Unrecht zurückgewiesen worden ist (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 347; Beschluss vom 10. Januar 2018 – 1 StR 571/17 Rn. 4), sind – auch mit Blick auf neuere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – nicht geeignet gewesen, die Besorgnis der Befangenheit gegen die abgelehnte Richterin zu begründen.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vortätigkeit eines erkennenden Richters, sofern sie nicht den Tatbestand eines gesetzlichen Ausschlussgrundes erfüllt, regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit des Richters im Sinne des § 24 Abs. 2 StPO zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzukommen, die diese Besorgnis rechtfertigen (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 347; Urteil vom 15. Mai 2018 – 1 StR 159/17 Rn. 56; Beschluss vom 10. Januar 2018 – 1 StR 571/17, NStZ 2018, 550; jew. mwN). Das betrifft nicht nur die Vorbefassung mit Zwischenentscheidungen im selben Verfahren, sondern auch die Mitwirkung eines erkennenden Richters in Verfahren gegen andere Beteiligte derselben Tat (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 347 f.).

Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen hinausgehen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn Äußerungen in einem früheren Urteil unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über den jetzigen Angeklagten enthalten oder ein Richter sich in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten geäußert hat (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 348; Urteil vom 15. Mai 2018 – 1 StR 159/17 Rn. 56; Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, NStZ-RR 2018, 186, 187; Beschluss vom 10. Januar 2018 – 1 StR 571/17, NStZ 2018, 550; jeweils mwN).

Nach Maßgabe der gebotenen konventionsfreundlichen Auslegung des deutschen Rechts – hier des § 24 Abs. 2 StPO – und der insoweit zu berücksichtigenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann eine Besorgnis der Befangenheit eines Richters darüber hinaus auch dann vorliegen, wenn das unter seiner Mitwirkung entstandene frühere Urteil Feststellungen zur Beteiligung des jetzigen Angeklagten trifft, die dort rechtlich nicht geboten waren, weil für sie weder zur Beschreibung des strafrechtlich relevanten Handelns des früheren Angeklagten noch für dessen rechtliche Einordnung oder die Rechtsfolgenentscheidung ein Erfordernis bestand (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 349 mwN; EGMR, Urteil vom 25. November 2021 – 63703/19 Rn. 49, 58; Urteil vom 16. Februar 2021 – 1128/17, NJW 2021, 2947 Rn. 48, 57, 61 mwN). Das kann etwa der Fall sein, wenn sich das frühere Urteil in Bezug auf die Tatbeteiligung des jetzigen Angeklagten nicht auf eine Darstellung des tatsächlichen Geschehens und dessen für die strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens des damaligen Angeklagten relevante rechtliche Einordnung beschränkt, sondern darüber hinausgehend eine rechtliche Würdigung des Verhaltens des jetzigen Angeklagten und Feststellungen zu dessen Schuld enthält (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 349 mwN). Maßgeblich ist hierbei eine Gesamtabwägung aller Umstände im Einzelfall (vgl. EGMR, Urteil vom 16. Februar 2021 – 1128/17, NJW 2021, 2947 Rn. 47 ff.; BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 348 f.).

bb) Daran gemessen zeigt das Revisionsvorbringen keine Umstände auf, die geeignet gewesen wären, die Besorgnis der Befangenheit gegen die beisitzende Richterin Dr. T.  zu begründen…….“

StPO I: Das Rechtsmittel im Ablehnungsverfahren, oder: Beschwerde ist auch in der Revision Beschwerde

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Und dann mal wieder ein wenig StPO.

Den Opener macht dann der BGH, Beschl. v. 08.03.2023 – 3 StR 434/22 – zum Rechtsmittel im Ablehnungsverfahren.

Das OLG Düsseldorf hat die Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland und teilweise weiterer Delikte verurteilt. Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte:

„Der ergänzenden Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensbeanstandung der Angeklagten K. und G., ihr Befangenheitsgesuch gegen vier Mitglieder des erkennenden Oberlandesgerichtssenats sei im Sinne des § 338 Nr. 3 StPO zu Unrecht verworfen worden. Auf eine solche Rüge kann die Revision gegen ein erstinstanzliches Urteil des Oberlandesgerichts grundsätzlich nicht gestützt werden; sie ist unzulässig. Das ergibt sich aus Folgendem:

Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 StPO ist gegen den Beschluss, durch den die Ablehnung als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen wird, die sofortige Beschwerde eröffnet. Betrifft die Entscheidung – wie hier – erkennende Richter, kann sie nach § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO nur zusammen mit dem Urteil angefochten werden, im Fall der Revision mit einer Verfahrensrüge nach § 344 Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 StPO. Eine solche Rüge bleibt ihrer Natur nach aber eine sofortige Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 StPO. Deshalb finden die für das Beschwerdeverfahren geltenden Grundsätze und Vorschriften Anwendung (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom 5. Januar 1977 – 3 StR 433/76, BGHSt 27, 96, 98; vom 28. Juli 2015 – 1 StR 602/14, NStZ 2016, 164 Rn. 35). Die Anfechtung ist mithin auch im Rahmen einer Revision ausgeschlossen, wenn eine Beschwerde nicht statthaft wäre.

