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Zwang II: Gewinnbringender Anbau von BtM, oder: Fluchtgefahr beim Plantagenanbau

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Über den KG, Beschl. v. 30.04.2024 – 5 Ws 67/24 – hatte ich ja schon im Hinblick auf die Ausführungen zum Handeltreiben mit Cannabis und den Auswirkungen des neuen CannabisG/KCanG berichtet (vgl. hier: KCanG I: Handel mit „nicht geringer Menge“ strafbar?, oder: Einmal hopp, einmal topp zum neuen KCanG).

Das KG macht in dem Beschluss auch Ausführungen zu Haftfragen. Zunächst geht es um die Reichweite des Prüfungsumfangs bei der Haftbeschwerde der StA. Dazu der Leitsatz des KG, und zwar:

Auf eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die Außervollzugsetzung eines Haftbefehls richtet, unterliegt nicht nur der angefochtene Haftverschonungsbeschluss, sondern auch der zugrunde liegende Haftbefehl der Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht.

Und dann sagt das KG auch etwas zur Fluchtgefahr, nämlich:

„b) Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Diese ist gegeben, wenn bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalles eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich – zumindest für eine gewisse Zeit – dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde sich dem Verfahren zur Verfügung halten (vgl. KG, Beschluss vom 3. November 2011 – 4 Ws 96/11 –, juris Rn. 4). Das ist vorliegend der Fall.

aa) Der Angeschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer mehrjährigen und nicht mehr aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe zu rechnen, die ihm einen erheblichen Fluchtanreiz bietet. Der nach der gesetzlichen Neuregelung für den verbleibenden Tatvorwurf des bandenmäßigen Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge (§ 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG) eröffnete Strafrahmen sieht Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren vor.

Tragfähige Anhaltspunkte für das Vorliegen eines minder schweren Falles sind auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Verteidigung mit Schriftsatz vom 15. April 2024 nicht ersichtlich. Der Vortrag, dass der plantagenmäßige Anbau von Cannabis zukünftig genehmigungsfähig sei, rechtfertigt schon mit Blick darauf, dass dieser Teil der geplanten, aber noch nicht in Kraft getretenen Neureglung – gänzlich anders als in dem vorliegenden Fall – ausschließlich den Anbau durch nicht-gewinnorientierte Vereinigungen zum Eigenkonsum betrifft (§ 1 Nr. 13 KCanG, BT-Drs., a. a. O., S. 16 ff.), keine andere Bewertung. Auch dem Vorbringen, dass es sich bei den Bandenmitgliedern um enge Freunde oder Familienangehörige handele, kommt für die Annahme eines minder schweren Falles nach einer allein möglichen vorläufigen Bewertung keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Zwar kann es für die Annahme eines minder schweren Falles sprechen, wenn der Zusammenschluss der Beschuldigten primär auf ihrer persönlichen Verbundenheit beruht und nicht dem Bild der üblichen Bandenkriminalität entspricht, das der Gesetzgeber mit dem am 22. September 1992 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vor Augen hatte (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2009 – 3 StR 171/09 –, juris Rn. 3; Maier in: Weber/Kornprobst/Maier, BtMG 6. Aufl., § 30 Rn. 302 ff., m. w. Nachw.). Eine derartige persönliche Beziehung ist nach dem vorliegenden Ermittlungsergebnis jedoch nur zwischen dem Angeschuldigten S. und der gesondert Verfolgten Pa., nicht aber im Verhältnis dieser beiden zu den übrigen Bandenmitgliedern oder zwischen diesen untereinander ersichtlich. Dass es sich bei der gesondert Verfolgten um die (nur für etwas mehr als eineinhalb Jahre mit ihm verheiratete) geschiedene Ehefrau des Angeschuldigten P. handelt, rechtfertigt keine andere Bewertung. Eine in ihrer Organisation nicht gemeingefährliche und daher für das Vorliegen eines minder schweren Falles streitende Bande liegt vorliegend zudem auch deshalb fern, da der Zusammenschluss offensichtlich in erster Linie der Erzielung erheblicher Gewinne diente (vgl. Maier, a. a. O.) und nicht einer persönlichen Verbundenheit (einzelner) Mitglieder geschuldet war.

Im Gegenteil wird strafschärfend insbesondere zu berücksichtigen sein, dass sich die Tat gleich auf drei Groß-(Plantagen) bezieht und die sichergestellte Menge Cannabis eine Wirkstoffmenge von knapp 7 Kilogramm THC enthält, welche den (weiter gültigen) Grenzwert der nicht geringen Menge um etwa das Neunhundertfache übersteigt. Auch wenn es im Hinblick auf das Verbot der Doppelverwertung (§ 46 Abs. 3 StGB) Bedenken begegnet, zudem das in der Beschwerdebegründung angeführte hohe Maß an professionellem und strukturiertem Vorgehen zu berücksichtigen – das eine bandenmäßigen Begehung regelmäßig kennzeichnen dürfte –, wenn sich allein dadurch die Gefährlichkeit der Tat nicht weiter erhöht (vgl. Maier, a. a. O., § 30 Rn. 332, m. w. Nachw.), teilt der Senat die Einschätzung der Staatsanwaltschaft, dass der – wenngleich bislang nicht einschlägig – erheblich vorbestrafte Angeschuldigte vorliegend eine deutlich über dem Mindestmaß von zwei Jahren anzusetzende mehrjährige Freiheitsstrafe zu erwarten hat, auf die nach § 51 Abs. 1 StGB bislang lediglich gut viereinhalb Monate Untersuchungshaft anzurechnen wären.