So liegt es hier. Denn nach § 304 Abs. 4 Satz 1, 2 StPO können Beschlüsse in Sachen, in denen das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug zuständig ist, nur in Ausnahmefällen angefochten werden. Keiner der dort genannten Katalogtatbestände ist hier einschlägig. Infolgedessen ist eine revisionsrechtliche Verfahrensrüge, die sich gegen eine Entscheidung richtet, durch die ein im ersten Rechtszug zuständiges Oberlandesgericht die Ablehnung eines Richters als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen hat, ebenfalls unzulässig (BGH, Beschlüsse vom 5. Januar 1977 – 3 StR 433/76, BGHSt 27, 96, 98 f.; vom 16. Januar 2007 – 3 StR 251/06, BGHR StPO § 28 Rechtsmittel 2; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, § 338 Rn. 58; LR/Siolek, StPO, 27. Aufl., § 28 Rn. 30; SK-StPO/Deiters, 5. Aufl., § 28 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 338 Rn. 26).

Verfassungsrechtlich ist der in einer solchen Konstellation fehlende Instanzenzug unbedenklich (BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 1977 – 2 BvR 308/77, BVerfGE 45, 363, 375). Es bedarf vorliegend auch keiner Entscheidung darüber, ob mit Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG eine revisionsgerichtliche Nachprüfung unter dem Gesichtspunkt der Willkür in Betracht kommt (offengelassen von BGH, Beschlüsse vom 5. Januar 1977 – 3 StR 433/76, BGHSt 27, 96, 98 f.; vom 16. Januar 2007 – 3 StR 251/06, BGHR StPO § 28 Rechtsmittel 2). Denn die von den Revisionsführern angebrachten Ablehnungsgesuche wurden nicht aus willkürlichen Erwägungen zurückgewiesen. Sie stützten sich auf die Vorbefassung der erkennenden Richter mit einem einen anderen Tatbeteiligten betreffenden Strafverfahren. Eine solche Vorbefassung begründet die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 24 Abs. 2 StPO regelmäßig nicht. Anderes gilt nur, wenn im Ursprungsverfahren hinsichtlich der nun angeklagten Beteiligten Feststellungen getroffen oder rechtliche Bewertungen vorgenommen wurden, die über das für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch Erforderliche hinausgehen (s. im Einzelnen EGMR, Urteil vom 16. Februar 2021 – 1128/17, NJW 2021, 2947; BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2023 – 2 BvR 1122/22, juris Rn. 27 ff.; BGH, Beschlüsse vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ 2023, 168 Rn. 48 ff.; vom 7. Juni 2022 – 5 StR 460/21, NStZ 2023, 53, 54; OLG Oldenburg, Beschluss vom 10. Juni 2022 – 1 Ws 203/22 u.a., NJW 2022, 2631 Rn. 7 ff.). Dies ist aber vorliegend nicht der Fall. Wie der Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften zutreffend ausgeführt hat, finden sich im gegen den gesondert Verfolgten ergangenen Urteil keine für dessen Schuldumfang und Strafmaß nicht gebotene Feststellungen oder Würdigungen.“

OWi I: Rechtsmittelverzicht im Protokoll der HV, oder: Keine Befugnis zum Verzicht in der Untervollmacht

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Und dann heute drei OWi-Entscheidungen. Nichts Bedeutendes, aber immerhin…

Ich starte mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.05.2023 – 1 ORbs 166/23. Das AG hat den Betroffenen am 16.11.2022 wegen einer Geschwindigkeotsüberschreitung verurteilt Der Betroffene war von seiner Verpflichtung zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung offensichtlich entbunden worden, wobei sich ein entsprechender Beschluss nicht bei den Akten befunden hat. Die Verteidigerin des Betroffenen hatte mit Schriftsatz vom 14.11.2022 Rechtsanwalt („Name 01“), „zur Wahrnehmung des Hauptverhandlungstermins am 16.11.2022 Terminvollmacht“ erteilt, ohne diese weiter zu spezifizieren. In dem Hauptverhandlungsprotokoll ist das Feld „Rechtsmittelbelehrung wurde erteilt“ angekreuzt, daneben steht die handschriftliche Ergänzung „RM-Verzicht“.