Nach der zum gegenwärtigen Zeitpunkt allein möglichen vorläufigen Bewertung durch den Senat ist die Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB nicht konkret im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu erwarten (vgl. zu den Anforderungen an die Prognose nach § 57 StGB und zur Begründungstiefe insoweit z. B. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 29. Juli 2021 – 2 BvR 1195/21 –, juris Rn. 9, und stattgebender Kammerbeschluss vom 17. Januar 2013 – 2 BvR 2098/12 –, juris Rn. 47). Dem Angeschuldigten, der in der Vergangenheit – unter anderem wegen Totschlags und schweren Raubes in mehreren Fällen – zu Jugend- und Freiheitstrafe verurteilt worden ist und schon langjährig Strafhaft verbüßt hat, wird das sogenannte „Erstverbüßerprivileg“ nicht zugutekommen. Vielmehr sind mit Blick auf seine Delinquenzgeschichte, die das Bestehen ernstzunehmender persönlichkeitsimmanenter Rückfallrisiken nahelegt, an die nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu stellende Legalprognose vorliegend strenge Anforderungen anzulegen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 13. Juli 2021 – 5 Ws 146/21 –, juris Rn. 12, und 9. September 2020 – 5 Ws 138-140/20 –, juris Rn. 8; jew. m. w. Nachw.). Zudem sind auch im Hinblick auf die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit schon deshalb erhöhte Ansprüche an die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straffreiheit zu stellen, weil die vorliegende Tat den Bereich des bandenmäßigen Rauschmittelhandels betrifft (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. April 2023 – 5 Ws 48/23 –, 25. Mai 2020 – 5 Ws 55/20 – und 6. Juli 2006 – 5 Ws 273/06 –, juris Rn. 4 f.). Das Tatgeschehen ist durch eine gut organisierte Planung, arbeitsteiliges Zusammenwirken und stark profitorientiertes Handeln geprägt. Diese Umstände belegen eine erhöhte Gefährlichkeit des Angeschuldigten, zumal die Tat erkennbar nicht nur lebensphasischen, situativen Faktoren entsprang, sondern vor allem Ausdruck erheblicher, langjährig in Straftaten zutage getretener Persönlichkeitsdefizite sein dürfte (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Juli 2021, a. a. O., Rn. 16, m. w. Nachw.). Ob die Anforderungen für eine Reststrafaussetzung später erfüllt sein werden, hängt maßgeblich von der weiteren Entwicklung des Angeschuldigten (im Vollzug) ab, die derzeit noch nicht absehbar ist.

bb) Dem danach gegebenen starken Fluchtanreiz stehen keine beruflichen oder sozialen Bindungen des Angeschuldigten gegenüber, die ihn entscheidend mindern. Der kinderlose Angeschuldigte, der auch sonst über keine gefestigten familiären Bindungen verfügt, wohnt nach den vorliegenden Erkenntnissen allein und ging jedenfalls in den vergangenen Jahren keiner legalen Beschäftigung nach. Zugleich muss angesichts dessen, dass er nach dem Ermittlungsergebnis maßgeblich an dem Betrieb von jedenfalls zwei (Groß-)Plantagen zum auf den Absatz gerichteten Anbau von Cannabispflanzen beteiligt war, davon ausgegangen werden, dass er gegenwärtig über beachtliche finanzielle Mittel oder noch nicht entdecktes Vermögen verfügt, die ihm ein Untertauchen – sei es auch nur innerhalb Deutschlands oder Berlins – ermöglichen oder zumindest erleichtern könnten. Zudem hat der Angeschuldigte zwischen 2016 und 2020 in Spanien gelebt, was zeigt, dass er befähigt ist, sein Leben für einen unbestimmten Zeitraum auch im Ausland zu führen, und nahelegt, dass er dort über potentiell fluchtbegünstigende Kontakte verfügt. Dass er beabsichtigen könnte, sich dem Strafverfahren dorthin zu entziehen, liegt vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht fern. Im Falle eines tatsächlichen Untertauchens des Angeschuldigten im (europäischen) Ausland wäre sein Aufenthalt dort nur schwer ermittelbar. Aufgrund dieser dem Senat bekannten Lebensverhältnisse überwiegt bei der gebotenen Gesamtwürdigung die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Angeschuldigten nicht davon abhalten werden, sich dem weiteren Verfahren zu entziehen.

c) In Anbetracht der gegenwärtig instabilen Lebensverhältnisse des Angeschuldigten kann der Fluchtgefahr auch nicht durch die vom Landgericht beschlossenen Ersatzmaßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO wirksam begegnet werden, da diese Maßnahmen vorliegend nicht mit der erforderlichen großen Wahrscheinlichkeit (vgl. Lind in: Löwe-Rosenberg, StPO 27. Auflage, § 116 Rn. 12; Krauß in: BeckOK StPO, 51. Edition 01.04.2024, § 116 Rn. 6, jeweils m. w. Nachw.) und damit hinreichend die Erwartung begründen, dass der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann und der Angeschuldigte sich dem Verfahren nicht entziehen wird. Dass er seine Ausweispapiere weisungsgemäß zur Akte gereicht hat, hindert ein mögliches Absetzen ins Ausland – insbesondere innerhalb des Schengen-Raums – ebenso wenig entscheidend wie die Anweisung, die Bundesrepublik nicht zu verlassen.