Der Betroffene hat gegen die Entscheidung des AG Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Bußgeldrichterin hat den Betroffenen und dessen Verteidigerin darauf hingewiesen, dass in der Hauptverhandlung ein Rechtsmittelverzicht erklärt worden sei, worauf die Verteidigerin erwidert hat, dass die erteilte Terminvollmacht an den unterbevollmächtigten Rechtsanwalt weder eine Beschränkung des Einspruchs noch einen Rechtsmittelverzicht umfasste; Ziel des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid sei die Vermeidung des Fahrverbotes, nicht die Reduzierung der Geldbuße.

Das AG hat die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unzulässig verworfen, da in der Hauptverhandlung  durch den unterbevollmächtigten Rechtsanwalt Rechtsmittelverzicht erklärt worden sei, was die Einlegung eines Rechtsmittels ausschließe. Dagegen beantragt der Betroffene die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nach § 346 Abs. 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG. Der Antrag hatte Erfolg:

„2. In der Sache ist der Antrag begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts Neuruppin vom 14. Dezember 2022.

a) Die Verwerfungsbefugnis des Tatrichters dient der Verfahrensbeschleunigung. Sie ist auf die in § 346 Abs. 1 StPO genannten Fälle beschränkt, also auf die verspätete Einlegung der Rechtsbeschwerde nach § 341 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG, auf die Versäumung der Frist des § 345 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG sowie auf die Nichteinhaltung der Formvorschriften des § 345 Abs. 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG. Jede weitere Zulässigkeitsprüfung ist dem Tatrichter untersagt (vgl. BGH NJW 2007, 165), was insbesondere auch für die Frage eines zuvor erklärten Rechtsmittelverzichtes gilt (vgl. BGH NJW 1984, 1974, 1975; BGH NStZ 1984, 181; BGH NStZ 1984, 329).

b) Des Weiteren erweist sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als zulässig. Denn während die der Verteidigerin erteilte Vollmacht vom 3. Dezember 2021 sich ausdrücklich auch auf die Rücknahme und den Verzicht eines Rechtsmittels erstreckt, war dies bei der für die Hauptverhandlung am 16. November 2022 erteilte Untervollmacht gerade nicht der Fall. Die Verteidigerin hatte dem für die Hauptverhandlung unterbevollmächtigen Rechtsanwalt („Name 01“) nicht die Befugnis zum Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels übertragen (vgl. Terminvollmacht vom 14. November 2022), so dass der in der Hauptverhandlung durch den unterbevollmächtigen Rechtsanwalt erklärte Rechtsmittelverzicht keine Wirksamkeit entfalten konnte.

Nach alledem unterliegt der Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 14. Dezember 2022 der Aufhebung.“

StPO II: Vorläufige Sicherstellung eines Mobiltelefons, oder: Unbefugte Nutzung eines Bildes bei TikTok

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Im zweiten „StPO-Posting“ dann eine AG-Entscheidung, und zwar der AG Kiel, Beschl. v. 03.07.2023- 43 Gs 3660/23, der zu den Voraussetzungen einer vorläufigen Sicherstellung eines Mobiltelefons (in der Hauptverhandlung) und zum Anfangsverdacht einer Straftat nach § 201a Abs. 2 StGB Stellung nimmt.

Das AG hat die vorläufige Sicherstellung des Mobiltelefons des Beschuldigten zum Zwecke der weiteren Durchsicht entsprechend §§ 110 Abs. 3 Satz 2, 94, 98 Abs. 2 StPO aufgehoben:

„Der vom Verteidiger des Beschuldigten unter dem 29.06.2023 Antrag auf ermittlungsrichterliche Entscheidung über die vorläufige Sicherstellung des am 05.06.2023 im Rahmen einer Hauptverhandlung durch die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel sichergestellten Mobiltelefons ist in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 StPO zulässig (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24. Mai 2017 – 2 BvQ 27/17, juris; vom 28. April 2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669, 2671; vom 30. Januar 2002 – 2 BvR 2248/00, NJW 2002, 1410, 1411; vom 29. Januar 2002 – 2 BvR 94/01, NStZ-RR 2002, 144, 145; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 64. Aufl., § 98 Rn. 23; § 110 Rn. 10). Somit ist eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Sicherstellung zur Durchsicht geboten. Eine unmittelbare Anwendung des § 98 Abs. 2 StPO kommt nicht in Betracht, da eine Durchsicht im Sinne des § 110 StPO, der auch für elektronische Datenträger und Datenspeicher gilt, noch nicht erfolgt ist und die Mitnahme zur Durchsicht erst der Ermittlung möglicher Beweisgegenstände dient und damit noch keine Beschlagnahme ist (Meyer-Goßner, Kommentar zur Strafprozessordnung, 56. Aufl., § 110 StPO, Rn. 1, 2). Das Erfordernis für eine entsprechende Anwendung des § 98 Abs. 2 StPO ergibt sich aus dem Umstand, dass die vorläufige Sicherstellung zur Durchsicht eine der späteren Beschlagnahme vergleichbare Beschwer entfaltet und der der vorläufigen Sicherstellung Widersprechende daher ein vergleichbares Bedürfnis an einer richterlichen Überprüfung hat (Meyer-Goßner, Kommentar zur Strafprozessordnung, 56. Aufl., § 110, Rn. 10).

Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Sicherstellung ist, wie bei der Beschlagnahme, das Vorliegen jedenfalls der Anfangsverdachts einer Straftat und die naheliegende Vermutung, dass sich auf dem Mobiltelefon Daten finden lassen, die für das weitere Verfahren als Beweismittel in Betracht kommen können.

Vorliegend fehlt es indes nach den bisherigen Ermittlungen aus Rechtsgründen am Anfangsverdacht einer durch den Beschuldigten begangenen Straftat.

Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel geht diese derzeit davon aus, dass der Beschuldigte in einem Livegespräch, welches er mit einem unbekannten vor dem 13.02.2023 über die Plattform „TikTok“ geführt hat, ein Bild des Geschädigten zeigte. Bei dem Bild handelt es sich um eine von dem Geschädigten von sich selbst gefertigte Aufnahme (sog. „Selfie“). Auf diesem Bild ist das Gesicht des Geschädigten mit deutlichen Verletzungen zu sehen. Diese Verletzungen soll der Beschuldigte dem Geschädigten beigefügt haben. In dem Videochat soll sich der Beschuldigte mit der Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten gebrüstet haben. Wie das von dem Geschädigten selbst hergestellte Bild in den Besitz des Beschuldigten gekommen ist, ist bislang nicht ermittelt.

Dieser Sachverhalt rechtfertigt nicht den Anfangsverdacht einer Straftat insbesondere auch nicht einer solchen nach § 201a Abs. 2 StGB. Danach wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht.

Unabhängig von der Frage, ob vorliegend von einer vorsätzlich unbefugten Nutzung des von dem Geschädigten selbst hergestellten Bildes, das dieser selbst auf bislang unbekannte Weise unbekannten Dritten weitergegeben haben muss, ausgegangen werden kann, woran beispielsweise dann Zweifel bestehen dürften, wenn etwa der Geschädigte selbst das Bild in den sozialen Medien frei zugänglich eingestellt hätte, fehlt es an der Eignung, dem Ansehen des Geschädigten erheblich zu schaden. Denn dazu muss die Bildaufnahme geeignet sein, das Opfer verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, wobei sich die ansehensschädigende Eignung jedenfalls schon nach dem Wortlaut des Absatzes 2 Satz 1 aus der Bildaufnahme selbst und nicht etwa lediglich aus den Umständen des Zugänglichmachens der Aufnahme ergeben muss. Der Umstand, dass sich der Beschuldigte im Zuge des TikTok-Chats damit gebrüstet haben soll, dass er dem Geschädigten die Verletzungen zugefügt hat, sind mithin für die Einordnung des Bildes nach § 201a Abs. 2 StGB unbeachtlich. Darüber hinaus fehlt nach allgemein gesellschaftlicher Bewertung einer Bildaufnahme von Verletzungen, die ein Opfer einer Straftat schuldlos erlitten hat in der Regel die Eignung dazu, das Opfer der Straftat verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass solchen Aufnahmen Bestürzung und ggf, Mitleid auslösen, die indes gerade nicht das Ansehen des Opfers herabsetzen.

Auf die Frage, ob darüber hinaus eine naheliegende Vermutung besteht, das auf dem Mobiltelefon für das vorliegende Verfahren relevante Beweismittel gefunden werden können, kommt es nicht mehr an. Es erscheint aber zweifelhaft, da es aus den dargelegten Gründen auf den Kontext der Bildweitergabe gerade nicht ankommt und der möglicherweise noch vorhandene Chat insoweit nicht relevant ist.“