Dass der Angeschuldigte auch den übrigen ihm mit dem angefochtenen Beschluss erteilten Anweisungen bislang – soweit für den Senat ersichtlich – nachgekommen ist und die tatsächlich vorhandene Möglichkeit zur Flucht nicht genutzt hat, was im Rahmen der Haftfrage für ihn sprechen kann (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 8. April 2019 – 3 Ws 102/19 –, juris Rn. 25; Senat, Beschluss vom 12. Juni 2023 – 5 Ws 93/23 –, m. w. Nachw.), führt zu keinem anderen Ergebnis. Dieses Wohlverhalten über einen Zeitraum von erst wenigen Wochen lässt vor dem Hintergrund des vorliegend erheblichen Fluchtanreizes, der leicht löslichen Lebensverhältnisse des Angeschuldigten und der übrigen dargelegten Umstände, die es ihm erleichtern könnten, sich der weiteren Strafverfolgung zu entziehen, aus Sicht des Senats jedoch noch nicht den hinreichend sicheren Schluss zu, dass auf ihn auch in Zukunft Verlass sein wird. Nichts anderes folgt aus der erst am 25. März 2024 aufgenommenen Tätigkeit in einer Druckerei.“

Zwang I: Fluchtgefahr verlangt „Entziehensabsicht“, oder: Beschuldigte bleibt trotz Durchsuchung vor Ort

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Und dann mal wieder ein Tag mit StPO-Entscheidungen, und zwar zu Zwangsmaßnahmen. Dazu gibt es zweimal etwas zur Haft und einmal etwas zur Ingewahrsamnahme eines Zeugen.

Ich stelle zuerst den BGH, Beschl. v. 18.04.2024 – StB 18/24 – vor. Es geht um Fluchgefahr, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:.

Der Beschuldigte ist am 14.12.2023 aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des BGH festgenommen worden und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf der Unterstützung einer rechtsextrem ausgerichteten Kampfsportgruppe. Der Beschuldigte wendet sich gegen den Haftbefehl mit seiner Beschwerde, welcher der Ermittlungsrichter nicht abgeholfen hat.

Die Haftbeschwerde hat dann aber beim Senat Erfolg. Der hat einen Fluchtgrund, vor allem auch Fluchtgefahr, verneint.

„1. Der Haftgrund der Fluchtgefahr setzt voraus, dass es bei Würdigung der konkreten Einzelfallumstände wahrscheinlicher ist, dass sich der Angeklagte dem weiteren Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (st. Rspr.; etwa BGH, Beschluss vom 20. April 2022 – StB 16/22, NStZ-RR 2022, 209, 210). Das ist hier nicht der Fall.

Der Beschuldigte hat seit einer ihn betreffenden Durchsuchung im April 2022 Kenntnis, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren geführt wird, seinerzeit wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Gegenstand der im Durchsuchungsbeschluss vom 5. April 2022 genannten Vorwürfe waren unter anderem bereits solche, die nun im Haftbefehl (s. dort unter I. 2. a), b), d), g) und i)), aufgegriffen werden. Dies hat den Beschuldigten bislang ebenso wenig zu Fluchtbemühungen veranlasst wie die damalige Festnahme gesondert Verfolgter. Dass ihm nunmehr die Unterstützung einer terroristischen statt einer kriminellen Vereinigung zur Last gelegt wird, führt trotz des höheren Strafrahmens zu keinem deutlich gesteigerten Fluchtanreiz; denn bereits nach der Anklage vom 28. April 2023 gegen mehrere gesondert Verfolgte zum Thüringer Oberlandesgericht war für ihn ersichtlich, dass der Generalbundesanwalt die Gruppierung „ “ ab einem gewissen Zeitpunkt als terroristische Vereinigung bewertete. Die im Durchsuchungsbeschluss noch nicht genannten Unterstützungshandlungen verändern die Tatvorwürfe nicht in einer für die Beurteilung der Fluchtgefahr erheblichen Weise. Im Übrigen hat der Beschuldigte – dem Generalbundesanwalt zuvor angezeigte – Auslandsaufenthalte nicht genutzt, um sich dem Ermittlungsverfahren zu entziehen.

Soweit in einem Telefonat des Beschuldigten aus April 2022 davon die Rede ist, etwaig bei einer Veranstaltung eingenommenes Geld solle für die vier damals Inhaftierten und der Rest für ihn selbst genutzt werden, „falls ihm was passiere“, ergibt sich nach dem Kontext nicht, dass die Mittel für eine Flucht und nicht etwa für mit der Untersuchungshaft in Zusammenhang stehende Kosten aufgewendet werden sollten. Gleiches gilt, soweit sich der Beschuldigte in Briefen aus der Untersuchungshaft im Zusammenhang mit seiner wirtschaftlichen Lage über die Wichtigkeit organisierter Hilfe geäußert hat und Spendenaufrufe veröffentlicht worden sind. Dass der Verwendungszweck für – nicht näher spezifizierte, sich möglicherweise über zweieinhalb Jahre erstreckende und pauschal summierte – Bargeldabhebungen von Konten des Beschuldigten in Höhe von insgesamt 22.000 € unbekannt ist, legt hier mangels näherer Anhaltspunkte zu dem Hintergrund ebenfalls nicht den Rückschluss auf entsprechende Reserven zur Finanzierung einer Flucht nahe.

Wie im Haftbefehl angeführt, sind als potentiell fluchthemmende Faktoren zudem die Tätigkeiten des Beschuldigten als Selbständiger, Stadtratsmitglied für die Stadt E. und Vorsitzender des Landesverbandes einer Partei zu berücksichtigen. Dass insoweit ein Bezug zu den Tatvorwürfen besteht und die genannten Umstände den Beschuldigten nicht von den ihm vorgeworfenen Handlungen abgehalten haben, hat nicht ohne Weiteres zur Folge, dass sie auch ein Fluchtrisiko nicht mindern können. Inwieweit hierfür zusätzlich noch die von ihm geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden und die Aufhebung von Haftbefehlen gegen gesondert Verfolgte durch das Thüringer Oberlandesgericht von Bedeutung sind, kann letztlich dahinstehen.

2. Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr erfordert, dass bestimmte Handlungen des Beschuldigten es wahrscheinlich erscheinen lassen, er werde auf sachliche oder persönliche Beweismittel einwirken und dadurch die Ermittlung der Wahrheit erschweren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. September 2016 – StB 30/16, NJW 2017, 341 Rn. 13 mwN; vom 20. Februar 2019 – AK 53/18 u.a., juris Rn. 44). Bezugspunkt hierfür ist allein die Aufklärung der vom Haftbefehl umfassten Taten (s. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31. August 2001 – 2 Ws 219/01, StV 2001, 686; KG, Beschluss vom 30. April 2019 – [4] 161 HEs 22/19 [10-11/19], StraFo 2019, 416, 417; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 112 Rn. 26).

Obschon früheres Verhalten des Beschuldigten Anlass zu der Annahme bietet, dass er künftig auf Beweismittel einwirken werde, folgt daraus nicht, dass er im Falle seiner Haftentlassung durch entsprechende Handlungen die gegen ihn bereits seit dem 4. April 2022 wegen Unterstützung der Vereinigung „ “ geführten, in der Sache weit fortgeschrittenen Ermittlungen hinsichtlich der im Haftbefehl aufgeführten Vorwürfe noch mehr als unerheblich beeinträchtigen könnte. Daher bedarf keiner Vertiefung, dass er etwa angesichts einer unmittelbar bevorstehenden Wohnungsdurchsuchung am 14. Dezember 2023 eine Tüte mit einem Mobiltelefon und einem Laptop von seinem Balkon auf den benachbarten Balkon stellte und anderweitig äußerte, E. möge eine „Mauer des Schweigens“ sein.

3. Sonstige Haftgründe kommen unter den gegebenen Umständen nicht in Betracht. Ein dringender, die Anwendung des § 112 Abs. 3 StPO eröffnender Verdacht auf eine mitgliedschaftliche Beteiligung des Beschuldigten an einer terroristischen Vereinigung besteht nicht. Ebenso scheidet der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) bei den vorliegenden Tatvorwürfen aus.“

StPO III: Teilnahme an der (Revisions)HV nach JGG, oder: Schriftleiter und Praktikantin dürfen teilnehmen

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Und dann doch noch etwas vom BGH, nämlich zwei in dem Verfahren 5 StR 205/23 ergangene Beschlüsse. Es handelt sich um ein JGG-Verfahren und es geht um die Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung.

Im BGH, Beschl. v. 16.08.2023 – 5 StR 205/23 – hat der BGh einem Vertreter der Schriftleitung der Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe (ZJJ) die Anwesenheit in der Hauptverhandlung gestattet:

„Die Zulassung von Rechtsanwalt P. beruht auf § 48 Abs. 2 Satz 3 JGG. Nach dieser Vorschrift können – insbesondere zu Ausbildungszwecken – neben den in § 48 Abs. 2 Satz 1 und 2 JGG genannten Personen weitere zur Teilnahme an der nicht öffentlichen Hauptverhandlung zugelassen werden. Die Entscheidung ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen; in die Abwägung sind neben dem Persönlichkeitsrecht der Angeklagten auf der einen Seite die Pressefreiheit und das Informationsinteresse der Öffentlichkeit einzustellen.

Wenn die Berichterstattung im Hinblick auf einen aktuellen Kriminalfall beabsichtigt ist und es gerade um den beschuldigten Jugendlichen als Person geht, überwiegen in der Regel die Gefahren einer nachhaltigen Stigmatisierung und damit einer relevanten Beeinträchtigung der weiteren Entwicklung des Jugendlichen. Anders kann es aber sein, wenn lediglich – losgelöst von der Person des konkreten Beschuldigten – allgemein über die Jugendstrafrechtspflege oder bestimmte Fragen des Jugendstrafverfahrens berichtet wird. So verhält es sich hier: Die Schriftleitung der ZJJ hat wegen der aus ihrer Sicht zu erwartenden Erörterung einer zentralen Frage des Jugendstrafrechts ein wissenschaftliches Interesse an der Teilnahme und damit einen besonderen Grund im Sinne der genannten Norm dargelegt. Die Angeklagten sind der Teilnahme von Rechtsanwalt P.  an der Hauptverhandlung auch nicht entgegengetreten.“

Und dann haben wir noch einen weiteren BGH, Beschl. v. 16.08.2024 – 5 StR 203/23. In dem ist einer Praktikantin in einer Rechtsanwaltskanzlei die Teilnahme gestattet worden:

„Die Zulassung von Frau W. beruht auf § 48 Abs. 2 Satz 3 JGG. Nach dieser Vorschrift können – insbesondere zu Ausbildungszwecken – neben den in § 48 Abs. 2 Satz 1 und 2 JGG genannten Personen weitere zur Teilnahme an der nicht öffentlichen Hauptverhandlung zugelassen werden. Die Entscheidung ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen; in die Abwägung sind neben dem Persönlichkeitsrecht der Angeklagten auf der einen Seite die Pressefreiheit und das Informationsinteresse der Öffentlichkeit einzustellen.

Hier hat Rechtsanwalt T. mit Blick auf die Schwerpunktarbeit von Frau W. ein wissenschaftliches Interesse der Studentin an der Teilnahme und damit einen besonderen Grund im Sinne der genannten Norm dargelegt; ihre Teilnahme ist zudem zu Ausbildungszwecken möglich. Die Verfahrensbeteiligten sind der Teilnahme von Frau W. an der Hauptverhandlung auch nicht entgegengetreten.“

StPO I: EuGH – Verwertung von Encro-Chat? Ja, aber, oder: LG Kiel sieht keine Auswirkungen

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Und dann heute StPO-Entscheidungen – aus der Instanz. Na ja, fast 🙂

Ich erinnere. Das LB Berlin hatte mit dem LG Berlin, Beschl. v. 01.07.2021 – (525 KLs) 254 Js 592/20 (10/21); dem EuGH einige Fragen zur Verwertbarkeit der durch die EncroChat-Übewachung gewonnenen Ergebnisse vorgelegt (vgl. dazu Sondermeldung zur Verwertbarkeit von EncroChat, oder: Endlich Vorlage an den EuGH durch das LG Berlin.

Inzwischen hat sich, worüber ja auch schon an anderen Stellen berichtet worden ist, der EuGH zu den Voraussetzungen für die Übermittlung und Verwendung von Beweismitteln in grenzüberschreitenden Strafverfahren geäußert und die präzisiert. Dabei hat er die deutsche Rspr. bestätigt, wonach die Staatsanwalt Daten, die von ausländischen Behörden gewonnen werden, auch dann verwenden dürfen, wenn die Maßnahme in Deutschland nicht zulässig gewesen wäre (EUGH, Urt. v. 30.4.2024 – C-670/22).

Ich will hier jetzt nicht – die immer – ein wenig schwer lesbare Entscheidung des EuGH einstellen, sondern nur die Grundzüge der Entscheidung mtteilen, die sich etwa wie folgt zusammenfassen lassen:

  • Eine EAA, die auf die Übermittlung von Beweismitteln gerichtet ist, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats (hier: Frankreich) befinden, muss nicht notwendigerweise von einem Richter erlassen werden. Sie kann von einem StA erlassen werden, wenn dieser in einem rein innerstaatlichen Verfahren dafür zuständig ist, die Übermittlung bereits erhobener Beweise anzuordnen.
  • Der Erlass einer solchen EAA unterliegt denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen, wie sie für die Übermittlung ähnlicher Beweismittel bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt gelten. Es ist nicht erforderlich, dass er denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen unterliegt, wie sie für die Erhebung der Beweise gelten. Jedoch muss ein Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen diese Anordnung befasst ist, die Wahrung der Grundrechte der betroffenen Personen überprüfen können.
  • Der EuGH stellt außerdem klar, dass der Mitgliedstaat, in dem sich die Zielperson der Überwachung befindet, von einer mit der Infiltration von Endgeräten verbundenen Maßnahme zur Abschöpfung von Verkehrs-, Standort- und Kommunikationsdaten eines internetbasierten Kommunikationsdienstes unterrichtet werden muss. Die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats hat dann die Möglichkeit, mitzuteilen, dass die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs nicht durchgeführt werden kann oder zu beenden ist, wenn diese Überwachung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde.
  • Das nationale Strafgericht muss in einem Strafverfahren gegen eine Person, die der Begehung von Straftaten verdächtig ist, Beweismittel unberücksichtigt lassen, wenn die betroffene Person nicht in der Lage ist, zu ihnen Stellung zu nehmen, und wenn sie geeignet sind, die Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen.

So traurig es ist: Aus der Entscheidung des EuGH  lässt sich wohl kein Beweisverwertungsverbot VV hinsichtlich der EncroChat- bzw. SkyECC-Daten entnehmen. Und auf der Linie liegt dann auch gleich eine LG Entscheidung, und zwar der LG Kiel, Beschl. v. 08.05.2024 – 7 KLs 593 Js 18366/22 -, der weiterhin die Verwertbarkeit von Encrocaht bejaht:

„Auch aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 30.04.2024 betreffend EncroChat lässt sich – entgegen den Ausführungen der Verteidigung in der Haftbeschwerde – kein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der EncroChat- bzw. SkyECC-Daten entnehmen. Der Europäische Gerichtshof hat in der Entscheidung u.a. ausgeführt, dass Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2014/41 nicht dem Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung entgegensteht, wenn die Integrität der durch die Überwachungsmaßnahme erlangten Daten wegen der Vertraulichkeit der technischen Grundlagen, die diese Maßnahme ermöglicht haben, nicht überprüft werden kann, sofern das Recht auf ein faires Verfahren im späteren Strafverfahren gewährleistet ist. Die Integrität der übermittelten Beweismittel kann grundsätzlich nur zu dem Zeitpunkt beurteilt werden, zu dem die zuständigen Behörden tatsächlich über die fraglichen Beweismittel verfügen (EuGH, Urt . v. 30.04.2024, Az. C-670/22, Rn. 90). Darüber hinaus ist die Europäische Ermittlungsanordnung ein Instrument der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Sinne von Art. 82 Abs. 1 AEUV, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen beruht. Dieser Grundsatz, der den „Eckstein“ der Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen bildet, beruht seinerseits auf dem gegenseitigen Vertrauen sowie auf der widerlegbaren Vermutung, dass andere Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die Grundrechte einhalten. Daraus folgt, dass die Anordnungsbehörde, wenn sie mittels einer Europäischen Ermittlungsanordnung um Übermittlung von Beweismitteln ersucht, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats befinden, nicht befugt ist, die Ordnungsmäßigkeit des gesonderten Verfahrens zu überprüfen, mit dem der Vollstreckungsmitgliedstaat die Beweise, um deren Übermittlung sie ersucht, erhoben hat. Insbesondere würde eine gegenteilige Auslegung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 in der Praxis zu einem komplexeren und weniger effizienten System führen, das dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel abträglich wäre (vgl. EuGH, Urt. v. 30.04.2024, Az. C-670/22, Rn. 99 f.). In einem Strafverfahren im Anordnungsstaat ist bei der Bewertung. der mittels einer Europäischen Ermittlungsanordnung erlangten Beweismittel sicherzustellen, dass die Verteidigungsrechte gewahrt und ein faires Verfahren gewährleistet wird, was impliziert, dass ein Beweismittel, zu dem eine Partei nicht sachgerecht Stellung nehmen kann, vom Strafverfahren auszuschließen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 30.04.2024, Az, C-670/22, Rn. 130).

Diese Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes sind auch auf die SkyECC-Daten übertragbar.

Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Verteidigungsrechte des Angeklagten gewahrt sind und ein faires Verfahren gewährleistet wird. Insbesondere *besteht für den Angeklagten die Möglichkeit zu sämtlichen vorliegenden Daten sachgerecht Stellung zu nehmen. Es liegen zudem die französischen Beschlüsse im Zusammenhang mit der Erhebung der SkyECC-Daten vor (SB französische Beschlüsse I und II), sodass die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verfahrensbeteiligten nachprüfbar waren und sind. Hinsichtlich der Übereinstimmung der im‘ hiesigen Verfahren zu Grunde liegenden Daten mit den durch die französischen, Behörden übermittelten SkyECC-Daten hat die Kammer bereits Beweis erhoben durch Vernehmung des.Zeugen pp. des LKA .Kiel, u.a. über .dessen durchgeführten Datenabgleich. Danach ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Datenverfälschung in Deutschland. ‚Soweit es den französischen Bereich betrifft, gibt es ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass die Daten fehlerhaft und inhaltlich verfälschend aufgezeichnet und ausgewertet worden sind. Widersprüche bei den Zahlen und sonstigen Datenwiedergaben sieht die Kammer nicht. Dabei übersieht die Kammer nicht, dass die Chats die Kommunikation nicht lückenlos wiedergeben. Das hat sie berücksichtigt und wird es weiter berücksichtigen.“

Nach der EuGH-Entscheidung wird man sich fragen (müssen), ob eigentlich EncroChat noch ein „vernünftiger“ Verteidigungsansatz ist. Jedenfalls wird das Verteidigen mit EncroChat sicherlich nicht leichter.

KCanG II: SkyECC-Chatinhalte und das neue KCanG, oder: LG Köln hält sie für verwertbar

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Und dann habe ich hier noch eine zweite Entscheidung zur Verwertbarkeit von Verwertbarkeit von SkyECC-Daten nach Inkrafttreten des KCanG. Das LG Köln macht es im LG Köln, Beschl. v. 16.4.2024 – 323 Qs 32/24 – anders als die bisherige Rechtsprechung. Es sieht die Daten als vewertbar an und führt dazu in einem Haftverfahren aus:

„Die im Haftbefehl dargestellten Fälle lassen sich im Sinne eines dringenden Tatverdachts anhand der in den Sonderheften dargestellten SkyECC-Chatinhalte zu der Kennung pp. nachvollziehen. Der dringende Verdacht, dass der Beschuldigte der — ausschließliche — Nutzer des SkyECC-Accounts pp.  war ergibt sich aus den in den Identifizierungsvermerken vom 11.05.2023 und vom 07.06.2023 dargelegten Umständen.

1. Die erlangten Erkenntnisse aus mittels Sky-ECC geführter Kommunikation sind auch nach Änderung der Gesetzeslage durch das Inkrafttreten des KCanG verwertbar.

a) Bisher existiert keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Verwertbarkeit der mittels „SkyECC“ versandten Daten (vgl. aber Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 15. November 2021 – 2 HEs 24-30/21; juris; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Januar 2023 — 111-5 Ws 341 – 344/22 juris). Orientiert an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Verwertbarkeit von EncroChat-Daten (BGH, Beschluss vom 2. März 2022 — 5 StR 457/21 —, juris; BGH, Beschluss vom 8. Februar 2022 — 6StR 639/21 juris; BGH, Beschluss vom 5. Juli 2022 — 4 StR 61/22 juris; vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 31. März 2021 — 2 Ws 118/21, juris) ist die Kammer indes bislang durchgängig von der Verwertbarkeit der SkyECC-Daten ausgegangen.

b) Die Einführung des KCanG ändert im Ergebnis nichts an der Verwertbarkeit von SkyECC-Daten.

Geändert hat sich die Rechtslage, soweit für die Frage der Verwertbarkeit von Interesse, infolgedessen in zweierlei Hinsicht: Zum einen sieht § 100b StPO Abs. 2 Nr. 5 a. StPO lediglich noch für Straftaten nach § 34 Abs. 4 KCanG die Möglichkeit einer Online-Durchsuchung vor, also nur noch bei bandenmäßigem oder bewaffneten Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge. Zum anderen ist der Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG mit drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe deutlich geringer als der des § 29a Abs. 1 BtMG, der ein Jahr bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe vorsieht.

aa) Die für die in Rede stehenden Taten nicht mehr gegebene Möglichkeit einer Online-Durchsuchung nach § 100b StPO steht der Verwertbarkeit nicht entgegen.

(1) Für die über den kryptierten Nachrichtendienst „EncroChat“ versandten Daten hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss vom 02. März 2022 — 5 StR 457/21, juris auf Grundlage einer umfassenden — an verfassungsrechtlichen Maßstäben — vorgenommenen Prüfung entschieden, dass diese in einem deutschen Strafverfahren verwertbar sind.

Die Frage, ob im Wege der Rechtshilfe erlangte Beweise verwertbar sind, richtet sich danach ausschließlich nach dem nationalen Recht des um Rechtshilfe ersuchenden Staates, soweit — wie hier — der um Rechtshilfe ersuchte Staat die unbeschränkte Verwendung der von ihm erhobenen und übermittelten Beweisergebnisse gestattet hat (BGH aaO. Rn. 26). Im Rechtshilfekontext sei es gerade nicht ausgeschlossen, von anderen Mitgliedstaaten ausdrücklich zu Zwecken der Strafverfolgung übermittelte Daten aus Maßnahmen zu verwenden, die keine Entsprechung in der StPO haben (BGH aaO. Rn. 73, unter ausdrücklicher Ablehnung der anderweitigen Auffassung des von der Verteidigung zitierten Singelnstein). Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung in der Hauptverhandlung erhobener Beweise ist danach § 261 StPO, unabhängig davon, ob diese zuvor im Inland oder auf sonstige Weise – etwa im Wege der Rechtshilfe – erlangt worden sind (BGH aaO. Rn. 25). Entscheidender Zeitpunkt für die Frage der Verwertbarkeit auf den Zeitpunkt der Verwertung, nicht der der Erlangung der Daten (vgl. zum Zeitpunkt der Verwertbarkeit BGH aaO. Rn. 69).

Hinsichtlich der Verwertbarkeit der im Wege europäischer Rechtshilfe erlangten .Beweisergebnisse hat der 5. Strafsenat ausgeführt, dass auf die in strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen zurückgegriffen werden könne, mit denen der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei vergleichbar eingriffsintensiven Mitteln Rechnung trägt (vgl. auch BVerfG, Urteil vom 19. Mai 2020 – 1 11./R 2835/17, BVerfGE 154, 152 ff. Rn. 216 ff.). In dem von ihm zu entscheidenden Fall hat er aufgrund des Gewichts der Maßnahme zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes — auch um jede denkbare Benachteiligung auszuschließen — die Grundgedanken der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 StPO) fruchtbar gemacht (BGH aaO. Rn. 68) und damit an die Voraussetzungen des § 100b StPO angeknüpft.

(2) Die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze sind für die Verwertbarkeit der aus Sky-ECC geführten Kommunikation erlangten Daten übertragbar.

Ebenso wie die Encrochat-Daten sind diese in einem französischen Ermittlungsverfahren erhoben worden und auch die wesentlichen Rahmenbedingungen stimmen zwischen den beiden Anbietern überein. Insbesondere befand sich – ausweislich der vorliegenden Beschlüsse des in beiden Fällen zuständigen Gerichts in Lille – bei beiden Anbietern der Server, über den die Kommunikation erfolgte, an einem Standort in Frankreich und das Angebot sowohl von „Encrochat“ als auch von „SkyECC“ war dadurch gekennzeichnet, dass die Geräte nicht über legale Vertriebswege verkauft wurden und für die verschlüsselten Geräte ein außergewöhnlich hoher Preis – etwa 1.500 Euro für eine sechsmonatige Nutzung – zu zahlen war, obwohl die Geräte selbst nur über einen sehr eingeschränkten Funktionsumfang verfügten (so OLG Celle, Beschluss vom 15.11.2021 – 2 HEs 24 – 30/21 – juris Rn. 22 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Januar 2023 — 111-5 Ws 341 ¬344/22 —, Rn. 42, juris).

(3) Unter Berücksichtigung der vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 02. März 2022 aufgestellten Grundsätzen, sind die erlangten SkyECC-Daten auch nach Inkrafttreten des KCanG verwertbar.

Ein absolutes Beweisverwertungsverbot liegt schon wegen des Inhalts der überwachten Kommunikation nicht vor (BGH aaO. Rn. 62.) Aber auch ein relatives Beweisverwertungsverbot ist nicht gegeben.

(a) So hat der 5. Strafenat des Bundesgerichtshofs zwar in dem von ihm entschiedenen Fall die Grundgedanken der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 StPO) fruchtbar gemacht (vgl. BGH aaO. Rn. 68).

Dies bedeutet allerdings nicht, dass Daten unterhalb dieses Schutzniveaus in keinem Fall verwertbar sind. Gegen diesen, in der Beschwerdebegründung und offenbar auch durch das Landgericht Mannheim (Az. 5 KLs 804 Js 28622/21, vgl. die Pressemitteilung des LG Mannheim) und das Landgericht Darmstadt gezogenen Schluss sprechen vielmehr schon die soeben wiedergegebene Formulierung als auch die im Zusammenhang damit stehenden Passagen des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 02. März 2022.

Der Bundesgerichtshof stellt mit der wiedergegebenen Formulierung klar, dass § 100e Abs. 6 StPO nicht unmittelbar anwendbar ist (so auch schon BGH aa0. Rn. 25 und 65), lediglich dessen Grundgedanke ist anwendbar, und dies auch nur, um jede denkbare Beeinträchtigung auszuschließen. Daraus ergibt sich sehr deutlich, dass nach Auffassung des Bundesgerichtshofs die Daten im Grundsatz immer verwertbar sind, wenn die Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO vorliegen, unter die in den folgenden Absätzen des Beschlusses des Bundesgerichtshofs subsumiert wird. Es ergibt sich daraus aber nicht der Umkehrschluss, dass sie anderenfalls nicht verwertbar sind.

Vielmehr kommen dem Kernbereichsschutz und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besondere Bedeutung zu (BGH aa0. Rn. 67). Hierfür kann auf die in strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen zurückgegriffen werden, mit denen der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei vergleichbar eingriffsintensiven Mitteln Rechnung trägt (BGH aaO. Rn. 68).

In dem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass die vorgenommene Maßnahme nach deutschem Recht jedenfalls teilweise nach § 100a Abs. 1 StPO gerechtfertigt wäre, also gemäß § 100a Abs. 2 Nr. 7a. a) StPO auch beim Vorwurf des gewerbsmäßigen Handeitreibens mit Cannabis in Betracht kommt. Denn § 100a Abs. 1 S. 2 und 3 StPO erlaubt die Quellen-TKÜ und damit auch den Zugriff auf laufende und hinzukommende —hingegen nicht bereits vorhandene — Kommunikationsinhalte auf dem Endgerät des Betroffenen (Meyer-Goßner/Schmitt/Köh/er, StPO, 66. Auflage, § 100a, Rn. 14a, 14b; KK-StPO/Henrichs/Weingast, 9. Aufl. 2023, StPO § 100a Rn. 42). Die Aufnahme des gewerbsmäßigen Handeltreibens in den Katalog des § 100a Abs. 2 StPO demonstriert, dass der Gesetzgeber auch nach Inkrafttreten des KCanG zur Aufklärung derartiger Straftaten sehr eingriffsintensive Ermittlungsmaßnahmen wie eben auch die Quellen-TKÜ als zulässig erachtet. Dies fügt sich dazu, dass die Eindämmung der organisierten Kriminalität gerade Ziel der Einführung des KCanG war, wie die Staatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat.

Der Bundesgerichtshof fordert im Ergebnis daher eine restriktive Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Berücksichtigung der Eingriffsintensität, der Schwere der Straftat, der Intensität des Tatverdachts und des staatlichen Aufklärungsinteresses (vgl. BGH aaO. Rn. 43f.). Als Ausdruck der „Abwägungslehre“ (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt aaO. Einl. Rn. 55c ff.) ist danach vom Einzelfall auszugehen und nach der Sachlage und der Art des Verbotes zu unterscheiden, wobei stets das Interesse des Staates an der Tataufklärung gegen das Individualinteresse des Bürgers an der Bewahrung seiner Rechtsgüter abzuwägen ist.

(b) Gemessen daran und der danach vorzunehmenden Abwägung im konkreten Einzelfall sind die erlangten Daten aus der vom Beschuldigten geführten Sky-ECC Kommunikation nach Auffassung der Kammer weiterhin verwertbar.

Zunächst betreffen die Daten keine Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung (vgl. § 100 d Abs. 2 S. 1 StPO). Auch stehen andere Beweismittel nicht zur Verfügung, mithin ist eine Erforschung des Sachverhalts ohne diese Beweismittel nicht möglich. Die Sky-ECC Protokolle sind besonders ergiebig, da darin offen über Drogengeschäfte in erheblichem Umfang kommuniziert wird, wofür gerade zur Verschleierung der Straftaten ein entsprechend kryptierter Kommunikationsweg genutzt wurde.

Es besteht ferner mit einem dringenden Tatverdacht die höchste Verdachtsintensität. Dieser dringender Tatverdacht bezieht sich des Weiteren auf schwere Straftaten. Auch nach der Reduzierung des Strafrahmeris stellt das Handeltreiben mit Cannabis in § 34 Abs. 3 KCanG im Grundsatz eine solche schwere Straftat dar, wie bereits die Aufnahme der Vorschrift in die „schweren Straftaten“ des § 100a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 7a. a) StPO demonstriert.

Es steht zudem außer Frage, dass es sich bei den dem Beschuldigten zur Last liegenden Taten konkret überwiegend um sehr schwerwiegende Taten handelt. Der Beschuldigte war im Sinne eines dringenden Tatverdachts bereits bei den einzelnen Taten jeweils für sich genommen mit ganz erheblichen Mengen befasst, die teilweise im dreistelligen Kilogrammbereich lagen und einen Verkaufswert im hohen sechsstelligen Bereich repräsentieren. Die vorliegenden Chatverläufe belegen nicht nur, dass der Beschuldigte mit grenzüberschreitende Drogenhandel von Spanien nach Deutschland (Fälle 3, 4; 7, 8) befasst war, sondern‘ über Kontakte in weitere europäische und außereuropäische Länder verfügte. Er war Teil eines Netzwerkes aus Lieferanten, Logistikem, Investoren und Verkäufern. Es steht außer Frage, dass diese Taten nicht nur auch nach Inkrafttreten des KCanG noch strafbar sind, es handelt sich bei ihnen auch um Taten der organisierten Kriminalität, deren Bekämpfung die Einführung des KCanG dienen soll, worauf die Staatsanwaltschaft zurecht hinweist.

Weiter ist im Rahmen der im Einzelfall zu erfolgenden Abwägung der Umfang des erfolgten Eingriffs aufgrund der Verwendung der Daten abzustellen. Die Daten wurden durch die französischen Behörden nur für einen begrenzten Zeitraum erhoben. Der damit verbundene Eingriff in die Rechte der Betroffenen war zeitlich überschaubar und im Hinblick auf die dadurch gewonnenen Erkenntnisse in jeder Form verhältnismäßig.

bb) Wie bereits dargelegt, handelt es sich auch bei Verstößen gegen § 34 Abs. 3 Nr. 1 und 4 KCanG um im Grundsatz schwere Straftaten und gilt dies für die dem Beschuldigten zur Last liegenden Taten in besonderem Maße.

Man wird sehen, wie es weitergeht.